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Rumore, alter Adam

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»Fleisch, lebe wohl!« – zu gut italienisch: carne vale! – Fastnacht, auf gut münchnerisch: Fasching – jetzt jeht dat all Widder los. Vom »feisten Donnerstag« übern Rosenmontag bis Aschermittwoch, ach herrje! Fastnacht sind ja eigentlich nur die letzten drei Tage vor Beginn der Fastenzeit, aber mit »Weiberfastnacht« darf man auch schon beginnen; denn also: prost!

Im protestantischen Norden und Osten, zum Beispiel in »preußisch Berlin«, weiß man ja kaum, was man tut, wenn man hier Fasching feiert, einen Rosenmontagszug inszeniert. Aber obwohl die Reformation dat janze Jedöhns als Verirrung und Aberglauben ablehnte und sogar anfangs verbot, können wir jetzt desto weniger genug kriegen, je weiter wir von Kölle, Mainz und München entfernt sind. Vor zwei Wochen bereits sind wir das erste Mal wie die Narren durch die Flure einer Berliner Kunsthochschule gehüpft und gekalbert.

Das ist aber kein ganz doll feiner Unsinn, dessen Sinn man nicht begreift. Drum schlug ich nach. Fastnacht, nanu, muß doch mit »fasten« zu tun haben? Dabei schmaust und braust, trinkt und singt alles durcheinander? Nun also: wie jede gute Sache beginnt auch der Fasching in der Antike, beziehungsweise der Steinzeit. Rom feierte die Saturnalien, Hauptmerkmal: Aufhebung der Standesschranken. Aha: drum turtelt auch alles wahllos durcheinander in diesen Tagen, ohne Ansehen der Person, der Wagenmarke, der Brieftasche, des Parteibuches, der mittleren Reife und höheren Beamtenlaufbahn,

Die Bezeichnung Karneval, Fleisch ade, entsteht erst im Barock; der Brockhaus behauptet zu wissen: seit genau 1699. Sehr gut. Das Wort leitet sich wirklich her vom venezianischen, florentinischen, römischen »Carnevale«. Fasching, ein anderes Wort für die gleiche Sache, bürgerte sich in Österreich ein und in Bayern. Kommt von vastschane: Ausschenken des Fastentrunks. Auch wieder listig: man trinkt erst mal einen, um sich »auf d’ Abstinenz einzukonjugieren«.

Wer oder was aber schließlich fastet denn nun irgendwann einmal und warum? Kirchenjahr! Osterfestkreis! Vierzig Tage vor der Auferstehung Christi ist Fastenzeit; sie beginnt Aschermittwoch. Ist also diese Fastenzeit gleichsam der Advent auf Ostern? Richtig. Und die Fastnacht ist der ausschweifende Knalleffekt davor, der letzte konzentrierte Jubel zum Abgewöhnen, der kurze Narrenpossen vor der langen Besinnlich- und Enthaltsamkeit, damit dieselbe nicht allzu schwerfalle.

Ja, das ist fein, zu wissen, warum man sich den Magen verdirbt, einen Brummschädel antrinkt – zu welchem bitteren Ende das alles einander drückt und küßt, umfaßt und zwickt, betanzt und besingt. Das christliche Jahr, die weise Liturgie der Kirche, ist aber nur eine und die spätere Wurzel des ganzen Trubels. Herders Konversationslexikon weiß über die andere: »Ursprünglich war die Fastnacht ein Frühlingsfest.«

Aha. Gut, daß uns dies Jahr ein eiskaltes Hoch und eine dichte Schneedecke so sehr rechtzeitig lenzen. Allerdings verstehen wir protestantischen Stillen im Lande jetzt den lauten Klimbim am Karneval. Der »Rummelpott«, die Schellen und das Peitschenknallen sollen »böse Dämonen von der erwachenden Vegetation abwehren«. »Schadenzauber« nennt sich das. Also doch Aberglaube! »Fruchtbarkeitsübertragungszauber« – darum auch die groteske Maskierung: zur Abschreckung böser Geister, denen man ihr eigenes Zerrbild vorhält. Brauchten doch die meisten von uns nur ihr Alltagsgesicht im Festzug mitzuführen. Der alte Adam, er soll rumoren! Fleisch, sei noch mal schwach – dann erst, leb wohl: für lange. Doch nicht für immer, gottlob.

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