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Ball der Saison

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Der Dirigent führt das Taschentuch zur Stirn, Schweiß zu trocknen, den andere für ihn vergießen. Biete größeren Posten »Deutsche Tanzmusik« – suche drei Takte Jazz. Aber er findet es amerikanisch. Lächelt geschmeichelt zum Beifall. Und noch einen Rumtata-Boogie.

Jeder einmal ferngesehen! Auf einem goldenen Kelch inmitten der hopsenden Paare, getarnt durch Alpenveilchen, ein schnurrender Kasten mit Rüssel: Television. Ein Auge riskieren sie, wenn die blitzende Linse visiert, walzen dann weiter mit wehendem Frackschoß, gemeißelten Lächelns, ins Nichts der Anonymität zurück.

Unter ihren Orden die eulenäugigen Veteranen des geistigen Lebens. Wie dürfte im Trubel dieser unfreiwilligen Parodie auf ein Fest, dem Ball der Saison, die mumifizierte Lüsternheit fehlen?

Aber jenes dunkle Kinderauge unter langer Wimper, das blasse Näschen und der weiche, schon frauliche Mund, das taut für Sekunden die gefrorene Fröhlichkeit auf. In silbernen Pantöffelchen trippelt sie über den roten Läufer, gehüllt in die unsägliche Lieblichkeit ihrer achtzehn Jahre.

Handfeste Gattin aus dem Nährstand, quellende Fessel über italienischem Schuh, lupenrein der Brillant in dem rosigen Dekolleté, wohlwollende Stirn, scharfes Auge auf Männer, Sektkonsum mäßig.

Unter müden Lidern ein träumendes Auge, schwitzende Hand umschließt das Mikrofon, glatt wie das Oval des Reportergesichtes: Fluß der Rede, in der es nur Kommas gibt. Nu machen Se mal ’n Punkt, drückt die Körperhaltung des Interviewten aus. Aber da erfaßt die vorfabrizierte Suada erst den ganzen Mann und wabert – heißt Flagge! – ins Allgemeine davon.

Jeder neue Titel brachte ihm zehn Kilo zusätzlich ein. Nun hängt das Fett rechts und links unter dem gesprengten Smoking vom Stuhl. Mehr Nackenpolster als Hinterkopf, Gleichgewichthalten die beutelnden Tränensäcke. Schweinsäuglein clever, zwischen höhnischen Lippen die kalte Brasil und ein administratives Lächeln für alle, Bockwurst Punkt zwölf.

Rein und wikingerfrisch das Profil der blonden Begleiterin des kleinen Drahthaarmanagers. En face dann das reine leere Stroh, und selbst die fünfziger Taille rettet da nichts. Lächeln dann doch rührend: Solveyn.

Er sieht gut aus. In seinem Kinn hockt Langeweile. Um die Stirn liegt Erfolg. Zwischen den Schultern lauert der Schicksalsschlag. Hinter tadellosem Frackhemd, der solid gebundenen Schleife: Gewißheit melancholischen AllesVergeblich. Das macht ihn sympathisch. Vertrauend legt sein schönes Mädchen die gute Hand auf seinen Arm. Er lächelt – sieges gewiß.

Eine Teerose am Rücken, eher kräftig die Statur: große Künstlerin. Man kennt sie. Sie weiß, daß die Fältchèn den nahen Blick nicht mehr aushalten. Lächelt den Abend so hin. Das Altern hat ihr nichts an. Wenn sie will, ist sie die jugendlichste Liebhaberin – nur auf der Bühne? Trinkt Whisky, teerosenfarbenen. In kleinen Schlucken. Viele Gläser. Lächelnd und fest.

Tapsig, ein Bär in geliehenem Frack, der Aushilfskellner. Kutscher auf östlichen Gütern gewesen, Großvater ohne Enkel heute, verwechselt immer die Flaschen im Kübel. Das gute Auge erschrickt, als ihn die ziegengesichtige Dürre anschnarrt, die im Grünseidenen, ganz allein und ganz stumm und ganz lange hockt und starrt und sonst gar nichts.

Ein mondän dekoriertes Aquarium, viel Fischblut hinter Damast. Die Gesichter, die restaurativen und restaurier ten, verfallen gegen den Morgen. Algenhaft wuchernde Rauchschwaden umspielen tiefseeig die letzten rotierenden Paare, Aschermittwochskater streicht um die Beine, wächst grau und knurrt.

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