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Kapitel 6

L

ustlos und unausgeschlafen besah sich Inspektor Blake das üppige Frühstück. Er hatte es bereits zu Beginn der Dienstreise geahnt und wusste, dass sich am schweren schottischen Essen die Geister bekanntlich schieden. Dieses ›Full Scottish Breakfast‹ verlangte einen stählernen Magen, es sei denn man liebte bereits am frühen Morgen eine brutale Attacke auf die Gallenwege. Allein schon der aus Küche des ›Wallace Inn‹ strömende Duft, des fröhlich vor sich hin brutzelnden ›Black Pudding‹, ließ den Beamten des New Scotland Yard erbleichen. Welcher Spinner war nur auf die glorreiche Idee gekommen Grützwurst mit Haferflocken in einer Pfanne zu braten, fragte er sich kopfschüttelnd, während er mit einer Gabel in der warmen dunklen Masse herumstocherte.

Um einem aufkommenden Würgereiz entgegen zu wirken, schob er den Teller entschlossen von sich. Er entschied sich für die ›Scrambled Eggs‹ und klammerte sich an ein paar Scheiben geröstetes Brot und eine Tasse starken schwarzen Tee.

Ein vernünftiges internationales Frühstück wäre ihm lieber gewesen, aber mal ganz abgesehen vom ›Black Pudding‹ war ihm auch das Ereignis der letzten Nacht auf den Magen geschlagen. Von Grafen, die des Nachts im Moor Menschen bissen und ihnen das Blut aussaugten, davon las man nur in der fiktiven Literatur, aber niemals in der Zeitung!

Zwar betrachtete er die Angelegenheit mit dem angeblichen Vampir im Moor heute Morgen aus einem anderen Blickwinkel, aber einen sachlichen Hinweis, der ihm eine plausible Lösung ermöglichte, hatte er noch nicht gefunden. Er überlegte krampfhaft, was er dem Chief Superintendent sagen sollte. Sicher war nur, dass er dem auf keinen Fall mit der Story eines blutsaugenden Grafen kommen konnte. Er würde es ohnehin nicht glauben, völlig unabhängig davon ob es tatsächlich stimmen sollte.

Völlig ungerührt von den Problemen seines Inspektors häufte Sergeant Cyril McGinnis einen weiteren Vorrat ›Black Pudding‹ auf seinen Teller und garnierte den zudem mit einer Portion ›Bacon and Eggs‹. Dann begann er den Haufen in sich hineinzuschaufeln.

Blake spürte bei dem Anblick ein Krampfen seines Magens. Er bemerkte deshalb zunächst nicht, wie ein düster dreinblickender Mann schweigend die Gaststube betrat und mit seinen tiefliegenden dunklen schmalen Augen die anwesende Gesellschaft musterte.

Der Mann trug ein auffallend hochgeschlossenes einfarbig-schwarzes Livree, besetzt mit zahlreichen goldenen Bordüren. Seinen Kopf zierte eine weiße Perücke mit einem Zopf, der von einer kleinen schwarzen Schleife gehalten wurde.

Mit schleppenden Schritten näherte er sich dem Tisch der beiden New Scotland Yard-Mitarbeiter. Als er sie erreicht hatte, öffnete er eine schwarze Ledertasche, entnahm ihr einen versiegelten Umschlag und drapierte ihn neben die Teetasse des Inspektors.

»Seine Lordschaft erwartet keine Antwort.«

Ohne jedes weitere Wort, verließ er schleppend das ›Wallace Inn‹, so wie er gekommen war. Bevor er hinaus auf die Straße trat, warf er von der Tür aus noch einen finsteren Blick auf die frühstückenden Gäste. Dann schloss sich hinter ihm die Tür.

»Der sah ja wohl völlig abgefahren aus. Typen gibt es in diesem Kaff, da macht man sich gar kein Bild von. Hier ist wirklich einer schräger als der andere“, grinste Cyril McGinnis und schaufelte sich gleich darauf den nächsten Bissen ›Black Pudding‹ mit einem gehörigen Streifen Speck in den Mund.

»Wer war denn diese skurrile Gestalt?« wollte Inspektor Blake wissen und sah den Wirt fragend an.

»Das war Nigel, der Butler des Earl of Ross«, flüsterte der Wirt nach einigem Zögern.

Als der Sergeant das hörte fiel ihm die Gabel aus der Hand. Blake sah den Wirt erstaunt an.

»Es gibt also tatsächlich einen Earl of Ross? Und ich dachte, es sei das dumme Gefasel eines Alkoholikers.«

Hornby deutete stumm in Richtung des Fensters. Inspector Blakes Blick fiel auf eine alte ehrfurchteinflößende Burg aus schwarzem Granitstein, die hoch auf einem Felsen thronte. Auch aus einer Entfernung von einer Meile wirkte der Festungsbau groß und wuchtig – vor allem aber düster und bedrohlich. Ein steiler schmaler Pfad führte zum Burgtor, dem einzig sichtbaren Zugang. Keines der zahlreichen Fenster schien breiter als eine Schießscharte zu sein.

»Was Sie da sehen ist das ›Castle Varrich‹, Inspektor. Eigentlich heißt es ›Caisteal Barrhaich‹, aber gälisch sprechen die Leute heute ja kaum noch«, erklärte der Wirt. Eine Mischung von Respekt und Angst schwang in seiner Stimme mit. »Dort lebt Sir Angus Mackay, der Earl of Ross.«

»Als wir heute Nacht die Leiche gefunden haben, sprach Doktor Clesfield von einem Earl of Ross.«

»Auf ›Castle Varrich‹ lebt Angus Mackay, der zwölfte Earl of Ross, mit seinen Söhnen Lennox und Russel. Wenn der Doc vom Earl sprach, dann meinte er Angus Mackay, den zweiten Earl of Ross. Ich hoffe jedenfalls stark, dass ich mich da nicht irre.«

»Vielleicht meint er auch den Siebten«, bemerkte Blake in der ihm eigenen trockenen Art.

»Vielleicht, Sir!« räumte Erin Hornby ein, bevor er sich umdrehte und sich schweigend in seine Küche zurückzog.

Der Inspektor sah interessiert seinen Sergeant an, der gerade dazu übergegangen war seinen Teller ein drittes Mal zu füllen. Blake konnte sich eines verständnislosen Kopfschüttelns nicht erwehren. Wie konnte man sich mit dieser übel riechenden schwarzen Pampe bloß derart den Wanst vollschlagen?

»Cyril!«

McGinnis sah kurz zu ihm auf, grinste wissend und legte seine Gabel beiseite. Er kramte kurz in seiner rechten Hosentasche, holte ein Taschenmesser heraus und schob es seinem Vorgesetzten über den Tisch zu.

Blake betrachtete das prachtvolle Siegel, welches rückwärtig in weinrotem Wachs aufgebracht war. Es zeigte mittig eine nach oben gerichtete Hand mit einem Dolch. Der Wahlspruch lautete: ›Manu Forti – mit starker Hand‹. Dann schlitzte er das Kuvert mit dem Messer auf. Auf unbestimmte Weise verspürte er das ungewisse Gefühl, das Siegel besser nicht zu verletzen.

Der Umschlag enthielt eine äußerst sorgfältig beschriebene Karte aus handgeschöpftem Büttenpapier. Der schlicht Dreizeiler darauf lautete:

»Seine Lordschaft

wünscht Sie zu sprechen,

um 10:00 Uhr.«

Verärgert schob Detective Inspector Blake die Karte in seine Jackentasche. Er ließ sich nicht gern kommandieren und schätzte einen solchen Ton ganz und gar nicht.

McGinnis schob seinen geleerten Teller von sich, lehnte sich entspannt zurück und rieb sich seinen Bauch. Ein leichtes Grunzen erfüllte den Raum. Er schien mit sich und der Welt im Einklang zu sein. Missbilligend zog Blake die buschigen Augenbrauen hoch, als er bemerkte, wie sein Sergeant einen Streifen Bacon in die Finger nahm, etwas Brombeermarmelade darauf strich und herzhaft hineinbiss.

»Es geht doch nichts über ein richtig gutes Frühstück«, griente der und schob noch rasch den Rest hinterher. Mit vollem Mund fügte er dann hinzu: »Ist schließlich die wichtigste Mahlzeit des Tages, Sir.«

»Wie können Sie das bloß essen?« Blake schüttelte sich angewidert.

»Essen ist für mich, wie eine Ayurveda-Anwendung. Nur von innen. Es bringt meine Körpersäfte in Harmonie.«

Blake konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Dann wurde er dienstlich: »Machen Sie alles für den Abtransport des Toten klar. Der Wagen sollte in gut einer dreiviertel Stunde eintreffen.« Er nahm einen Schluck Tee. »Aber tun Sie mir einen Gefallen, Cyril, und versichern Sie sich vorher, dass der verstorbene Mister Gaskell auch noch vor Ort ist. Wir wollen uns schließlich nicht blamieren, oder?«

Detective Sergeant McGinnis schmunzelte.

»Auf keinen Fall wollen wir das«, bestätigte der Hüne. »Was werden Sie jetzt tun, Sir?«

Inspektor Blake wedelte mit dem Umschlag.

»Ich wurde zur Burg gerufen«, erklärte er. »In dieser abgelegenen Gegend scheint noch so etwas wie altertümliche Zucht und Ordnung zu herrschen. Hier hat sich ein Kriminalbeamter des New Scotland Yard doch tatsächlich noch bei seiner hochwohlgeborenen Lordschaft vorzustellen, ehe er ›Hasch mich‹ mit dem Mörder spielen darf.«

»Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, dann würde ich derartige Bemerkungen über seine Lordschaft besser unterlassen, Sir«, ließ sich der Wirt des ›Wallace Inn‹ warnend aus der Küchentür vernehmen.


Die sieben Zypressen

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