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Erwachen im Leiteralltag

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Auch als Leiter fand ich mich an diesem Punkt wieder. 1999 wurde ich im Alter von 34 Jahren leitender Pastor einer Kirche in Aarau. Ich war hoch motiviert und steckte voller Ideen, wie ich diese Arbeit gestalten wollte. Schon im Vorfeld legte ich mir vieles zurecht: worauf ich im Umgang mit den anderen Verantwortlichen Wert legen und welche inhaltlichen Akzente ich setzen würde. Es stellte sich heraus, dass Gott mich in eine tolle Gemeinde geführt hatte. In der Leitung waren wir uns in wesentlichen Fragen einig. Es gab viele tolle Mitarbeitende, liebenswürdige Gemeindeglieder. Gemeinsam etablierten wir eine Kultur des Miteinanders, der Wertschätzung und der gegenseitigen Ergänzung. Ich konnte mich mit meinen Stärken einbringen. Wo sie fehlten, glichen andere das aus. In dieser Tätigkeit fand ein lange gehegter Traum seine Erfüllung.

Nach vier Jahren allerdings kam bei mir Katerstimmung auf. Ich fand mich zunehmend in herausfordernden Situationen wieder. Es gab Widerstände gegen den Kurs der Gemeindeleitung und Konflikte zwischen einzelnen Gemeindegliedern. Ich machte Fehler: überforderte Menschen, wählte falsche Worte oder Vorgehensweisen. Während mancher Wochen hatte ich das Gefühl, kaum etwas von dem tun zu können, was ich mir vorgenommen hatte. Nun war Realität geworden, was Jahre zuvor ein Referent in einer Weiterbildung zu uns Leitenden gesagt hatte: „Eine Führungskraft sein bedeutet, in 70 Prozent der Zeit auf Situationen reagieren zu müssen, die man sich nicht ausgesucht hat.“ Damals fand ich das schlicht übertrieben. Jetzt nicht mehr.

Es meldeten sich erste Zweifel. Wollte diese Gemeinde wirklich, dass ich sie führte? War sie willig, sich auf die Veränderungen einzulassen, die wir als Leitung für nötig hielten, damit Menschen zum Glauben an Christus finden und wir unseren Auftrag in der Welt glaubwürdig umsetzen konnten? War ich die richtige Person für diese Führungsaufgabe? Ich erinnere mich an Sonntage, an denen ich am Morgen im Bett lag und zu Gott sagte: „Kannst du nicht einen anderen schicken? Weshalb soll ausgerechnet ich heute predigen? Mir fehlt die Kraft!“ An anderen Tagen lag ich bis lange nach Mitternacht wach, aufgewühlt durch ein Missverständnis oder eine anstrengende Sitzung.

Damals erlebte ich am eigenen Leib, wie anders ein Leiterleben aussieht, wenn man sich nach anfänglicher Begeisterung plötzlich inmitten von kräfteraubenden Herausforderungen wiederfindet. In solchen Momenten konnte ich den Auswanderer nach Amerika besonders gut verstehen, der nach Hause schrieb: „Alles ist ganz anders hier!“ So ging es mir auch! Ich hatte mir diese Sache mit dem Leitersein anders vorgestellt. Dachte, es sei einfacher. Dass ich Kritik leichter wegstecken würde. Ahnte nicht, dass der Weg zu einer Gemeinde, die ihre Mission lebt, mit so vielen Hindernissen und Stolpersteinen übersät war.

Von der Kunst, sich selbst zu führen

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