Читать книгу Gungo Large - Spiel mir das Lied vom Troll - Thomas Niggenaber - Страница 7
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ОглавлениеSchon als mir die beiden Reiter entgegenkamen, ahnte ich, dass dies nichts Gutes zu Bedeuten hatte.
Dabei war meine Reise bislang so schön ruhig und ohne Zwischenfälle verlaufen. Mein namenloser Gaul hatte wie erwartet keinerlei Probleme gemacht und die fünf Feldflaschen voller Whisky, welche ich als Proviant bei mir führte, hatten es mir ermöglicht, den Alkoholpegel in meinem Blut auf einem angenehmen Niveau zu halten. Das Wetter war gut und ich hatte während einer Rast unter sternenklarem Himmel ausreichend Schlaf bekommen. Aus diesem war ich sogar ohne Elsas schmerzhafte Präsenz erwacht. Nur mein Gesäß schmerzte ein wenig, da ich es nicht mehr gewohnt war, so lange im Sattel zu sitzen. Doch auch dieses Ungemach war mit etwas hochprozentigem Beistand gut zu ertragen.
Recht angenehm war mein Ausflug also gewesen, bis ich die ersten umzäunten Weideflächen der Tolemak-Ranch erreichte und die zwei Gestalten erblickte. Alles Mögliche weckten diese, aber auf gar keinen Fall das Vertrauen in mir.
Dabei wusste ich noch nicht einmal genau, was mich eigentlich an diesen Burschen störte. Sehr wahrscheinlich handelte es sich bei denen nur um zwei Viehtreiber, die zur Ranch gehörten. Erst als die beiden mich erreicht hatten und sich drohend – die linke Hand am Zügel, die rechte auf den Griffen ihrer Revolver ruhend – vor mir aufbauten, wurde es mir klar: Sie rochen nicht nur nach Rinderkot, sondern auch nach Ärger.
»Wohin des Weges, Fremder?«, fragte einer der beiden. Er war ein Zwerg, so wie ich, jedoch wie die meisten anderen Zwerge wesentlich kleiner als ich. Zudem war er ein ausgesprochen unansehnliches Exemplar unserer Art. In seinem Gesicht gab es mehr Pickel und Aknenarben als freie Hautfläche. Auch sein ungleichmäßig gewachsener Vollbart konnte diese Makel nicht verbergen. Nur der direkte Vergleich mit seinem Begleiter, einem Ork, wertete seine Erscheinung ein wenig auf. Denn der war noch um ein paar Nuancen hässlicher. Neben dessen wenig ansprechenden, groben Gesichtszügen fielen vor allem die löchrigen, dunkel verfärbten Hauer auf, die aus seinem weit nach vorn gerichteten Unterkiefer emporragten. Eine Bürste oder etwas Vergleichbares hatte die garantiert noch nie berührt.
Beide trugen grobe Baumwollhemden, dreckige Jeans und lederne Chaps darüber, also die typische Arbeitskleidung eines Cowboys. Lediglich der Ork trug statt eines normalen Hutes einen viel zu bunten Sombrero, so wie es nur in Enchico üblich war.
»Zu eurem Boss«, antwortete ich und zeigte auf die Gebäude der Ranch, welche in weiter Ferne bereits zu erspähen waren. »Der Bürgermeister von Copperhole schickt mich. Ich soll mich bei Colonel Don Athuro melden.«
Der Zwerg musterte mich misstrauisch. »Wir wissen, dass jemand aus Copperhole kommen soll. Diesen Jemand sollen wir dann auch zur Ranch bringen. Nur soll dieser Jemand ein Zwerg sein.«
Ich nickte. »Jepp, genau das bin ich – ein Zwerg.«
Nun meldete sich der Ork mit stark enchicanischem Dialekt zu Wort. »Watt? Du bist doch kein Zwerg! Du bist'n Mensch, 'n öder, blöder Mensch!« Zur Bekräftigung seiner Worte rotzte er einen dicken Flatschen pechschwarzen Speichel in das Gras neben sich. Ich fand das ausgesprochen unappetitlich.
Sein Kollege stimmte ihm zu. »Versuch nicht uns zu verarschen! Du bist viel zu groß für einen Zwerg und einen richtigen Bart hast du auch nicht.«
»Jetzt hört mir mal gut zu Jungs.« Ich lächelte, darum bemüht, meine Ruhe zu bewahren. »Ich bin wirklich ein Zwerg und ich bin verdammt weit geritten, um hierher zu kommen. Also lasst den Scheiß und bringt mich zur Ranch.«
Das Pickelgesicht schüttelte den Kopf. »Wir hatten hier kürzlich ein wenig Ärger und deshalb ist es keinem Fremden erlaubt, sich hier herumzutreiben. Ausgenommen ist nur dieser Zwerg aus Copperhole.«
Er deutete mit dem Zeigefinger auf mich. »Du jedoch – Du … kannst nicht… vorbei!«
Ich stöhnte genervt auf und verdrehte die Augen. »Seht mal ihr zwei Hirnakrobaten: Euch hat Mutter Natur mit zwei außergewöhnlich ausgeprägten Hackfressen gesegnet, mich dafür mit ein paar Zentimetern zu viel an Körpergröße und einem spärlichen Bartwuchs. Das ist alles. Ich bin der Zwerg, auf den euer Boss wartet!«
»Nö!« Der Ork klang wie ein bockiges Kind. »Du bist'n Mensch und Menschen dürfen nicht weiter!«
Obwohl ich kein sehr diplomatischer Typ bin und Hindernisse, die sich mir in den Weg stellen, meistens ohne lang zu diskutieren aus dem Weg räume, versuchte ich es erst noch mal mit Vernunft. »Warum sollte ich mich denn als Zwerg ausgeben, wenn ich keiner bin?«
»Vielleicht willst du hier Rinder klauen!«, mutmaßte der pickelige Zwerg. »Oder irgendeinen Unfug anstellen!«
»Und woher weiß ich, dass der Bürgermeister von Copperhole jemanden zu Don Athuro geschickt hat, wenn ich nicht derjenige bin?«, wollte ich wissen.
Die beiden Trottel sahen sich ratlos an.
»Der Mensch ist schlau«, äußerte der Ork dann eine Vermutung, »und schlaue Leute sind gefährlich! Der will uns übers Ohr hauen!«
Wieder erntete er die Zustimmung seines Kollegen.
»Stimmt! Und der Colonel wäre bestimmt nicht erfreut darüber, wenn wir so ein gerissenes Kerlchen auf seinem Land herumlungern ließen. Wir sollten ihn vorsichtshalber umlegen. Da er unbefugt in dieses Gebiet eingedrungen ist, haben wir das Recht dazu.«
Der Ork reagierte begeistert auf diesen Vorschlag. »Oh ja, wir sollten ihn wegballern!«
In mir wuchs das Bedürfnis, eine meiner Feldflaschen mit nur einem Zug zu leeren. Stattdessen erklärte ich die Verhandlungen für gescheitert.
»Na dann versucht es mal, ihr zwei Vollpfosten!«
Nahezu zeitgleich - der Ork vielleicht den Bruchteil einer Sekunde schneller - zogen beide Kerle ihre Kanonen.
Ungeschickt stellten sie sich dabei nicht an, das musste ich ihnen lassen. Dennoch zog ich natürlich um ein Vielfaches schneller. Einen Wunsch in meinem Kopf formuliert, der Rest geschah blitzschnell und wie von selbst – so lief das bei mir immer ab.
Kurz nachdem sie ihre Waffen aus den Holstern befreit hatten, schoss ich ihnen selbige aus den Händen. Da ich gerade dabei war, schoss ich dem Zwerg auch noch den Daumen ab.
Grausam? Hey, die beiden wollten mich umlegen!
Der Zwerg heulte sofort los wie ein Baby, während sich aus dem Stumpf an seiner rechten Hand fröhlich ein kleiner Bach aus Blut ergoss.
»Du hast mir meinen Daumen abgeschossen«, jammerte der frisch gebackene Linkshänder, während er auf seinen Sattel blutete. »Du hast mir meinen verdammten Daumen abgeschossen.«
»Erstaunlich gute Auffassungsgabe«, stellte ich fest, weiterhin mit meinem Revolver auf die beiden zielend. »Wie sieht es aus, wollt ihr euch noch von anderen Körperteilen trennen, oder bringt ihr mich jetzt zu Don Athuro?«
»Nix mehr wegballern!«, bat der Ork sichtlich beeindruckt von der Schnelligkeit und Präzision meiner Schüsse. Dann wandte er sich an seinen wimmernden Kollegen. »Du musst das schnell verbinden und 'ne Salbe drauf schmieren, sonst wächst es nicht nach!«
Der Zwerg bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick. »Du bist so ein Vollidiot! Daumen wachsen nicht nach! Ich werde nie wieder mit dieser Hand richtig schießen können.« Er holte ein Taschentuch aus seiner Hosentasche und wickelte es sich um den blutenden Rest seines Daumens. »Aber ich muss das tatsächlich versorgen lassen, also begleite ich den Typen zur Ranch. Du bleibst hier und wartest. Vielleicht taucht der richtige Zwerg aus Copperhole ja doch noch auf!«
Pustelvisage, dessen Akne wohl momentan sein geringstes Problem war, sah mich voller Hass an. »Nun gut, Fremder, ich bringe dich zu Don Athuro. Hoffentlich lässt dich der Colonel dann sofort abknallen. Er hasst es nämlich, wenn jemand uneingeladen auftaucht. Und wenn man seine Leute verstümmelt, das hasst er auch!«
Er wendete sein Pferd in Richtung Ranch und endlich konnte auch ich meinen Weg fortsetzen.
Gemeinsam ritten wir den breiten Weg entlang, der zwischen den Weideflächen hindurchführte. Während ich die unglaublich vielen Longhorn-Rinder bestaunte, die hier grasten, schimpfte und heulte mein Begleiter abwechselnd vor sich hin.
Meine nun wieder gute Laune beeinträchtigte das nicht im Geringsten. Da ich ein netter Kerl bin, begann ich ein Gespräch, um den Zwerg von seinen Schmerzen abzulenken.
»Was meinst du, wie viele Rinder gibt es hier insgesamt?« fragte ich. »Nur so über den Daumen gepeilt.«
Statt einer Auskunft erhielt ich nur ein zorniges Knurren.
»Hast keine Ahnung, was?« fuhr ich fort. »Na, dann will ich mal die Daumen drücken, dass es irgendjemand auf der Ranch weiß.«
Ich streckte ihm meine zwei erhobenen Daumen entgegen. »Ich habe nämlich zwei Stück davon, weißt du?«
Wieder blieb eine Antwort aus. Scheinbar war mein Gesprächspartner ein wenig verstimmt.
Er schwieg auch noch den Rest des Weges.
Bald schon ritten wir unter einem großen, von zwei schlanken Holzsäulen getragenen Schild hindurch, auf dem in großen Lettern Tolemak-Ranch geschrieben stand. Eine Vielzahl unterschiedlicher Gebäude befand sich dahinter: Scheunen, Ställe, Unterkünfte für Viehtreiber sowie andere Bedienstete, eine Schmiede und sogar einen kleinen Saloon gab es hier, sodass mir die Ranch beinahe schon wie eine kleine Stadt erschien. Auch die Zahl der Personen – vorwiegend Zwerge, aber auch Orks beiderlei Geschlechts, die hier ihrem Tagewerk nachgingen - wäre wohl mit der Einwohnerzahl einer Kleinstadt vergleichbar gewesen.
Bei vielen dieser Personen erregte unsere Ankunft großes Interesse. Sie hielten in ihrer Arbeit inne, egal womit sie gerade beschäftigt waren, und starrten uns mit weit geöffneten Augen und Mündern an. Vor allem dem lauthals leidenden Zwerg galt ihre Aufmerksamkeit. Wie ein Hund der Pfötchen gibt, hielt dieser seine verwundete Hand beim Reiten vor die Brust. Angesichts der Beachtung, die ihm entgegengebracht wurde, legte der Jammerlappen noch mal an Wehleidigkeit zu. Man hätte fast schon glauben können, dass er jeden Moment tot aus dem Sattel kippen würde.
»Im Krieg habe ich Soldaten mit abgetrennten Armen oder Beinen gesehen, die nicht mal ansatzweise so laut geflennt haben wie du«, stellte ich etwas genervt fest, woraufhin er sein Klagen auch abrupt einstellte.
Vom Zentrum der Ranch – einem großen, gemauerten Ziehbrunnen – führte ein Weg direkt nach Süden zum größten und prachtvollsten Gebäude der Ranch, dem Herrenhaus. Schon als wir diesen mit Blumenbeeten gesäumten Pfad entlang ritten, erspähte ich den älteren Zwerg. Dieser saß zunächst in einem Schaukelstuhl auf der pompösen, riesigen Veranda und erhob sich dann, als er uns bemerkte.
Unverwechselbar handelte es sich bei diesem Zwerg um Don Athuro selbst. Alles an ihm strahlte Autorität und Erhabenheit aus, seine stahlblauen Augen ebenso wie seine stramme, aufrechte Haltung und sein silbergrauer Bart, der ihm bis zum Bauchnabel reichte. Zudem trug er seine alte Uniform, die ihn als Colonel kenntlich machte, obwohl er schon lange nicht mehr im aktiven Dienst der Army war. Dies war, genau wie die Pracht und die übertriebene Größe seines Hauses, eine Zurschaustellung von Reichtum und Macht, die ich nicht unbedingt sympathisch fand.
»Dieser Mensch wollte unbedingt zu Ihnen, Sir«, erklärte Pickelgesicht, als wir unsere Pferde vor der Veranda zügelten. »Er hat sich nicht davon abbringen lassen.«
Der Colonel warf einen kurzen Blick auf die verletzte Hand des Zwerges. Er ließ die Beschädigung seines lebenden Inventars allerdings unkommentiert.
»Das ist kein Mensch, du Hornochse. Das ist ganz offensichtlich der Zwerg, den ich erwarte – etwas größer als der Durchschnittszwerg vielleicht, aber ganz klar ein Zwerg.«
Er wandte sich von seinem nun doch reichlich verblüfften Untergebenen ab und mir zu.
»Seien Sie willkommen, Mister ...«, er dachte kurz nach, »Large war der Name, nicht wahr?«
»Richtig«, erwiderte ich und stieg aus meinem Sattel. »Gungo Large! Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
Mit einer kurzen Handbewegung gab Athuro seinem Angestellten zu verstehen, dass dessen Typ hier nicht mehr gefragt war. Dieser gab seinem Pferd daraufhin auch die Sporen. Wahrscheinlich würde er sich nun jemanden suchen, der seine Verletzung versorgen würde und ganz gewiss würde sich derjenige auch das Leid des Zwerges in allen Einzelheiten anhören müssen.
»Eine wirklich beeindruckende Ranch haben Sie, Colonel«, bemerkte ich, während ich meinen Gaul an einem Pfahl vor der Veranda festband. »Aber welche Voraussetzungen muss man erfüllen, um hier eine Anstellung zu finden? Muss man das Ergebnis generationsübergreifender Inzucht sein?«
Don Athuro grinste. »Ich gebe zu, dass einige meiner Leute nicht viel mehr im Kopf haben als das Vieh, das sie hüten sollen. Für die meisten Arbeiten, die hier anfallen, ist das auch gar nicht notwendig. Das ist allerdings auch einer der Gründe, weshalb Sie hier sind, Mister Large. Aber kommen Sie doch ins Haus, wir haben viel zu bereden.«
Ich ging die Veranda hinauf zum Eingang und er öffnete die wohl gewaltigste Haustür, die ich in meinem Leben jemals erblickt hatte. Nachdem ich sie durchschritten hatte, verschlug es mir angesichts der riesigen Eingangshalle für einen Moment die Sprache.
Diese Eingangshalle hatte den Namen Halle wahrlich verdient. So hoch wie das Innere einer Kirche oder eines Tempels, reichte sie über zwei Stockwerke. Von der gewölbten, stuckverzierten Decke herab hing ein Kronleuchter, der aus Tausenden von funkelnden Glasperlen oder Edelsteinen zu bestehen schien. So wie ich Don Athuro einschätzte, waren es aber wohl eher Edelsteine. Der Boden aus feinstem Marmor, hier und da mit teuer aussehenden Teppichen belegt, erstreckte sich vor mir über viele Meter hinweg bis zur gegenüberliegenden Seite. Dort führten links und rechts zwei breite, gebogene Treppen auf eine Galerie, von der aus man die Räume des ersten Etage erreichen konnte.
Was meine Blicke aber als Erstes auf sich zog, war das ausgesprochen lebensecht wirkende Präparat eines schneeweißen Einhorns. Dieses stand auf einem goldenen Sockel zwischen den zwei Treppen und begrüßte jeden Neuankömmling majestätisch auf seinen Hinterbeinen stehend. Selbst das lange, gewundene Horn ragte noch aus seiner Stirn – eine nahezu unbezahlbare Rarität, da diese Hörner aus diversen Gründen heiß begehrte Objekte unter wohlhabenden Menschen- und Zwergenfrauen waren.
Gerne noch hätte ich das Herrenhaus weiter besichtigt, wäre durch die luxuriösen Zimmer gewandert und hätte mir die zahlreichen, kostbaren Gemälde an den Wänden oder die vielen anderen Dekorationsobjekte angesehen. Doch dies blieb mir leider verwehrt. Der Colonel führte mich umgehend in sein Arbeitszimmer, welches als erster Raum nach der Eingangstür links von der Eingangshalle abging.
»Nehmen Sie doch Platz«, bat mich Don Athuro und deutete auf einen der zwei Sessel, die vor einem lodernden Kamin standen.
Ich nahm meinen Hut ab und kam seiner Bitte nach. Dann sah ich mich in dem Raum um, der das Büro von Bürgermeister Honesty in meiner Erinnerung wie eine Besenkammer wirken ließ. Auch der Schreibtisch des Colonels war um ein Vielfaches größer und wohl auch wertvoller als der seines Cousins. Das Ding war fast schon lächerlich groß, so groß, dass es noch nicht mal zur Hälfte in das Zimmer gepasst hätte, welches ich in Copperhole bewohnt hatte.
Doch Don Athuro setzte sich nicht hinter sein vierbeiniges Statussymbol. Er ging zu einem großen Globus neben dem Kamin und klappte dessen obere Hälfte auf, sodass eine breite Auswahl verschiedenster Flaschen zum Vorschein kam.
Der Colonel nahm eine dieser Flaschen heraus.
»Wie wäre es mit einem Glas?«, fragte er, nachdem er einen kurzen Blick auf das Etikett geworfen hatte.
»Von mir aus kann es auch die ganze Flasche sein«, erwiderte ich.
»Ja, davon habe ich gehört.« Athuro befüllte ein Glas – oder besser gesagt ein Behältnis aus kostbarem Kristall – und reichte es mir. »Von Ihrer, sagen wir mal, Vorliebe zu hochgeistigen Getränken, meine ich.«
Er nahm mir gegenüber auf dem anderen Sessel Platz.
»Mein Cousin hat mir bereits einiges über Sie erzählt. Sofort nachdem ich ihm mein Anliegen vorgetragen hatte, erwähnte er Ihren Namen. Sie wären genau der Richtige, meinte er: Kriegsveteran, ein hervorragender Schütze und nicht unbedingt auf den Kopf gefallen. Leider jedoch würden Sie dem Genuss von Alkohol in etwas zu hohem Maße zusprechen.«
»Ich bin ein Säufer«, brachte ich seine Ausführungen auf den Punkt. »Ist das ein Problem?«
Athuro verneinte. »Für mich nicht, solange es Ihre anderen, positiven Eigenschaften nicht beeinflusst.«
»Hat es nie.« Ich nahm einen Schluck. Der mit Abstand beste Whisky, der jemals meine Zunge überquert und meine Geschmacksknospen liebkost hatte, bahnte sich seinen Weg in meinen Magen.
Das wohlige Gefühl, für das er dort sorgte, übertraf die angenehme Wärme des Kaminfeuers bei Weitem.
»Hat Ihr Cousin auch erzählt, dass ich ein ungehobelter und zudem sehr ungeduldiger Kerl bin?« Ich hoffte, diese Bemerkung würde den Colonel dazu bewegen, sich kurzzufassen. Er schien jedoch ein Zwerg zu sein, der sich sehr gerne selbst beim Reden zuhört.
»Kennen Sie das Lied vom Troll, Mister Large?«, fragte er dann auch meiner Meinung nach wenig zielführend.
Ich sah ihn von dieser Frage etwas verwirrt an. »Ja, es ist ein altes zwergisches Lied, das meist zu späterer Stunde in den Saloons gegrölt wird.«
Don Athuro lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Singen Sie es mir doch einmal vor.«
Ich lachte kurz und laut auf. »Auf gar keinen Fall! Selbst wenn Sie Ihren ganzen Globus leer getrunken hätten, würden Sie das nicht ertragen!«
»Dann rezitieren Sie doch mal den Text«, bohrte Athuro weiter.
Auch das lehnte ich ab. »Den kenne ich nicht so genau. Wenn Sie mich aber unbedingt als Alleinunterhalter engagieren wollen, könnte ich Ihnen das Lied vom Baumwollaugen-Joseph vortragen.«
Der Colonel winkte ab. »Nein, darum geht es nicht.«
Er erhob sich aus seinem Sessel und mit dem Glas in der Hand begann er, auf und ab zu gehen. Irgendwie musste dieses Verhalten wohl in der Familie liegen.
»Wissen Sie, in dem Lied vom Troll geht es um die verhängnisvolle Verbindung zweier unterschiedlicher Rassen. Ein Troll verliebt sich in eine Ogerfrau und allen Widrigkeiten zum Trotz finden sie am Ende zusammen. Das Kind jedoch, welches aus dieser Verbindung entsteht, ist ein blutrünstiges, hirnloses Monster, das alles zerfleischt, was seinen Weg kreuzt.
Verstehen Sie, Mister Large? Dieses Lied ist eine Mahnung. Es ist eine Warnung, dass die Vereinigung unterschiedlicher Gattungen nur Übles und Böses hervorbringen kann.«
Er ließ sich wieder in seinen Sessel fallen und seufzte. »Leider gibt es nun auch in meiner Familie eine solch unheilvolle Verbindung. Meine Stieftochter – Gundel – hat sich in einen Elfen verliebt.« Ein Anflug von Zorn verfinsterte seine Miene. »Ausgerechnet in einen Elfen, in einen der Wilden, die ich mein Leben lang bekämpft habe!« Im Gesicht des Colonels gaben sich die Gefühlsregungen die Klinke in die Hand. Nun war es der Ausdruck von Abscheu, der darin erschien. »Ein Zwergenmädchen und ein Elf – was kann es Absurderes, Widernatürlicheres geben? Ich habe keine Ahnung, wie sie sich kennengelernt haben, aber natürlich haben wir ihr sofort den Umgang mit diesem spitzohrigen Lumpen untersagt. Es ging sogar so weit, dass wir sie in ihrem Zimmer einsperren und eine Wache vor der Ranch postieren mussten.«
Athuro trank sein Glas in einem Zug leer und schenkte sich sofort nach. Natürlich hielt ich ihm auch meines hin, welches er zu meiner Zufriedenheit ebenfalls füllte.
»Vor einigen Tagen nun ...«, der Colonel hielt kurz inne, so als müsse er erst genügend Kraft sammeln, um weitersprechen zu können, »hat dieser Bastard es gewagt, meine Wache niederzuschlagen und in mein Haus einzudringen. Dann hat er Gundel aus ihrem Zimmer befreit und beide sind auf einem verdammten Greifen davongeflogen. Dieser unverschämte, dreckige Bestienreiter entführt meine Stieftochter von meinem Grund und Boden. Ich habe schon Leute für weitaus weniger hängen lassen!«
»Ihre Stieftochter ist also mit einem Elfen durchgebrannt«, stellte ich fest.
War mir Don Athuro trotz seines protzigen Gehabes anfangs noch ganz sympathisch gewesen, so fing er langsam an, mir auf den Zeiger zu gehen. »Und wieso erzählen Sie mir dann erst diesen ganzen rassistischen Scheiß über verhängnisvolle Verbindungen? Daran glauben Sie doch selber nicht! In der Army waren Sie bekannt als der erbarmungsloseste, brutalste und fanatischste Elfenjäger überhaupt. Von wegen Vereinigung verschiedener Gattungen ...bla, bla, bla. Sagen Sie es doch ganz einfach, wie es ist: Sie hassen Elfen und wollen deshalb nicht, dass Ihre Stieftochter sich mit einem abgibt.«
Colonel Don Athuro war es nicht gewohnt, dass man so mit ihm sprach. Meine nicht vorhandene Unterwürfigkeit erregte ganz offensichtlich seinen Unmut, was ich an seinen zusammengezogenen Augenbrauen erkennen konnte. Dennoch äußerte er sich nicht dementsprechend.
»Ja, ich hasse sie«, gestand er stattdessen. Er rutschte in seinem Sessel nach vorn und beugte sich zu mir. »Aber tun Sie das nicht auch, Mister Large? Sie haben doch auch gegen diese Wilden im Krieg gekämpft.«
»Nö«, entgegnete ich wahrheitsgemäß. »Ich habe gegen sie gekämpft, weil ich dafür bezahlt wurde - aus keinem anderen Grund. Dabei habe ich sie als mutige und ehrenhafte Kämpfer kennengelernt. Mutiger und ehrenhafter als so mancher Zwerg oder Mensch.«
Meine Antwort missfiel dem Colonel natürlich. »Ach, ist mir doch egal, was Sie von den Elfen halten.« Er lehnte sich wieder zurück. »Ihre Aufgabe wäre es, meine Stieftochter zu finden und wieder zurückzubringen – falls es Ihnen Ihr übermäßig großer Respekt vor den Elfen nicht verbietet, diesen Job anzunehmen.«
»Und wenn Ihre Stieftochter das nicht möchte?«, lautete mein Einwand.
Er zuckte mit den Schultern. »Fesseln, knebeln, betäuben – mir egal wie Sie es anstellen. Hauptsache, Sie bringen das kleine Luder zurück.«
Mir lag eine bissige Bemerkung bezüglich seltsamer Vaterliebe auf der Zunge, doch ich spülte sie mit einem Schluck Whisky hinunter. Der über alle Maßen köstliche Geschmack stimmte mich milde. Deshalb stellte ich lediglich die alles entscheidende Frage: »Und was ist mit de' Kohlen?«
Athuro grinste breit und jovial. »Ich hatte so an eintausend Mithril-Dollar gedacht. Was meinen Sie?«
Ich ließ mir nichts anmerken und schaffte es nur mit Mühe, meine Kinnlade am Herunterklappen zu hindern. Eintausend Mithril-Dollar, so einen Haufen Geld hatte ich mein Lebtag noch nicht besessen. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist es, dass Mithril-Dollar trotz ihres Nennwertes meist drei- bis viermal so hoch gehandelt wurden wie herkömmliche Dollar. Doch ich wusste: Wenn jemand bereit ist, viel für etwas zu bezahlen, dann ist er vielleicht auch dazu bereit, noch mehr dafür zu bezahlen.
»Ich könnte ernsthafte Schwierigkeiten mit den Elfen bekommen«, gab ich zu bedenken.
»Sagen wir tausendfünfhundert«, antwortete Athuro.
»Eine junge Liebe zu entzweien, ich weiß ja nicht.«
»Zweitausend!«
»Ich bin Romantiker, wissen Sie?«
»Zweitausendfünfhundert – das ist mein letztes Wort!«
Ich lächelte zufrieden und wollte dem Colonel gerade meine Zustimmung aussprechen, als ein lautes Rufen aus der Eingangshalle zu uns drang.
»Don?!« Die Stimme war schrill und durchdringend wie das Schreien einer Möwe, der man den Hals umdreht. »Don, wo steckst du schon wieder?«
Athuro sprang sofort auf. »Hier bin ich, im Arbeitszimmer, mein Engel!«
Kurz darauf betrat dieser Engel das Arbeitszimmer. Ich fragte mich spontan, ob der Colonel diese Zwergin wohl verscheißern wollte, wenn er sie so nannte, denn sie war einfach nur hässlich – enorm hässlich.
Rübennase war das erste Wort, das mir einfiel, als ich das Ding in ihrem faltigen Gesicht erblickte. Das Wort Nase war für dieses überlange Gerät einfach viel zu kurz. Hätte man diese Zwergenfrau bei den Beinen gepackt und sie mit dem Gesicht nach unten über einen Acker geschoben, man hätte eine Furche erhalten, in der man bequem Kartoffeln hätte aussäen können.
Doch auch der Rest ihrer Erscheinung – von ihrem augenscheinlich teuren Kleid einmal abgesehen – war alles andere als anmutig. Ihre dünnen, weißen Haare klebten wie Spinnweben an ihrem Schädel, ihre blasse Haut wirkte wie zerknittertes, dünnes Pergament und ihr lippenloser Mund sah aus, als wäre er mit einem Messer in ihr verhärmtes Gesicht geschnitten worden. Darüber hinaus war mir alles an dieser Zwergin zuwider, unabhängig von ihrer äußeren Erscheinung. Allein ihre Anwesenheit verursachte ein seltsames Unwohlsein in mir.
»Ha...hallo Liebling«, stammelte der Colonel.
Ich durfte miterleben, wie ein selbstbewusster, stolzer Zwerg in wenigen Sekunden zu einem erbärmlichen Waschlappen mutierte.
Sie erwiderte seinen Gruß nicht, sondern baute sich vor mir auf. »Wer ist das?«
»Das ist Mister Large, Liebling.« Athuro sah mich an. »Mister Large, das ist meine Frau Ginvera.«
Bevor ich mich rühren konnte, fuhr mich die Rübennase an. »Hat man Ihnen nicht beigebracht, dass man aufsteht wenn eine Dame den Raum betritt, Mister Large?«
Da ich nicht die geringste Lust verspürte, mehr Worte als unbedingt notwendig mit dieser Person zu wechseln und ich ein Wortgefecht mit ihr deshalb unbedingt vermeiden wollte, erhob ich mich unverzüglich. Sogar das Wort Entschuldigung kam über meine Lippen – ein Wort, von dem viele annehmen, dass es in meinem Wortschatz gar nicht existiert.
Ginvera musterte mich mit ihren seltsam stechenden, giftgrünen Augen. Das Unwohlsein in mir wuchs zu einer irrationalen, nicht erklärbaren Furcht heran.
»Ich beabsichtige, Mister Large zu engagieren, um nach Gundel zu suchen«, erklärte ihr Ehemann.
Zu meiner großen Erleichterung wandte sie sich von mir ab und ihm zu. »Du hast dafür extra jemanden kommen lassen? Hast du zu viel Geld? Warum schickst du nicht ein paar deiner vielen Männer, die du ohnehin schon bezahlst?«
Der Colonel fuhr aufgrund dieser Schelte ein wenig zusammen. Unverzüglich begann er, sich zu rechtfertigen. »Aber Engel, die sind doch für solche Aufgaben nicht geeignet. Die können Rinder hüten oder sie von A nach B treiben, das war es aber auch schon. Mister Large hingegen war in der Army, er hatte schon mit Elfen zu tun und kann sich zudem sehr gut zur Wehr setzen. Außerdem könnte man ihn aufgrund seiner Größe für einen Menschen halten, was im Umgang mit Elfen von Vorteil sein kann. Du weißt, dass Elfen normalerweise nichts so sehr hassen wie Zwerge.«
Er trat neben mich und legte mir eine Hand auf die Schulter, so als würde er mich seiner Gattin zum Kauf anbieten. »Er ist wirklich außerordentlich gut für diese Aufgabe geeignet. Glaub mir, einen besseren Zwerg finden wir so schnell nicht wieder.«
Seine Frau betrachtete mich erneut und sofort erwachte dieses unangenehme Gefühl wieder in mir.
»Mach doch, was du willst«, sagte sie. »Es ist dein Geld. Hauptsache, du bringst mir Gundel zurück.«
Don Athuro atmete erleichtert aus, so leise, dass nur ich es bemerken konnte. »Natürlich, mein Engel. Vertrau mir, ich sorge dafür, dass sie heimkommt. Du weißt, wie wichtig mir ihr Wohlergehen ist und dass mir kein Preis dafür zu hoch ist.«
»Gut für dich«, bemerkte seine Gattin wie beiläufig. »Ich wollte dir eigentlich nur sagen, dass ich mich für ein paar Stunden in meine Gemächer zurückziehen werde. Sorge dafür, dass niemand mich stört und sag deinen Leuten, sie sollen draußen nicht so einen Radau machen. Es reicht schon, wenn ich den ganzen Tag das Muhen dieser verdammten Rindviecher hören muss. Vielleicht sollte man ihnen allesamt die Stimmbänder durchschneiden lassen!«
Sie verließ das Zimmer endlich wieder und ich entspannte mich in gleichem Maße, wie es auch der Colonel tat. Dieser schlich ein paar Sekunden später zur Zimmertür und warf vorsichtig einen Blick hinaus, so als wollte er sichergehen, dass seine Frau auch wirklich nicht mehr in der Nähe war.
Danach lächelte er mich etwas verlegen an. »Meine Frau kann mitunter recht barsch sein. Nicht auszudenken, was passieren würde, sollte Gundel nicht mehr heimkommen. Sie verstehen nun sicher, warum mir so viel an der Rückkehr meiner Stieftochter liegt.«
»Oh ja!« Ich lächelte ebenfalls – allerdings weder verlegen noch freundlich, sondern eher heimtückisch. »Dreitausend war Ihr letztes Wort, richtig? Spesen natürlich extra und im Voraus.«
Athuro verzog sein Gesicht, als hätte er plötzlich Magenkrämpfe, dann stimmte er jedoch anstandslos zu.
Innerlich triumphierend ließ ich mich wieder in den Sessel sinken. »Haben Sie irgendeine Idee, wo ich mit meiner Suche beginnen soll?«
»Das habe ich in der Tat.« Der Colonel platzierte sich auf der Kante seines monströsen Schreibtischs. »Soweit ich informiert bin, gehört Gundels Entführer dem Stamm der Moonytoads an. Bei denen sollten Sie mit Ihren Nachforschungen beginnen.«
Ich kramte mein Wissen über die Stämme der Elfen aus meinem Gedächtnis hervor. »Die Moonytoads? Deren Gebiet liegt sehr weit im Osten, hinter dem Seven-Hills-Gebirge. Ich werde wohl einige Tage unterwegs sein.«
»Sie sollten die Eisenbahn nehmen«, schlug Athuro vor. »Die Gleise führen mittlerweile weit in das Gebiet der Moonytoads hinein. Von Hoochtown fährt ein Zug nach New Solitude, nahe der Grenze zum Gebiet der Wilden. Leider endet die offizielle Bahnstrecke dort.«
Er ging um den Schreibtisch herum, nahm ein Blatt Briefpapier aus einer Schublade und begann, mit einem goldenen Füllfederhalter etwas darauf zu schreiben.
»Mir gehören jedoch einige Anteile der Eisenbahngesellschaft. Wenn Sie ein Schreiben mit meiner Unterschrift bei sich führen, wird man Ihnen gestatten, von New Solitude mit dem Güterzug zur Baustelle am Ende der Strecke weiterzureisen.«
Er setzte seine Signatur unter das Schreibstück, dann faltete er es zusammen und steckte es in einen Briefumschlag. »Dann wären Sie auch schon da – mitten im Gebiet der Moonytoad-Elfen.«
»Klingt gut«, gab ich zu. »Nach Hoochtown schaffe ich es mit dem Pferd in ein paar Stunden. Alles in allem wäre ich dann höchstens ein, zwei Tage unterwegs. Die Schwierigkeiten werden dann allerdings erst ihren Anfang nehmen.«
»Sie werden schon damit fertig, da bin ich ganz sicher. Dreitausend kleine Anreize für Ihre Bemühungen werden hier auf Sie warten.« Athuro steckte einige Geldscheine zu dem Schriftstück. »Ihre Spesen«, erklärte er, dann reichte er mir den Umschlag. »Dann hätten wir wohl alles besprochen. Ich erwarte Sie in Begleitung meiner Stieftochter zurück.«
Ich erhob mich, setzte meinen Hut auf und berührte dessen Krempe kurz mit dem Zeigefinger. »Alles klar, ich komme mit ihr wieder, keine Frage.«
Natürlich verließ ich das Arbeitszimmer nicht, ohne mir vorher den Rest Whisky aus meinem Glas zu gönnen und als ich alleine durch die Eingangshalle ging, fragte ich mich, ob ich jemals wieder so einen guten Tropfen würde kosten dürfen.
Dieser Whisky, das luxuriöse Haus, all dieser Reichtum und Pomp – für einen kurzen Augenblick beneidete ich den Colonel. Dann dachte ich an seine Frau, sah sie kurz vor mir und spürte das Unbehagen wieder, welches ihre Gegenwart in mir verursacht hatte. Der Neid verflog im Nu. Für kein Geld der Welt hätte ich mit Don Athuro tauschen wollen.
Vor dem Haus erwartete mich eine Überraschung in Form einer mir bekannten, grünhäutigen Gestalt. Es war der Ork, der mir gemeinsam mit seinem Kollegen einen so herzlichen Empfang auf der Tolemak-Ranch bereitet hatte. Er stand da wie ein reuiger Sünder, seinen Sombrero mit beiden Händen vor dem Bauch haltend und nervös von einem Bein auf das andere tretend. Um ihn herum befanden sich unzählige, tiefschwarze Speichelflecken.
»Hallo Mister«, stammelte er. Beschämt schaute er dabei auf seine Stiefelspitzen. »Ich … ich wollte mich dafür 'tschuldigen, dass wir Sie für einen ollen Menschen gehalten haben.«
Ich sah von der Veranda auf ihn herab, denn offenbar wagte er es nicht, diese zu betreten. »Ich fand es eigentlich wesentlich unfreundlicher von euch, mich umlegen zu wollen«, stellte ich fest.
»Auch dafür möchte ich mich 'türlich 'tschuldigen.«
Er sah mich verlegen an. »Und ich möchte Sie auch noch was fragen.«
»Na dann schieß los«, forderte ich ihn auf.
Der Ork wich erschrocken zurück. »Nee, nee, ich möchte nicht auf Sie schießen! Ich weiß doch, dass Sie das viel besser können als ich. Bin doch nicht doof!«
Letzteres wagte ich ernsthaft zu bezweifeln. »Deine Frage – stell sie einfach.«
»Ich habe gehört, dass Sie die junge Miss Gundel suchen sollen. Ich würde Sie gerne begleiten. Wäre das möglich?«
Ich sah den Ork verwundert an. Mit solch einer Bitte hatte ich nicht gerechnet. »Und warum möchtest du das?«
»Ähm«, er senkte wieder seinen Blick, »an dem Abend als Miss Gundel entführt wurde, hatte ich Wache. Der Entführer hat mir voll eine übergebraten und dann hat er meine Schrotflinte geklaut. Ich will sie wiederhaben!«
»Du willst die Ranch verlassen und mir folgen, nur wegen einer Flinte?«, wunderte ich mich. »Ist die dir so wichtig?«
Der Ork nickte eifrig. »Oh ja! Mein Uropa hat sie gebaut und mein Vater … Äh … hat sie mir vermacht.«
Der Gedanke an seine gestohlene Waffe schien den Ork in Wut zu versetzen, denn seine Stimmlage änderte sich dementsprechend. »Sie gehört mir, nur mir! Sie ist mein Schatzzzz!« Den letzten Konsonant sprach er irgendwie komisch aus, etwas zu sehr in die Länge gezogenen. Danach wurde er jedoch wieder ruhiger. »Und da ist noch etwas ...« Er druckste herum, so als wäre dies ein Thema, über das er nicht wirklich sprechen wollte.
Mir mangelte es an Geduld, deshalb half ich ihm. »Du willst deinen Fehler von jenem Abend wiedergutmachen, nehme ich an?«
»Ja genau!« Er sah mich erstaunt an. »Sie sind aber wirklich schlau Mister! Ich war unvorsichtig und dumm an dem Abend. Ich schäme mich deshalb. Außerdem schaut mich Miss Ginvera deshalb immer ganz böse an.«
Ich grinste, ging die Treppe von der Veranda zu ihm hinab und schlug ihm auf die Schulter. »Das solltest du nicht persönlich nehmen, die schaut wahrscheinlich jeden so an.«
Auch im wulstigen Gesicht des Orks erschien nun ein Ausdruck der Belustigung. »Aber echt, ey! Sie ist ja auch eine Hexe!«
Obwohl es sich der grünhäutige Bursche nicht wirklich erlauben konnte, über das Aussehen anderer Leute zu urteilen, stimmte ich zu. »Eine Schönheit ist sie wahrlich nicht.«
Wie ein Verschwörer beugte sich der Ork nun zu mir.
»Das meine ich nicht«, flüsterte er. »Sie ist wirklich eine Hexe! Einige Jungs haben gesehen, wie sie mit Tieren spricht, andere, wie sie Sachen herbeigezaubert hat. Den Colonel soll sie sogar verhext haben, damit er sie heiratet. Blöde Hexe. Öde, blöde Hexe!«
Ich war nicht geneigt, diesem Getratsche unter Viehtreibern Glauben zu schenken.
»Ach was«, sagte ich deshalb. »Der Colonel wird schon seine Gründe haben, weshalb er mit ihr zusammenlebt. Auf dieser Welt gibt es wohl für jeden das passende Gegenstück. Wahrscheinlich gibt es irgendwo sogar ein Wesen, das einen Lapsus der Natur wie dich gerne haben könnte.«
»Sie sagen wirklich nette Sachen zu mir«, freute sich die Grünhaut wider Erwarten. »Das hat noch nie jemand getan. Ich würde wirklich gerne mit Ihnen gehen!«
Ich zögerte zunächst, dem Bitten des intellektuellen Rohrkrepierers nachzugeben. Für viel Abwechslung und Kurzweil auf meiner Reise würde die Konversation mit jemandem, der Konversation wahrscheinlich für Essen in Dosen hielt, wohl nicht sorgen. Angesichts der vielleicht vor mir liegenden Gefahren kam es mir jedoch in den Sinn, dass etwas zusätzliche Feuerkraft nicht schaden konnte.
»Wie heißt du eigentlich?«, wollte ich wissen.
»Merluzo Fuerte de la Raqueta«, lautete die Antwort.
»Und wie nennen dich deine Freunde?«
»Merluzo Fuerte de la Raqueta.«
Er hatte wohl keine Freunde, nahm ich an.
Nicht Willens, mir eine solche Litanei zu merken, entschied ich mich, ihn fortan Merl zu nennen.
»Dann hol mal dein Pferd, Merl, wir brechen sofort auf.«