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Der alte Mann blickte Johan mit glänzenden Augen an. »Ich werde dir beibringen, was ich in meinem Leben gelernt habe. Du wirst alles über Pflanzen und Tiere kennen lernen. Ich werde dir zeigen, welchen Nutzen sie besitzen und wie viel Gutes und Geheimnisvolles in ihnen versteckt ist. Du wirst die Tiere verstehen und wie alles zusammen hängt. Dein Körper wird üben mit der Natur eins zu werden und deine Sinne schärfen wir für die unglaublichen Wunder, die überall zu finden sind. Wir werden gemeinsam den kleinen Wölfen zuschauen, wie sie die Lemminge fangen und wir begleiten die Lachse den Fluss hinauf. Wir folgen der Sonne und dem Wind. Mit den Rentieren erleben wir die acht Jahreszeiten und wenn die Elche rülpsen, sammeln wir Kräuter für den Winter.« Stellans Augen wanderten wehmütig zur Tür hinaus. »Und eines Tages wirst du dem alten Mann mit dem Pelzmantel begegnen.« Johan staunte Stellan mit großen Augen an. »Wer ist der alte Mann mit dem Pelzmantel? Wo wohnt er?« Aber Stellan gab ihm keine Antwort, erhob sich und legte das alte Buch in die Holzkiste zurück. Dann wandte er sich zur Tür. »Komm, wir wollen in den Wald gehen und lernen. Aus den Büchern werde ich dir ab morgen vorlesen.« Johan warf einen letzten Blick auf die kleinen Wesen um ihn herum. Einige standen in Grüppchen beieinander und tuschelten aufgeregt. Ein großer Wichtel neben der Tür nickte ihm bewundernd mit dem Kopf zu und auf der zweiten Holzkiste hüpften ein paar Kinderkobolde mit den Händen klatschend im Kreis. In Johans Kopf drehte sich alles, einen klaren Gedanken bekam er nicht zu fassen. Still, durcheinander und staunend folgte er Stellan. Seit diesem Tag war Johan nach der Schule immer bei ihm. Sie durchstreiften gemeinsam die Wälder. Der alte Mann wurde nicht müde, ihm jede kleine Pflanze, jeden Pilz und jedes Tier zu erklären. Jeden Tag las Stellan aus den alten Büchern vor. Jeden Tag hörte Johan von neuen, unbekannten Wundern der Natur. An den Wochenenden pirschten sie schon früh morgens an den Fluss und beobachteten die scheuen Besucher, die im Schutz des Nebels ans Ufer schlichen. In den Sümpfen lernte Johan die unscheinbaren Zeichen, die auf Gefahr oder Sicherheit hinweisen und in den Wipfeln der ältesten Kiefern bewunderte er die Geburt der schönsten Falter und Käfer. Einmal verfolgten Johan und Stellan einen großen Vielfraß, der auf Beutezug war. Es war schwer, das Tier nicht aus den Augen zu verlieren. Immer wieder war es in einem Busch verschwunden und Johan befürchtete oft, dass sie es verloren hatten. Stellans Kenntnisse über das Verhalten der Vielfraße halfen ihnen jedoch. Als ob er im Voraus wusste, was das Tier als nächstes machen würde, leitete er Johan in respektvollem Abstand hinter dem Raubtier her. Nach einer Weile erkannten sie, dass der Vielfraß ein Ziel entdeckt hatte. Es war eine Elchkuh mit ihrem Kalb. Ab jetzt duckte sich der pelzige Jäger angespannt ins schützende Gras. Wie in Zeitlupe und völlig lautlos wurden die kräftigen Beine mit den langen Krallen einen Schritt nach dem Anderen auf den Boden gesetzt. Nichts verriet die Gefahr, die den Elchen drohte. Der Vielfraß kam ihnen immer näher. Die Elchkuh blickte sich zwar ab und zu um, bemerkte aber nichts. Sie kaute genüsslich die Blätter einer Birke. Das kleine Kalb reichte an die Blätter noch nicht heran und suchte deshalb auf dem Boden nach besonders saftigen Grasbüscheln. Dabei sprang es nach einer kurzen Knabberpause wie ein Böckchen um die Mutter herum, nur um sich dann intensiv einer anderen grünen Stelle zu widmen. Plötzlich flatterte es in einem Baum in der Nähe und man hörte ein raues, kreischendes Rätschen. Ein Eichelhäher war den Elchen zur Hilfe geeilt. Er hatte den Vielfraß entdeckt und wollte die Elche warnen. Die Elchkuh unterbrach sofort das Fressen und kontrollierte mit wachsamem Blick die Umgebung. Man konnte sehen, dass ihre Muskeln zuckten. Sie machte einen kleinen Schritt zur Seite. Plötzlich bäumte sie sich auf und ergriff die Flucht. In diesem Moment explodierte die Spannung des Vielfraßes und er katapultierte sich in Richtung der unerfahrenen Beute. Das Kälbchen hatte allerdings schon reagiert und hetzte hinter der Mutter her. Der Vielfraß entließ sein Ziel aber nicht aus seinem Visier und pflügte, wie ein brauner, pelziger Eisbrecher, durch die Büsche. »Los«, rief Stellan, »hinterher«, und gab Johan einen Klaps auf den Rücken. Johan hastete los und düste der Pelzkugel nach. Stellan blieb zurück und beobachtete das Schauspiel langsam folgend aus der Ferne. Johan rannte so schnell er konnte. Er würde die Tiere niemals einholen können, sie waren schneller als er, doch er blieb dran. Im Laufen sah er, dass das Raubtier das Kälbchen fast eingeholt hatte. Nur noch ein paar Meter fehlten und er würde seine Beute erwischen. Im vollen Lauf setzte der Vielfraß plötzlich zum Sprung an. Wie ein tödliches Geschoss pfiff er durch die Luft und landete fauchend auf dem Rücken des kleinen Kälbchens. Das Schicksal hatte entschieden. Johan blieb atemlos stehen und starrte gebannt auf den Schauplatz des ungleichen Kampfes. Mit seinen spitzen, mörderischen Zähnen biss der Räuber kräftig in den Nacken des hilflosen Tieres. Die Füße knickten dem Elchkalb weg und es polterte mitsamt seiner tötenden Last auf den staubenden Boden. Die Elchkuh hatte ihre Flucht abgebrochen, stieß einen aufgebrachten Laut aus und stürzte sich, mit den Hufen tretend, auf den Feind. Der Angriff hatte Wirkung. Mit einem gezielten Tritt traf sie den Vielfraß unter dem Bauch und er flog jämmerlich quiekend durch die Luft. Aber kaum war er unsanft auf dem Boden gelandet, griff er fauchend wieder an. Die Elchkuh stellte sich schützend vor ihr Kalb und traktierte den Angreifer wild schnaubend mit ihren Hufen. Kein Haken und keine Finte nutzten, er kam nicht mehr dran und konnte seine Beute nicht holen. Widerwillig zog sich der Vielfraß zurück. Stellan hatte Johan inzwischen eingeholt und legte ihm seine Hand auf die Schulter. »Der Vielfraß wird in der Nähe bleiben und warten bis die Elchkuh gegangen ist. Das Kälbchen lebt nicht mehr lange. Der Jäger wird seine Beute irgendwann holen.« Langsam drehte er sich um und zog Johan sanft mit sich fort.

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