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Prolog – 13.11.2015 Paris

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Es war Freitag, der 13.11.2015. In manchen Kulturen gilt der 13. Tag eines Monats, wenn er auf einen Freitag fiel, als ein Unglückstag. In Paris dachte an diesem Tag aber wohl kaum jemand an diesen Volksglauben. Eine Vielzahl an kulturellen und sportlichen Veranstaltungen lockte – wie immer am beginnenden Wochenende in Frankreichs Hauptstadt – die Menschen aus ihren Wohnungen und die vielen Touristen versammelten sich an verschiedenen Orten und Plätzen der Stadt.

Zumindest im Nachhinein berichteten aber einzelne Menschen von besonderen Vorkommnissen an diesem Tag. Einer wunderte sich über eine Schar Vögel, die ungewohnt geräuschlos und geradezu rastlos von Dach zu Dach flogen. Eine andere glaubte schon am Nachmittag einen sonderbaren Geruch, der aus den Kanaldeckeln strömte, wahrzunehmen. Anfangs konnte sie ihn jedoch nicht identifizieren. Am Ende des Tages glaubte sie fest daran, dass es sich hierbei jedenfalls um einen Verwesungsgeruch gehandelt haben musste.

Am frühen Abend war jedoch quer durch die Stadt nichts von alldem bemerkbar. Viele Fußballfans freuten sich auf ein Freundschaftsspiel, das zwischen den zwei großen Fußballnationen Frankreich und Deutschland im Stade de France ausgetragen wurde. Auf den zahlreichen Plätzen und in die Cafés drängten sich viele Touristen, die zuvor noch in den Museen die zahlreichen Kunstwerke bewundert hatten. Die Pariser Jugend bereitete sich auf ein wildes Ausgehwochenende vor, währenddessen die gemütlicheren Hauptstadtbewohner vor einem Glas französischem Rotwein saßen und ihr Abendessen genossen.

Um knapp nach 21.15 Uhr nahm das Unheil jedoch seinen Lauf. Die Fernsehzuschauer des Fußball Freundschaftsspiels nahmen zwei ungewöhnliche Geräusche wahr, die sie anfangs jedoch nicht zuordnen konnten. Sie maßen diesen, ebenso wie die Tausenden Zuschauer im Stadion, aber keine Bedeutung zu. Es war Freitag, das Wochenende hatte begonnen. Die meisten Menschen konnten die Arbeit hinter sich lassen und sich damit den angenehmen Seiten des menschlichen Lebens widmen.

Kurz darauf fielen Schüsse in einem Café und in einem Restaurant in der Rue Alibert. Gut sieben Kilometer südlich vom Stade de France waren diese Tatorte dem Stadtzentrum schon deutlich näher. Nur wenige Minuten später wurden weitere Schüsse in der Rue du Faubourg-du-Temple und in der Rue de la Fontaine-au-Roi abgegeben. In der Rue de Charonne versuchten zudem bewaffnete Attentäter gezielt die Barbesucher zu töten.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde in den sozialen Medien der größere Kontext der Anschläge ersichtlich. Vor 20 Jahren dauerte es vielleicht noch einen Tag, bis die Menschen breitflächig von einer Anschlagsserie erfuhren. Vor 10 Jahren reduzierte sich der Zeitraum schon auf ein paar Stunden. Im Jahr 2015 waren es aber nur mehr wenige Minuten.

Durch Twitter, Facebook und andere soziale Medien war die Welt schon ungefähr informiert, bevor um 21.40 Uhr drei schwer bewaffnete Angreifer in die Konzerthalle Bataclan eindrangen. Wie im Stade de France wurden die Schüsse und Explosionen anfangs von so manchen Konzertbesucher nicht als solche wahrgenommen. Die Salven aus den Kalaschnikow Sturmgewehren und die explodierenden Handgranaten ließen aber sehr schnell jeden Zweifel über die Ursache der Geräusche im Keim ersticken.

Das Grauen nahm seinen Lauf. Wahllos feuerten die Attentäter in die Menge. Blut und Körperflüssigkeiten verteilten sich nicht nur am Boden und auf den Wänden, sondern auch in den Gesichtern der fliehenden Menschen. So mancher Konzertbesucher wähnte sich schon in Sicherheit als er die rettende Tür nur mehr wenige Meter vor sich sah. Es schien so, als ob die Attentäter ihr Feuer auf die Ausgänge konzentrierten.

Eine junge Frau hob ihre Hände und wandte sich an einen der Terroristen. Ihre blonden Haare waren schon zu roten, dicken Strähnen verklebt. Sie schrie nach Leibeskräften, um den Lärm der Sturmgewehre und der explodierenden Granaten zu übertönen. Sie flehte um Gnade, gestikulierte mit ihren Händen und sank schließlich auf die Knie, nur wenige Meter vor dem Attentäter. Er stellte das Feuer ein, lächelte ihr zu und deutete mit der linken Hand, mit der er das Sturmgewehr hielt, auf den Ausgang zu.

Die junge Frau konnte es im ersten Moment gar nicht glauben, dass der ganz in schwarz gekleideten Mann sie gehen ließ. Sie setze schon an, um ihren Kopf in Richtung Ausgang zu drehen, als er plötzlich mit der rechten Hand hinter den Rücken griff und eine Pistole zog. Mit einem lauten Lachen drückte er ab und die Kugel schlug zwischen den Augen der Frau ein und sie fiel augenblicklich zu Boden.

In den sozialen Medien wurden in beängstigender Geschwindigkeit auch Fotos, Videos und Audiofiles aus dem Bataclan geteilt. So konnte die Welt mit den Eingeschlossenen, zum Teil als Geisel genommen, zum Teil unter Toten liegend versteckt, mitleiden. Erst nach Stunden konnte dem Grauen im Bataclan durch den Zugriff einer Spezialeinheit ein Ende gemacht werden.

Die Attentäter wurden dabei – mit Ausnahme einer Person – nicht durch die Spezialkräfte ausgeschaltet, sondern zündeten ihre Sprengstoffwesten. Sie vernichteten damit nicht nur ihr Leben und jener der um die Terroristen gruppierten Geisel, sondern auch mögliche Hinweise. Vereinzelt wurden auch Aufnahmen verstörend wirkender Überlebender in den Medien veröffentlicht, die einen Hauch der schrecklichen Erlebnisse erahnen ließen.

Schon während der Angriffe begannen die Polizei und Spezialkräfte mit der Suche nach dem Verantwortlichen der Anschläge. Die verschiedenen Aktionen erschienen geplant, koordiniert und auch zeitlich aufeinander abgestimmt. Als Anführer wurde nach kurzer Zeit ein 28-jähriger Belgier identifiziert. Er kam, nach intensiver Geheimdienst- und Polizeiarbeit, wenige Tage später schließlich im Rahmen einer Razzia in Saint Denis ums Leben.

Die mediale Aufarbeitung konzentrierte sich dabei auf die Entwicklung des vorher als gut integriert beschriebenen Belgiers zu einem IS-Kämpfer und die letzten Stationen vor seinem Tod. Schon im Januar 2015 stand er im Fokus der belgischen Polizei, konnte vor dem Zugriff jedoch fliehen. Weiters wurde er mit einem Anschlag in einem Schnellzug von Amsterdam nach Paris im August 2015 in Verbindung gebracht.

Schon deutlich seltener waren Berichte über die ausgedehnten Reisen des Belgiers in die Türkei, nach Syrien und vor allem nach Deutschland auszumachen. Komplett im Dunkeln der medialen Berichterstattung blieb die Beschaffung der finanziellen Mittel für die Anschläge, die Rekrutierung und Organisation der anderen in Frankreich tätigen Zellen und vor allem ob und wie der Belgier mit der Führungsspitze des IS in Verbindung stand.

Eine weitere Verbindung des Belgiers zu Terrorzellen in anderen Ländern wurde nie öffentlich. In keinen Statements der Polizei oder der Politik wurde auf eine mögliche Vernetzung mit anderen Attentätern eingegangen. Auch die Medien griffen diesen Aspekt nie auf. Selbst die sozialen Netzwerke, ansonsten für Verschwörungstheorien berüchtigt, negierten in ungekannter Einigkeit diese wesentliche Frage.

Dabei gab es zarte Hinweise, die vereinzelt auf weitere Terrorakte an diesem Tag verwiesen. So teilten etwa die türkischen Behörden mit, dass an eben diesem 13.11.2015 ein weitreichender Anschlag in Istanbul verhindert worden war. Fünf Verdächtige wurden festgenommen. Unter ihnen soll ein enger Vertrauter des berühmten IS-Kämpfers Jihadi John gewesen sein. Ebenso wenig wie die Namen der Verdächtigen drangen Ergebnisse aus den Verhören der festgenommenen Personen nach außen.

Ein engagierter türkischer Journalist begann die Hintergründe der Verhaftungen und Details zu den mutmaßlichen Terroristen zu recherchieren. Nach zwei Artikeln in einer kleinen Zeitung, in denen er auch durchaus sehr kritische Fragen an die türkischen Behörden adressierte, verschwand der Journalist für zwei Jahre von der Bildfläche. Nach seinem Wiederauftauchen arbeitete er für die türkische Regierung und nahm zu den Ereignissen im Jahr 2015 und zu seinem Verschwinden nie wieder Stellung.

Am 22. März 2016 – also gut vier Monate nach den Anschlägen in Paris – verübten zwei IS-Kämpfer Selbstmordattentate auf den Brüsseler Flughafen und die Brüsseler Innenstadt. Auf dem Laptop eines der Attentäter fanden die Behörden Hinweise auf einen parallel zu den Pariser Attentaten geplanten Anschlag auf den Amsterdamer Flughafen Schiphol. Am 13. November 2015 reisten zudem zwei Personen aus Paris nach Amsterdam und buchten ein Hotelzimmer in unmittelbarer Nähe des drittgrößten Flughafen Europas.

Diese Erkenntnisse wurden erst Monate nach dem 13.11.2015 publik, sodass der Konnex mit den Pariser Anschlägen nicht mehr augenscheinlich war. Jedenfalls gab es keine besonderen Anstrengungen, um eine Verbindung zu den vielfach schon verarbeiteten Terroranschlägen in Paris herzustellen, obwohl diese die Öffentlichkeit so stark berührten.

Viele Menschen kannten Opfer, Verletzte oder deren Angehörige und Bekannte, die im Stade de France, im Bataclan oder in den Cafés und Restaurants ums Leben gekommen waren. Andere wiederum empfanden eine Verbindung zu den Tatorten aus Besuchen oder aus den Medien. Mit über 18 Millionen Besuchern jährlich ist Paris einer der meist-besuchten Metropolen der Welt. Wieder andere fühlten sich in ihrer eigenen Lebensweise bedroht, auch wenn sie tausende Kilometer entfernt lebten. So identifizierten sich zumindest Millionen Männer und Frauen mit den Betroffenen der Anschläge.

Die meisten Menschen einte der Wunsch, dass dieses schreckliche Ereignis einmalig blieb, dass die Politik und die Behörden derartig grausame Angriffe verhindern würden und dass vor allem keine Terrororganisation die Geheimdienste mehrerer Länder täuschen und mehrere hundert oder vielleicht sogar tausend Menschen in ihrer gewohnten und vertrauten Umgebung grauenvoll töten könnte.

So blieben viele Fragen, die auch gar nie gestellt wurden, unbeantwortet. Nur einige wenige konnten die Tragweite der Ereignisse abschätzen und beschlossen auch zu reagieren. Ein Umstand blieb zu diesem Zeitpunkt aber für alle im Verborgenen. Der vermeintliche Kopf der Pariser Anschläge versendete um 21.38 Uhr zwei gleichlautende SMS von seinem Handy. Dieses Mobiltelefon wurde jedoch nie gefunden und auch nie seiner Person zugeordnet. Vermutlich liegt es noch heute am Grunde der Seine, in der Nähe der Pont de l’Île Saint-Denis.


13.11.2015

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