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»Schöne Schweinerei«, stellte Kriminalkommissarin Gina Gladow lapidar fest.

Sie stand vor der Burgmauer in Wewelsburg direkt gegenüber dem Kreismuseum neben Kriminalhauptkommissar Schröder und dem Rechtsmediziner Hermann-Josef Stukenberg und ließ das Szenario auf sich wirken.

»Grießpudding mit Himbeersoße«, sagte Stukenberg und grinste, als Schröder zu würgen begann.

»Ist es das, von dem ich glaube, dass es das ist?« Gina Gladow­ hoffte inständig, dass Schröder ihr nicht auf die hohen Lederstiefel oder, schlimmer noch, auf die Leiche kotzte, und beugte sich etwas vor, als müsse sie die Bescherung aus nächster Nähe unter die Lupe nehmen.

Der Gerichtsmediziner nickte. »Gehirnmasse und Blut.« Er deutete auf einen Felsbrocken, der nur dreißig Zentimeter entfernt auf dem Pflaster lag und deutliche schwarzrote Flecken aufwies. »Der Klöpper da hat ihm die Schädeldecke zermatscht.«

Das war zu viel für Schröder. Er drehte sich um und hastete laut würgend in Richtung der Rasenfläche vor der gegenüber liegenden Kirche davon.

Kopfschüttelnd blickte Stukenberg ihm nach. »Dein Kollege hat wohl heute einen schwachen Magen.«

Gina Gladow antwortete nicht und trat noch etwas näher an die Matsche heran, die von den Kriminaltechnikern unter dem Felsbrocken freigelegt worden war. Unglaublich, dass das Geschlabber einmal ein menschliches Gehirn gewesen war. Der Geruch war nicht eindeutig zu identifizieren: Das Metallische des Blutes war bestimmend, aber auch eine süßliche Note und ein etwas fauliger Unterton waberten in der Luft. Die Masse hatte eine stückige Konsistenz, die nicht nur von den zahllosen Knochensplittern ausging, und ein Farbdurch­einander von käsigen Gelb- und glänzenden Rottönen. An den Rändern war das Blut braunschwarz verkrustet.

Wie nicht dazugehörig lag ein dürrer Männerkörper in einem zerrissenen, blutdurchtränkten Hemd ausgestreckt daneben. Das Opfer musste sehr alt sein, das erkannte Gina Gladow nicht nur an den spärlichen Resten grauer Haare in der Gehirn-Blut-Matsche, sondern auch an der dürren Gestalt, die wie hingegossen auf dem Kopfsteinpflaster lag, und an der geradezu durchsichtigen faltigen Pergamenthaut.

Ein Kriminaltechniker machte Fotos mit seiner Digital­kamera aus allen Positionen um den Toten herum und überprüfte die Ergebnisse auf dem Display. Er nickte zufrieden und entfernte sich dann wortlos zu seinem Einsatzfahrzeug.

»Schon gesehen?«, fragte Hermann-Josef Stukenberg. Der Gerichtsmediziner deutete auf die völlig zermalmten Hände des Toten.

Gina Gladow hockte sich so dicht wie möglich neben die Leiche und sezierte die zermalmten Knöchelchen mit den Augen. Da war wirklich kein Glied mehr an dem anderen und kein Gelenk in funktionstüchtigem Zustand. »Auch von dem Steinklotz?«, erkundigte sie sich über die Schulter hinweg.

»Nee, sieht eher danach aus, als habe sich jemand mit seinem Stiefel ausgetobt.« Der Gerichtsmediziner hockte sich neben sie und deutete auf etwas neben der Leiche. »Hier im Blut ist ein Teilabdruck der Sohle zu erkennen. Treckingschuh oder Bergstiefel, schätze ich. Vielleicht auch ein Bundeswehrstiefel. Dürfte ein Leichtes gewesen sein, die morschen Knochen damit zu zermalmen.«

»Übertötung?«

»Eher Folter.«

Gina Gladow nickte. So etwas hatte sie sich schon gedacht, als sie die Striemen unter dem zerfetzten Hemd des alten Mannes gesehen hatte. »Passt zu der Neunschwänzigen Katze, mit der sich der Täter offenbar vergnügt hat«, stellte sie fest. »Daran, dass hier der Tatort ist, besteht ja wohl kein Zweifel, oder?«

»Ja und nein.« Stukenberg richtete sich aus der gebückten Haltung auf und deutete mit dem Kopf an der Mauer entlang. »Was man so Tatort nennt. Zumindest den Todesstoß hat er hier bekommen. Allerdings gibt es Blutspuren bis da hinten am Berghang und dann auch noch den ganzen Pfad runter zum Fluss. Irgendwie erinnert mich das an den Kreuzweg.« Er lachte trocken auf. »Komm mal mit.«

Gina Gladow folgte ihm an der Mauer entlang bis zu einer Bank, die für Wanderer direkt am Berghang aufgestellt worden war und einen weiten Ausblick über das Almetal mit seinen Flussschlingen, einer Bruchsteinbrücke und einem alten Bruchsteinhaus direkt am Wasserlauf bot. Diese Idylle stand in einem krassen Gegensatz zu dem Blut und der Tat, die hier oben verübt worden war.

Stukenberg deutete auf eine angetrocknete Lache direkt neben der Bank. »Der alte Mann hat den Waldweg den ganzen Berg herauf bis hierher vollgetropft. Dann hat er offenbar längere Zeit hier gelegen oder gehockt und viel Blut verloren. Die Spur führt weiter an der Mauer entlang bis zum Platz vor dem Wachgebäude. Irgendwie muss er es auf allen vieren dorthin geschafft haben.«

»Und dort wurde er dann ermordet«, schloss Gina Gladow.

»So sieht’s aus.«

Die junge Kriminalkommissarin blickte den Waldweg entlang, auf dem Kriminaltechniker gerade die Spuren sicherten. »Und du meinst tatsächlich, dass der alte Knacker sich mit den Verletzungen den ganzen Berg hochgeschleppt hat?« Ihr Kopfschütteln machte deutlich, dass sie das für unmöglich hielt.

»Komm, ich zeige es dir.« Stukenberg deutete mit dem Kopf den Hang hinab und machte sich auch schon auf den Weg.

Gina blickte zu Schröder zurück und überlegte, ob sie ihm Bescheid geben sollte. Der Kriminalhauptkommissar lehnte vornübergebeugt an ihrem Dienstfahrzeug und hatte offenbar Mühe, sich nicht die Seele aus dem Leib zu kotzen. Der war momentan zu nichts zu gebrauchen. Kurzentschlossen wandte sie sich um und folgte dem Gerichtsmediziner den Hang hinunter.

Es ging in Serpentinen über einen rutschigen Waldweg, der vor Nässe glänzte und streckenweise sogar von einer Eisschicht überzogen war. An einer Stelle mussten sie über einen kleinen Bach springen, der den Weg kreuzte. Gina rutschte mit ihren Lederstiefeln fast aus, als sie am Rand auf der Eiskruste landete. Stukenberg grinste hämisch, hielt sich aber mit einer Bemerkung zurück, die die Aufmachung der Kriminalbeamtin betroffen hätte.

»Der alte Mann ist auf dem Weg hinauf immer wieder gestürzt«, erklärte er stattdessen. »Und immer da, wo er ausgerutscht ist, findet sich auch ein deutlicher Einschlag.« Er deutete auf eine Stelle, an der sich irgendetwas scharfkantig in den Untergrund eingedrückt hatte.

»Heißt das etwa, er hat den Felsbrocken, mit dem er erschlagen wurde, selber hier hochgeschleppt?« Ginas Stimme verriet, dass sie das für unvorstellbar hielt.

»Das müssen wir noch abgleichen. Wahrscheinlich war der Täter hinter ihm und hat ihn mit der Peitsche angetrieben. Deshalb die vielen Striemen und das zerfetzte Hemd.«

Nach mehreren Kehren traten sie unten auf eine schmale Straße, die den Berghang entlang und über eine Brücke hin­aus in die Almeauen führte.

»Von hier könnte der Felsbrocken stammen.« Stukenberg zeigte auf locker verteilte Steine überall im Unterholz.

»Was ist denn das da drüben?« Gina deutete über den Fluss hinweg auf das Natursteingebäude mit seinen Nebengelassen, das sie schon von oben gesehen hatte.

»Die alte Mühle«, antwortete der Gerichtsmediziner. »Da war bis vor Kurzem ein Ausflugslokal drin. Sehr romantisch, direkt am Fluss mit großer Terrasse. Als die Betreiber aus Altersgründen nicht mehr weitermachen wollten, gab es keine Nachfolger. Heute ist sie unbewohnt.«

Gina nickte. »Seht euch da auch mal um«, sagte sie.

Stukenberg nickte wortlos. Dann machten sie sich wieder an den Aufstieg.

Als sie bei der Leiche oben vor der Burgmauer ankamen, sah Gina sich noch einmal den blutigen Felsbrocken an, den die Techniker inzwischen in eine Kunststoffkiste gehoben hatten. Auch die Peitschenstriemen betrachtete sie tief hin­unter­gebeugt mit auf dem Rücken verschränkten Armen.

»Sado-Maso scheidet in dem Alter wohl aus«, versuchte sie sich in einem unbeschwerten Tonfall, aber sie merkte selbst, dass der misslang. Der Anblick des blutigen Steinklotzes und des jämmerlichen Restes dessen, was einmal ein Mensch gewesen war, machte es selbst ihr schwer, eine professionelle Distanz zu halten.

Ein Kriminaltechniker trat zu ihnen und fragte: »Sind Sie fertig, Doc? Können wir den Leichnam wegschaffen?«

Der Gerichtsmediziner nickte. Der Kriminaltechniker wollte sich schon wieder entfernen, als Gina fragte: »Hatte der Tote irgendwelche Papiere bei sich?«

»Wir haben keine gefunden.«

Stukenberg stupste sie an den Oberarm und deutete mit dem Kopf zu ihrem Dienstfahrzeug. Ihr Vorgesetzter, Kriminalhauptkommissar Schröder, lehnte immer noch mit bleichem Gesicht am Wagen, hatte aber inzwischen eine Zigarette zwischen den Lippen und versuchte, irgendwohin zu sehen, nur nicht herüber zu den Spuren des nächtlichen Gemetzels. »Und das Weichei soll der Nachfolger von Schulte werden?«, fragte er verächtlich.

»Zumindest ist das zu befürchten«, antwortete die Kommissarin. »Beworben hat er sich auf den Posten. Aber vielleicht passiert ja noch ein Wunder.«

Sie nickte Stukenberg kurz zu und schlenderte zu Schröder hinüber. »Geht’s wieder?«, fragte sie in einem Tonfall, der selbst ihr zu wenig Mitgefühl und zu viel Häme ausdrückte.

Aber Schröder war offenbar so angeschlagen, dass er kein Gehör für unangemessene Zwischentöne hatte. Er nickte nur schwach und antwortete wenig überzeugend: »War wohl etwas viel gestern Abend. Mein Ältester ist achtzehn geworden, da haben wir gefeiert.«

Gina ging nicht weiter darauf ein. »Keine Papiere. Hoffen wir mal, dass eine Vermisstenmeldung vorliegt, sonst wird es schwer, die Identität festzustellen. Ein Foto sollten wir jedenfalls besser nicht veröffentlichen. – Wer hat den Toten eigentlich gefunden?«

Schröder zog seinen Notizblock aus der Tasche und schlug ihn auf. »Ein Dr. Elling. Historiker drüben im Kreismuseum.« Er deutete mit dem Kopf auf das Museumsgebäude. »War sehr früh dran heute Morgen, weil er irgend so ein Jugendcamp durchführt. Ausgrabungen ganz in der Nähe im Wald. Er parkt sein Auto immer direkt vor dem Museum. Fast hätte er die Leiche übersehen und wäre drübergerollt.«

»Das hätte auch nichts mehr kaputt gemacht«, warf Gina Gladow ein.

»War völlig fertig, der Knabe«, fuhr Schröder fort. »Ich habe ihm gesagt, er soll erst mal einen Kaffee trinken und sich später bei uns melden.«

Gina Gladow nickte. »Als Täter kommt er dann ja wohl nicht in Frage.« Sie öffnete die Fahrertür und blickte ihren Vorgesetzten herausfordernd an. »Ich bin jetzt hier fertig.« Letzteres begleitete sie mit einem ironischen Lächeln, das Schröder unmöglich missverstehen konnte.

Der musste sich erkennbar eine Zurechtweisung hinsichtlich ihrer Respektlosigkeit verkneifen und nickte ihr stattdessen zu. »Dann lass uns zurück ins Büro fahren.« Er steckte sein Notizbuch wieder in die Jackentasche, öffnete die Beifahrertür und stieg ein.

Gina Gladow winkte noch kurz zu Hermann-Josef Stukenberg hinüber, der immer noch hämisch grinste, und stieg dann hinter das Steuer. Sie startete den Wagen und gab Gas. Die Reifen drehten auf dem vereisten Kopfsteinpflaster durch. Als sie schließlich packten, schoss der Passat über den Platz und zwischen Museum und Kirche hindurch auf den Burgwall.

Der letzte Prozess

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