Читать книгу Das kleine Narrcoticum - Thomas C. Breuer - Страница 16
ОглавлениеDotternhausen
Herausstellungsmerkmal ist natürlich die offiziell als „Materialseilbahn“ ausgewiesene Beförderungsanlage über die Bundesstraße 27, die mit ihren Lorewagen zwei respektable Steinbrüche und ein großes Zementwerk miteinander verbindet, aber nebenbei eine wunderbare Parodie auf die Wuppertaler Schwebebahn darstellt. Ein Zementwerk übrigens, das sich bis 2004 im Besitz der Familie Rohrbach befand. Der Gauamtsleiter der NSDAP, Rudolf Rohrbach, wird von Wikipedia noch immer als Ehrenbürger geführt. Schnell stößt auf Beton, wer die Entwicklung eines Betriebs, der während des Dritten Reiches aus Mitteln des „Wirtschaftsdank Württembergs“ finanziert worden war, ausleuchten möchte. Wegen hohen Bedarfs der Zementzubereitung wird der Hausberg der Region, der Plettenberg, nach und nach abgetragen, oder wie man auch sagt: „geplettet“.
Dotternhausen, ein Zollernalbtraum. Natürlich ist die Hinwendung zum Hühnerhaften augenfällig, vor allem zum „gallus gallus domesticus“, dem Haushuhn. Die Einwohner – beileibe keine Weicheier – nennen ihre Gemeinde in einem Anflug von Selbstironie „Eigelb City“ – wobei es sich tatsächlich um Schwaben handelt und nicht etwa um „Dotterdapper“, wie die Badener in diesem Landesteil genannt werden. Zur Fasnet sind alle „dolloret“, im Klartext „dotschig“. Was „dotschig“ ist? Na, „dolloret“ halt.
Bei einer Höhe von 666 m ü. NHM ist es natürlich gerechtfertigt, dass sich die Narrenzunft den Namen „Mondstupfer“ ausgesucht hat. 666 Meter – eine Zahl, die Satanisten aufhorchen lässt. (Das erste Narrenkleid wurde 1966 genäht. Hier wären einmal ein paar wohlfeile Verschwörungstheorien durchaus angebracht.) Angeblich haben einige Dotternhausener den Mond auf dem Plettenberg mit langen Stangen einfangen wollen. Fasnet in Dotternhausen ist natürlich das Gelbe vom Ei, und es ist den Verantwortlichen hoch anzurechnen, dass sie den Narrensprung nicht „Eisprung“ genannt haben, oder, schlimmer, pausenlos besoffen im Hühnerstall Motorrad fahren. Innerhalb der Zunft greift eine strenge Hackordnung: Gockeln, die sich aufplustern wollen, kommt man rasch auf die Schliche, die Frauen glucken nämlich gerne zusammen und tun jedem die Henne rein, der zu viel Gewese von sich macht. Überdies sind sie wie aus dem Ei gepellt. Aber, ein blindes Huhn trinkt auch gerne mal einen Korn, und so findet sich mancher Hahn nach den tollen Tagen als Hahnrei wieder, weswegen wiederum manchem Hühnerbaron der Kamm schwillt usw. Den Rest des Jahres sitzt man beieinander und grübelt, welche Wortspiele mit „Hahn, Huhn, Ei“ noch nicht verbraten wurden. So ist man schließlich auch auf die Hymne der Gemeinde gekommen: „Hendl in the Wind“ von Elton. Dazu gießt man sich ordentlich Most in die Köpfe. Sprüche, Witze, Ausdrücke sammelt man auf einer originellen Webseite namens iGelbdotcom. Außerdem pflegt man eine Gemeindefreundschaft mit Val d’Oison, was auf deutsch „Gänsekükental“ heißt.
Dotternhausen verfügt über ein eigenes Schloss, das von niederadeligen Herren im 12. Jahrhundert errichtet wurde. Später ging es in den Besitz der Verlegerfamilie Panacotta über. Teile der berühmten „Panacotta-Armee“ sind heute in einer Skulpturenstraße zu besichtigen in der Nähe des Fossilienmuseums mit Klopfplatz. Hier kann man nach Herzenslust nach Ammoniten hauen, wobei keiner genau weiß, was Ammoniten sind, mutmaßlich aber verwandt mit den Mennoniten. Das alles ist ja nicht schlecht für eine Gemeinde, die bis 1805 zu Vorderösterreich gehörte. Heutzutage sind das längst gelegte Eier. Unbedingt sollte man stattdessen noch die Freilichtbühne am Steinbruch erwähnen, auf der regelmäßig systemrelevante Stücke wie „Geschichten aus dem Wienerwald“ (Ödön von Horvath) zur Aufführung gelangen. Das muss niemanden verwundern, der weiß, dass das Erbgut des Huhns dem des Menschen ähnelt.
Der poetischste Name des Ortes aber gebührt zweifelsfrei der „Metzgerei zur Rose“.