Читать книгу Lockvogel - Theresa Prammer - Страница 9

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Edgar Brehm war mehr als genervt über die Unterbrechung. Es ging ihm miserabel. Und seine Alarmglocken schrillten bei diesem Fall. Da saß diese junge Frau mit ihren kurzen schwarzen Haaren und den riesigen grünen Augen und sah ihn gebrochen und gleichzeitig hoffnungsvoll an.

Als hätte er eine Lösung für ihr Problem. Er kannte solche Fälle, es waren häufig Frauen, die nicht wahrhaben wollten, was ihnen angetan worden war. Die nach einer Erklärung suchten, weil es einfach nicht sein konnte, dass sie sich so getäuscht hatten. Es brach ihm jedes Mal das Herz, wenn er so jemanden in seinem Büro vor sich sitzen hatte, während er den abgeklärten Detektiv gab.

Was sollte diese junge Frau von einem Mann, der keine Skrupel hatte, seiner Freundin das Geld und den Schmuck ihrer Großmutter zu stehlen, erwarten? Sie wirkte sympathisch, nicht dumm. Vielleicht etwas naiv, nein, gutgläubig. Aber sie war noch so jung, meine Güte, das war er auch einmal gewesen. Er sollte es ihr offen sagen: Wenn ihr Freund kein vollkommener Idiot war, dann hatte er sein Vorgehen höchstwahrscheinlich seit Langem geplant. Außerdem bezweifelte Edgar, dass sich der Schuft nicht schon früher unbemerkt aus dem Safe bedient hatte. Ein Safe. Wieso hatte sie das Geld nicht gleich unter dem Bett versteckt?

Toni ließ ihn nicht aus den Augen, ihr verängstigtes Lächeln machte ihn nervös. So sehr er ihr auch helfen wollte, er konnte es einfach nicht.

Dieser schäbige Freund hatte garantiert keinen Cent mehr von dem Geld, nach einem Monat, Herrgott. Vielleicht gab es noch eine reelle Chance, den Schmuck wiederzubekommen.

Und dennoch, sie hatte einfach nicht das, was Edgar im Moment am dringendsten brauchte: Geld.

Und überhaupt, wie sollte Edgar es anstellen, diesen Freund zu finden? Er konnte niemanden mehr engagieren, sein miserabler Gesundheitszustand kam jetzt auch noch dazu und ganz generell – hatte er nicht schon genug Probleme?

„Herein“, sagte er, doch nichts passierte. Wahrscheinlich der pickelige Fahrradbote, der immer Kopfhörer trug und wegen der Musik in seinen Ohren so schrie. Welche Klage, Anzeige, Geldforderung darf es denn heute sein? In den letzten paar Tagen musste sich viel Neues angehäuft haben.

Edgar stand vom Schreibtisch auf und ging zur Tür.

Doch statt des Boten stand da eine bildhübsche blond gelockte Frau mit glänzenden roten und verdächtig vollen Lippen, einer Stupsnase, prallen Wangen und Wimpern so dicht wie Fächer. Sie schaute ihn an, fast ängstlich. Er schätzte sie auf Ende dreißig, eindeutig untergewichtig. Bis auf die Oberweite, die wie ein Balkon herausragte. Obwohl Edgar sich nicht sonderlich für Mode interessierte, erkannte sogar er die Chanel-Logos auf ihrer schwarzen Handtasche und der funkelnden Gürtelschnalle. Dazu dieser Hauch von einem dünnen Mantel, dessen durchscheinend schwarzer Stoff mit lauter kleinen Cs aus Samt bedruckt war.

Für Edgar wirkte ihre Aufmachung wie ein Schaufenster in ihren Kontostand. Und der schien mehr als erfreulich zu sein.

„Ist hier das Detektivbüro?“, fragte sie leise.

Er nickte.

„Darf ich reinkommen?“

„Haben wir einen Termin?“

Dafür, dass er eine potenzielle Kundin vor sich hatte, klang Edgar nicht besonders freundlich. Sein Magen knurrte so laut, dass er selbst erschrak. So, das war’s, genug. Diese idiotische Diät, auf die man ihn im Krankenhaus gesetzt hatte, würde er noch heute beenden.

„Nein, tut mir leid“, flüsterte sie. „Ich dachte, vielleicht könnten Sie mich dazwischenschieben? Ich kann auch warten. Es ist dringend.“

Sie strich sich eine Locke hinters Ohr. Edgar sah den goldenen Ehering und einen Ring mit einem Brillanten von der Größe einer Murmel. Die Frau zog ihre Hand zurück, als sie seinen Blick bemerkte. Rasch senkte sie den Kopf und zog an ihrem Mantel, als müsse sie ihn richten. Ihr schüchternes Auftreten und ihr Bemühen, diese Verlegenheit zu überwinden, wirkten wie das genaue Gegenteil ihrer Aufmachung. War das gespielt oder echt? Edgar konnte es nicht sagen. Normalerweise war er gut darin, so etwas zu erkennen. Irgendwas in seiner Brust rumpelte. Das kam nicht vom Hunger.

Toni hatte ihn vorhin schon bei der Suche unterbrochen. Er musste jetzt endlich diesen Spray, den man ihm für den Notfall mitgegeben hatte, finden.

„Einen Moment bitte.“

Er schloss die Tür und wandte sich wieder der jungen Frau zu.

„Also, wie gesagt, Frau Lorenz, mein Angebot steht: zweitausendfünfhundert Euro.“

Die Enttäuschung in Tonis Blick war fast nicht auszuhalten. Brehms Herz rumpelte wieder, er musste sich setzen. Kaum nahm er Platz, stand sie auf, lehnte sich über den Tisch und reichte ihm die Hand. Ihr Händedruck war erstaunlich kräftig, ihr Mund zuckte, als würde sie noch etwas sagen wollen, aber es folgten keine Worte.

Nachdem Toni gegangen war, wühlte Edgar rasch durch die Papiere auf seinem Schreibtisch. Der Spray war nicht da. Aber er hatte ihn doch mitgenommen? Oder nicht? Machte jetzt nicht nur sein Kreislauf schlapp, sondern auch sein Hirn?

Er hatte keine Wahl, darum musste er sich später kümmern. Er öffnete die Tür und bat die Blonde einzutreten. Mit ihr wehte eine Duftwolke herein wie eine gezuckerte Blumenwiese. Sie schien – im Gegensatz zur jungen Frau vorhin – weder von den antiken Möbeln noch von den Papierstapeln Notiz zu nehmen.

Im Gegenteil, sie suchte sich Platz in der Mitte des Raums, stellte sich ein wenig aufrechter hin, ein Bein vor dem anderen, eine Hand an der Hüfte. Als wäre sie auf einem roten Teppich und die Blitzlichter der Fotografen würden jeden Moment losgehen. Kurt wäre begeistert von ihr gewesen. Er hatte sich mit Mode ausgekannt und manchmal beim Anblick eines Kleids ganz verzückt irgendwelche Designernamen ausgerufen. Edgar erkannte oft an den Reaktionen der Klienten, dass sie dachten, Kurt wäre homosexuell. Hinterher hatten die beiden sich immer darüber amüsiert, denn es war genau umgekehrt: Kurt war seit dreißig Jahren verheiratet. Und Edgar war vor mehr als zwanzig Jahren nach einem Eklat von der Polizei gekündigt worden. Als Draufgabe hatten sie seine Homosexualität auch noch dafür benutzt, ihm eine angebliche Affäre mit einem Tatverdächtigen unterzuschieben.

Nach seiner Berufserfahrung als Detektiv tippte Edgar bei der Chanel-Frau auf einen untreuen Ehemann. Ihrer Aufmachung nach vielleicht jemand in der Öffentlichkeit, was erklären würde, warum sie ihn ausgewählt hatte und nicht eine der renommierten Detekteien in der Innenstadt.

„Was kann ich für Sie tun, Frau …?“

Sie beendete seine Frage nicht. Er bot ihr einen Platz an, doch Chanel wollte lieber in ihrer Pose stehen bleiben. Sie zog ein Kuvert aus der Handtasche.

„Sie genießen in der Branche meines Mannes einen sehr guten Ruf.“

Sie sagte es so, als müsste er wissen, was damit gemeint war.

„Welche Branche?“

„Die Filmbranche.“

Er tat, als wäre ihm damit alles klar: „Ach, ja.“

Obwohl er natürlich wusste, dass sie nicht ihn meinte. Sie meinte Kurt.

„Darum werde ich auch ganz offen mit Ihnen reden. Bitte werfen Sie einen Blick in das Kuvert und sagen Sie mir, ob das reicht. Für Ihre Arbeit, Ihre absolute Diskretion und auch dafür, dass Sie …“, sie schlug die Augen nieder, „… dass Sie auf eine offizielle Rechnung verzichten.“

Würde seine Detektei florieren, wäre das ein gekonnter Schachzug der Konkurrenz, ihn dranzukriegen. Doch da der letzte geglückte Auftrag so viele Monate zurücklag, nickte Edgar nur. Schon als sie ihm das Kuvert gab, spürte er das Bündel darin. Er sah hinein. Lauter grüne Scheine, das mussten um die zehntausend Euro sein.

„Es reicht“, sagte er heiser.

Die Frau nickte und nahm nun doch Platz. Erst jetzt bemerkte Edgar die roten Flecken auf ihrem Hals. Eine Allergie? Stress? Eine Krankheit?

„Es geht um meinen Mann, Alexander Steiner.“

Sie sah ihn an, als erwartete sie eine Reaktion. Edgar hatte keine Ahnung, wer das sein sollte, aber er nickte und schrieb sich den Namen auf.

„Aha.“

„Ich bin aber nicht wegen des Unglücks vor zwei Tagen gekommen … also, na ja, indirekt.“

Er wusste nicht, wovon sie sprach. Die letzten Nachrichten hatte er gesehen, bevor er ins Krankenhaus eingeliefert worden war. – „Keine Aufregungen, Herr Brehm. Mit einer hypertensiven Entgleisung samt Thoraxschmerzen ist nicht zu spaßen. Sie haben riesiges Glück gehabt.“ Das war der Fachausdruck für diese Explosion seines Blutdrucks. Das Gute war, er hatte keinen Herzinfarkt, wie er im ersten Moment gedacht hatte. Trotzdem war Edgar sich nicht sicher, ob er von Glück sprechen würde. Es stimmte, es grenzte an ein Wunder, dass er unverletzt geblieben war. Bei dem Aufprall hatte er sich bereits wegen der Schmerzen in der Brust so gekrümmt, dass der Airbag ihn wie einen Ball in den Sitz gedrückt hatte. Keine Verletzungen, aber sein Auto war Schrott, und er hatte nicht genug Geld, um die Reparatur zu bezahlen. Dass sein Körper aber so viel Aufmerksamkeit verlangte, daran wollte er lieber nicht denken. Sein Arzt hingegen sagte, dass der sich gegen die Arbeitszeiten und momentanen „Herausforderungen“ wehrte: „Wenn Sie so wollen, dann verstehen Sie es als eine Warnung, die Ihnen Ihr Körper schickt. Und Sie können sich vorstellen, was passiert, wenn Warnungen nicht ernst genommen werden.“ Aber für Edgar reihte sich sein Körper nur in eine Vielzahl von Problemen ein, die er nicht unter Kontrolle hatte.

„Tut mir leid, ich war im Ausland und bin gestern erst zurückgekommen“, log er und deutete auf seinen Schreibtisch. – „Also, Sie müssen kürzertreten. So wenig Stress wie möglich. Frische Luft. Ausreichend Bewegung und Diät. Und ganz wichtig: Entspannung. Nehmen Sie sich ein paar Tage frei.“ Der Arzt hatte nur mit dem Kopf geschüttelt, als Edgar daraufhin zu lachen begonnen hatte.

„Ich konnte mich noch mit nichts anderem beschäftigen als dem hier“, erklärte er.

Chanel sah ihn durchdringend an.

„Wir hatten eine Gartenparty. Ein Mann hat sich als Kellner ausgegeben und – es gab ein Unglück.“ Sie deutete in die Luft, als würde sie ein durchsichtiges Paket hochhalten. „Eine der Nebelleisten hat ihn am Kopf getroffen.“

„Nebelleisten?“

„Wir haben ein Nebelsystem, zur Luftkühlung. Fünf Nebelleisten, jede davon mit drei Düsen. Sie sind über der Terrasse befestigt und versprühen kühlen Wasserdampf.“

„Ich verstehe“, sagte er, obwohl er keine Ahnung hatte, wie so etwas aussah. Aber darum konnte er sich später noch kümmern.

„Eine dieser Leisten hat sich aus der Halterung gelöst“, fuhr sie fort. „Sie hat den Mann sehr unglücklich am Kopf getroffen, worauf er in den Pool gestürzt und ertrunken ist. Es war in der Nacht, niemand hat es bemerkt. Ein Unfall.“ Sie schluckte. „Ich habe ihn am nächsten Morgen gefunden.“ Sie senkte ihren Blick, er fiel auf den Aschenbecher auf Edgars Schreibtisch. „Oh, darf man bei Ihnen rauchen?“

Er sollte Kurts Aschenbecher nicht so herumstehen lassen. Es war erstaunlich, wie oft er diese Frage im letzten Jahr bereits gestellt bekommen hatte. Und er hatte im Prinzip auch gar nichts dagegen, wenn sich jemand in seinem Büro eine Zigarette ansteckte. Aber dann müsste er den Aschenbecher freigeben und damit auch die Belohnungs-Zigarette, die Kurt sich vor ihrem letzten gemeinsamen Auftrag bereitgelegt hatte. Wurde Edgar gefragt, bemühte er sich um ein Lächeln, sagte halbherzig, dass der Aschenbecher nur herumstand, weil er aufgehört hatte. Was nicht stimmte. Er hatte nie geraucht. Falls auch seine neue Klientin fragen sollte, würde er ihr sagen, dass ihm die Zigarette im Aschenbecher ein Gefühl von Erfolg gab. Doch sie fragte nicht. Sie seufzte tief. Noch mehr rote Flecken am Hals. Also doch Stress. Kein Wunder. Angesichts seiner finanziellen Lage und der Tatsache, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis er hier sowieso alles dichtmachen musste, nickte er.

„Natürlich, rauchen Sie.“

Mit ihren perfekt manikürten Fingern fischte sie eine Packung mit schlanken Zigaretten aus der Tasche und zündete sich eine mit einem eleganten goldenen Feuerzeug an. Nach dem ersten Zug blies sie den Rauch aus, als würde sie etwas vor sich wegpusten wollen.

„Was meinen Sie damit, er hat sich als Kellner ausgegeben?“, fragte Edgar nach.

„Er war kein Angestellter der Cateringfirma.“ Sie hielt mit der Zigarette vor dem Mund inne. „Die Polizei ist noch immer damit beschäftigt, seine Identität festzustellen. Und … ich befürchte, also … ich möchte, dass Sie klären, ob er etwas damit zu tun hat.“

Sie legte die Zigarette im Aschenbecher ab, griff wieder in ihre Tasche und nahm ein großes orangefarbenes Kuvert heraus. Es zitterte in ihrer Hand.

„Ich möchte vorbereitet sein. Falls es so ist. Das kam vor zwei Wochen. Jemand hat es in unseren Briefkasten gesteckt. Keine Anschrift, kein Absender. Seit dem Unfall ist viel Polizei bei uns im Haus. Wir werden befragt und … Ich muss wissen, wer das geschrieben hat, bevor es die Polizei rausfindet. Ob er deshalb auf der Party war. Verstehen Sie?“

Sie zog hastig an der Zigarette.

„Sie meinen, dass dieser Todesfall kein Unfall war?“

„Ich kann es mir nicht vorstellen. Ich meine, diese Nebelleiste ist höchstens zehn Zentimeter lang und wiegt vielleicht zwei, drei Kilo. Aber …“ Sie seufzte. „Ja, ich habe auch darüber nachgedacht. Er wurde damit direkt am Kopf getroffen. Als er vor dem Pool stand. Was ich sagen will … ich kann es nicht ausschließen. Obwohl es sehr unwahrscheinlich ist. Doch wenn man so erfolgreich ist, wie mein Mann, hat man auch viele Feinde, und ich muss wissen …“

Ihre Stimme versagte. Sie nahm noch einen tiefen Zug, dann drückte sie die Zigarette im Aschenbecher aus und reichte Edgar zitternd das Heft. Als er danach griff, ließ sie es nicht los.

„Kann ich mich auf Ihre absolute Diskretion verlassen? Die zwölftausend Euro sind eine Anzahlung.“ Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf das Kuvert. „Sie bekommen noch einmal die gleiche Summe, wenn alles erledigt ist. Ich möchte nicht, dass Sie erpressbar sind. Verstehen wir uns?“

Was war das? Sie wirkte plötzlich sehr klar, fast herrisch. Auch die Hand zitterte nicht mehr. Also doch nur Show? Aber war das bei insgesamt vierundzwanzigtausend Euro und auch noch schwarz auf die Hand nicht völlig egal? Damit würde er zumindest die Hälfte seiner Probleme in den Griff bekommen.

Es rumpelte wieder in ihm, er musste husten. Reiß dich zusammen, forderte er sich auf.

„Gnädigste“, sagte er in seinem charmantesten Tonfall. „Ihr Auftrag ist bei mir in sicheren Händen. Wenn ich erpressbar wäre, würden Sie sich nicht in meinem Büro befinden. Denn dann würde die Detektei nicht so einen guten Ruf genießen.“

„Gut.“ Sie nickte. Ihre Schultern senkten sich und ihre Augen glänzten, so als würden sich Tränen darin sammeln. Doch sie hatte sich erstaunlich schnell wieder gefasst. „Ich muss nämlich wissen, ob mein Mann mir treu ist.“

Lockvogel

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