Читать книгу Von der Kunst, sich selbst zu führen - Thomas Hamblin Harry - Страница 12
Schlüsselmomente
ОглавлениеVater werden, Menschen führen – das sind nur zwei Beispiele einer Erfahrung, wie sie immer wieder vorkommt: Das Leben mutet uns gewisse Umstände zu, fordert uns heraus, wirft unsere Vorstellungen und Erwartungen ungefragt über den Haufen. Ich bin mir sicher, dass Sie das kennen.
Vielleicht sind Sie an einen neuen Ort gezogen und stellen fest, wie anders die Menschen und Lebensbedingungen dort sind. Manches ist schöner, einfacher als gedacht, anderes unerwartet schwierig. Und schon geht es Ihnen wie unserem Auswanderer: „Alles ist ganz anders hier!“
Sie merken nach ein paar Jahren Ehe, dass Sie völlig andere Vorstellungen vom Leben zu zweit hatten. Sie meinten, Ihre Partnerin oder Ihren Partner durch und durch zu kennen. Und nun lernen Sie ganz neue Seiten an ihr oder ihm kennen – nicht nur angenehme, wünschenswerte. „Alles ist ganz anders hier!“
Sie erleben, wie ein ermutigendes Nachbarschaftsverhältnis oder eine gute Freundschaft auf einmal schwierig wird. Es entstehen Missverständnisse. Das Verhalten des anderen irritiert und verletzt Sie. Lieblose Worte sind gefallen, und Sie fragen sich auf einmal, was aus dem guten Miteinander geworden ist. „Alles ist ganz anders hier!“
Sie haben als Christ Gottes Nähe auf beglückende Weise erfahren. Er hat Ihre Gebete erhört, hat sich Ihnen gezeigt, zu Ihnen gesprochen. Nun auf einmal lässt er Umstände und Schwierigkeiten zu, die Sie irritieren. Sie beten, vertrauen und rechnen mit Wundern – doch es geschieht nichts. Gott hüllt sich in Schweigen. Scheint weit weg zu sein. Ist das derselbe Gott, dem Sie einmal von Herzen vertrauten? „Alles ist ganz anders hier!“
Sie haben eine neue Arbeitsstelle angetreten und stellen auf einmal fest, dass sie Aufgaben, Verantwortungen und Belastungen mit sich bringt, an die Sie im Vorfeld nicht dachten. Manches ist besser als früher; anderes schwieriger. Sie ahnten nicht, wie schnell Sie an Ihre Grenzen stoßen und wie viel Kraft Sie dieser Job kosten würde. „Alles ist ganz anders hier!“
Sie sind Ihrer Kirchengemeinde vor einiger Zeit mit Überzeugung beigetreten. Sie waren beeindruckt von der freundlichen, wohlwollenden Atmosphäre, von den gehaltvollen Predigten und der theologisch stimmigen Ausrichtung. Nun auf einmal sehen Sie, was hinter den Kulissen läuft. Mitarbeiter brennen aus. Schwelende Konflikte. Frommer Klatsch. Sie reiben sich die Augen und sagen sich verwundert: „Alles ist ganz anders hier!“
„Alles ist ganz anders hier“ beschreibt jene Erfahrung, die sich bei uns einstellt, wenn die Realität unseren Vorstellungen und Erwartungen zuwiderläuft und uns verunsichert zurücklässt. Sind Lebensumstände herausfordernder als vermutet, stehen wir vor einem Schlüsselmoment. Gott selbst mutet uns diese Situation zu. Er stellt uns vor eine Weggabelung, an der wir innehalten müssen. Selten ist es richtig, sich an diesem Punkt leise rückwärts zur Tür zu bewegen, durch die man eingetreten ist, und die Flucht zu ergreifen. In der Regel wäre dies eine unreife Reaktion. Vielmehr geht es darum, sich sorgfältig Möglichkeiten zu erschließen, wie man mit Gottes Hilfe seinen Weg weitergehen kann. Einen Weg, auf dem die Zuversicht zunimmt, nicht die Verunsicherung. Auf dem die Hoffnung auf Gutes wächst, statt die Furcht vor der Überforderung. Auf dem man erfährt, dass das Fremde einen nicht überwältigt, weil man es zusammen mit Gott bewältigen kann, der sich inmitten dieser Umstände und durch sie hindurch finden lässt.