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Vor Sonnenaufgang

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Ein Rosenhauch liegt über allem. Er hüllt die Spitzen der weißbereiften Pappeln in ein beinahe kitschiges Rosa, das unendlich hoffnungsfreudig sich vom gelassen fernen Kaltblau des Wintermorgenhimmels abhebt. Ganz hell, klingend hell knirscht der Schnee unter den Kufen eines Karrens, mit dem schon so früh jemand umzieht. Stuhl und Tisch, ein Bett, ne Kiste Brennholz. Der Mann, der das grüne Gefährt schiebt, hat schwarze Ohrenschützer auf; sein Atem umweht ihn wie eine kleine weiße Dampfwolke.

Über den Gartenzäunen das zackig erstarrte Geäst von Büschen und Bäumen, alles zentimeterhoch mit Schnee bedeckt, schwarz-weiße Hieroglyphen der Natur, wie auf chinesischen Tuschmalereien. Der kleine Hund streicht mir um die Beine, das braune Auge immer wieder vorwurfsvoll zu meinem roten Gesicht erhoben: »Lieber Herr! Bei fast zwanzig Grad konntest du den Morgengang um die Ecke auch mal ausfallen lassen!« »Aber sieh doch, lieber Hund, den Rosenhauch über allem! Wenn die Sonne hoch ist, erlischt der ganze Zauber!« Ist kein Lyriker, mein Weggenosse, klemmt den Schwanz ein, trappelt auf höchstens drei Beinen hinter mir her wie ein Kamel am Halfterband.

Um jede einzelne Kiefernnadel hat sich ein zierlicher Kristallpanzer aus Rauhreif gelegt. »In drei Tagen gibt’s Tauwetter!« ruft mir die Nachbarin zu, bläst in die roten Finger und schwenkt die Tasche mit den Milchflaschen ins Haus. Nächste Querstraße steht ein ganz eingereifter Porsche auf dem Grünstreifen in der Mitte. Die Tür eingedrückt, ein Fenster zertrümmert; da hat’s die Nacht geschleudert und gebumst. Na, er wird doch nicht, der flotte Mann? War schließlich die letzte Fastnacht-Nacht.

Nun aber um die letzte Ecke. Das eingekrümmte, hoppelnde Hundetier ist ein Bild des Jammers. Mich beißt auch die Kälte wie mit Eiszähnen ins Ohr. Da laufen die ersten Kinder zur Schule. Der Ranzen trommelt rhythmisch auf die kleinen Schultern. Dem Peter mit den viel zu großen Skistiefeln kullern Tränen über die runden Wangen; aber er lacht, es ist nur die kalte Luft, so unmittelbar nach dem mollig-warmen Bettchen. Und winkt ihm Bärbel, seine kleine Schwester, heute nicht nach? Richtig, da oben hockt sie wie jeden Morgen auf’m Fensterbrett. Aber man sieht nur, wie sie mit aufgeblasenen Backen ein Loch ins Eisblumenmuster haucht; darüber vergißt sie ganz das Rausgucken und Winken.

Da ist sie, ein goldener Feuerball über dem neuen roten Dach des Eckhauses; sie strahlt groß und gelassen, die Wintersonne, aber gar nicht wärmend durch eine mächtige Kiefernkrone. Der borkige Stamm glüht auf, aber der Rosenhauch über der Welt ist hingeschmolzen. Hinter den großen Scheiben des Architektenbüros sehe ich die jungen Zeichner ihre weißen Mäntel anziehen. Einer sitzt schon hinter dem Reißbrett, den Kopf schwer in die Hand gestützt. Kommt er geradewegs vom »Schrägen Zinnober«, dem Faschingsball der Kunsthochschule? Seine spitze, weiße Nase sieht mir sehr danach aus. Aschermittwoch.

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