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Am übernächsten Tag konnte man in den Lokalteilen der meisten Tageszeitungen nachlesen, was an jenem Abend in der Grillostraße geschehen war: Bisher unbekannte Täter hatten am Abend des 8.Mai 1990 einen Brandsatz in die Wohnung eines türkischen Gastarbeiters in der Grillostraße in Schalke geworfen. Die Wohnung war völlig ausgebrannt, das Haus hatte vorübergehend evakuiert werden müssen, und erst nach über einer Stunde hatte die Feuerwehr den Brand unter Kontrolle bringen können.

Für derartige Meldungen stellten die Zeitungen in aller Regel keine eigenen Recherchen an, sondern brachten - sprachlich leicht variiert - das, was dem offiziellen Polizeibericht ohnehin zu entnehmen war.

Niemand widersprach der Darstellung des Geschehens in der Zeitung.

Die meisten Leser empfanden es ohnehin fast als Zumutung, wenn neben den interessanten Artikeln über Kaninchen- und Taubenzüchter, Bürgermeister und Stadtdirektoren, lokale Karnevalsprinzen und Schützenkönige auch noch berichtet wurde, dass da irgendeinem Türken ein Molotow-Cocktail in die Bude geworfen worden war.

Andere hielten den Mund, weil sie kein Interesse an der Wahrheit und außerdem noch die Macht hatten, die Wahrheit nicht an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen.

Die wirklich Betroffenen hatten einfach Angst.

Dabei war der Aufwand zur Klärung des Geschehens an jenem Abend ganz unglaublich gewesen. Die Feuerwehr hatte das Haus innerhalb weniger Minuten völlig unbewohnbar gemacht, die Polizei hatte in kürzester Zeit die Umgebung weiträumig abgesperrt, einige verdächtige Ausländer vorläufig festgenommen und sich überhaupt alle Mühe gegeben, jedem zu zeigen, dass - entgegen einer landläufigen Meinung - auch ausländische Mitbürger beschützt werden.

Natürlich waren es Flugblätter linker Splittergruppen, auf denen in den nächsten Tagen behauptet wurde, dass sogar der Staatsanwalt der politischen Abteilung höchstpersönlich nach 23 Uhr in einem dicken Mercedes noch vorgefahren sei.

Der Anschlag hatte einem 19jährigen Mann gegolten, der zwar einen türkischen Pass besaß, selbst aber den größten Wert darauf legte, zu betonen, dass er kein Türke, sondern Kurde sei. Der junge Mann lebte seit rund drei Jahren in der Bundesrepublik, weil er in einem Land leben wollte, in dem er endlich sagen durfte, dass er Kurde war.

Er hatte überhaupt nur nach Deutschland kommen können, weil eine befreundete Familie den damals angeblich 15jährigen als den eigenen Sohn bezeichnet und aufgenommen hatte. Das türkische Konsulat hatte mitgespielt; nach eingehender Prüfung war Mehmet ein Sohn der Familie Yilmaz aus einem klitzekleinen Dorf irgendwo in Anatolien.

Das türkische Konsulat in Düsseldorf spielte eigentlich immer mit. Meistens ging es allerdings darum, das Alter türkischer Mädchen heraufzusetzen, damit diese nicht mehr der deutschen Schulpflicht unterlagen, sondern der Mutter endlich im Haushalt und bei der Versorgung der jüngeren Geschwister behilflich sein konnten. Man entsprach damit schließlich auch nur einer Entwicklung, die sich im Heimatland ebenfalls seit einigen Jahren immer mehr durchsetzte: Jeder kannte Mohammed. Wer war schon Kemal Atatürk?

Seit Mitte 1988 lebte Mehmet bei der befreundeten Familie und hatte mittlerweile einen Job als Hilfsarbeiter in einem Stahlwerk gefunden.

Der junge Mann war in keiner Partei, nicht in der Gewerkschaft, und er wusste nicht einmal genau, was das Wort Betriebsrat eigentlich bedeutete; und doch galt er sehr schnell als politischer Störenfried mit abstrusen Ideen, der das Arbeitsklima im Betrieb erheblich verschlechterte, da sich vor allem seine angeblichen Landsleute sehr schnell weigerten, mit ihm überhaupt noch zusammenzuarbeiten.

Dabei erzählte Mehmet gelegentlich nur die Geschichte seiner wirklichen Familie. Vom Vater, der irgendwann verhaftet worden war und seitdem aus unerfindlichen Gründen in irgendeinem Gefängnis saß; von der Mutter, die mit den acht Kindern in die nächste Stadt gezogen war, wo man schon mit einem Bein im Gefängnis stand, wenn man nur die eigene Sprache sprach. Aber niemand - weder deutsche noch türkische Kollegen - wollte derart traurige Geschichten hören. Es gab allerdings genügend Leute, deren einzige Aufgabe offensichtlich darin bestand, das Erzählen derartiger Geschichten zu verhindern.

Zweimal war der junge Mann in den letzten Wochen bei der Polizei gewesen und hatte ausgesagt, massiv bedroht worden zu sein für den Fall, dass er noch einmal den Mund aufmachte. Er hatte auch einen Namen genannt: die Männer, die ihn unter Druck setzten, gehörten den Grauen Wölfen an, einer türkischen Faschistenorganisation, die immer unverschämter dazu überging, solche Landsleute in der Bundesrepublik völlig ungehindert zu drangsalieren, deren politische Auffassungen ihr nicht passten. Politisches Engagement galt überhaupt als großer Fehler; Kurde zu sein war anscheinend Hochverrat.

Obschon er beide Male deutlich zum Ausdruck gebracht hatte, dass er Angst habe, hatte die Polizei den jungen Mann schnell abgewimmelt. Es liege schließlich keine Straftat vor, und somit könne man auch nichts für ihn tun. Was die Beamten nicht sagten, war, dass es ihnen ohnehin völlig wurst war, wenn sich da irgendwelche Ausländer gegenseitig die Schädel einschlugen.

Und Graue Wölfe? Was war das denn? Waren das nicht diese ausgeflippten Alten, die jetzt auch noch eine politische Partei gegründet hatten, weil sie weichere Betten und eine Stunde länger Fernsehen im Altenheim durchsetzen wollten?

Der Staatsanwaltschaft war dieser Name natürlich durchaus geläufig; es war schließlich nicht umsonst ein dunkelgrauer Mercedes am Abend des 8.Mai in die Provinz nach Gelsenkirchen geschickt worden.

Und natürlich wusste man dort auch, dass der junge Mehmet Yilmaz mit seiner Einschätzung völlig recht hatte. Er hätte auch getrost behaupten können, dass sogar der türkische Geheimdienst völlig ungeniert in der Bundesrepublik operierte, um die eigenen Landsleute zu überwachen und nötigenfalls zu schikanieren. Auch damit hätte er recht gehabt. Nur konnte man so etwas eben nicht zugeben und schon gar nicht an die Öffentlichkeit bringen. Die Türkei war schließlich ein befreundeter Staat, war ebenfalls in der Nato und somit jederzeit bereit, die Werte der westlichen Welt zu verteidigen und zu diesem Zweck eine Unmenge Waffen auch in der Bundesrepublik zu kaufen.

Man musste also zunächst einmal alles ganz genau überprüfen, nichts durfte überstürzt werden.

Das erste Ergebnis dieser Überprüfung war dann auch gleich sehr befriedigend. Der junge Mann war ja eigentlich illegal in die Bundesrepublik gekommen, er war gar nicht der Sohn der Familie, bei der er seit drei Jahren wohnte. Letzte Zweifel über diesen Punkt waren durch eine kurze Kontaktaufnahme mit dem türkischen Konsulat schnell ausgeräumt.

Und damit war dieser Fall für die Staatsanwaltschaft schneller erledigt, als man es hatte erhoffen dürfen.

Für seine Freunde war damit der junge Mann erledigt.

Es gab nun mehrere Varianten, wie die Bürokratie zum Endsieg ausholen konnte, aber wahrscheinlich würde man kurzen Prozess machen: Er würde die Aufforderung erhalten, die Bundesrepublik umgehend zu verlassen, und selbst wenn er um politisches Asyl bitten sollte, dann würde ein solches Vorgehen das Ende nur herauszögern. Aus bekannten Gründen konnte man als türkischer Staatsbürger in der Bundesrepublik wohl kaum als politisch Verfolgter angesehen werden.

Das Ende sah in der Phantasie des jungen Mannes immer gleich aus: Er würde in ein Flugzeug Richtung Türkei gesetzt, und nach der Landung in Ankara, Istanbul oder Izmir würden sie spätestens unten an der Gangway schon auf ihn warten. Er würde nicht mehr auftauchen. Wenn er Glück hatte, vielleicht noch als Name auf einem Flugblatt von Amnesty International.

Es sei denn, er würde sich wehren.

Aber dafür war Mehmet Yilmaz gar kein Typ.

Er war ein überaus liebenswerter Mensch, der nur einen Fehler hatte: er erzählte Geschichten, ohne sich vorher zu überlegen, ob andere diese Geschichten hören wollten oder nicht.

Er war überhaupt viel zu naiv.

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