Читать книгу Ein Leben dauert - Thomas Häring - Страница 8

6.Spielminute

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Alle reden von der Gleichberechtigung, die Frauenquote ist ebenfalls auf dem Vormarsch, aber für uns Zwerge interessieren sich mal wieder nur die Pädophilen. Dabei gibt es nicht nur Frauen, sondern auch jede Menge Babys, die unter einer postnatalen Depression leiden. Ich zum Beispiel habe das Trauma meiner Geburt bis heute nicht überwunden und erst recht nicht aufgearbeitet. Aber wir sind in diesem Land ohnehin nur die Fußabtreter, Müllschlucker und Schuldenbarone. Aber das alles ist noch harmlos im Vergleich zu dem, was da in Berlin abgeht. Da gehst Du als Fünfjähriger ganz cool und locker durch die Straßen der Stadt, schon machen Dich ein paar Dreikäsehochalis an, nur weil Du versehentlich mal für zwei Sekunden in ihre Richtung geschaut hast. Du entschuldigst Dich ganz schnell für die Frechheit, ihnen in ihr dreistes, ungewaschenes Gesicht geschaut zu haben, doch das reicht denen noch nicht. Sie beschimpfen Dich, rappen sogleich eine Haßtirade gegen Dich und geben Dir danach gleich noch die Schuld dafür, daß sie nichts auf die Reihe kriegen und weder auf der Baumschule noch in der Sonderschule einen Lernstuhl bekommen haben. Die sind einfach aggressiv, da brauchst Du nicht mal rassistisch eingestellt sein, um das festzustellen. Es ist nicht leicht in diesen Zeiten als Normalo, also als Heterojunge. Umgeben von Homos, Bis, Nekros, Sodos, Difis, also Dingficker und nicht zu vergessen natürlich die guten alten Emos, da hat man es als Junge, der nur Mädels mag, echt schwer und gilt gleich als spießig sowie langweilig. In der Schule hat unser Lehrer behauptet, daß Leute, die bei der Selbstbefriedigung nur an sich denken, Narzißten wären und die seien fast so schlimm wie die Nazis damals. Na ja, ich befummle mich nur, wenn meine Freundin keine Zeit oder keine Lust hat, dieses versaute Blasebalg. Gehen wir zum Abspritzen lieber wieder in den Keller: Unser guter Onkel Sitzl hat sich ja auch oft und gerne durchgeschlagen; wer frech wurde, bekam eine aufs Maul und wenn Gewalt zum guten Ton dazu gehört, dann lauscht man gebannt der guten volkstümlichen Schlägermusik. Hätte sein Kellervolk zurückschlagen sollen und können? Durfte man die Hand gegen den erheben, der einen versorgte und es seiner Tochter regelmäßig besorgte? War Inzest nicht auch in jenem Paradies eine biologische Notwendigkeit? Hatte Sitzl überhaupt das Recht, seine Tochter und ihre gemeinsamen Kinder in einen Keller zu sperren? Nun ja, hier scheiden sich die Geister, denn zu einer Interaktion gehören immer mindestens zwei Personen, von daher reicht es oftmals leider nicht aus, das Schwarz-Weiß-Denken zu propagieren und zwischen Täter sowie Opfer zu unterscheiden. 24 Jahre eingesperrt und das ohne ein Verbrechen begangen zu haben, das ist wirklich kraß, mir haben die neun Monate im Mutterleib völlig gereicht. Immer wieder knalle ich den Ball an die Latte und die Zuschauer jubeln mir trotzdem oder vielleicht auch gerade deswegen zu. Wird höchste Zeit für einen Fallrückzieher! Vorsicht, der Konter der gegnerischen Mannschaft läuft, die haben mich eingelullt, die Schweine!

Ein Leben dauert

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