Читать книгу Tausend falsche Wege - Thessa Grundig - Страница 6

Оглавление

Kapitel 1

Wie alles begann

„Es ist nur ein Essen mit einem guten Freund“, sagte ich zum tausendsten Mal zu mir. Als wenn ich mir das selbst glauben könnte. Meine Nervosität spürte ich bis in die Zehenspitzen.

Ein letzter Blick in den Spiegel. Ich sah aus, als würde ich zu einem Date gehen. Der kurze Rock legte sich auf meinen Körper wie eine zweite Haut, jeder Schritt zeigte meinen Hintern in einem anderen, attraktiven Winkel und die schwarzen Strumpfbänder schrien förmlich nach Verlangen. Nicht zuletzt die verspielte rote Bluse, im Dekolleté leicht geöffnet, nur ein klein wenig nackte Haut und der Anschein der Erhebung meines Busens waren zu sehen. Es war nicht viel, jedoch genug, um die Fantasie anzukurbeln.

Ob das gewollt war? Niemals! Schließlich war es ein Abendessen unter Freunden, oder?

Ich schlüpfte in meine hohen Stilettos und warf mir meinen leichten Sommermantel über. Zielstrebig stolzierte ich zu meinem Auto, stieg ein, atmete noch einmal tief durch, bevor ich den Schlüssel drehte und das Jaulen des Motors ertönte.

Quälende fünfzehn Minuten später parkte ich direkt neben seinem Auto. Der Wagen war dunkel, er musste bereits im Restaurant sein. Mein Herz klopfte wie wild in meiner Brust. Schamesröte, nur bei dem Gedanken ihm gleich gegenüber zu stehen, legte sich auf meine Wangen. Ein tiefer Atemzug löste meine Anspannung, als das Vibrieren meines Handys mich aus meinen Gedanken riss.

„Bist du schon da?“ Fragte mich Ben.

„Hallo Schatz, ja ich bin schon da, wo steckst du denn?“ Ein wenig zornig kam die Frage schon über meine Lippen.

Jedes Mal wenn Ben mich anrief, mir schrieb oder mich sah, verhielt er sich, als wäre ich irgendeine gute Freundin, statt SEINE Freundin. Es ärgerte mich immer wieder.

„Ja, deswegen rufe ich an. Ich kann nicht kommen. Mein Chef hat zu viele Reservierungen angenommen, aber lasst euch davon nicht stören und genießt ein entspanntes Abendessen. Wir sehen uns dann später im Club. Viel Spaß!“

Ich bekam keine Chance etwas zu sagen, denn er legte sofort auf. Meine Gedanken kreisten unerbittlich umher.

Okay Elena, atme tief ein. Dieses Mal raubt er dir nicht alle Sinne, sobald er dich anlächelt und dir diesen „Ich-will-dich-hier-und-sofort-Blick“ zuwirft. Du wirst dein Kopfkino ausschalten, es gibt keine perfekt geschwungenen Lippen, die so wunderbar auf deine passen, keine rauen Hände, die wie für deine Taille gemacht sind und vor allem, keine tiefsinnigen, zweideutigen Worte, die eine Hitze durch deinen Körper leiten.

Ich atmete die angehaltene Luft aus, drehte den Schlüssel aus dem Schloss, griff die Tür und stieg souverän aus dem Wagen. Eine unverkennbare Stimme jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken.

Er war es. Jan stand direkt hinter mir. Meine Atmung wurde unkontrollierbar und meine Hände begannen zu schwitzen.

„Hey du!“ Die Art wie er das DU betonte, ließ meine Knie weich werden.

„Hallo Jan! Ich freue mich, dich wiederzusehen, wie war die Fahrt? Gab es viel Stau? Also ich kam super durch, allerdings bin ich ja schon gestern los. Oder bist du auch gestern los? Ach egal, wichtig ist ja nur, dass du bereit für einen Abend mit feinem Essen, Bier und feierlustigen Freunden bist, oder?“ Sprudeln die Worte ungehalten aus mir heraus und ein dümmliches Kichern folgte.

Natürlich Elena, frag doch am besten gleich deinen ganzen Fragenkatalog. Fällt auch überhaupt nicht auf, dass du nervös bist. Mein innerer Teufel rollte bereits mehrfach die Augen.

„Mal ganz langsam Elena. Zuerst, wo ist denn Ben?“ Da war es wieder, dieses hinreißende Lächeln.

Reiß dich zusammen! Orderte der kleine Teufel an.

„Er hängt bei der Arbeit fest“, sage ich trocken.

„Sieht aus, als wären es nur Du und Ich.“ Die Worte hingen gefährlich in der Luft.

„Was für eine interessante Wendung. Dann lass uns rein gehen und das Beste daraus machen.“

Er deutete mir voranzugehen, was ich tat. Ich spürte, wie sein Blick auf meinen Hintern fiel und ich genoss es. Vielleicht ein wenig zu sehr.

Wir setzten uns an den reservierten Tisch in der Honigschänke. Edle Tischdecken, langstielige Kerzen und eine kleine Vase, mit einem hübsch zusammengebundenen Arrangement, rundeten die schlichte, jedoch anspruchsvolle Dekoration ab. Nur leise erahnte man die Töne der klassischen Musik, die aus den Lautsprechern kam. Hier und da bemerkte man ein Kichern, ein geschäftiges Tratschen oder ein genüssliches Schmatzen der anderen Gäste.

In Stille prüften wir die Speisekarte, als der Kellner sich bereits auf uns zu bewegte. Wir gaben unsere Bestellung auf, ich brauchte einen Wein, rot, fruchtig, vollmundig und Jan bestellte ein Bier vom Fass.

Lautstark klappte er seine Karte zu und starrte mich an. Keiner von uns verlor ein Wort. Mein Körper hatte das Gefühl, dass das auch nicht notwendig war, diese Blicke sprachen Bände.

Ich räusperte mich und begann mit belanglosem Smalltalk „Also Jan? Große Pläne für deinen Urlaub hier?“

„Es kommt darauf an, mit wem ich die Zeit verbringe.“ Sofort fühlte ich mich angesprochen, blieb aber pragmatisch.

„Dann also ruhig und unabhängig. Ein bisschen Disco, Fußball, Männerrunden und natürlich die Hochzeit von Christian und Sophie, oder?“

„Ja so in etwa wird es ablaufen. Mein Vater feiert morgen noch Geburtstag, wenn ich mich nicht irre, ist dein Ehrentag doch auch morgen?“ Sein rechter Mundwinkel zog sich spitzbübisch nach oben.

„Richtig! Auf die einundzwanzig“ prostete ich ihm mit meinem Weinglas zu. Der Kellner befreite uns aus diesem unbeholfenen Plausch.

Als wäre es ein Rettungsboot, klammerte ich mich an mein Weinglas und nahm einen großen Schluck.

„Durst he?“

Ich nickte.

„Erzähl mal, was gibt es denn Neues bei dir? Freundin, Job, Haus?“ Erneut nippte ich an meinem Glas.

„Es gab eine Freundin, dass ist allerdings wieder vorbei.“

„Oh was, schade! Wieso das denn?“

Oh ja Jan, das interessierte mich brennend. Seine letzte langjährige Beziehung endete vor zwei Jahren für ihn völlig unerwartet. Nach vier Jahren Liebe beendete Emma von heute auf morgen die Beziehung und seitdem war Jan immer einsilbig und trübsinnig. Zumindest den anderen gegenüber. Wir zwei hatten schnell einen Draht gefunden und konnten uns gut über die Trennung austauschen. Ich baute sein Selbstwertgefühl wieder etwas auf und brachte ihn auf andere Gedanken, wir lachten viel zusammen und schon damals gab es die ein oder andere Zweideutigkeit, die ein bleibendes Gefühl von Nähe hinterließ. Es herrschte ein unabdingbares Vertrauen, ich erzählte ihm intime Dinge, auch, dass ich nie Unterwäsche unter Kleidern trug. Ein pikantes Detail, welches er auch immer wieder unter uns zur Sprache brachte, vor allem dann, wenn ich Röcke oder Kleider trug.

Er liebte meinen unbändigen Optimismus und ich verlor mich in seiner Nachdenklichkeit. Zwei Menschen, die völlig verschieden waren und doch wollten wir uns stets nah sein. Es war, als holten wir das Beste aus uns heraus, den einen erdete es, dem anderen verhalf es, in eine fröhlichere Zukunft zu sehen. Perfekt, aber eben nicht zu diesem Zeitpunkt.

„Es war wegen dem hier, wegen dir.“ Sein Gesichtsausdruck war unverändert. Meiner hingegen sah aus, als hätte man mir nach einundzwanzig Jahren eröffnet, dass ich adoptiert wurde. Schnell raffte ich mich zusammen, bevor der Wein meine Mundwinkel hinunter tropfte.

„Ähm, Jan! Wie meinst du das?“ Immer noch starrte ich ihn geschockt an.

„Keine Sorge, es lief eine Weile schon nicht gut. Aber so konnte ich mich voll und ganz auf das hier konzentrieren, ohne wie du, ständig hin und her gerissen zu sein.“ Ein verschmitztes Lächeln schmückte sein markantes Gesicht. Seine Offenheit weckte in mir das Bedürfnis, ihm meine tief verborgenen Gedanken und Wünsche zu erzählen.

„Okay, ich habe dich nie belogen und ich werde auch jetzt nicht damit anfangen.“ Ohne nachzudenken, sprach ich alles aus, was mir durch den Kopf geisterte.

„Die ganze Zeit versuche ich etwas festzuhalten, was wahrscheinlich nicht wirklich festgehalten werden will. Es kostet mich unendlich viel Kraft und einige meiner heiligsten Prinzipien, aber ich denke, es ist die Arbeit am Ende wert. Du weißt, dass ich immer an das Gute glaube und es wird ganz bestimmt auch dieses Mal passieren.

Doch manchmal, da habe ich diese Zweifel, Ben ist dann distanziert und hat immer wichtigere Dinge zutun. Sex ist ihm bei weitem nicht so wichtig wie mir, womit ich mich arrangieren kann, aber auch ich habe Sehnsüchte.“

Meine Stimme wurde heiser und meine Mitte pulsierte. „Unsere Telefonate, unsere Gespräche in Kombination mit meinen Sehnsüchten und meiner Fantasie“, ich machte eine effektvolle Pause „also, du gehst mir nicht aus dem Kopf, Du bist meist mein Gedanke, wenn ich mich selbst verwöhne!“ Jan weitete seine Augen, als wenn ihn das tatsächlich überraschte. Aber er sagte nichts. Ich holte tief Luft.

„Du kannst also nicht solche Dinge sagen und erwarten, dass sie mich kalt lassen Jan! Das tun sie nämlich nicht. Im Gegenteil, sie bringen mich eher noch mehr in eine Richtung, die ich nicht einschlagen darf. Ich bin in einer Beziehung, nie bin ich untreu gewesen und eigentlich bin ich auch nicht gewillt, das zu ändern.“

Absolute Stille herrschte um uns, es fühlte sich an, als wären wir die einzigen zwei Personen in diesem Raum.

„Doch das hier, heute, diese Zweisamkeit, sie ist gefährlich! Ich fühle, wie ich dir nicht widerstehen kann, als wenn ich mir unbedingt die Finger an der verbotenen Frucht verbrennen will.“

Wow Elena, was für eine Metapher. Ich trank verstohlen einen Schluck Wein und versuchte peinlichst genau, Jans Blicken auszuweichen.

Auf einmal sprang Jan auf. „Warte hier einen Moment!“ Er ging kurz weg, kam jedoch wenige Minuten später wieder zielstrebig auf mich zu und nahm meine Hand.

„Wo willst du hin?“ Fragte ich verwirrt.

„Komm mit mir!“ Es war mehr ein Befehl als eine Bitte. Ehe ich begriff, was mir geschah, stand ich auf und ließ mich in Richtung Treppenhaus zerren. Die Tür zum Gastraum schloss sich, er stieß mich an die Wand und sein definierter Körper war fest an Meinen gepresst. Seine harte Länge drückte sich spürbar an meinen Bauch. Seinen Lippen waren nur einen Hauch von mir entfernt und ich spürte seinen heißen Atem.

„Elena! Ich werde dich jetzt küssen und danach schauen wir uns deine Fantasien etwas genauer an.“

Bevor ich etwas sagen oder tun konnte, küsste er mich schon hart und begehrend. Ich schmeckte eine herbe Biernote, vermischt mit dem salzigen Geschmack der kleinen Schweißtropfen, die an seiner Oberlippe abperlten. Meine Augenlider schlossen sich sanft, ich ließ mich von meinen Gefühlen leiten und legte mich in diesen intensiven Kuss. Ich packte Jan am Hinterkopf und zog ihn noch näher an mich heran. Er teilte meine Lippen und unsere Zungen suchten sich. Ich verspürte ein gewinnendes Lächeln und löste mich atemlos aus seiner Umarmung. Seine dunkelbraunen Augen brannten vor Leidenschaft, als er mich die Treppen hinaufführte. Wie in Trance folgte ich ihm, bis wir vor dem Zimmer mit der Nummer 14 standen und er eine Schlüsselkarte aus seiner Hosentasche zog. Für einen kurzen Moment kam ich zur Besinnung und wich panisch einen Schritt zurück.

Was mache ich hier? Nein, ich muss gehen!

Jan sah meine Unsicherheit, bevor ich mich von ihm abwenden konnte. Er packte mein Handgelenk, drehte mich grob zu sich und legte seinen Zeigefinger unter mein Kinn. Ich konnte mich kaum rühren und war gezwungen, ihm tief in seine stürmischen Augen zu sehen. Mein Verstand verließ mich und ich hörte nur noch ein leises "Schschsch", als er mich sanft ins Zimmer zog.

Tausend falsche Wege

Подняться наверх