Читать книгу Das kleine Narrcoticum - Thomas C. Breuer - Страница 13
ОглавлениеDauchingen
Aaah, Dauchingen, Juwel des Okzidents! Erstmals urkundlich erwähnt 1094 als Taichingen oder Töchingen, alsbald aber Dauchingen, weil das für die Zivilbevölkerung wegen des kollektiv vorgeschobenen Unterkiefers leichter auszusprechen war. Schon die Römer hatten sich hier niedergelassen, wie Münzfunde im Gewann Riesenburg vermuten lassen, wo sich wahrscheinlich ein Glücksspielcasino befunden hatte. Lt. Wikipedia sind „schützenswerte Biotope nicht mehr erhalten“, wegen der intensiv landwirtschaftlich genutzten Flächen, das Naturdenkmal Johann-Linde ist der fast einzige Baumbestand der Gemeinde. Dennoch bietet Dauchingen einer endemischen Tierart eine Heimat, die nicht einmal besonders geschützt werden muss, und ihr jährliches Erscheinen ist verlässlich zu verorten – natürlich bei der Fasnet. Wenn es allerdings an der Natur nicht liegt, für ein anständiges Habitat zu sorgen, muss es wohl an der lt. Eigenauskunft der Gemeinde „hervorragenden verkehrlichen Anbindung“ liegen. Verkehrlich – was für ein Wort in diesem Zusammenhang.
Wenn die Zeitung schreibt: „Und dann ist Stimmung pur angesagt“, weiß man, dass jetzt die Paarungszeit der Wurstsalatbären beginnt, und speziell in dieser Zeit ist der Appetit natürlich riesig, dann heißt es für alle Metzger im Umkreis von zwanzig Kilometern, auf der Hut zu sein. Ja, tatsächlich: Meister Petz einmal anders. Den Wurstsalatbären gibt es ausschließlich in Dauchingen, ein höchst entfernter Verwandter des Xälzbären, der aber fürderhin im Schwäbischen beheimatet ist. Wie bei allen Bären ist ihr Körper massig und der Kopf so riesig wie sein Appetit. Die Gliedmaßen sind kurz.
Es ist wohl kein Geheimnis, dass sich der Name des Wurstsalatbären von seinen Ernährungsgewohnheiten ableitet. Auch wenn die Lyoner dabei eine zentrale Rolle spielt, hat sich die Gemeinde nicht Lyon zum Partner erkoren (obwohl die Stadt nur lächerliche 512.000 Einwohner mehr aufweist als Dauchingen), sondern irgendein Hüttendorf im Elsass, in dessen Nähe man allerdings einen unterirdischen Dressingsee entdeckt hat. Seit 2012 gibt es eine Pipeline zwischen den beiden Orten. Man kann dem Bären schon mit Gurken und Zwiebeln eine Freude machen, und einem Ring Lyoner natürlich, und schon macht er es sich beim Dauchinger Ende der Pipeline oder im Florianssaal gemütlich.
Die Männchen sind erheblich schwerer als die Weibchen. Anders als alle anderen Vertreter der Gattung Ursidae sind die Wurstsalatbären keine Einzelgänger, im Gegenteil. Nur einmal im Jahr tauchen sie auf, wenn sie in die „attraktiven Südhanglagen“ ausschwärmen auf der Suche nach Bärlauch. Außerdem natürlich zur Fasnet. Für den Rest des Jahres tauchen sie ab, der Winterschlaf dauert etwa 330 Tage im Jahr, was in der Tierwelt seinesgleichen sucht. Außerhalb der Fasnets- und Bärlauchsaison ist es selbst für versierte „Bearspotter“ unmöglich, ein Exemplar des Wurstsalatbären vor die Linse zu bekommen.