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Die Herkunft Jhwhs nach Richter 5 und Psalm 68

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Nach Ri 5,4 kommt Jhwh aus dem Gebiet von Edom, das hier parallel zu Seir gesetzt wird. Das hebräische Wort seir bedeutet „behaart“ und bezieht sich als geographischer Terminus auf ein waldreiches Gebiet innerhalb Edoms. Genauer gesagt bezeichnet Seir das Gebirge, das vom Wadi el-Hesa (dem biblischen Sered) bis zum Golf von Akaba (Eilat) reicht und die Grenze zu Moab bildet. Edom kann dagegen ein viel größeres Gebiet bezeichnen, das einen Großteil des südlichen Negev umfasst. In der Bibel werden die Bezeichnungen Edom und Seir jedoch oft synonym verwendet.

Nach Richter 5 gehört der Sinai zu diesem Gebiet, denn Jhwh wird hier – wie auch in Psalm 68 – durch die Apposition zeh sînay näher bezeichnet. Wörtlich müsste man diese Wendung mit „Jhwh, das ist der Sinai“ übersetzen. Sinai wäre dann also ein anderer Name für Jhwh. Dies ist durchaus denkbar, wenn man davon ausgeht, dass Jhwh ursprünglich ein Toponym gewesen ist und einen Berg bezeichnet hat, dessen Name durch Bedeutungserweiterung zum Namen des Gottes wurde, der dort wohnte. Aber das Wort Sinai, dessen Bedeutung unklar bleibt, weist keine etymologische Verbindung zu Jhwh auf. Somit müsste man sich zwei verschiedene Berge vorstellen, die man irgendwann miteinander identifiziert hat – eine eher komplizierte Hypothese.

Eine bessere Erklärung ist es, zeh in Analogie zum ugaritischen Determinativpronomen d, das es auch in einigen arabischen Sprachen gibt, zu verstehen und zeh sînay mit „derjenige aus dem Sinai“ zu übersetzen. Jhwh wäre dann die Gottheit vom Sinai, so wie die nabatäische Gottheit Ḏū eš-Šarā (Duschara) „derjenige vom (Berg) Schara“ (im Petra-Gebirge) ist. Duschara war der Hauptgott der Nabatäer und wurde in Form einer Betyle, eines Kultsteins, verehrt, später dann unter hellenistischem Einfluss in der Gestalt eines jungen Gottes mit langen Haaren abgebildet (wie Dionysos) oder als schon ältere Gottheit mit Bart, die in hellenistischer Zeit mit Zeus-Hadad oder auch mit einer Sonnengottheit oder mit Dionysos identifiziert wurde. Diese Gleichsetzungen zeigen schon die unterschiedlichen Funktionen, die ihm zugewiesen wurden: als Schutzgott der Nabatäer ist Duschara Zeus oder ein Sonnengott; als Garant für Fruchtbarkeit ist er Hadad (ein Gewittergott in Mesopotamien und im antiken Syrien); als Patron der thîases (Treffen, bei denen man Wein trank) ist er Dionysos. Nach dieser Parallele wäre der Ausdruck „derjenige vom Sinai“ ein Beiname für Jhwh, der – wie wir noch sehen werden – wie Duschara im Lauf der Jahrhunderte verschiedene Funktionen und Namen annimmt.

Die ursprüngliche geographische Lage des Sinai bleibt ein Rätsel. Man hat auch den Eindruck, dass die biblischen Erzähler in diesem Punkt nicht sehr deutlich sind. Der Hymnus in Ri 5,4–5 lokalisier ihn offensichtlich irgendwo in Edom und nicht auf der Halbinsel Sinai, wo die Überlieferung später den Berg der Offenbarung Jhwhs verortet hat.

Der Text von Dtn 33,2 schließt diese Möglichkeit nicht aus: „Jhwh ist vom Sinai gekommen, für sie hat er von Seir geleuchtet, er hat vom Berg Paran aus gestrahlt; er ist in Meribat-Kadesch angekommen; aus seinem Süden zu den Hängen, für sie.“

Das Wort Paran wird in der Hebräischen Bibel in verschiedenen Zusammenhängen gebraucht, und seine exakte Lokalisierung ist unmöglich. Es gibt heute in der Araba ein Naḥal Paran (ein in der Regel ausgetrocknetes Flussbett). Dieser moderne Name kommt vom biblischen Namen Paran, der in den meisten Texten eine Wüste bezeichnet, während es sich im Deuteronomium und im Buch Habakuk dagegen um einen Berg handelt. Nach Gen 21,21 lässt sich Ismael in der Wüste Paran nieder, die nach dem Gesamtzusammenhang dieser Erzählung irgendwo in Richtung Ägypten liegen muss, denn seine Mutter Hagar verheiratet ihn mit einer Ägypterin. In Numeri 13 befindet sich die Wüste Paran in der Nähe der Oase von Kadesch. In anderen biblischen Erzählungen wird mit Paran ein sehr großes Gebiet bezeichnet, das den ganzen Negev umfassen kann. In 1Könige 11,18, das die Flucht Hadads, eines edomitischen Gegners König Salomos, nach Ägypten schildert, ist Paran eine Station auf dem Weg von Midian nach Ägypten („von Midian aufgebrochen, kamen sie nach Paran, nahmen Männer aus Paran mit und kamen nach Ägypten zum Pharao“). Dieser Ort könnte mit der Oase von Wadi Feiran identisch sein, die auf der Strecke von Seir nach Ägypten liegt.

Aber die spezielle Bezeichnung Berg Paran (die in der Bibel nur in den beiden Paralleltexten Deuteronomium 33 und Habakuk 3 belegt ist) zeigt wohl eher, dass wir es hier mit einer gelehrten Spekulation zu tun haben und nicht mit einer althergebrachten Erinnerung.

Da Dtn 33,2 Kadesch erwähnt, kann es nur in der Zeit der Monarchie entstanden sein: Kadesch muss mit der Oase ʿEn el-qederat identifiziert werden, einem befestigten Ort, der zwischen dem 10. und dem 6. Jh. drei längere Siedlungsphasen erlebt hat. Daher ist es möglich, dass Deuteronomium 33 die Erzählungen von Richter 5 und Psalm 68 aufgreift und sie dann – davon ausgehend, dass der Berg Jhwh sich irgendwo auf der Sinai-Halbinsel zwischen Ägypten und dem Negev befindet – neu interpretiert. Hab 3,3 seinerseits nennt als Herkunft Jhwhs Paran, erwähnt den Sinai allerdings nicht: „Gott20 kommt aus Teman, der Heilige kommt vom Berg Paran. Pause. Sein Leuchten bedeckt den Himmel, sein Lob erfüllt die Erde.“ Hier findet sich ein Parallelismus zwischen Teman und dem Berg Paran. Der Terminus Teman ist in Genesis 36 in der Genealogie von Edom als Name einer Person oder eines Clans belegt. In einigen Texten scheint er eine Ortschaft oder ein Gebiet in Edom zu bezeichnen oder ein anderer Ausdruck für Edom zu sein (Jer 49,7 u. 20; Ez 25,13; Am 11,11–12; Obd 8–9).

Außerhalb der Bibel erwähnt eine Inschrift aus Kuntillet Adschrud (auf die wir noch zurückkommen werden) neben einem Jhwh von Samaria einen Jhwh von Teman, was ganz einfach den „Süden“ meinen kann. Das Lexem (von der Wurzel y-m-n) bezeichnet in der Tat zum einen den Süden im Allgemeinen und wird zum anderen als geographischer Terminus gebraucht („Südland“). In Habakuk 3 kann Teman entweder den Süden im Allgemeinen meinen oder den Negev oder sogar – nimmt man Richter 5, Genesis 36 und andere Texte hinzu – das edomitische Gebiet21.

Das Ergebnis des Vergleichs der vier Texte kann, was die Herkunft Jhwhs angeht, so zusammengefasst werden: Mit Ausnahme von Deuteronomium 33 (das aber insgesamt ziemlich unklar bleibt), wird Jhwh im Süden „lokalisiert“, in edomitischem Gebiet oder, ganz allgemein, in einem Gebiet südlich von Juda. Es ist sehr gut möglich, dass diese vier poetischen Abschnitte eine alte Überlieferung aufgreifen, nach der Jhwh eine Gottheit war, die mit einem Berg in der Wüste im Osten oder im Westen der Araba verbunden wurde.

Diese Theorie ist von Henrik Pfeiffer heftig bestritten worden22. Für ihn stammen diese vier Textabschnitte aus viel jüngerer Zeit und setzen die Zerstörung Jerusalems im Jahr 587 v.u.Z. voraus. Seiner Meinung nach sind sie verfasst worden, um den Verlust des Tempels Jhwhs in Jerusalem auszugleichen, indem er aus dem Gebiet von Juda heraus in die Wüste, in „feindliches“ Gebiet verlegt wurde. Die Vorstellung, dass diese poetischen und grammatikalisch schwierigen Texte eine bewusste theologische Erfindung von Redaktoren aus babylonischer oder persischer Zeit gewesen sind, erscheint jedoch anachronistisch. Es ist wahrscheinlicher, dass sie die Erinnerung an einen aus dem „Süden“ stammenden Jhwh bewahren23.

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