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Als Johan am nächsten Morgen erwachte, war es draußen windig und grau. Dicke Regenwolken zogen über den Waldhof hinweg und es goss wie aus Kübeln. Der Troll am Fenster pfiff ein trauriges Lied vor sich hin. Johan brummte so etwas wie: »Na toll, der Tag fängt ja gut an«, und schlurfte übellaunig zum Zähne putzen ins Bad. Am Frühstückstisch kaute er sichtlich genervt sein Brot. Als Lena Elfen gleich um den Tisch schwebte und fragte: »ob jeder Mensch, wenn er lieb ist, ein Engel werden dürfte«, antwortete er nur mit einem barschen: »Nein.« Johan wusste eigentlich nicht so recht, warum er schlechte Laune hatte. Er hätte glücklich sein müssen. Es war fast Sommer und nirgends waren Probleme. Die Zeiten mit Stellan fand er wunderschön. Er lernte jetzt ein Jäger zu werden. Doch irgendetwas lief nicht nach Plan. Er wusste nur nicht, was da quer schoss. Johans Sinne waren zum Zerreißen gespannt. Ganz genau beobachtete er seine Umgebung und was um ihn herum geschah, aber der Tag wollte nicht besser werden. Die Stunden in der Schule zogen sich hin wie Kaugummi. Mit einem Schüler aus einer anderen Klasse begann er auf dem Pausenhof einen Streit. Eine Schlägerei wurde nur durch das beherzte Eingreifen von Johans Freunden abgewendet. Es war wirklich mühsam. Johan hoffte auf den Nachmittag. In der letzten Schulstunde blinzelte dann endlich die Sonne zwischen den Wolken hervor. Johan lächelte das erste Mal. Der Tag schien sich zu wenden. Als Johan nach Hause kam, backten Lena und seine Mutter Kuchen. »Wir machen Begrüßungskuchen für die Enkelin von Stellan«, rief Lena vergnügt, tunkte ihren Zeigefinger tief in die Schüssel mit Teig und leckte ihn mit wonnigem Gesicht ganz sauber. Johan seufzte und dachte: »So viel Aufhebens wegen dem kleinen Stadtkind.« Er zog sich in sein Zimmer zurück und legte sich auf sein Bett. Aber schon nach kurzer Ruhe scheuchten ihn Stimmen auf. Stellan war gekommen. Er unterhielt sich an der Tür mit Johans Vater und bedankte sich gerade für die freundliche Hilfe beim Abholen seiner Enkelin. Er glänzte wieder in seiner schönen Tracht. Johans Mutter rief ihm zu, dass Stellan mit seiner Enkelin zu Kaffee und Kuchen eingeladen wäre. Johan schlenderte gelangweilt im Wohnraum herum, bis die Zeit zum Aufbrechen kam. Johans Vater holte seinen Wagen aus der Garage. Er hatte einen alten, blauen Buckelvolvo. Johans Vater meinte immer, er braucht kein neues Auto, der Volvo würde ein ganzes Leben halten. Das hohe Alter sah man dem Wagen wirklich nicht an. Er war ordentlich geputzt und das viele Chrom glänzte. Der Volvo fuhr zwar nicht schnell, doch er hatte viel Platz. Johan fand, der Buckelvolvo sah witzig aus. Aus großen, runden Augen guckte er erstaunt in die Welt. Die elegant gewölbte Motorhaube und das bucklige, runde Dach hatte er für sich wohl Maß anfertigen lassen. Für Johan war der Wagen ein kauernder, großer Wichtel, der mit großen Augen in die Welt blickt und dabei seinen Po zum Himmel streckt. Der alte Wagen musste die Garage nicht oft verlassen. Wenn Johans Vater zum Holz fällen musste, wurde er immer abgeholt. Der Volvo fuhr nur zum Einkaufen in die Stadt. Mit laufendem Motor, hinter dem großen Lenkrad sitzend, wartete Johans Vater, dass Stellan und Johan einstiegen. Johan öffnete die Beifahrertür und wollte nach hinten auf den Sitz klettern, doch Stellan hielt ihn zurück. »Sitz du ruhig vorne. Ich gehe lieber nach hinten auf die Bank.« Lena und Johans Mutter standen vor dem Haus und verabschiedeten sie winkend. Die Fahrt zum Bahnhof in die Stadt dauerte nicht so lange, denn auf den Straßen war nicht viel Verkehr. Stellan schien sich allerdings unwohl zu fühlen. Als Johan sich einmal umdrehte, sah er, wie Stellan mit ängstlichen Augen die Straße vor ihnen musterte. Etwas später kam ihnen ein Lastwagen entgegen und als der Volvo beim aneinander vorbei rauschen etwas mit dem Po wackelte, vernahm Johan ein deutliches Schnauben von hinten. Auto fahren war Stellan anscheinend nicht geheuer. Am Bahnhof angekommen suchte Johans Vater einen bequemen Parkplatz und stellte den Wagen ab. Sie hatten noch zehn Minuten Zeit bis der Zug eintreffen würde. Es passte alles perfekt. »Ich werde hier am Auto warten«, entschied Johans Vater. Johan stieg aus und half Stellan aus dem Auto heraus zu krabbeln. Dann machten sie sich auf den Weg zum Bahnsteig. Der Bahnhof war nicht sehr groß. Er war überschaubar. Es gab nur zwei Bahnsteige. An dem einem hielten die Züge aus südlicher Richtung, an dem anderen die aus nördlicher. Im Bahnhof hielten sich nicht viele Menschen auf. Ein paar Kinder, ein paar Touristen und eine alte Frau mit einem kleinen Rauhaardackel, der laut kläffend um sie herum sprang. Die alte Frau musste die Leine immer von einer Hand in die Andere wechseln. Stellan stellte sich in die Nähe einer Anzeigetafel, fast an die Kante des Bahnsteiges und beobachtete die Schienen nach Süden. Johan stellte sich zu ihm und schaute dem Dackel zu. Plötzlich ertönte eine Ansage aus den Lautsprechern. Der Zug würde in ein paar Minuten eintreffen. Stellan ging zwei Schritte von der Bahnsteigkante zurück und stellte sich gerade mit etwas herausgestreckter Brust hin. Er sah in seiner blau-roten Tracht sehr feierlich aus. Dampfend rauschte der Zug in den Bahnhof hinein. Bremsen quietschten und Luft zischte. Mühsam ächzend kam der Zug zum Stehen. Kaum stand er still, wurden, laut klappernd, ein paar Türen geöffnet. Stellan blickte aufgeregt nach links und dann nach rechts den Zug entlang und hielt nach seiner Enkelin Ausschau. Bei dem Wagen, der ein paar Meter von den Beiden entfernt gehalten hatte, schwang die Tür scheppernd auf. Johan drehte seinen Kopf dort hin. Bevor jedoch jemand in der Tür zu sehen war, hörte er eine aufgebrachte Stimme schreien: »Verdammt, lass mich los. Ich kann das alleine.« Johan beobachtete durch die Zugfenster, wie sich ein Mädchen in seinem Alter anscheinend heftig gegen einen Schaffner wehrte. Johan lachte kurz, wandte sich dann aber wieder ab, um den Bahnsteig abzusuchen. Gleich würde die Enkelin von Stellan sicher irgendwo zu sehen sein. In diesem Moment rief Stellan schon: »Kim! Hallo Kim! Hier bin ich«, hob seinen Arm und lief zu dem Wagon, in dem Johan soeben das Mädchen mit dem Schaffner gesehen hatte. »Opa!« kam eine erfreute Antwort. Johan wirbelte herum. Da war doch tatsächlich dieses Mädchen die Enkelin von Stellan. Das Mädchen, das er eben noch mit dem Schaffner streiten gehört hatte, entstieg dem Zug und zog eine große Tasche hinter sich her. Der Tasche folgte der Schaffner. Kaum war das Mädchen auf dem Bahnsteig, ließ sie die Tasche los und sprang Stellan in den Arm. »Stellan, ich freue mich so sehr, dich endlich wieder zu sehen«, rief sie dabei glücklich. Der Schaffner trat an die Beiden heran, nahm sich die Mütze vom Kopf und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. Dann räusperte er sich und sprach Stellan an: »Sind sie ein Verwandter der jungen Dame?« Stellan machte ein fragendes Gesicht und antwortete: »Ja, ist irgendetwas nicht in Ordnung?« Kim, die Enkelin, wandte ihren Kopf zum Schaffner und funkelte ihn mit einem warnenden Blick an. Der Schaffner zuckte sichtbar zusammen. »Nein, nein, alles in Ordnung«, beschwichtigte er schnell. »Ich bin froh, dass die junge Dame jetzt an ihrem Ziel angekommen ist.« Ohne eine weitere Erklärung machte er kehrt und stieg brummend in den Zug. Johan sah sich Kim genauer an. Sie war so groß wie er selber, hatte schwarze, lockige Haare und unübersehbare, grüne Augen. Johan hätte gerne gewusst, was der Schaffner wirklich sagen wollte. Er musste schmunzeln. Kim redete derweil wie ein Wasserfall. Sie grüßte von ihrer Mutter, erzählte von der langweiligen Zugfahrt, fragte wie es Stellan geht und schimpfte über die Schule, von der sie, wegen der Operation ihrer Mutter, ein paar Wochen früher Ferien bekommen hatte. Irgendwann, während des Redeschwalles, drehte sich Stellan etwas zu Johan und sagte: »Johan, das ist Kim, meine Enkelin. Kim, das ist Johan.« Dabei zeigte er mit einer Hand in Johans Richtung. Kim blickte kurz zu Johan, murmelte: »Hey«, redete dann allerdings wieder an Stellan gewandt über irgendein Fest, das sie einmal zusammen erlebt hatten. Während Kim schnatterte, stand Johan daneben und guckte ziemlich amüsiert. Plötzlich unterbrach Kim, hakte sich bei Stellan im Arm ein und zog ihn Richtung Ausgang. »Komm, gehen wir«, meinte sie und schwärmte dann weiter über das Fest. Johans Augen wurden größer. Er hob seinen Arm, zeigte auf die Tasche, die immer noch auf dem Bahnsteig lag und wollte etwas stammeln, doch er bekam nur den Mund auf. So stand er ungläubig da und glotzte erst auf die Tasche, dann auf Stellan und Kim, die sich entfernten und dann wieder zurück zur Tasche. Doch es nutzte nichts. Johan seufzte gequält und ging die Tasche holen. Als er sie anhob, entfuhr ihm ein überraschtes: »Puh. Was hat die denn alles in der Tasche?« In diesem Moment drehte sich Kim zu ihm um. »Kommst du?« rief sie ihm fröhlich zu, unterhielt sich dann jedoch weiter mit Stellan. »Ja, ja, ich komme ja schon«, brummte Johan in sich hinein. Mit leicht rötendem Gesicht und wegen der schweren Tasche leicht hinkend, machte sich Johan auf den Weg hinter den Beiden her. Er dachte bei sich: »Na klasse, ein großes Stadtkind«, aber er versuchte schneller zu gehen, um die Beiden einzuholen. Beim Parkplatz war Johan nur noch einen Schritt hinter ihnen. Stellan stellte Kim gleich Johans Vater vor. Sie begrüßte ihn freundlich und machte sogar einen kleinen Knicks, doch dann lenkte der Wagen ihre Aufmerksamkeit auf sich. »Cool«, entfuhr es ihr anerkennend. »Ein Buckelvolvo von 1960«, sagte Johan stolz. Kim ging um den Wagen herum und musterte ihn genau. »Ein PV 544, Modell 1959, 85 PS, 1580 ccm Hubraum. Ein schönes Blau«, entgegnete sie. Johans Vater lächelte Kim zustimmend an. Johan schwieg, zog aber seine Augenbrauen nach oben. Kim kletterte mit Stellan nach hinten auf den Rücksitz und nachdem alle Türen geschlossen waren, zuckelte der alte Volvo mit seiner Fracht zum Waldhof zurück. Kim erzählte die ganze Fahrt irgendetwas. Stellan hörte zu und gab ab und zu einen Kommentar ab. Johans Vater lenkte schweigsam den Wagen und Johan ergötzte sich ebenso still an der Landschaft. Irgendwann waren sie endlich angekommen. Als sie auf den Hof fuhren, kamen Johans Mutter und Lena sofort zum Auto gelaufen. Kim begrüßte auch sie ganz höflich und alle schlenderten zusammen ins Haus. Der Tisch für die Kaffeetafel war einladend gedeckt. Lena und Johans Mutter hatten sich richtig Mühe gegeben. Auf einem großen, runden Teller lagen die einzelnen Kuchenstücke bunt gemischt. Natürlich sieben verschiedene Sorten, wie es in Schweden üblich ist. Eine dicke Kerze verbreitete heimeliges Licht. Zwei kleine Kinderkobolde mit zotteligen Haaren und großen Ohren hockten auf dem Tisch vor dem Kuchenteller und zählten die Kuchenstücke. Kaum saß die Gesellschaft, stellte Lena ihre erste Frage: »Kim sag mal, gibt es in der Stadt auch so viele Tiere, wie hier bei uns im Wald?« Kim antwortete, ohne zu überlegen: »Ja, ich denke, es gibt sogar mehr. Allerdings bin ich bei den meisten froh, wenn ich sie nicht sehen muss.« Lena machte große Augen. »Wirklich? Was sind das für Tiere?« Kim fing ganz ernst mit dem Aufzählen an: »Wir haben Mäuse, Ratten, Kakerlaken, Silberfische...« Johan nahm gerade einen Schluck Wasser aus seinem Becher, als Kim antwortete. In hohem Bogen prustete er in einem Lachanfall das Wasser über den Tisch. »Johan«, ermahnte ihn seine Mutter streng. »Entschuldigung«, stammelte Johan mit rotem Kopf und stand schnell auf, um ein Tuch zu holen. Kim hielt sich währenddessen schmunzelnd die flache Hand vor die Augen, als ob sie dachte: »wie peinlich.« Johans Vater und Stellan konnten sich auch nur mit Mühe ein Grinsen verkneifen. Irgendwann war die Kuchentafel beendet, für die kleinen Trolle blieben leider nur Krümel übrig. Beim Aufstehen bot Johans Vater wegen dem Gepäck an, dass er, soweit es gehen würde, mit dem Auto zu Stellans Hütte fahren würde. Johan könnte dann die Tasche zur Hütte tragen. Johan seufzte unhörbar. »Warum ich?« dachte er, doch er sagte nichts, sondern folgte brav nach draußen. Johans Mutter lud Kim freundlich ein, dass sie jederzeit zum Waldhof kommen könnte und wenn ihr etwas fehlen würde, sollte sie es sagen. Lena ergänzte: »Ja, komm schnell bald wieder«, und verabschiedete sich fröhlich lachend, um Kim herumtanzend. Mit dem Wagen konnte man die Straße das Tal hochfahren, bis man auf Höhe von Stellans Hütte war. Von dort waren es etwa zweihundert Meter erst steil einen Hang hinab, dann über den Holzsteg und das letzte kurze Stück über die Wiese. Johan mühte sich mit der schweren Tasche bergab. Stellan und Kim gingen wieder voraus. Als Johan die Beiden nicht mehr sehen konnte, machte er es sich einfacher. Er stellte die Tasche auf den Boden und zog sie hinter sich her, den Hang hinunter. »Sie wird es überleben«, dachte er bei sich. Das letzte Stück über den Holzsteg und über die Wiese trug er die Tasche dann wieder. Johan stellte sie auf der Bank ab. Kim war in der Zwischenzeit überall gucken gewesen. Sie kam gerade vom Rentiergatter zurück. »Danke Johan für das Tragen«, sagte sie freundlich, als sie neben ihm stand. Sie lächelte ihn sogar an. »War halb so wild«, log Johan und blickte zum Fluss. »Ich muss gehen, mein Vater wartet oben an der Straße«, ergänzte er dann schnell. »Auf Wiedersehen«, rief er Stellan zu, der in der Tür stand. »Bis morgen Johan, der Wald wartet schon auf uns.« Johan lächelte erleichtert zurück. »Bis Morgen«, dann rannte er, ohne sich umzuschauen den Berg hinauf. Zuhause angekommen, traktierte ihn Lena gleich mit einer Frage: »Findest du Kim auch so nett wie ich?« und ohne Luft zu holen, schob sie gleich die Zweite nach: »Glaubst du, das sie gleich morgen wieder zu uns kommen wird?«»Geht so, mal abwarten«, antwortete Johan brummig auf die erste Frage. »Sie ist sehr nett«, schaltete sich seine Mutter dazwischen. Das Thema gefiel Johan nicht, deswegen zog er sich zurück und schlenderte wieder hinaus. Er würde lieber ein bisschen herum gucken, ob es noch weitere, neue Bewohner in den versteckten Ecken des Waldhofes gab.

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