Читать книгу Ibiza-Jacques und der Tote im Kräutergarten - Thomas Fitzner - Страница 11
6. Kapitel
Оглавление„Der Bube fragt den König: Hey, Baby, do you wanna dance?“
Falco in „The Sound of Music“
Es war Samstag und Jacques hatte auf das traditionelle Luxus-Frühstück mit seinen Töchtern bestanden, bevor Alcásser ihn abholen „durfte“. Seine frohe Botschaft hatte sich Jacques für dieses Zusammensein aufgespart. „Selina.“ Er legte ein Kuvert auf den Tisch. „Die Klassenreise.“
Selina kreischte und fiel ihrem Vater um den Hals.
„Moment, junge Frau“, sagte er. „Bedingung.“
„Bedingung!?“, erwiderte Selina und verschränkte die Arme. „Mieser Schuft!“
„So sind Väter heutzutage. Hör zu: Ich brauche Beratung in einem Fachgebiet, das sich meinen ansonsten umfassenden Kenntnissen zur Gänze entzieht.“
Selina setzte sich Jacques gegenüber und trommelte mit den Fingern auf den Tisch.
„Informatik. Du musst mich unterstützen. Abgemacht?“
„Okeeee. Was willst du wissen?“
„Stell dir eine Finca vor, die mit einem ausgetüftelten Kontrollsystem ausgestattet ist, von Sicherheit bis zur Raumtemperatur, alles wird online überwacht und gesteuert. Und weil das alles so komplex ist, kennt sich kein Schwein aus und man braucht einen Informatiker. Der sitzt irgendwo auf Ibiza und man sagte mir, er könne seine Arbeit von außen machen.“
„Und das ist dir neu?“, schaltete sich Timna ein. „Du bist vielleicht retro.“
„Das ist mir natürlich nicht neu. Ich frage mich nur: Wenn der Informatiker von außen alles kontrollieren und steuern kann – dann ist er doch eigentlich der mächtigste Mann der Finca, oder nicht?“
Selina zuckte die Achseln. „Vielleicht. Na und?“
„Wer kontrolliert ihn? Es reicht ja nicht, dass er nur Informatiker ist. Er muss auch eine überaus vertrauenswürdige Person sein.“
„Klar, die haben wahrscheinlich überall Kameras“, sagte Timna.
„Genau“, stimmte Selina zu. „Dann kann dieser Typ theoretisch alles sehen, was rund um das Haus passiert, und das gefällt ihnen vielleicht nicht, darum schalten sie die Kameras ab. Stelle ich mir krass vor, in einem Haus voller Kameras zu leben.“
Jacques wurde nachdenklich. „Wahrscheinlich. Kameras überall ...“
„Der Informatiker muss trotzdem aufpassen“, sagte Selina. „Normalerweise hinterlässt jede Aktion eine Spur. Es gibt Protokolle, und man kann im Nachhinein herausfinden, was er so alles gemacht hat.“
„Protokolle“, sinnierte Jacques. „Ist ja interessant.“
„Für wen arbeitest du, Papa?“
„Reich mir mal bitte das Granatapfelgelee.“
„Typisch Papa.“ Timna schnaubte. „Wenn man eine Frage stellt, die dir nicht passt, sagst du:“ – sie ahmte ihn mit affektierter Stimme nach – „Reich mir mal bitte das Granatapfelgelee.“
„Ich darf euch nicht sagen, für wen ich arbeite. Ich will nicht, dass ihr das herumerzählt.“
„Und wenn wir schwören, dass wir es niemandem erzählen?“
„Ihr seid tolle Mädchen, aber Diskretion gehört nicht zu euren Kerntugenden.“
Die kleine Tanit hob einen Finger. „Ich glaube, dein Taxi ist gerade gekommen.“
Jacques blickte auf die Wanduhr. „Wahnsinn, wie die Zeit vergeht.“
Auf dem Vorplatz stellten Selina, Timna und Tanit ihre „Diskretion“ zur Schau und ärgerten ihren Papa, indem sie laut wiederholten: „Papa, dein Taxi ist da!“ Pau Alcásser fand das nur bedingt amüsant. Er begrüßte Jacques mit einem Grunzen und trat aufs Gaspedal, dass die Kieselsteine spritzten.
„Sie haben mir nichts über die Kameras erzählt“, sagte Jacques zu Begrüßung.
„Sensibler Bereich“, erwiderte Alcásser. „Darüber will ich nur erzählen, was absolut notwendig ist.“
„Na, dann legen Sie mal los, Sie Sensibelchen.“
Sie fuhren durch ein Dorf, durch einen Wald, vorbei an Äckern und Buschland, und als schon der bewachte Eingang zu Can Raoul sichtbar war, sagte Jacques: „Also gar nichts?“
„Nein“, bestätigte Alcásser. „Nichts. Sie sind für den unkonventionellen Teil der Ermittlung zuständig. Den konventionellen Teil haben wir schon abgedeckt.“
„Gibt es im Garten eine Kamera-Überwachung?“
„Es gibt Kameras überall und nirgendwo.“
„Wo man den Schweden gefunden hat ...?“
„Wir haben kein Bildmaterial vom Antransport der Leiche, davon dürfen Sie ausgehen.“
„Wie holt Mia Hilfe, wenn sie im Kräutergarten von vermummten Gestalten überfallen wird? Mit lautem Schreien?“
„Dafür gibt es die Panik-Buttons. Keine Sorge, die werde ich Ihnen zeigen.“
Sie stoppten vor dem Wächterhaus. Prüfender Blick ins Wageninnere, kurze Zwiesprache, dann öffnete sich das Tor.
„Sie haben die Gespräche arrangiert?“, fragte Jacques.
„Habe ich“, antwortete Alcásser genervt.
„Und wen darf ich als Ersten bezirzen?“
Alcásser blieb stumm, bis sie auf dem großen Vorplatz zum Stehen kamen. Jacques registrierte zwei schwarze Mercedes-Geländewagen und einen kräftig gebauten Mann, der sich gerade das Sakko überstreifte, aber nicht früh genug – kurz war noch der Gurt mit dem Pistolenhalfter zu erkennen.
„Der Erste, mit dem Sie heute ein Gespräch haben werden“, erklärte Alcásser schließlich, „ist Sean Shortcut.“
Jacques blieb der Mund offen stehen und zeigte auf die beiden Fahrzeuge. „Papa Shortcut ist gekommen?“
Alcásser nickte. „Nur um eines klarzustellen: Er war NICHT auf der Insel, als der Mord geschah. Damit Sie nicht auf die Idee kommen, sein Alibi abzufragen. Papa Shortcut ist gerade angekommen und will wissen, wer seine Tochter retten wird. Ich danke dem Allmächtigen, dass Sie sich heute einigermaßen normal gekleidet haben.“
„Wenn ich das gewusst hätte ...“, murmelte Jacques.
„Genau deswegen habe ich nichts gesagt“, knurrte Alcásser. „Kommen Sie, eine Legende der Musikgeschichte kann es nicht erwarten, den inselweit bekannten Fachmann für Öko-Dünger kennenzulernen.“
Jacques grinste den Detektiv an. „Zu viel Mist hinterlässt verbrannte Erde. Das gilt auch für Detektivarbeit.“
Alcásser schürzte die Lippen, verkniff sich jedoch eine Antwort.
Schon bevor sie die weitläufige Eingangshalle des Anwesens betraten, schlug ihnen eine Druckwelle lautstarker Rockmusik entgegen, die aus zahlreichen unsichtbaren Lautsprechern zu kommen schien.
„Mister Shortcut expects you“, sagte ein cool gekleideter Assistent mit Handy, Sonnenbrille und offenem Hemd. Alcásser und Jacques wurden auf eine offene Terrasse mit weißem Lounge-Mobiliar geführt. In einem der tiefen Sofas saß Sean Shortcut, die ausgestreckten Beine lagen auf einem Lounge-Puff. Weiße Hose, weißes Hemd, Sportschuhe, ein Handy am Ohr. „I see, man, yes, I see.“ Er gab beiden im Sitzen die Hand und wies auf die Lounge-Sofas gegenüber.
Durch eine andere Tür kam Mia und grüßte Alcásser und Jacques kurz und kühl. Der Assistent stellte sich schräg hinter seinen Herrn und zu viert hörten sie Sean Shortcut, der Legende der Rockmusik, einige Minuten beim Telefonieren zu. Wie er das akustisch hinkriegte, war Jacques ein Rätsel, denn auch hier draußen auf der Terrasse dröhnte die Rockmusik.
„Tut mir leid“, sagte Sean Shortcut, als er sich verabschiedet hatte, und blickte Jacques lange an. „Sie sind also Ibiza-Jacques.“
Jacques hatte sich heute beinahe normal gekleidet, mehr ein Garten-Hippie-Outfit, weil er sich vorgenommen hatte, den Tatort zu besichtigen. Das einzige schrille Kleidungsstück war der Steampunk-Zylinder.
„Der bin ich“, sagte er und bohrte mit dem Finger in seinem rechten Ohr herum.
„Ist was mit Ihrem Ohr?“, fragte Shortcut.
Wie die meisten berühmten Menschen wirkte der Rockstar im Original kleiner als erwartet. Seine Schlägervisage sah etwa zehn Jahre älter aus, als Jacques aus Fotos in den Zeitungen in Erinnerung hatte, aber die Figur war schlank und rank. Über seinem linken Auge klebte ein Pflaster. Die Arme waren mit Tätowierungen übersät. Um den Hals trug er eine Goldkette mit dem Symbol der Freakers: Sean Shortcuts weit aufgerissener Mund, erkennbar an den vollen Lippen, im Profil und mit ausgestreckter Zunge.
Jacques war verärgert. Wegen der dröhnenden Musik verstand er sein Gegenüber kaum, und noch weniger verstand er, warum er diese akustische Aggression über sich ergehen lassen musste. Er kam sich vor, als würde er von einem riesigen stinkenden Hund bedrängt, während der Besitzer sagte: „Keine Angst, er will nur spielen!“
„Sehr erfreut“, sagte Jacques. „Aber könnten wir bitte diesen Krawall leiser machen?“
Ein langer Moment verstrich, bis die Anwesenden Jacques’ Worte verdaut hatten. Shortcuts weltbekannter Mund verzog sich dann zu seinem weltbekannten riesigen Grinsen, er warf den Kopf zurück und wandte sich seinem Assistenten zu. „Steve, mach den Krawall leiser.“ Er kicherte in sich hinein, während Steve im Haus verschwand.
Alcásser und Mia hatten ihren Kopf in eine Hand gestützt und die Augen geschlossen.
„Sorry“, sagte Jacques. „Aber bei so lauter Musik kann ich nicht denken.“
„Ist schon okay“, erwiderte Shortcut. „Das ist eine Tradition hier. Wenn ich zu Besuch komme, will mein Baby mir eine Freude machen und legt zur Begrüßung mein neuestes Album auf. Eine Art Ritual. Aber wir mildern das gerne ab, wenn es Sie schmerzt.“
„Ach, das ist Ihre Musik?“, fragte Jacques.
„Themenwechsel, Jacques“, zischte Alcásser Jacques ins Ohr. „Ich flehe Sie an, wechseln Sie das gottverdammte Thema!“
Der Assistent kehrte zurück, zeigte Daumen hoch und warf Jacques einen Nachher-bringe-ich-dich-um-Blick zu.
„Geht es Ihnen jetzt besser?“, fragte Shortcut mit zweideutigem Unterton.
Jacques lächelte. „Wesentlich.“ Er hatte das Gefühl, in eine B-Serie geraten zu sein. Das Star-Theater ging ihm auf den Wecker und er spürte, wie seine Stimmung eine gefährliche Wandlung durchmachte. Er fühlte genau denselben Widerwillen, den er als Steuerfahnder bei Begegnungen mit mächtigen Kotzbrocken verspürt hatte. Selbstkontrolle, sagte er sich. Eiserne Selbstkontrolle. Sean Shortcut ist im Grund bestimmt ein netter Mensch. Man musste ihm nur Gelegenheit geben, diese Facette auszuleben.
Davon schien er jedoch momentan weit entfernt. „Bericht“, sagte er, ohne Alcásser anzusehen, den er aber meinte.
Alcásser verstand. „Der Richter hat die Eingabe der Anwälte abge...“
„Weiß ich. Was machen die Ermittlungen?“
Alcásser schien eingeschüchtert und konnte auch nicht viel vorweisen. „Der Kreis der Verdächtigen beschränkt sich noch immer auf die Personen, die in der Nacht auf den 1. Februar in Can Raoul anwesend waren. Die Spurensuche hat keine Ergebnisse erbracht, die Rückschlüsse auf Tathergang oder einen eventuellen Transport der Leiche erlauben. Wie Jonathan Waldrum an den Platz gelangte, wo er tot aufgefunden wurde, ist weiterhin ein Rätsel. Somit arbeiten die behördlichen Ermittler noch immer mit der Hypothese, dass die hier in der Mordnacht anwesenden Personen zumindest Mitwisser des Verbrechens sind, und einer von ihnen der Mörder ist.“
„Mia hat mir erzählt, dass sie wieder vernommen worden ist.“
Alcásser nickte. „Zum dritten Mal.“
„Scheiße!“ Shortcut pfefferte ein Glas auf den Boden, das krachend zersplitterte. „Ich bezahle mit teurem Geld die angeblich beste Detektivkanzlei in Spanien, damit sie meiner Tochter genau das erspart!“
Jacques bemerkte, dass Mia der Ausbruch ihres Vaters peinlich war. Sie blickte zu Boden, blass und reglos.
Alcásser stotterte: „Wir haben Herrn Ibiza-Jacques engagiert, weil wir hoffen ...“
„Weil meine Tochter gehört hat, er sei ein Wundermucki.“ Shortcut wandte sich wieder Jacques zu und bleckte die Zähne. „Na, haben Sie schon Gedanken zu dieser Angelegenheit entwickelt, abgesehen davon, dass meine Musik Scheiße ist?“
Alcásser hatte das Gewitter erfolgreich auf den neuen Ermittler umgeleitet. Alle starrten Jacques an und warteten auf seine Antwort. Der Schweizer ließ sich Zeit. Dann sagte er: „Nach meinem derzeitigen Ermittlungsstand schließe ich aus, dass die Qualität Ihrer Musik mit dem Ableben von Jonathan Waldrum in einem direkten und kausalen Zusammenhang steht.“ Und während das Publikum diesen Worte nachlauschte, setzte Jacques mit provozierender Ruhe und Langsamkeit hinzu: „Aber ich werde Sie über diese Linie meiner Nachforschungen auf dem Laufenden halten.“ Er hielt dem wütenden Blick des Rockstars stand und gab sich betont gleichgültig. Er dachte nur: Du kannst mich mal, blöder Schreihals!
Shortcut wirkte für einen Moment ratlos. Er war es gewohnt, vor Zehntausenden Fans auf der Bühne zu stehen, die jedes Mal, wenn er den Mund aufmachte, in einen orgasmusähnlichen Zustand verfielen. Typen wie Ibiza-Jacques gehörten nicht zu seinem Biotop. Schließlich grinste der Rockstar breit. „Verstanden. Wollen wir uns gemeinsam den Tatort ansehen? Vielleicht wird das ja doch noch ein konstruktives Meeting.“
Sean Shortcut schien sich zumindest äußerlich beruhigt zu haben. Alcásser, der Assistent, ja sogar Mia hielten dennoch Abstand, als Shortcut und Jacques gemeinsam durch das Haus und eine Stiege hinunter zum Kräutergarten gingen. Es war ein wolkiger Tag. Wenn gelegentlich die Sonne durchbrach, tauchte sie die Landschaft in ein magisches Licht. Die Schönheit der Szenerie drang jedoch nicht zu jener kleinen Gruppe durch, jeder mit seiner dunklen Wolke im Kopf, und der temperamentvolle Sean Shortcut mit einer Bombe.
So gelangten sie zum Kräutergarten, der in sanft abfallendem Gelände angelegt und mit Trockensteinmauern stilgerecht nivelliert war. Unter anderen Umständen hätten sie jetzt wohl Gartenthemen besprochen und die harmonisch gestaltete Anlage bewundert. Doch die Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf den Ort des Leichenfunds, der noch immer mit Plastikbändern markiert war.
„Was ich nicht verstehe, Leute“, sagte Shortcut und zeigte auf die Büsche, zwischen denen Waldrum an jenem Morgen gelegen hatte. „Wie ist es möglich, dass man noch nicht einmal weiß, ob der Kerl hier um die Ecke gebracht oder schon tot angeliefert wurde? Mit all den wissenschaftlichen Methoden, die es heute gibt? Jacques, erklären Sie mir das – ist das der typisch iberische Pfusch oder was?“
Jacques ließ einen Blick über die Szenerie schweifen. „Sie haben hier überall Steinwege und deshalb keine Fußabdrücke, an denen man ablesen könnte, ob jemand den Kadaver hergeschleppt hat. Im Garten wird ständig gearbeitet, da werden auch schwer beladene Schubkarren hin- und hergefahren. Das macht es für die Spurensicherung so schwierig. Ach – ist das der berühmte Panik-Button?“
Jacques zeigte auf einen Eisenpfosten, an dem ein kleiner schwarzer Kasten mit einem roten Druckknopf befestigt war.
„Ja, die Apparate sind im ganzen Gelände installiert“, meldete sich Alcásser zu Wort und trat hinzu. „Sehr viele nahe am Haus, und dann ein paar im Gelände jeweils dort, wo sich Fräulein Shortcut aufzuhalten pflegt. Zum Beispiel auf dem Weg zur Pferdekoppel.“
„Und was passiert, wenn ich so ein Ding drücke?“
„Dann geht ein Signal ein. Boris oder Vincent, oder wer immer als persönlicher Leibwächter Dienst hat, sieht am Handy sofort, in welchem Bereich des Gartens Alarm gegeben wurde.“
Jacques dachte nach. „Am Handy. Das Signal kommt also über das Internet?“
„Auch, damit werden zeitgleich die außerhalb in Bereitschaft stehenden Personenschützer informiert“, erklärte Alcásser. „Parallel läuft das Signal über eine interne Funkanlage. Damit haben wir eine doppelte Übertragung, um gegen einen eventuellen Ausfall eines Übertragungsweges gesichert zu sein.“
„Ich kann dabei zusehen, wie es hinter Ihrer Stirn arbeitet“, sagte Shortcut zu Jacques. „Kennen Sie sich mit Sicherheitselektronik aus?“
„Er hat weder Handy noch Internet“, informierte Alcásser, und sein Tonfall ließ keine Zweifel darüber offen, was er davon hielt.
Shortcut hob die Augenbrauen. „Ach ja? Sie sind ein Steinzeitfan? Na guten Appetit! Wie wollen Sie denn so einen Fall bearbeiten?“
Jacques betrachtete weiter den Ort des Leichenfundes und tat zuerst, als hätte er nicht gehört. Dann tippte er sich an den Kopf. „Damit.“
„Ah, die Sherlock-Holmes-Methode! Alte Schule! Das ist ja wirklich originell. Aber miesere Resultate als die Truppe, die aktuell den Fall in der Mache hat, können auch Sie nicht erzielen. Mein Gott, so verzweifelt sind wir schon, dass wir Typen wie Ibiza-Jacques engagieren.“ Er wandte sich Mia zu. Jacques war aufgefallen, dass er seiner Tochter immer wieder einen Blick zuwarf, in dem er nicht nur Sorge las, sondern auch Vorwurf. Aber das war wohl typisch Vater und hatte wahrscheinlich mehr mit Jacques zu tun als mit ihrem Verhältnis. „Was kommt als Nächstes, Baby?“ röhrte er. „Eine Zigeunerin mit einer Kristallkugel?“
„Er ist mir empfohlen worden.“
„Ja.“ Shortcut nickte theatralisch. „Das kann ich mir vorstellen. Sieht man ja auch an seinem Honorar. Was sagen Sie, ‚Ibiza-Jacques‘? Wer hat sich eigentlich diesen großartigen Namen ausgedacht?“
Jacques steckte die Hände in die Hosentaschen. In ihm rumorte es. Einerseits verstand er Shortcut. Der Mann war mit seinen Nerven am Ende. In die Sorge um seine Tochter mischte sich wohl auch ein über Jahrzehnte akkumuliertes schlechtes Gewissen darüber, wie wenig er sich um sie gekümmert hatte. Andererseits sah Jacques nicht ein, warum er, der sich um seine drei Töchter sehr wohl kümmerte, nun dafür bezahlen sollte.
„Kann bitte jemand den Krawall wieder einschalten?“, fragte Jacques scharf. „Das ist mir lieber, als weiter dieses Gequatsche anzuhören.“
Shortcut blickte Jacques an, als habe der einen Witz gemacht, den nur niemand verstand. „Ah, wir haben eine Motivationskrise?“
Jacques fixierte ihn. „Soll ich gehen?“
„Nein, Mann“, erwiderte Shortcut. „Wir haben für die Show bezahlt, nun wollen wir sie bis zum Ende genießen. Sprechen wir über Jonathan Waldrum, okay?“
Shortcut und Jacques starrten einander eine Weile wortlos an. Am Ende zuckte Shortcut die Achseln und sagte: „Okay, Mann, okay. Weiter im Text. Reden wir über Jonathan Waldrum.“
„Na gut.“ Jacques brauchte einen Moment, um nach diesem Alpha-Tierchen-Duell seine Konzentration wieder auf den Fall zu fokussieren. Die Gruppe stand in unbehaglichem Schweigen da, alle Blicke auf Jacques gerichtet, während der nach dem verlorenen Faden suchte. Ach ja, die Panik-Buttons. Die Signale, die auch über Internet zum Handy des Leibwächters gelangen. Er wandte sich an Alcásser: „Kümmert sich dieser Informatiker, wie heißt er noch ...?“
„Raimundo.“
„... kümmert er sich auch um die Verbindungen der Panik-Buttons?“
Alcásser schüttelte den Kopf. „Ich weiß wirklich nicht, was Sie mit diesen verdammten Panik-Buttons haben. Kein Einziger ist in der Nacht des Mordes gedrückt worden. In der Tat ist noch nie ein Panik-Button im Notfall aktiviert worden, sondern immer nur für Testzwecke.“ Der Profi-Detektiv fühlte sich ermutigt, in die Kerbe seines Auftraggebers zu schlagen und damit Punkte zu sammeln. Deshalb setzte er mit abfälligem Tonfall fort: „Warum konzentrieren Sie Ihre Nachforschungen auf diesen Aspekt? Wo Sie noch dazu gestehen, keine Ahnung von Tuten und Blasen zu haben, wenn es um Elektronik geht!?“
Jacques ließ sich seinen Ärger nicht anmerken und sagte betont ruhig: „Sie haben jetzt viel Sauerstoff verbraucht, ohne meine Frage zu beantworten.“
Nun ruhten alle Blicke auf Alcásser. Auch der war sichtlich verärgert. „Ja“, sagte er schließlich. „Raimundo Puigserver hat diese Verbindung eingerichtet und er führt gelegentlich Kontroll- und Wartungsarbeiten durch. Wir haben Puigserver gründlich überprüft, wir haben die Protokolle aller elektronischen Vorgänge von einem Spezialisten unseres Vertrauens prüfen lassen, und wir haben nicht die kleinste Unregelmäßigkeit gefunden.“
„Kann ein Trottel wie ich diese Protokolle lesen?“
„Da sehe ich jetzt wirklich keinen Anlass ...“
„Alcásser!“, brüllte Shortcut. „Scheiße noch mal, Sie geben dem Mann, was er haben will!“
„Natürlich, Sir. Verzeihung.“
„Obwohl ich genauso wenig verstehe, wozu das gut sein soll.“ Shortcut zwinkerte Jacques zu, was einem Friedensangebot gleichkam, oder zumindest einem Waffenstillstand. „Wir werden den Fall nicht lösen, wenn wir weiter hier herumstehen und uns gegenseitig anschreien. Sherlock, Sie wollen Ihre Befragungen veranstalten. Dann machen Sie mal. Sollen wir klassische Musik auflegen? Oder was bringt Sie in Verhörstimmung?“
„Meeresrauschen und Wein von Formentera.“
„Ach, im Ernst? Steve, leg die verdammte Scheibe mit dem Meeresrauschen auf!“