Читать книгу Tausend falsche Wege - Thessa Grundig - Страница 10

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Liebster Ben,

ich musste los, meine Familie wartet bereits auf mich. Die Großeltern sind noch zum Kaffee eingeladen und Doreen wollte für einen Spieleabend vorbeikommen. Ich weiß, du hast für die morgige Hochzeit noch einiges aufzubauen, lass dich also von mir nicht stören, ich schlafe heute bei meinen Eltern.

Ich Liebe Dich, Elena!

Leise zog ich die Tür hinter mir zu und machte mich erst einmal auf den Weg zu meinem Auto. Unterwegs erreichten mich noch einige Geburtstagsgrüße und ein Anruf von meiner Lieblingstante, mit einer echt schrägen, dennoch total süßen und einzigartigen Gesangseinlage.

Mein Auto war das Einzige auf dem Parkplatz. Mir fiel sofort das Knöllchen an der Windschutzscheibe ins Auge.

„Na toll, ein Strafezettel“, fluchte ich. Doch stattdessen hielt ich eine persönliche Nachricht von Jan in meiner Hand.

Alles Gute zum Geburtstag, Elena!

Ich kam leider nicht mehr dazu, dir persönlich zu gratulieren. Bitte triff mich kurz vor der Honigschänke, ich habe noch etwas für dich. Schick mir eine Nachricht, wenn du auf dem Weg bist.

Gruß Jan

Ich fühlte mich wie ein verknallter Teenager. Mein Bauch kribbelte heftig, als ich mein Lächeln nicht daran hindern konnte, sich über meinem Gesicht auszubreiten. Also gut, es lag auf dem Weg, warum also nicht?

„Ich habe deine Nachricht erhalten. Ich könnte 13 Uhr da sein.“ Unter zitternden Fingern drückte ich auf Senden.

Keine Minute später, als hätte er die ganze Zeit wachsam über seinem Handy gesessen, kam seine Antwort.

„Ich erwarte dich!“ Kurz und Knapp.

Als ich die geteerte Straße inmitten des Waldes zum Hotel entlang fuhr, wurde ich nervös. Meine Gedanken sprangen zum gestrigen Abend und ich kaute unruhig auf meinen Fingernägeln. Er stand bereits cool an sein Auto gelehnt auf dem Parkplatz.

Gott sei Dank ist kein Bett in der Nähe.

Netter Gedanke, als wenn mich dieser Fakt aufhalten könnte, wenn ich bedenke, was alles in einem Auto möglich wäre. Heftig schüttelte ich meine unsittlichen Gedanken ab. Ich parkte ein, schloss ab und ging zu Jan. Unsicher reichte ich ihm die Hand zur Begrüßung.

„Heute so förmlich?“ Grinste er mich verspielt an.

„Klar, man soll ja öfter mal etwas Neues probieren!“ So wie ich es aussprach, konnte ich mir seine Antwort bereits denken.

„Da stimme ich dir voll und ganz zu. Der Reiz von Neuem ist köstlich.“ Gierig fuhr er sich dabei mit der Zunge über die Lippen.

„Nun, du hast geschrieben du hättest etwas für mich? Habe ich gestern wieder meine Jacke in der Disco vergessen?“ Ich machte eine kurze Pause. „Oder gar im Hotelzimmer?“ Fügte ich kleinlaut hinzu.

„Wenn ich es mir recht überlege, hast du eigentlich nur mich vergessen, meine Schöne“, schelmisch untermalte er diese Aussage. „Mich einfach so alleine und nackt in der Dusche stehen zu lassen. Da war es plötzlich schon etwas einsam.“

Damit streute er noch mehr Salz in die Wunde. Ich wäre wirklich liebend gern in diese Dusche gestiegen, hätte meine Hände über seinen nackten, straffen Körper gelegt, jeden Millimeter geliebkost und gezeigt was für eine Anziehungskraft er auf mich hatte.

„Ich habe ein kleines Geschenk für dich. Alles Gute zum Geburtstag Elena.“ Er umarmte mich fest, gab mir ein harmloses Küsschen auf die Wange und reichte mir eine kleine Geschenkbox.

„Jan, das war doch nicht nötig. Ich hatte doch auch nichts für dich und außerdem, wer bin ich schon, dass du mir etwas schenken musst.“ Um ehrlich zu sein, ich freute mich total darüber.

Es war eine kleine Aufmerksamkeit, die mir zeigen sollte, dass ich eben doch jemand für ihn war.

„Mach es auf!“ Ich öffnete die säuberlich gezogene Schleife und klappte den Deckel der kleinen Kiste auf. Überrascht sah ich zu Jan und wurde puterrot. Mich sprachlos zu machen war faktisch unmöglich, doch dieses Mal, bekam ich kein Wort, nicht einmal gestotterte Wortfetzen heraus. In dem sorgfältig durchdachten Paket lag ein Schlüssel mit einem goldenen Anhänger daran, auf dem schwarz eingraviert die Nummer 14 stand.

Ich kam bei meinen Eltern an. Der goldene Schlüsselanhänger glitzerte auf meinem Beifahrersitz. Keine Ahnung, warum ich ihn mitgenommen hatte, vielleicht weil ich gelernt hatte, dass es unhöflich ist, ein Geschenk zurückzugeben.

Es hieß ja schließlich nicht, dass ich mit ihm in dieses Zimmer gehen musste. Vielleicht sollte ich mit Ben dort eine romantische Nacht verbringen? Okay, ich belog mich selbst. Natürlich war es die Einladung zu einer weiteren Nacht mit ihm. Dieses Zimmer steckte nun voller intimer Momente, voller Geheimnisse, war jetzt so etwas wie der unausgesprochene Sexspielplatz von Jan und mir. Ich versteckte die Kiste unter meinem Sitz und lief zu meinem Elternhaus.

Schon an der Haustür fielen mir meine Eltern um den Hals, um mir freudestrahlend zu gratulieren. Der Nachmittag war harmonisch und ausgleichend, ich fühlte mich geborgen und sicher. Nur mein Kopf meldete immer wieder in Leuchtschrift den Namen JAN an mein inneres Auge. Ich kam nicht umhin, ständig an ihn und den Schlüssel zu denken. Meine Großeltern machten sich bald auf den Heimweg und gaben buchstäblich meiner Schwester die Türklinke in die Hand. Doreen hatte ich seit fast drei Monaten nicht mehr gesehen, umso größer war die Freude. Sie hatte sich sehr verändert, etwa fünf Kilo mehr auf den Rippen, was echt gesünder aussah, lange schwarze, glatte Haare, wo vorher rote Wallemähne war. Und sie trug neuerdings eine Brille mit großen, viereckigen Gläsern in einem breiten Rahmen, die leider das Strahlen ihrer rehbraunen Augen abmilderte. Aber schön und glücklich sah sie aus.

Der Abend war lang, wir hörten Musik, tanzten ausgelassen, spielten Activity, redeten und lachten ausschweifend. Müde und völlig ausgelaugt legte ich mich ins Bett. Neben mir fiel Doreen auf die andere Matratze.

„Elena? Was ist los? Du hast irgendwas auf dem Herzen, dass sehe ich doch!“ Neugierde und Sorge waren in ihrem Blick zu erkennen. Ich konnte es nicht mehr für mich behalten, wollte es unbedingt jemanden erzählen und eine Meinung dazu hören. Wem könnte man einen Seitensprung besser beichten, als der eigenen Schwester?

„Ich hatte Sex! Atemberaubenden Sex und ich will es wieder. So sehr! Es fühlt sich an, als wenn mein Körper danach lechzt und wenn ich ihm nicht das gebe, was er will, erschaffe ich ein Biest, dass um sich schlagen wird.“ Ich drehte mich aufgewühlt zu ihr um und wartete gespannt auf Doreens Antwort.

„Dann hole ihn dir!“ Sie zuckte gleichgültig mit den Achseln. Anscheinend sah ich sehr verwirrt aus, weil sie noch etwas sagte.

„Ich glaube nicht, dass Ben besonders böse darüber sein wird, dass du ihn so sehr willst.“

Ja, natürlich! Ich hatte nicht erwähnt, mit wem ich diesen atemberaubenden Sex hatte. Und das tat ich auch nicht mehr. Endlich hatte ich es ausgesprochen und ich fühlte mich nicht mehr so von der Schuld erdrückt, auch wenn meine Beichte nicht annähernd an die Wahrheit heranreichte. Wir erzählten uns noch leise ein paar Kleinigkeiten aus unserem Alltag, bis wir schließlich selig einschliefen.

Der Tag der Hochzeit war gekommen. Ich stand wieder einmal vor meinem Spiegel und zog bereits das fünfte Outfit an.

„Doreen, jetzt hilf mir doch mal!“ Flehte ich meine Schwester verzweifelt an.

„Ich weiss nicht was ich anziehen soll. Was sagst du? Das hier?“ Ich hielt einen blauen, kurzärmlichen Jumpsuit hoch.

„Ich dachte in Kombination mit den silbernen Stilletos, den passenden Armreifen und dem silberglitzernden Jäckchen könnte es doch zum Anlass passen? Oder soll ich lieber das anziehen?“ In meiner Hand hielt ich ein rotes Etuikleid mit einem offenen Rücken.

„Hier wollte ich die schwarzen High Heels und die anthrazitfarbene Rückenkette, die ich mal von dir bekommen hatte, kombinieren.“

Doreen tippte sich mit dem Zeigefinger auf die Lippen und schien zu überlegen. Entschieden zeigte Sie auf das Etuikleid und schlug vor, mir Make-up und Haare zu machen.

Nach der Dusche stand ich vor meinem Outfit. Es lagen keine Dessous dabei. Ich konnte noch nie einen Slip unter einem Kleid tragen. Diese frische Windbrise im Schambereich war einfach so erfrischend, wenn man diese hautengen Kleider trug. Doch welchen Eindruck würde ich hinterlassen, wenn Jan es bemerken sollte? Andererseits, wie sollte er es denn bemerken? Ben war anwesend und jede Menge weitere Gäste, die Chance mir so nah zu kommen, dass er mir unter das Kleid fassen könnte, war mehr als gering.

Jan, Jan immer nur Jan. Höre jetzt auf damit. Du machst das immer so, also wirst du es jetzt auch nicht anders machen! Geiferte mich mein zorniges Teufelchen an.

Ich schlüpfte in Kleid und Schuhe, legte die Kette um und ließ mir von Doreen den letzten Schliff verpassen, als es bereits an der Tür klingelte.

Ben kam rein, es war eine komische, angespannte Stimmung, als Doreen und ich zu ihm kamen. Plötzlich fühlte ich mich unpassend gekleidet.

„Ben du sieht toll aus!“ Er sah adrett aus in seinem schwarzen Anzug und dem elfenbeinfarbigen Hemd. Unter seiner Jacke erkannte man die Umrisse einer Weste. Seine Fliege war perfekt gebunden und gab dem Outfit das gewisse Etwas.

„Danke, können wir los?“ Inmitten der Frage drehte er sich bereits zur Tür und ging. Ich war sichtlich enttäuscht über sein Verhalten. Hatte er mich überhaupt angesehen? Traurig trottete ich ihm zum Auto nach, stieg ein und dann fuhren wir wortlos zur Hochzeitslocation.

Die Sonne strahlte mit einer besonders starken Intensität. Keine fünf Minuten hielt man es aus, ohne sich kleine Wassertropfen ins Gesicht zu spritzen. Mit der Speisekarte fächerte ich mir Luft zu, um die quälende Wärme zu verringern. Christian und Sophie nahmen nach der Trauung die Hochzeitsbilder auf. Der eifrige Fotograf schleppte die beiden in den extra angelegten, farbenprächtigen Park, der unweit der Location lag und klickte, laut Erzählungen, etwa zweihundert Mal den Auslöser der Kamera. Wir Gäste vergnügten uns derweil bei Häppchen, kalten Getränken und stilvoller Musik.

Einige Zeit später bereiteten sich alle auf den Empfang des Brautpaares vor. Ein Spalier wurde gebildet, die Männer hielten Konfettikanonen in der Hand und die Frauen hatten kleine mit Seifenlauge gefüllte Fläschchen in Form von Hochzeitstorten. Überall hörte man angeregte Gespräche und lautes Lachen. Ben kam an meine Seite.

„So der DJ ist startklar, fehlen nur noch die Ehrengäste.“ Wie aufs Wort fuhr der weiße Mercedes vor. Er war geschmückt mit einem Blumenmeer aus Rosen und Callas auf der Motorhaube. Christian sprang aus dem Auto, lief zur anderen Seite und öffnete seiner frisch angetrauten Ehefrau die Tür. In einem Traum aus Weiß stand Sophie überglücklich vor uns. Alle jubelten, die Konfettikanonen knallten, rote Herzen aus Glanzpapier und zig Seifenblasen flogen durch die Luft. Christian trug seine Sophie durch das Spalier und allmählich löste sich dieser dann in Grüppchen auf. Ben lief zum DJ-Pult und ich stand da, wie bestellt und nicht abgeholt. Peinlich berührt wippte ich auf meinen Schuhen hin und her, lächelte die anderen Gäste an, bis es mir zu unangenehm wurde und ich den Weg in die Gaststätte antrat. Eine warme Hand legte sich um meinen Arm.

„Hier hat aber jemand der Braut die Show gestohlen. Du sieht atemberaubend aus.“

Wo war eigentlich der kalte Windhauch, wenn man ihn brauchte?

Jan streifte seinen Arm um meine Taille und ging mit mir zusammen zum Eingang des Gastraumes. Doch bevor ich diesen betreten konnte, hielt er mich zum Stehenbleiben an.

„Wie ich sehe, heute wieder ohne Slip. Du bringst mich noch um Elena.“ Er lächelte mich an und verschwand im Getümmel.

Tausend falsche Wege

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