Читать книгу Tamora - Das Erotikfilmprojekt - Thomas Riedel, Susann Smith - Страница 10
ОглавлениеKapitel 7
Der von Eric vorgeschlagene Regisseur erwies sich als völliger Reinfall. Der Mann stellte Forderungen, die Tamora und Violett für völlig überzogen hielten. Das, was er verlangte, waren sie nicht zu zahlen bereit. Es blieb ihnen also nichts anderes übrig als sich selbst auf die Suche zu machen.
Drei Tage versuchten sie, jemanden aufzutreiben, der ihrer Meinung nach brauchbar erschien. Während dieser Suche blieben einige Freier auf der Strecke, die sie normalerweise bedient hätten, doch das musste im Augenblick hinten anstehen.
Mit der Zeit begannen sie sich darüber zu streiten und Violett kehrte zu ihrem Ausgangspunkt zurück, nachdem sie die Sache ja nie wirklich hatte anfangen wollen. Dennoch rauften sie sich zusammen und Tamora fand, als sie schon nicht mehr daran glauben mochte, einen vierundzwanzigjährigen Absolventen einer Filmhochschule.
Klaas Bertus van Vollenhoven war groß und schlank, trug eine randlose Nickelbrille, hatte einen schütteren sandfarbenen Bart, und wie ihr sein ungewöhnlicher Name verriet, war er Holländer. Obgleich er sein Diplom bereits seit längerem in der Tasche hatte, wohnte er noch immer in seiner billigen Studentenbude – einer Dachwohnung, die mit zahlreichen Collagen und Filmplakaten dekoriert war. Unmittelbar in der Mitte des Raumes, direkt unter einem der beiden großen Dachfenster, stand die Plastik eines sitzenden Mannes.
»Sie sind also der berühmte Nachwuchsregisseur, den man in Studentenkreisen auch den niederländischen Steven Spielberg nennt?« erkundigte Tamora sich lächelnd bei dem dünnen, jungen Mann in Röhrenjeans und übertrieb dabei natürlich schamlos.
»Wie können Sie mich mit diesen Hollywood-Maniac und Kommerzfilmer vergleichen, Miss?«, verwahrte sich der Niederländer entsetzt. »Meine Vorbilder sind Luis Brunuel, Frederico Garcia Lorca oder Pier Paolo Pasalini. Ich liebe, nein, ich verehre den Surrealismus, müssen Sie wissen. Für mich zählt nichts anderes als mit meinem Können, dem Medium Film völlig neue, bislang nicht gekannte Dimensionen zu erschließen. Allein das, macht mir mein Leben erträglich.« Er unterbrach sich, warf einen verträumten Blick auf das Filmposter zu David Lynchs Film ›Blue Velvet‹ und fuhr nach einigen Sekunden fort: »Überhaupt bin ich angetreten, das Visuelle zu revolutionieren. Gerade im Zeitalter der Massen- und Ramschware auf dem Filmsektor, braucht es einsame Spitzen des hochkünstlerischen Fortschritts.«
Er hielt diesen Vortrag mit einer Ernsthaftigkeit, die es Tamora schwer machte ihre Fassung zu wahren, um nicht direkt in lautes Gelächter auszubrechen. Unweigerlich stellte sie sich die Frage, an welchen Spinner sie da bloß geraten war. »Das denke ich auch«, stimmte sie ihm zu, gefolgt von einem: »Doch aller Eifer, etwas zu erreichen, nutzt freilich gar nichts, wenn du das Mittel nicht kennst, welches dich zum erstrebten Ziel trägt und leitet« und verschwieg ihm, was ihr tatsächlich durch den Kopf gegangen war. »Was haben Sie denn bisher schon gemacht, großer Meister?« erkundigte sie sich anschließend und spielte die Interessierte.
Es stellte sich heraus, dass der angehende Starregisseur über einen Vorfilm, der mal kurz auf der Biennale in Venedig gezeigt worden war, nicht hinausgekommen war. Van Vollenhoven war ein Mann, den man eigentlich nur an einer Filmhochschule gebrauchen konnte, weil er im freien Wettbewerb sang- und klanglos unterging.
Allerdings hatte sich Tamora vorbereitet und vor ihrem Besuch im Internet über ihn recherchiert. »Auf der Biennale haben Sie doch den Streifen ›Casanova‹ gezeigt?«
Klaas Bertus van Vollenhoven schenkte ihr ein stolzes Lächeln. »So ist es, Miss«, nickte er. »Dabei habe ich Giacomo Girolamo Casanova als ein drei Yard großes, eigenständig denkendes Begattungsorgan dargestellt. Leider war das nur sehr abstrakt möglich, ansonsten wäre mir eine öffentliche Vorführung wegen Unsittlichkeit nicht gestattet worden.« Er seufzte theatralisch, warf den Kopf in den Nacken und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. »Ach, wissen Sie, Miss, überall wird das Genie beschnitten oder gar verkannt … Sind sie nicht jämmerlich, diese kleinkarierten Zustände?«
»Darüber kann ich Ihnen hinweghelfen, großer Meister«, erklärte Tamora mit einem vielversprechenden Lächeln. »Ich habe nämlich ein recht spezielles Filmprojekt im Sinn, bei dem Sie sich ganz ungehemmt entfalten können … Eines wo man Ihnen keine Beschränkungen auferlegt, wie bei der Biennale.« Sie sah ihn fragend an. »Nebenbei würde es mich brennend interessieren, ob Sie auch Drehscripts schreiben können?«
»Wenn Sie zum Leben erwachte Multikreativität sehen wollen, müssen Sie nur mich anschauen«, entgegnete er und klopfte sich dabei mit einer Hand auf die eigene Schulter. Er warf ihr einen neugierigen Blick zu. »Mit Verlaub, Miss, gestatten Sie mir die Frage, in welcher Branche Sie bislang tätig gewesen sind?«
»Ich würde es dem Sektor Dienstleistungen zuordnen«, antwortete Tamora, ohne ihm näher zu erläutern, um welche Art von Dienstleistungen es sich genau handelte. »Es würde mich freuen, Mr. van Vollenhoven, wenn wir nun ein wenig über die Details plaudern könnten.« Sie hatte ein Drahtgestell erblickt, das sie für einen Sessel hielt und steuerte darauf zu. »Darf ich mich setzen?«, erkundigte sie sich höflich.
»Um Gottes willen, nicht darauf!«, reagierte er entsetzt. »Das ist ein Kunstwerk! Es heißt ›Cosmic Powerline‹ und stammt von einem bekannten Künstler.«
Van Vollenhoven holte ihr einen schlichten, äußerst harten Holzstuhl. Für sich selbst rückte er eine Apfelsinenkiste zurecht.
Reich bist du also schon einmal nicht, stellte Tamora für sich fest. Soll mir nur recht sein, denn dann wirst du dringend Geld gebrauchen können.
»Erzählen Sie mir bitte Näheres über Ihr Filmprojekt«, bat der Nachwuchsfilmer und sah sie aus großen Augen neugierig an. »Welche Message wollen Sie, dass ich für Sie auf Zelluloid banne? Nennen Sie mir ihre großartige Botschaft an die Cineasten dieser Welt, Miss.«
Tamora musste rasch überlegen – jetzt galt es nichts Falsches zu sagen. »Anregende Ausdrucksformen des menschlichen Körpers unter dem Aspekt des Voyeurismus«, antwortete sie schlagfertig und lächelte. »Man könnte es wohl am Besten als eine … sagen wir, neue Sichtweise menschlicher Sexualität bezeichnen.«
Klaas Bertus van Vollenhoven erhob sich von der Kiste, trat einen Schritt zur Seite, nahm im ›Siddhāsana‹ mit ›Jñāna mudrā‹ eine Yogahaltung auf dem Boden ein und schloss gleich darauf die Augen.
Ich kann mir nicht helfen, aber der Typ hat eindeutig einen an der Waffel, dachte Tamora bei sich. Der spinnt dermaßen hochgradig und hochkünstlerisch, wie es schlimmer nicht geht. Aber ich habe wenig Lust noch länger nach jemandem zu suchen, und Violett dürfte es nicht anders gehen, zumal sie mit jedem Tag der vergeht ungeduldiger wird.
Nach einigen Minuten des Schweigens, öffnete der Holländer wieder seine Augen und strahlte sie an. »Ausgezeichnet«, meinte er. »Ich glaube, damit kann ich durchaus etwas anfangen.«
»Sie können sich gar nicht vorstellen, wie mich das freut«, erwiderte Tamora erleichtert und reichte ihm ihre Karte. »Dann sind Sie als Regisseur und Plotautor engagiert.« Sie erklärte ihm noch, wann er sich wo einzufinden hätte und verabschiedete sich. Erst als sie die Treppe hinunterstieg, fiel ihr ein, dass sie mit dem Niederländer kein Wort über den finanziellen Teil gesprochen hatte. Doch wenn es van Vollenhoven nicht erwähnte und es ihm entsprechend nicht wirklich wichtig war, sah sie auch keinen Grund deswegen noch einmal umzukehren. Er soll einfach mit der Arbeit anfangen, dachte sie. Wegen eines Vorschusses wird er sich schon noch früh genug melden. So hochkünstlerisch ist er dann auch wieder nicht, als dass er nicht zu essen, zu trinken oder keine Miete zu zahlen braucht. Auch das größte irdische Genie hat ganz irdische Bedürfnisse. Ihr war aber allerdings durchaus bewusst, dass es nicht ganz einfach werden würde, den über den Wolken schwebenden Traumtänzer Klaas Bertus van Vollenhoven für die Niederungen des Pornofilms einzufangen.
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