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1.1Im Ideal sich finden

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Oder weisen Sie die Frage zurück? Ein junger Mensch soll doch frei sein! Soll selbst entscheiden, wie und wer er sein will! Haben denn andere das Recht, sein Werden ihren Idealen zu unterstellen? Damit würden Sie auf der Freiheit der Jugend bestehen, ihres Lebens Herr zu werden, aus der Unmündigkeit herauszutreten. Ganz recht! – Und damit wären wir schon mitten im Thema. Bildung unter blossem Zwang, ohne innere Zustimmung und Beteiligung kann es nicht geben. Aber Bildung ist auch das Gegenteil bindungsloser Freiheit, die sich willkürlich für dies oder das entscheidet. Bildung interpretiert die Erfahrung, frei zu sein, auf eine bestimmte, durchaus begrenzende Weise. Das Wort besagt, dass jedes Ich vor der Aufgabe steht, etwas und vor allem jemand zu werden. Es beschreibt eine engagierte Beziehung zwischen dem Ich und einem grösseren Horizont. Dazu gehört, dass Bildung Ideale und Ziele erreichen will, selbst- oder fremdgesteckte.

Wer sich bildet, unterstellt sein Werden Zielen. So will ich sein! Das möcht’ ich können! Dies Ansehen will ich erreichen! So viel Geld möcht’ ich verdienen! Bildung gibt es nicht ohne eine Richtung, die einer einschlägt. Wer sich einem Bildungsweg unterwirft, strengt sich dafür an. Er bindet seine Freiheit. Ohne Ziele tät’ er’s nicht. Sie müssen freilich nicht bewusst sein. Jemand könnte Arbeitsmarkt- und Verdienstchancen nennen, damit aber kaum bewusst auf die Anerkennung des Vaters zielen. Oder auf sicheren Schutz vor Beschämung. So oder so: Dass Ziele, dass Ideale wirken, ergibt sich zwingend aus dem Umstand, dass sich jemand für Bildung anstrengt. In Frage steht nicht, ob Bildung Idealen folgt. Sondern nur, welchen.

Bildung schliesst den Blick auf sich selbst ein. Nicht kühl, distanziert, in der dritten Person. Nicht in der Sprache des man. Wer sich bildet, nimmt eine engagierte, performative Haltung ein. Er spricht als Ich, in der ersten Person, mit Wärme, wach und beteiligt. Wer sich bildet, spiegelt sich im Ideal, versucht sich darin zu erkennen, sucht Antwort auf die Frage, wer er sei. Bildung will dem Dasein Sinn geben: persönlich, eigenständig, eigenartig. Sie ist eine Selbstdeutung, spielt innerhalb der Beziehung zu sich selbst, in der das Ich immer schon steht. Zu Bildungsfragen gibt es keinen neutralen Standpunkt. Immer geht es auch um die Sprecherin und ihr Bild von sich selbst. Keine Bildung ohne Selbstreflexion.

Bildung hat nicht nur mit Idealen des Ich zu tun. In der Regel bildet ein junger Mensch sich im Bildungssystem. Er trifft auf Ziele von Gesellschaft und Politik und muss sich an sie anpassen. Kein äusserlicher Umstand, welcher der Selbstverwirklichung des Einzelnen lästigerweise in den Weg träte! Was wäre ein junger Fussballer, der mit niemandem zusammenspielen wollte? Könnte er ganz allein sein Talent entwickeln und es bis an die Spitze schaffen? Was eine Geigerin, die keinen Unterricht, kein Zusammenspiel akzeptierte? Könnte sie ganz privat, im Namen künstlerischer Authentizität, ihre Begabung pflegen? Ohne Institution, ohne System, das Training und Unterricht, Spiel und Konzert verlässlich und geduldig organisiert und trägt, wird aus keinem Talent etwas. Sein Werden verlangt nach dem Gegenüber. Bemerkenswert, dass die meisten Menschen heute spontan anders empfinden und Freiheit als Freiheit vom System verstehen. Die Einsicht, dass das Bildungssystem die Selbstverwirklichung fördert, läuft der Intuition zuwider. Sie nimmt meist nicht zuerst eine Hilfe, sondern ein garstiges Gestrüpp von Zwängen wahr. Etwas Fremdes, in dem das Ich sich fremd wird. Offenbar sind die Werdewünsche des Ich und die Ziele des Systems nicht gut aufeinander abgestimmt.

Wie soll ein Mensch sein? Die Frage zielt in zwei Richtungen. Erstens möchte sie das werdende Ich anregen, sich mit seinen Motivationen, Idealen und Zielen auseinanderzusetzen. Unter den Bedingungen grosser individueller Freiheit, im Pluralismus, ist es nicht mehr so wichtig, seine Ziele vor Autoritäten zu rechtfertigen. Diese grössere Freiheit macht die innere Motivation mächtiger. Ein falsches Ziel leitet umso nachdrücklicher in falsche, ein ungenaues umso sicherer in ungenaue Richtung, je mehr Entscheidungen der Einzelne für sich selbst treffen muss: Die Selbstreflexion, um deren tragende Bedeutung fürs gute Leben schon die Antike wusste, ist für Bildung unverzichtbar. Zweitens zielt die Frage auf die Verantwortung und Selbstreflexion unserer Gesellschaft. An der Frage der Bildung verhandelt sie, was sie über den Menschen denkt. Wie er sein soll, was sie ihm zutraut und welche Werte seine Entwicklung entfalten soll.

Bildungsethik (E-Book)

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