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4. Dezember: Am Laternenpfahl (J&E)

Mir ist kalt. Schon seit einiger Zeit spüre ich meine Pfoten kaum noch. Ich habe sie abgeleckt, aber trotzdem haben sie nur leicht gekribbelt. Es wäre besser, wenn ich weiterhin stehen würde, doch ich habe keine Kraft mehr. Deshalb liege ich jetzt hier.

Ein Napf mit Futter steht neben mir. Doch wie könnte ich jetzt essen? Mein Brustkorb fühlt sich eng an, und mein Herz tut weh. An der Stelle, an der mein Halsband ist, brennt es. Ich habe versucht, mich loszureißen, aber das Halsband sitzt zu fest und die Leine ist neu. Und doch habe ich es immer und immer wieder versucht. Ich muss ihnen doch folgen. Es ist doch meine Familie.

Meine Decke riecht noch nach Madita. Ich konnte mich von ihr nicht verabschieden. Sie hat gleichmäßig geatmet, als wir angehalten haben und man mich aus dem Auto gehoben hat. Ich dachte, dass ich mich noch einmal erleichtern soll. Es war schließlich ein besonderer Tag. Die ganze Zeit über haben sie zu Hause Dinge hin- und hergetragen und in Koffer gepackt, Madita hat ihre Spielsachen genommen, und für mich hat sie die Decke bereitgelegt. Aber ich konnte mich nicht hinlegen. Ich hatte Angst, etwas zu verpassen. Immer wieder saß ich im Weg, bekam Tritte ab und wurde angemeckert. Trotzdem bin ich nicht von meinem Platz im Flur verschwunden. Es lag etwas Besonderes in der Luft …

Doch nach meinem kurzen Spaziergang hier sind wir nicht zum Auto zurückgegangen. Ich schnupperte noch an einem Laternenpfahl, als plötzlich meine Decke neben mir lag und Herrchen zwei Näpfe hinstellte. Er strich mir noch einmal kurz über den Kopf. Dann war ich allein und musste mit ansehen, wie das Auto losfuhr. Ohne mich. Meine Familie war weg.

Madita, du fehlst mir. Du hast mich zum Geburtstag bekommen. Ich sei dein schönstes Geschenk, hast du gesagt. Doch schon nach kurzer Zeit war ich nicht mehr so interessant, und du hast mich kaum noch beachtet. Trotzdem habe ich dich lieb und freue mich, wenn du aus der Schule kommst. Ich erkenne deine Schritte aus allen anderen im Treppenhaus heraus. Wenn sich die Aufzugtüren öffnen, springst du immer mit einem kleinen Hüpfer in den Flur und brauchst dann sieben Schritte bis zu unserer Wohnung. Bis dahin habe ich mich längst geschüttelt und schnaube unter der Tür durch.

Dann warst du mit einem Mal zu Hause und bist nicht mehr morgens zur Schule aufgebrochen. Überall waren Heimlichkeiten. Es lagen Dinge herum, die sonst nicht dort liegen. Und dann habt ihr plötzlich einen Baum ins Wohnzimmer getragen. Am nächsten Tag habt ihr alle zusammen davorgesessen und Geschenke ausgepackt. Mich hast du nur ein Mal kurz gestreichelt. Ansonsten hast du mich nicht beachtet. Anderes war viel interessanter.

Ich habe die Sätze gehört, aber ich habe sie nicht verstanden. „Was machen wir mit Theo? Onkel Dieter will ihn nicht, und Tante Bettina ist selber weg. Mitbringen dürfen wir ihn auch nicht.“ Was sollte das bedeuten?

Die Autos sausen in der Ferne vorbei. Es ist keine große Masse mehr. Inzwischen kann man sie einzeln hören. Dort hinten fahren sie langsamer und halten auch bei dem hell erleuchteten Haus an. Doch wenn sie später an mir vorbeifahren, sind sie fast schon wieder so schnell wie dort in der Ferne. Kein Auto bremst bei mir. Und nie ist das Motorengeräusch dabei, auf das ich warte.

Da wird ein Auto langsamer. Ist das vielleicht …? Nein, doch nicht. Es fehlt etwas. So ein Stottern … Trotzdem bleibt das Auto stehen. Die Lampen leuchten zu mir herüber. Ich muss die Augen schließen.

Eine Autotür wird geöffnet, jemand steigt aus und nähert sich mit leichten, schnellen Schritten. Es scheint eine Frau zu sein. Sie riecht fürsorglich, aber auch traurig und erschrocken. Ihre Stimme klingt nett, warm, freundlich. Sie spricht mit mir. Ich blinzele. Würde es sich lohnen, die Augen zu öffnen?

Geschichten aus dem Koffer

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