Читать книгу Ein Leben dauert - Thomas Häring - Страница 5

3.Spielminute

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Der bittere Kelch ist tatsächlich an mir vorbei geflitzt, denn ich wurde vom Glauben verschont, was bedeutet, daß ich weder getauft noch beschnitten worden bin. Was für ein Glück! Man hat mich also nicht zu einem jüdischen Moslem gemacht, da wäre von meiner Vorhaut wohl überhaupt nichts mehr übrig geblieben. War das jetzt antisemislamistisch? Na hoffentlich, wenigstens sind meine Eltern eingefleischte Atheisten und von Moral haben sie keinen blassen Schimmer. Religion, wer braucht die schon? Oder soll mich etwa der Buddhismus retten, mit seinem Kreislauf der Wiedergeburten? Nein danke, mir hat die eine Geburt vor über zwei Jahren völlig gereicht, da möchte ich an eine Wiedergeburt nicht einmal im Alptraum denken. Ich jedenfalls werde immer aktiver und stelle meine Umwelt des Öfteren vor Herausforderungen. Manchmal beschimpfe ich meine Verwandten ohne Grund, ein andermal jage ich unsere Haustiere durch die Wohnung und wenn mir nichts Besseres einfällt, dann schalte ich den Fernseher ein und lande jedes Mal zielsicher beim Pornokanal, was meinem Vater immer äußerst peinlich ist, weil er da sogleich böse Blicke von meiner Mama erntet. Immer öfter greife ich an, aber hin und wieder schieße ich auch ein Eigentor, wenn ich zum Beispiel in die Hose scheiße, obwohl ich schon keine Windel mehr trage. Na ja, früh übt sich und eines Tages werde ich auch vor dem bösen Klomann keine Angst mehr haben, der mir finster dreinblickend mit seiner verschmutzten Bürste droht. Das Problem an ihm ist, daß ich ihn mir leider nicht einbilde, da er tatsächlich bei uns das Klo säubert und selbst mein angeblicher Vater hat sich schon über den grimmigen Alten beschwert, aber seine Frau meinte nur, ihr Onkel brauche halt auch eine Aufgabe, die ihn erfülle. Also gut, ich gebe es zu, ich habe bereits Freunde gefunden und mit denen hecke ich schlimme Streiche aus, die dazu führten, daß schon zweimal die Polizei bei uns war. In die dicke Polizistin habe ich mich sofort verliebt, doch als ich sie zärtlich "Pumuckl" nannte, da flippte sie völlig aus und zerrte mich sofort vor das nächste Gericht. Na ja, jetzt bin ich mit meinen zwei Jahren schon vorbestraft, so schnell kann es also gehen im Leben, aber es gibt wahrlich Schlimmeres, zum Beispiel Krähenfüße auf den Hühneraugen. Der beste Freund der Familie unternimmt mit mir immer Spritztouren und trichtert mir dann Sätze ein, die ich meiner Mama von ihm ausrichten soll. Lauter schweinisches Zeug, aber ich mache das gerne, denn ich hoffe nach wie vor, daß sich eines Tages herausstellt, daß er mein echter Papa ist, weil ich mich mit ihm einfach viel besser verstehe, als mit dem faulen alten Sack, der da ständig in unserer Bude herumlungert, wenn er nicht gerade Fotos schießt, mit denen er angeblich eine Menge Geld verdient. Ich möchte gar nicht wissen, wen und was er da fotografiert, wahrscheinlich sich selbst jeden Tag, um den erschreckenden Verfall der Menschheit im dritten Jahrtausend exemplarisch zu dokumentieren. Ach ja, ich gehe übrigens auch schon in den Kindergarten und dort bin ich einer der besten Fußballer, denn ich trete nicht nur gegen den Ball, sondern gegen alles was sich bewegt, weshalb alle Angst vor mir haben und zur Seite laufen, damit ich ihnen nicht weh tun kann. Das bedeutet natürlich auch, daß ich ein Tor nach dem anderen schieße, aber so ist das nun mal im Leben: Man bekommt was man verdient. Oh, da muß meine Mama aber ziemlich böse gewesen sein, sonst hätte sie garantiert jemand Besseren als meinen vermeintlichen Papa abgekriegt. Ausrufezeichen!

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