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7. Kapitel

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Pany qui hi van be totes ses claus fa mal guardar.

(Ein Schloss, in das alle Schlüssel passen, ist schwer zu bewachen)

Balearisches Sprichwort

Die schöne Französin führte Jacques in ein „Arbeitszimmer“, einen hellen, beinahe leeren Raum mit einem Tisch, zwei Stühlen und einer originell-schrägen Stellage, auf der einige Dutzend riesige Fotobände und Designbücher standen. Auf dem Tisch standen ein Weinglas und eine Flasche mit Wein von Formentera, wie bestellt. Der Blick durch das Fenster ging auf den Wald auf der dem Garten gegenüberliegenden Seite des Hauses. „Anschluss für einen Computer benötigen Sie ja wohl keinen“, sagte sie, setzte sich ihm gegenüber und ein betont unschuldiges Gesicht auf. „Fragen Sie.“

Jacques betrachtete Anaïs Bonnay eine Weile. Aus ihren Gesichtszügen sprach eine Mischung aus Willensstärke und Sinnlichkeit, gewürzt mit Intelligenz und Arroganz. Im Grunde eine hochverdächtige Kombination, dachte Jacques und beschloss, mit der Tür ins Haus zu fallen: „Erzählen Sie mir über Jonathan.“

“Ein Freund des Hauses”, leierte sie mit gelangweiltem Tonfall herunter, offensichtlich, um Jacques zu signalisieren, wie oft sie diese Geschichte schon erzählt hatte – den Polizisten, den privaten Ermittlern rund um Alcásser, den Anwälten, und nun auch Ibiza-Jacques. „War ein paar Mal auf Partys im Haus. Netter Kerl. Schade um ihn.“

„Und ...?“

„Ja, ich habe ein paar Mal mit ihm geschlafen. Ist einige Zeit her. Aber das war keine Affäre, nur Vergnügen. Er war gut. Wirklich schade um ihn.“

Weder ihre Stimme noch ihre Miene drückten das leiseste Bedauern aus.

„Wann haben Sie ihn ...“

„... zum letzten Mal gesehen? Etwa eine Woche vor seinem bedauerlichen Dahinscheiden. Er kam auf einen Nachmittagsdrink mit anderen Freunden. Blieb nicht über Nacht. Unsere ‚Geschichte‘ ist schon seit längerem vorbei.“

„Hatten Sie nach diesem letzten Zusammentreffen Kontakt?“

„Nein.“

„War Jonathan erfolgreich bei Frauen, im Allgemeinen?“

„Gut aussehend, ungebunden, das richtige Alter, keine Geldprobleme ...“ Anaïs breitete die Arme aus. „Was soll ich Ihnen sagen?“

„War er ...?“

„Nein.“

Jacques lächelte. „Was wollte ich denn fragen?“

Anaïs hob eine Augenbraue. „Ob er in mich verliebt war. Nein. Das war eine Episode. Keiner von uns beiden fühlte sich in irgendeiner Weise gebunden oder verpflichtet. Außerdem hatte er eine reiche Auswahl.“

„Worüber haben Sie gesprochen, wenn Sie zusammen waren? Was hat er erzählt?“

Die schöne Französin lächelte schräg. „Wissen Sie, Jacques, Sprechen war nicht sein Ding.“

„Na ja, irgendetwas wird er doch erzählt haben. Was hat ihm noch gefallen außer Partys und Sex?“

„Er ging gerne tauchen. Sogar um diese Jahreszeit. Mit seiner Harpune. Darüber hat er manchmal gesprochen, weil das auch mich interessiert.“

„Sie gehen mit einer Harpune tauchen?“

„Ist ein sehr populärer Sport in Can Raoul.“

„Hat er über einen Tauchgang erzählt?“

„Ja. Er hat ein Flugzeugwrack entdeckt. Darauf war er stolz.“

„Ein Flugzeug?“

„Das erregte ihn. Er mochte Flugzeuge. Fliegen und Tauchen. Hoch hinauf und tief hinunter.“ Anaïs sah Jacques tief in die Augen und lächelte betont sinnlich, hart an der Grenze zum Ordinären. „Und dann auch tief hinein. Das wollten Sie hören, oder?“

Jacques verzog keine Miene und sagte ohne jede Erregung: „Oh, wie erregend.“

Anaïs blickte auf ihre Uhr. „Dauert das noch lange? Auch ich finde das Gespräch nicht sonderlich interessant. Im Film kommt das aufregender rüber, wenn man von einem Stardetektiv ausgefragt wird.“

„Es tut mir leid, wenn ich Sie enttäusche. Eine Frage noch: Haben Sie je ...?“

„Nein.“

Jacques holte tief Luft. „Was wollte ich denn nun fragen?“

„Ob ich je mit ihm getaucht habe. Mit ihm niemals, Monsieur. Und auf dem Seeweg ist Jonathan nicht hergekommen, um mir nachzustellen. Die Küste ist felsig, der Weg vom Haus zum Anlegeplatz mit einem Tor gesichert, außerdem darf da nicht jeder hinunter – nur das Sicherheitspersonal, Mia und ich. Metaphorisch gesprochen ist der Seeweg ein Holzweg.“

Jacques rieb sich die Hände. „Interessant, dass Sie über den Seeweg nachgedacht haben. Aber ich wollte Sie etwas anderes fragen.“

„Oh, dann habe ich Ihre Gedanken diesmal falsch gelesen? Quel honte, bisher waren Sie ein offenes Buch. Los, werden Sie ein bisschen mysteriös: Wie lautet Ihre Abschlussfrage?“

„Haben Sie je auf einen Panik-Button gedrückt?“

Anaïs‘ Miene verdüsterte sich. „Was wollen Sie nun wieder mit den Panik-Buttons? Das ist ja wohl das Einzige in Can Raoul, was mit dem Mord an Jonathan nicht das Geringste zu tun hat. Oder gab es Alarm und ich habe davon nichts erfahren?“

„Doña Anaïs, ich wiederhole ungern eine Zeile, aber ich muss es wieder sagen: Sie haben eine Menge Sauerstoff verbraucht und mir nicht geantwortet. Meine Frage lautete nicht, ob die Panik-Buttons Alarm ausgelöst haben, sondern ob Sie schon mal einen gedrückt haben. Und sei es nur zur Probe.“

Bonnay schüttelte den Kopf. „Nein.“

„Kennen Sie sich mit dem System aus?“

„So weit als nötig. Also ehrlich, Jacques: Ihre Besessenheit mit den Panik-Buttons lässt mich an Ihrem Instinkt zweifeln. Da wäre sogar der Seeweg eine bessere Idee, aber selbst die ist nicht Ihnen gekommen, sondern mir.“

Jacques erhob sich. „Danke für Ihre Zeit.“

Auch die Französin erhob sich und verließ wortlos den Raum. Jacques schüttelte den Kopf, setzte sich wieder und zog einen Notizblock hervor, in den er einige Daten eintrug.

Eine Bewegung an der Tür ließ ihn aufblicken. Es war Mia. Sie trug einen altmodischen blauen Trainingsanzug, als mache sie Urlaub von ihrer eigenen Adlib-Mode.

„Was haben Sie denn mit Anaïs angestellt?“, fragte sie und setzte sich vor Jacques.

„Sie war wohl irritiert, weil ich nicht alle Fragen gestellt habe, die sie vorhergesehen hatte. Aber das Problem habe ich mit aller Welt. Wie geht es dem Papa?“

„Nicht so gut.“ Mia räkelte sich auf dem Stuhl und ihr Blick wanderte zum Fenster, zum Wald dahinter, und schien sich zu verlieren. „Man fragt sich ja grundsätzlich, wem man vertrauen kann.“

„Dann stelle ich die Vertrauensfrage: Jonathan Waldrum – ein Freund oder mehr?“

„Er gehörte nicht zu den engen Freunden, aber wegen seiner angenehmen Art war er ein gern gesehener Gast.“

„Sie wussten von Anaïs‘ Affäre mit ihm?“

„Hat sie mir gebeichtet. Offenbar nichts von Bedeutung und es war dann wohl auch rasch vorbei. Ich mische mich in ihre Angelegenheiten nicht ein.“

„Sie ist Ihre engste Vertraute, korrekt?“

„Ja, aber Privatleben ist Privatleben.“

Das Thema war ihr unangenehm, spürte Jacques. „Hat Anaïs ihr Privatleben auch hier ausgelebt, in Can Raoul?“

„Vermutlich. Das konnte ich schwer verbieten, wollte es auch nicht.“

„Hatten Sie ein engeres Verhältnis zu Jonathan?“

„Nein, er war nur ein Freund des Hauses. Verschwand für Monate, tauchte wieder auf, war nett und freundlich und verschwand wieder. Er gehört zur Szene.“

„Sie hatten keine Affäre mit ihm?“

„Wir waren eine zeitlang sehr eng befreundet, darum wird mir das wohl angedichtet. Es ist nicht wahr.“

„Es gibt sehr deutliche Hinweise, deshalb stehen Sie unter Verdacht.“

„Ein paar E-Mails und Whatsapps, die man so oder so lesen kann. Von Polizisten kann man schwer erwarten, dass sie unsere manchmal schräge Art der Kommunikation verstehen.“ Mia verschränkte die Arme. „Damit muss ich wohl leben.“

Jacques lehnte sich zurück und sah ihr lange in die Augen.

„Was ist?“

„Seien Sie ehrlich: Sie haben keine Ahnung, wer einen Grund gehabt haben könnte, ihn umzubringen? Nicht den geringsten Verdacht? Sie würden für jeden der Bewohner von Can Raoul die Hand ins Feuer legen?“

Mias Gesichtsausdruck wurde trotzig. „Ja, natürlich.“

„Warum haben Sie am Anfang des Gesprächs die Frage aufgeworfen, wem man eigentlich noch vertrauen kann?“

„Ich bezog mich dabei auf die Personen, an die wir uns nun wenden, da wir Hilfe benötigen. Die Bewohner von Can Raoul sind eine eingeschworene Gemeinschaft.“

„Klar“, sagte Jacques. „Das sieht die Staatsanwaltschaft genauso. Selbst wenn ihr den Mörder kennen würdet, keiner würde ihn verraten. Das macht eine eingeschworene Gemeinschaft aus. Darum sitzt ihr hier fest. Darum hat man eure Handys und Computer durchleuchtet. Der Untersuchungsrichter will euch weichkochen, so lange, bis einer singt.“

„Und wenn tatsächlich keiner von uns den Mord begangen hat oder auch nur den Täter kennt?“

„Ganz einfach, Fräulein Shortcut, das ist genau die Theorie, mit der Sie sich mental über Wasser halten. Über die andere Möglichkeit denken Sie lieber nicht nach: Dass Sie mit einem Mörder – oder einer Mörderin – unter einem Dach leben. Und dass Sie von Personen umgeben sind, die Sie belügen. Ich sage das, damit Sie aus dem Can-Raoul-Märchen aufwachen und ab jetzt ein wenig die Augen offenhalten.“ Jacques klappte sein Notizheft zu. „Sie haben einen unkonventionellen Ermittler engagiert, weil Sie auf eine originelle Lösung des Falls hoffen. Aber ich fürchte, dass hier nur eine Frage zu klären ist: Wer von den Menschen, die Sie umgeben und denen Sie vertrauen, hat Jonathan getötet und Ihnen quasi vor die Haustür gelegt ... vor die Haustür gelegt“, Jacques stockte und erhob sich. „Den Toten vor die Haustür gelegt. Der Satz hat etwas, finden Sie nicht?“

„Ich kann Ihnen nicht folgen.“

„Der Ort, wo man Jonathan fand – das war nicht einem Unfall oder Zufall geschuldet. Man hat Ihnen den Toten buchstäblich vor die Haustür gelegt. Das kann eine Botschaft sein. An Sie oder jemanden Ihrer Entourage. Dann könnte es ja doch ...“

„Sie haben es geschafft, mich zu verunsichern.“ Mia erhob sich. „Das macht mir Angst, was Sie hier so gedankenlos von sich geben.“

„Keineswegs gedankenlos, im Gegenteil“, widersprach Jacques. „Tut mir leid, Mia, da müssen Sie durch.“

Als Mia gegangen war, betrachtete der Schweizer seine Notizen. Zwei Worte hatte er dick unterstrichen: „Flugzeugwrack“ und „Architekt“.

Die Gespräche mit dem Rest des Personals waren so unergiebig, dass Jacques die Anordnungen des Untersuchungsrichters gut nachvollziehen konnte. Susanna Steuben und Maribel Montaner waren zwei hübsche Frauen (natürlich – alle in Can Raoul sahen aus wie einem Modemagazin entstiegen). Die Ereignisse hatten sie vollkommen verstört. Anstatt ihre Umgebung nun genauer zu beobachten, hatten sie sich in ihre kleine Welt, ihre Aufgabenbereiche, ihre rosarote Seifenblase der Liebe zurückgezogen, in der Hoffnung, dass das Böse nicht an die Tür klopfte, wenn man draußen das Schild „Bitte nicht stören“ aufhängte.

Die beiden Chef-Leibwächter waren naturgemäß aus anderem Holz geschnitzt. Vincent Lennox, ein Ex-Elitesoldat des Special Boat Service der britischen Royal Navy, und Boris Gregorian, ein lettischer Ex-Karatechampion und ehemaliger Blackwater-Söldner, hatten Can Raoul fest im Griff ihrer überwachenden Blicke und Kameras. Dieses schützende Geflecht hatte nur eine Schwachstelle: Mias Wunsch nach Privatsphäre. Sektorweise mussten Kameras ausgeschaltet werden, und weil Mia immer wieder vergaß, ihre Beschützer auf dem Laufenden zu halten, waren weite Teile der Finca oft über längere Zeiträume im sichttoten Raum. Dass die beiden selbst etwas mit den Vorgängen zu tun hatten, wollte Jacques nicht ausschließen, es erschien ihm jedoch unwahrscheinlich. Denn die Frage war: Cui bono – wem nutzte es? Speziell für Vincent Lennox war der Fall ein beruflicher Albtraum und potenzieller Karrierekiller. Auch wenn er gerade in der Nacht auf den 1. Februar nicht in Can Raoul gewesen war und deshalb nicht zum Kreis der Verdächtigen gehörte. Lennox hatte mehrere Tage Urlaub genommen und war in dieser Zeit durch Arcadi Mueller ersetzt worden, einen Franzosen, ehemaliger Offizier der Fremdenlegion. Auch er saß nun in Can Raoul fest und gehörte gemeinsam mit Gregorian zum Kreis der Verdächtigen.

Trotz seiner wohlwollenden Einstellung stieß Jacques auf wenig Sympathie bei den beiden Hauptverdächtigen. Sie ließen spüren, dass sie ihn nicht ernst nahmen, aber daran war er ja gewöhnt. Aus nachvollziehbaren Gründen standen Gregorian und Mueller im Mittelpunkt der Nachforschungen, denn wenn jemand wusste, wie man einen ausgewachsenen, kräftigen Mann lautlos strangulierte, dann sie. Doch die Polizei ging davon aus, dass hinter dem Ausführenden ein Anstifter stecken musste, und damit kamen Mia Shortcut und Anaïs Bonnay ins Visier.

Als Jacques sein Tagwerk abschloss, hatte sich Alcásser bereits aus dem Staub gemacht. Die schöne Französin bat Marcos Mercadal, den Gärtner, Jacques nach Hause zu bringen.

Marcos hatte am Tag des Leichenfunds Urlaub gehabt. Sie führten ein ausgiebiges Gespräch über Dünger.

Ibiza-Jacques und der Tote im Kräutergarten

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