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3. Kapitel: Gedankenfolge

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Unter Gedankenfolge verstehe ich den Übergang von einem Gedanken zum andern, welcher aber nicht durch Worte, wie bei der Rede, sondern innerlich geschieht.

Wenn jemand etwas denkt, so hängt der nächstfolgende Gedanke nicht so von einem ungewissen Zufall ab, wie es scheinen möchte, obgleich auch nicht jeder Gedanke einen anderen immer zur notwendigen Folge hat. Wie jede Vorstellung entweder ganz oder ihren Teilen nach zuvor von uns empfunden gewesen sein muß, so kann auch kein Übergang von einem Gedanken zu einem anderen stattfinden, der nicht zuvor in unserer Empfindung dagewesen wäre. Der Grund davon ist folgender: alle Vorstellungen sind innere Bewegungen, gleichsam das, was von den Bewegungen bei der Empfindung zurückblieb. Die bei der Empfindung genau verbunden gewesenen Vorstellungen aber bleiben auch nach der Empfindung in dieser Verbindung. Sooft also der erste Gedanke wiederkehrt und der herrschende wird, so folgt jedesmal wegen des Zusammenhangs der bewegten Materie der spätere nach, wie auf einer glatten Fläche das Wasser dem Finger folgt, wohin dieser es leitet. Weil wir aber bei ein und demselben Gedanken bald dies, bald jenes andere gedacht haben, so wird es zuletzt ungewiß, welche Vorstellung jetzt jenen ersten Gedanken begleiten werde. Gewiß bleibt, daß ihm von den Vorstellungen eine folgen wird, welche mit ihm vorher verbunden gewesen.

Es gibt eine zweifache Gedankenfolge. Die eine ist ungebunden und frei, hat keinen Zweck und ist folglich schwankend, weil dabei nichts die Gedanken leitet und zu einem bestimmten Ziel führt, so daß sie zu schwärmen und in keinem Zusammenhang zu stehen scheinen, wie in einem Traum. Dies ist der Fall bei denen, welche nicht bloß sich allein befinden, sondern auch frei von allen Sorgen sind, wiewohl auch dann die Gedanken nicht ganz aufhören: aber ohne Harmonie, wie wenn ein Saitenspiel von einem Laien in dieser Kunst berührt wird. Bei diesen umherschweifenden Gedanken wird aber doch eine Regel zugrunde liegen, nach welcher der eine Gedanke aus dem anderen entsteht. Was schien wohl bei einem Gespräch über unseren Bürgerkrieg unschicklicher, als die Frage — und die wurde wirklich aufgeworfen — „was galt ein Silberling bei den Römern?“ Mir leuchtet der Zusammenhang zur Genüge ein. Der Gedanke an den Krieg erzeugte den Gedanken an den von seinen Untertanen dem Feind überlieferten König; dieser Gedanke erzeugte den, daß Christus den Juden verraten wurde, und dieser wieder den Gedanken an die dreißig Silberlinge, den Lohn dieser Verräterei, wodurch denn gar leicht obige Frage veranlaßt wurde. Wegen der geschwinden Folge der Gedanken geschah dies aber sozusagen in einem Augenblick.

Die zweite Art hat einen gewisseren Gang und wird durch einen bestimmten Zweck regelmäßig . Denn der Eindruck von dem, was wir wünschen oder fürchten, ist lebhaft und ausdauernd, wird er auch unterbrochen, so kehrt er schnell wieder und ist oft imstande, den Schlaf nicht bloß zu erschweren, sondern ganz zu verhindern. Der Wunsch macht, daß wir an das Mittel denken, den gewünschten Zweck zu erreichen, und zwar auf ein solches, von dem uns die Erfahrung einen ähnlichen Erfolg gelehrt hat. Der Gedanke an dieses Mittel erzeugt den an ein Mittel, welches jenem untergeordnet ist, und so immer fort, bis wir auf etwas kommen, welches in unserer Gewalt steht. Weil aber der Zweck wegen des gemachten tiefen Eindrucks sich uns oft und leicht vergegenwärtigt, so werden unsere Gedanken, sollten sie auch anfangen auszuschweifen, ohne Mühe ins Gleis zurückgebracht werden. Diese Bemerkung war es, weshalb einer von den berühmten sieben Weltweisen die noch jetzt so bekannte Lehre gab: „Bedenke das Ende!“, womit er sagen will: daß man bei allen Handlungen wiederholt auf den Zweck zurücksehen müsse als auf das, wodurch alle Gedanken auf dem zweckmäßigen Weg erhalten werden.

Die regelmäßige Gedankenfolge ist auch von zweifacher Art. Die eine, wenn man die Ursachen und Mittel, wodurch eine bemerkte Wirkung hervorgebracht worden sein mag, aufsucht; und diese Art haben die Menschen mit den Tieren gemein. Die andere: wenn man allen Wirkungen nachforscht, welche eine Sache haben kann, d.h. sich um den Nutzen derselben bekümmert. Von dieser Denkart habe ich nur bei den Menschen eine Spur gefunden; denn diese Art von Wißbegierde kann beim Tier, welches nur sinnliche Triebe, z.B. Hunger, Durst, Geschlechtstrieb und Zorn hat, nicht gut stattfinden. Wenn endlich unsere Gedankenreihe von einem bestimmten Zweck ausgeht so ist sie Forschungs- und Erfindungskraft, Schlauheit oder Scharfsinn, und man spürt dabei, wie auf einer Jagd, einer gegenwärtigen oder ehemaligen Wirkung nach. Wie spürt man aber dem, was man verloren hat, nach? Von dem Ort und der Zeit, wo man es verloren zu haben glaubt, geht man in Gedanken alle Orte und Zeiten durch, um ausfindig zu machen, wann und wo man es zuletzt hatte, d.h. um den Ort und die Zeit gewiß zu erfahren, wo die Nachforschung ihren Anfang nehmen muß. Dann denken wir die Zeiten und Orte wohl noch einmal durch, um die Handlung oder Veranlassung aufzufinden, die den Verlust des Gesuchten nach sich gezogen haben könnte. Dies ist das Erinnerungsvermögen .

Zuweilen hat man auch nur an einem bestimmten Ort nachzusuchen. Dann gehen wir aber in Gedanken alle Teile des bestimmten Orts durch, ungefähr wie wenn jemand ein Zimmer auskehrt, um ein verlorenes Kleinod wiederzufinden; oder wie ein Jagdhund das Feld durchläuft, bis er einem Wild auf die Spur kommt; oder wie einer das ganze Alphabet durchgeht, um einen Reim zu finden.

Wie erforscht man gewöhnlich den noch zukünftigen Erfolg einer Unternehmung? Man denkt sich eine vergangene gleiche Handlung mit ihren Folgen — eine nach der anderen — in der Annahme, daß Handlungen einerlei Art insgemein einerlei Ausgang haben. Wer z.B. das Schicksal irgend eines Hauptverbrechens wissen will, erinnert sich, wie es bei einem ähnlichen Verbrechen sonst wohl erging, und da stellen sich ihm dar: das Verbrechen, der Gerichtsdiener, das Gefängnis, der Richter, der Galgen. Diese Gedankenfolge heißt Vorhersehungsvermögen , auch Klugheit und Vorsicht, ja zuweilen Weisheit , wiewohl es nur Vermutung und sehr trüglich ist, weil nur gar zu leicht dieser oder jener Nebenumstand dabei unserer Aufmerksamkeit entgehen kann. Das ist aber ausgemacht, daß derjenige der Klügste ist, der die ausgebreitetste Erfahrung hat, weil er sich nur selten in seiner Erwartung irren wird. Bloß das Gegenwärtige ist in der Welt vorhanden, so wie das Vergangene im Gedächtnis; das Zukünftige hingegen hat gar kein Dasein, und ist nur ein Geschöpf des Geistes, welcher die Folgen einer vergangenen Handlung auf eine gegenwärtige anwendet. Die häufigste Erfahrung gibt hier die größte, wiewohl nicht ganz zuverlässige Gewißheit. Man nennt es zwar Klugheit , wenn der wirkliche Erfolg der davon gehegten Erwartung entspricht; im Grunde genommen ist es aber doch nur Vermutung. Der Blick in die Zukunft oder die Vorhersehung ist allein die Sache desjenigen, der alles veranstaltet hat, und von ihm kann auch dies Vermögen auf eine übernatürliche Weise anderen mitgeteilt werden. Übrigens ist der der beste Prophet, welcher am richtigsten mutmaßt, und dies wird der zu tun imstande sein, der mit der Art von Dingen ganz bekannt ist, worüber er Vermutungen äußert; denn seine Mutmaßungen werden von den meisten Zeichen unterstützt.

Der nachherige Erfolg dient als Zeichen zur Erklärung eines ehemaligen Erfolges, (der vielleicht dunkel geblieben war) und so umgekehrt, der vorhergehende dem nachfolgenden, wenn ähnliche Ereignisse vormals bemerkt worden sind; und je öfter dies geschehen war, desto zuverlässiger ist das Zeichen. Wer daher in jeder Art von Geschäften die größte Erfahrung hat, hat auch die meisten Zeichen, die ihn auf die Zukunft schließen lassen, und ist folglich sehr klug, ja um so klüger als der Unerfahrene, der sich auch daran wagt, und auch bei den glücklichsten Anlagen des Verstandes jenen bei weitem nicht erreichen kann, wiewohl sich hiervon mancher junge Mann schwerlich überzeugen wird.

Klugheit macht indessen nicht die Grenzlinie zwischen dem Menschen und dem Tier aus; denn es gibt mehrere Tiere, die schon in ihrem ersten Jahr das, was ihnen nützlich sein kann, bemerken und richtiger anwenden als mancher zehnjährige Knabe.

Wie die Klugheit in einer Vermutung über das Zukünftige besteht, welche sich auf die Erfahrung der vergangenen Zeiten gründet, so gibt es auch eine Vermutung über das Vergangene, welche von anderen ebenfalls vergangenen und nicht gerade zukünftigen Dingen hergenommen ist. Wer z.B. weiß, wodurch ein Staat allmählich in einen Bürgerkrieg verwickelt wurde und wie unglücklich er dadurch ward, der wird, wenn er den Verfall irgend eines anderen Staats bemerkt, den Schluß ziehen: es müsse darin ein ähnlicher Verfall der Sitten und ein ähnlicher Krieg vorangegangen sein. Jedoch hat diese Art zu schließen eben die Ungewißheit, über die Zukunft zu urteilen.

Meines Wissens hat der Mensch zum Gebrauch aller seiner natürlichen Anlagen etwas außer sich nötig; nur zu dem nicht, daß er geboren werde und sich seiner fünf Sinne bediene. Die Fähigkeiten, die dem Menschen ausschließlich zuzukommen scheinen und wovon nachher gehandelt werden wird, müssen erworben und durch anhaltenden Fleiß vervollkommnet werden. Den Anfang dazu machen Unterricht und Erziehung und die unter den Menschen erfundene Sprache bildet sie aus. Also finden sich bei dem Menschen nur Empfindung, Vorstellung und Gedankenfolge, obgleich diese Naturgeschenke durch Sprache und Ordnung so weit vervollkommnet werden können, daß durch sie der Mensch von allen übrigen Tieren unterschieden ist.

Was wir uns vorstellen, ist endlich . Von dem, was wir unendlich nennen, können also keine Vorstellung und kein Gedanke ausgehen. Der menschliche Geist ist zu schwach, um sich von einer unendlichen Größe, oder Geschwindigkeit, oder Kraft, oder Dauer oder Macht eine Vorstellung zu machen. Wenn wir etwas unendlich nennen, so geben wir dadurch zu verstehen: daß wir den Umfang und die Grenzen desselben nicht fassen können, welches also ein Bekenntnis unserer Schwäche ist. Deshalb ist Gottes Name nicht dazu unter uns, daß wir ihn durchschauen (denn er ist unbegreiflich und seine Größe und Macht ist über alle Begriff erhaben), sondern: daß wir ihn ehren sollen. Und weil, wie schon erwähnt, alle unsere Vorstellungen sich auf ehemalige Empfindung gründen, so kann der Mensch keine Vorstellung von dem haben, was überall kein Gegenstand der Sinne ist. Es kann also der Mensch sich nur von dem einen Begriff machen, was einen Ort einnimmt, eine bestimmte Größe hat und geteilt werden kann; nicht aber von dem, was zu ein und derselben Zeit ganz an dem einen Ort sowohl, als an dem anderen sich befinden, oder was als zwei oder mehrere Dinge zugleich an einerlei Ort sein könne. Dergleichen hat noch keiner empfunden, noch empfinden können, sondern es sind Sätze, welche eigentlich nichts sagen, und aus Achtung gegen einige irregeführte Philosophen oder trügende Scholastiker angenommen worden sind.

Leviathan | Deutsche Übersetzung der Original-Ausgabe von 1651

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