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ОглавлениеVorsichtig öffnete Johan seine Augen. Er lag ausgestreckt auf den harten Steinen am Ufer des Flusses. Neben sich bemerkte er Lena. Sie schaute ihn starr und still mit großen Augen an. Johan versuchte sich zu erheben, aber es gelang ihm nicht. Während er kraftlos zurück sank, blickte er wieder zu Lena. Ihm schien es, als ob sich ihre großen Augen noch mehr weiteten. Fast wie in Zeitlupe rutschte sie zudem zurück ins Wasser. Johan wollte nach ihr greifen, doch plötzlich fühlte er, wie jemand seine Beine packte und kräftig an ihm zog. Seine Füße spürten, dass sie ins Wasser tauchten. Johan wurde panisch, denn irgendjemand zerrte ihn zurück in den Fluss. Er blickte zur Seite. Lena war auch schon halb im Wasser. Aber sie sagte nichts, sie war vollkommen still. Sie starrte ihn nur mit großen Augen an. Aus heiterem Himmel wurde das Zerren zu einem mächtigen Ruck und Johans Körper tauchte unter Wasser. Es gluckerte ganz leise um in herum. Er wurde tief in den Fluss gezogen, immer tiefer. Mit den Armen versuchte Johan sich zu wehren und zu rudern, doch es hatte keine Wirkung. Aus dem leisen Gluckern wurde ein kräftiges Rauschen. Irgendwann stieß sein Körper gegen einen Stein. Johan schloss die Augen. Seine Sinne stellten ihre Arbeit ein und er nahm nur im Unterbewusstsein wahr, dass er immer tiefer in den Fluss gezogen wurde. Ein kalter, kräftiger Wasserguss holte seine Sinne zurück. Johan schüttelte seinen Kopf und prustete. Mit seinen Händen rieb er sich das Wasser aus den Augen und blickte sich um. Er kauerte auf einem Steinboden in einem großen, dämmrigen Saal aus Stein. Links und rechts von ihm standen lange Steintische hinter denen merkwürdige Gestalten hockten. Johan guckte genauer hin. Die Gestalten schimmerten blau und erschienen unwirklich. Sie hatten Köpfe, Oberkörper und Arme, aber jede Gestalt in einer anderen Form. Einige hatten riesengroße Ohren oder knubbelige Nasen. Wieder Andere hatten spitze lange Zähne oder schlitzförmige Augen. Es gab Dicke und Dünne. Allen plätscherte von der Decke des Saales ein kleiner Wasserstrahl auf den Kopf. Auf den Körpern verteilt, vor allem auf den Häuptern, blinkten kleine rötliche Flecken. Johan rieb sich noch einmal die Augen, denn er konnte es nicht glauben. Die kleinen Wasserstrahlen von der Saaldecke formten die Wesen. Die Gestalten bestanden aus Wasser. Jeder Wasserstrahl erzeugte ein anderes, unglaubliches Wasserwesen. Johan zählte die Reihen ab. Elf Wesen saßen links von ihm hinter einem Tisch aus moosigen, feuchten Steinen. Weitere elf Gestalten saßen rechts von ihm hinter einem weiteren, langen Steintisch. Johan lugte unter die Tische. Darunter war es zwar stockdunkel, aber Beine schienen die Wesen nicht zu haben. Doch plötzlich erschrak er furchtbar und zuckte heftig zusammen. Am Ende des Saales, weit hinter dem Ende der zwei Steintische thronte ein mächtig großes Wasserwesen und glotzte ihn an. Es war bestimmt zehn Meter hoch. Es hatte ein dickes Gesicht mit Stecknadelkopf kleinen Augen. Überall am Kopf blinkten kleine, rötliche Hügel. Sie hatten Ähnlichkeit mit Beulen. Johan schüttelte den Kopf. »Wasser bekommt keine Beulen«, dachte er und musterte den Riesen genauer. Wabbelnde Fettringe hingen um dessen Hals und setzten sich fort bis zu einem riesigen Bauch. Auch dieses Angst einflößende Wesen wurde von einem Wasserstrahl über dem Kopf gespeist und hatte anscheinend keine Beine. Doch dann sichtete Johan etwas, das riss ihm fast das Herz aus der Brust. Er schrie fürchterlich und sprang panisch auf. Direkt neben dem unheimlichen, großen Wasserbuddha befand sich eine schwach erleuchtete Wassersäule, die von der Decke bis zum Boden reichte. Mitten in dieser Wassersäule stand Lena voller Angst und schlug mit ihren Händen von innen gegen die runden Wasserwände. Lena war in einer Wassersäule gefangen. Johan wollte augenblicklich zu ihr stürzen. In der beginnenden Bewegung bemerkte er noch, wie der dicke Buddha hämisch grinste. Der Fettwanst hob einen Arm und aus seinem klobigen Zeigefinger schoss eine dicke Wasserkugel auf Johan zu. Er hatte keine Chance auszuweichen, er wurde genau in den Bauch getroffen. Die Kugel zerplatzte laut platschend und Johan hatte das Gefühl, als ob er einen Bauchklatscher gemacht hatte. Er krümmte sich vor Schmerz und sank auf den Boden. Das dicke Wesen lachte gluckernd. Seine wabernden Wasserringe wippten dabei auf und ab. Die zweiundzwanzig kleinen Wasserwesen wackelten lachend im Takt dazu. Johan wurde mächtig sauer. Mit einem martialischen Schrei rappelte er sich auf und stürzte auf die Wassersäule zu. So schnell konnten die Wesen anscheinend nicht aufhören mit Lachen, denn es kam kein weiterer Angriff. Johan sprang in die Wassersäule hinein. Im Flug griff er Lena und zog sie aus dem Wassergefängnis heraus. Beide kullerten über den Steinboden. Lena blickte Johan still, aber dankbar lächelnd an. Er nahm ihre Hand und flüchtete mit ihr zu einer Steinwand weiter hinten im Saal. Die Wasserwesen konnten nicht folgen, denn sie hatten ja keine Füße. Die Gestalten schäumten und spritzten, doch sie klebten quasi an ihren Plätzen fest. Außer Atem und mit klopfenden Herzen drückten sich Johan und Lena in der hintersten Ecke des Saales mit dem Rücken an die steinige Wand. Plötzlich ertönte ein lautes Zischen, als ob Luft entweicht und genau an der Stelle wo die Beiden an der Wand lehnten, öffneten sich zwei Steintüren. Johan und Lena fielen rücklings hindurch. Wieder zischte es und die Türen schlossen sich. Sie waren jetzt eindeutig in einem Bus. Verwirrt, aber auch erleichtert, rappelten sie sich auf. Die anderen Fahrgäste des Busses waren ganz merkwürdige Gestalten. Kobolde mit spitzen Ohren und zotteligen Haaren, hässliche Gnome und schelmische Wichtel. Der Busfahrer war ein hagerer, dünner Waldschrat. Er hüpfte auf seinem Fahrersitz herum und lachte sich schlapp vor Wonne. Lena und Johan schauten sich mit erstaunten Augen um. Vor diesen Wesen hatten sie allerdings keine Angst. Lena setzte sich sofort neben einen buckligen Kobold und unterhielt sich mit ihm. Johan stürzte nach vorne und spähte hinaus. Der Bus fuhr in einem unterirdischen, feuchten Tunnel, der etwas breiter als der Bus war. Das Scheinwerferlicht reichte vielleicht hundert Meter weit und tauchte die nasse Röhre in ein gespenstisches, wackelndes Licht. Wenn der Waldschrat nur einen kleinen Schlenker machen würde, gäbe es einen Unfall. Doch dem unbekümmerten Schrat machte die Fahrt offenbar einen riesigen Spaß. Er gab kräftig Gas. Lena kam Johan nachgelaufen und hielt sich an ihm fest. Plötzlich schrie Johan: »Vorsicht, da kommt Wasser von vorn.« Eine mächtige Wasserwelle aus weißer, schäumender Gischt rauschte wie ein übergroßer Widderkopf auf sie zu. Der Waldschrat lachte irre und beugte sich mit vorgestrecktem Kopf über das Lenkrad. Seine große Hakennase berührte fast die Windschutzscheibe. Johan griff Lena mit der rechten Hand und schlug mit der Linken auf den roten Knopf neben dem Lenkrad, um die Türen zu öffnen. Kaum hatte es gezischt und die Türen waren auf geschwungen, hüpfte er mit Lena an der Hand bei voller Fahrt hinaus. Genau in diesem Moment traf das Wasser den Bus. Die Beiden kullerten über den harten Boden, verletzten sich jedoch nicht. Als Johan sich umsah, traute er seinen Augen nicht. Das Wasser verhielt sich wie ein Rammbock und drückte gegen den Bus. Der Bus wehrte sich jedoch und schob dagegen. Die merkwürdigen Fahrgäste sprangen währenddessen schreiend und gestikulierend im Bus herum, machten wilde Grimassen und feuerten den Waldschrat an, stärker zu drücken. Das Kräftemessen ging hin und her, aber dem Bus schien so langsam die Kraft auszugehen, denn die Scheinwerfer wurden langsam dunkler und der Motor fing an zu stottern. Johan riss sich von dem Anblick los und flüchtete mit Lena in die Dunkelheit hinein. Nur weg vom Bus und dem wässrigen Widderkopf. Bereits nach etwa zehn Metern konnten sie noch nicht einmal mehr die Hand vor Augen sehen. Sie hörten sofort auf zu laufen und tasteten sich mit ihren Füssen voran. Der Boden wurde sandig und ein paar Schritte weiter steckten sie plötzlich fest. Sie bekamen ihre Füße nicht mehr hoch. Irgendetwas hielt sie fest. Johan ging in die Hocke und fühlte nach unten. Es war der Sand. Es war Treibsand, der sie nach unten zog. Die Füße und die halben Unterschenkel waren schon verschwunden. Johan versuchte nach Lena zu greifen, doch ihre Hand entglitt seinem Griff immer wieder. Währenddessen versanken sie tiefer im Boden. Unaufhaltsam wurden sie nach unten gezogen. Als Johans Mund sich mit Sand füllte, stellten seine Sinne die Arbeit wieder ein. Johan fiel in die Dunkelheit und landete auf harter Erde. Unverletzt rappelte er sich auf und schüttelte sich ungläubig. Nur ein paar Sandkörner knirschten noch in seinem Mund. Es herrschte Dämmerlicht und Johan erkannte, dass er in einer kleinen Höhle war. Lena war nirgends zu sehen. Es roch streng nach Bär. Wie aufs Stichwort erschien der Bewohner der Höhle. Es war eine große Bärin, die Schritt für Schritt näher kam. Die Bärin brummte aber nicht, wie Bären es normalerweise machen, wenn sie einen Menschen entdecken. Johan schüttelte wieder ungläubig den Kopf. Die Bärin schnurrte wie eine Katze. Mit ihren großen Pranken drückte sie Johan auf den Erdboden zurück und legte sich mit ihrem großen, massigen Körper auf ihn drauf.