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Brezelfingen

Keine Bange, es sind nur Fehlzündungen! Die Hegau-Vulkane sind seit sechs Millionen Jahren erloschen, angeblich, so meinen die Wissenschaftler, gibt es keine Magmenschicht, mag man’s glauben oder nicht. Sowieso sind wir hier nicht in Island. Aber manchmal bebt die Erde doch und auf einmal hört man einen gewaltigen Knall: Fehlzündungen der zahllosen Motorräder, die die Strecke vom Schwarzwald hinunter ins Tal heimsuchen. Wir haben es also ebenso wenig mit Erdbeben zu tun, obwohl die Region – Zollerngraben – seismologisch gesehen einiges hergibt.

Das erhöhte Aufkommen von Motorrädern ist auf zweierlei Fakten zurückzuführen: Zum einen die achterbahngleichen Hebungen und Senkungen unter extremstem Geschlängel, zum anderen die Autobahnkapelle St. Emmaus an der Rastanlage Engen, die vor allem von christlichen Motorradgangs angesteuert werden, Katholen wie Evangelen, die sich hier auf ihren Affenschaukeln einen Segen to go bzw. to speed holen, auch wenn das kein Weihrauch ist, der aus den silbrig glänzenden Rohren hervorquillt. Für die Emmauskapelle hier als besonderen Service noch die Koordinaten: N 47° 51’ 38’’, O 8° 47’ 16’’.

Nicht zu vergessen die Motorradmanufaktur in Brezelfingen, auf halber Strecke zwischen Immendingen und Mauenheim gelegen, unweit der Gemarkung Lemmingen, von wo aus die L 225 zu Tal schießt. Dort befindet sich die Motorradmanufaktur Bannister, die Unikate fertigt, die z. T. von Scheichs aus Dubai oder Oman in Auftrag gegeben wurden. Auch der amerikanische Country Star Justin Thyme zählt zum erlesenen Kundenkreis. Die Maschinen werden liebevoll von Hand gefertigt, das dauert seine Zeit, so schnell wie’s Brezelbacken geht das nicht. Die Landstraße in Richtung Engen eignet sich ideal als Teststrecke, und gelegentlich weicht man aus in den Zollernalbkreis, wo sich z. B. zwischen Wellendingen und Gosheim ähnliche Bedingungen bieten. Überhaupt ist die Landschaft wie geschaffen für Biker, die mit sattem Knatterton dahinrallern, virtuos auf der Talfahrt, auf der Harley Fatboy, auf der Triumph Thunderbird – man weiß ja: Triumph krönt die Figur, weswegen sie von frisierten Frauen bevorzugt wird, auf der Original-Suhl-Simson Star SR4, oder eben, wer über das nötige Kleingeld verfügt, auf der Bannister Road Rider, was im Brezelfinger Winter nicht ungefährlich ist, denn das Salz wird anderweitig benötigt.

Die Gemeinde, die sonst nicht allzu viel zu bieten hat, beherbergt nämlich einen Bäckerei-Großbetrieb, in dem u. a., nun ja, nomen est omen, überwiegend Brezeln hergestellt werden. Das Wort Brezel geht übrigens auf das lateinische „brachium“ zurück und von diesem Wortstamm ist es nicht weit zu „brachial“.

Gut, prinzipiell könnte man einwenden, dass die Damen und Herren Biker nichts anderes sind als Benzinschlucker und Lärmverbreiter, zäh wie Leder, d.h. wie ihre Oberbekleidung, und die Frage sei erlaubt, ob da vielleicht welche Fahrtwind mit Freiheit verwechseln, andererseits kommt dieser Personenkreis wenigstens an die frische Luft und somit weniger auf dumme Gedanken. Viele von ihnen verbreiten das Wort Gottes, denn es gibt sie tatsächlich, die christlichen Biker, die an jedem Autobahnkreuz ein Gebet sprechen, sogar organisiert. Interessierte können sich den Folder der „Evangelischen Frauen in Baden-Württemberg – Pilgern mit Motorrad“ besorgen: Dabei suchen Easy Riderinnen den Flow zwischen Kraftstoff und Kraftfeld, zwischen innerer und äußerer Einkehr („Bikers welcome!“), zwischen Geist und Himbeergeist, zwischen PS und PMS, nähermeinGottzudir, und krawallen mit dreißig Maschinen durchs Biosphärengebiet, die gewundenen Straßen ein gefundenes Fressen, um schließlich als röhrende Gottesanbeterinnen, die Ausfahrt als Wallfahrt nutzend, bei der Heiligen Hildegard von Singen innezuhalten und Trost zu finden.

Die Manufaktur Bannister sucht immer qualifiziertes Personal, was in dieser strukturschwachen Gegend nicht so einfach ist, zumal sich ganz in der Nähe ein zweites Unternehmen findet, das ebenfalls mit einem holistischen Ansatz zu Werke geht, weswegen man auch in Dauchingen ständig Schrauber braucht.

Was fällt einem bei der Einfahrt nach Schramberg ein? Es geht steil bergab. Hier haben sich schon viele Bikerle Schrammen geholt. Seit dem 28. April 2020 aber hat die Gemeinde dem Motorradlärm den Kampf angesagt, eine schlimme Nachricht für Noise-Enforcer und Sounddesigner. Aufheulende Maschinen treffen auf aufheulende Bürger, 81 Gemeinden und Landkreise haben sich schon dieser Initiative angeschlossen. Wie es die Schramberger anstellen werden, weiß bisher keiner, aber bei Amazon gibt es die „Army Road Block Straßensperre Krähenfüße Nagelsperre Polizei Straßensperre Nagelkette Nagel Sperre“ schon für 343,46 Euro. Gut, es heißt Army, aber vielleicht sind sie im zivilen Bereich einsetzbar. An den Ortseinfahrten sollen jedenfalls Displays installiert werden, die die Dezibel anzeigen und die Geschwindigkeit messen, um dem Fahrer gleich anzuzeigen: „Langsamer!“, „Leiser!“ oder „Fuck yourself!“ Sie versprechen sich davon eine nachhaltige Wirkung, was nicht zwingend bedeutet, dass die Biker nach wenigen Minuten halten.

Das kleine Narrcoticum

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