Читать книгу 13.11.2015 - Thomas Schiendl - Страница 5
Kapitel – 13.11.2015 London
ОглавлениеEs war 20.30 Uhr. Sir Robert Fulham saß nach einem langen Arbeitstag noch immer an seinem Schreibtisch und studierte einen Bericht. Die Zettel waren klassisch in einen Ordner mit einem ledernen Einband eingereiht. Auf der Vorderseite prangte in großen roten Lettern „Streng geheim!“
Er leitete nun knapp 5 Jahre den britischen Auslandsgeheimdienst MI6. Fast sein ganzes Berufsleben lang arbeitete er für den Secret Intelligence Service, so der offizielle Name seines Arbeitgebers. Nach dem Studium am Magdalen College in Oxford heuerte er bei der britischen Armee an. Schon nach drei Jahren beendete er seine Militärkarriere und begann für den MI6 zu arbeiten.
Die ersten Jahre war er in Europa und dann lange Zeit im Nahen Osten tätig. Oft und gerne erinnerte sich an diese Zeit. Weniger technische Spielereien, sondern mehr die echte Geheimdienstarbeit: Rekrutieren von Informanten, Umdrehen von Agenten, Einschleusen in feindliche Operationen. Plötzlich klopfte es an der Tür.
„Ja?“
„Sir, ich sollte sie noch dran erinnern, dass unser Stationsleiter in Kabul auf Ihre Entscheidung wartet.“
Es war sein Assistent Alex. Er war erst ein Jahr für Fulham tätig. Fulham schätzte ihn sehr. Nicht nur sein wacher Geist, vor allem seine ausgezeichneten Manieren haben den MI6 Chef schon am ersten Tag beeindruckt.
Fulham wollte schon etwas erwidern, als sein Smartphone plötzlich vibrierte. Er blickte kurz auf das Display, es war sein alter Freund Steve.
„Bitte entschuldigen Sie! Aber bleiben Sie bitte noch da, es dauert sicher nicht lange, dann können wir über Kabul sprechen“
Fulham wischte nach seinen Worten mit dem rechten Zeigefinger über den kleinen Bildschirm, um den Anruf entgegenzunehmen. Er kannte seinen Polizeifreund seit vielen, vielen Jahren, aber an einem Freitagabend hatte er ihn schon seit 20 Jahren nicht mehr angerufen.
„Hallo Steve!“
Doch am anderen Ende der Leitung vernahm er nur ein Schweigen. Die leisen Hintergrundgeräusche konnte er nicht zuordnen
Fulham probierte es noch einmal: „Hallo?“
„Ich bin Emily Jones und ich bin die Partnerin Ihres Freundes. Und wir stecken in großen Schwierigkeiten!“
Seine böse Vorahnung hatte den MI6 Chef also nicht getäuscht. Er stellte sein Handy auf Lautsprecher, damit sein Assistent mithören konnte und gab ihm einen kurzen Wink, dass er das Signal des anderen Mobiltelefons orten und sich für weitere Befehle bereithalten sollte. Alex tippte sofort auf sein iPad und wandte seine Blicke nicht mehr von seinem Chef ab.
„Ihr Freund ist tot. Hier war ein Anschlag geplant, …“
Emily schluchzte zwischendurch, sie wusste eigentlich nicht was sie alles erzählen sollte. Doch Robert Fulham unterbrach sie:
„Gibt es weitere Verletzte oder Tote?“
„Nur die 3 Terroristen.“
„Haben Sie die Zentrale schon verständigt?“
„Nein, Steve meinte, dass ich Sie anrufen sollte. Hier läuft etwas Gewaltiges!“
„Hat jemand etwas mitbekommen. Passanten?“
Fulham schaute zu seinen Assistenten, der sein iPad zu ihm hindrehte und ein blinkender Punkt war auf einer Karte erkennbar. Er setzte fort,
„U-Bahn-Gäste, Autofahrer?“
Emily drehte sich um ihre eigene Achse. Es war alles ruhig. Auf der anderen Seite des Parkplatzes leuchteten gerade zwei Xenon Scheinwerfer auf. Der Autofahrer schien sein Auto abgeholt zu haben und den Parkplatz verlassen zu wollen. Die Ausfahrt war aber ebenso auf der anderen Seite, sodass er bei Emily und dem Tatort gar nicht vorbeikam.
„Nein! Die wollten Sprengstoff in die O2 Arena bringen!“
Emily kam fast nicht zu Wort, sie musste ihm endlich die wichtigsten Punkte mitteilen.
„Okay, hören Sie mir genau zu! Das muss absolut geheim bleiben. Sonst haben wir eine Panik in einer Konzerthalle mit über 10.000 Menschen und in den nächsten Tagen eine Hysterie, die mit Sicherheit viele Menschenleben fordert und unser aller Arbeit unmöglich macht.“
Emily versuchte sich zu konzentrieren und jedes Wort des MI6 Chefs zu verstehen. Dieser begab sich weiterhin telefonierend mit seinem Assistenten in den Lift, direkt in die Tiefgarage, wo der Dienst-Jaguar mit Chauffeur bereits wartete. Alex hatte inzwischen schon eine Person angerufen, die ihm Fulham zwischen den Sätzen mit Emily zuflüsterte und eine Kurzinstruktion. Im Gebäude waren in den Aufzugsschächten und in der Tiefgarage Sendemasten, damit wichtige Gespräche nicht unterbrochen werden mussten, nur weil sonst kein Empfang vorhanden war.
So wurden zwei als Rettungshubschrauber getarnte Helikopter alarmiert. Diese beherbergten eine schnelle Eingreiftruppe, die jedoch als Ärzte und medizinisches Personal verkleidet waren. Die zwei Hubschrauber sollten allerdings noch nicht zum nördlichen Teil Greenwichs – wo eben die Konzerthalle situiert war – aufbrechen, sondern auf einer möglichst unauffälligen Stelle über der Themse warten.
Im Idealfall vernichtete eine getarnte Eingreiftruppe am Boden die gröbsten Beweise. Erst dann sollte ein Helikopter landen, um einen Rettungseinsatz vorzutäuschen. Hubschrauber generieren aber zu viel Aufmerksamkeit, sodass die Aufräumarbeiten zuvor schon abgeschlossen sein mussten. So lautete jedenfalls der Plan von Robert Fulham. Nun musste er noch möglichst viel von Emily Jones erfahren, damit seine Teams optimal arbeiten konnten.
Nach den Hubschraubern, sozusagen als Backup und als Ultima Ratio, also als letztes Mittel, alarmierte Alex eine weitere Eingreiftruppe. In einem Boot und in mehreren Fahrzeugen rückten sie auf den Parkplatz südlich der O2 Arena heran. Das Ziel dieser Einheiten war im Gegensatz zu den Hubschrauberteams ein unauffälliges Vorrücken.
Emily befolgte in der Zwischenzeit die wenigen Anweisungen, die ihr Fulham gegeben hatte. Sie sammelte die Taschen und Rucksäcke der Attentäter ein und schob sie unter einen großen Pickup. Gleich verfuhr sie mit den drei Leichen. Bei dem Anblick der Leichen der Terroristen empfand sie ein bisher nie gekanntes Hochgefühl. Sie war stolz diese Bastarde umgebracht zu haben. Ein Blick in einen Autorückspiegel bestätigte ihr auch, dass sie nicht mehr wie eine Polizistin, sondern wie ein durchgeknallter Junkie aussah.
„Ziehen Sie ihre Uniform so weit wie möglich aus, entfernen Sie Abzeichen, ihren Hut, ihre Weste! Schieben sie dann die Leichen der Attentäter und alle Gegenstände unter parkende Autos. Möglichst in der Nähe, um nicht zu viel Blut auf der Straße zu verschmieren und damit auf den ersten Blick alles in Ordnung erscheint. Knien sie sich vor ihren Kollegen, aber so dass sie zwischen den Autos versteckt sind! Bedecken Sie seine Kleider, sodass kein But zu sehen ist. Sollte ein Passant vorbeikommen, dann hatte ihr Freund einen Herzinfarkt und sie warten schon auf den Rettungswagen.“
Fulhams Instruktionen würde sie wohl nie vergessen. Über jedes Wort dachte sie nach, als sie seine Anweisungen Schritt für Schritt abarbeitete.
Ihre Verwandlung in eine Zivilistin und das Verstecken der Leichen der Terroristen vollzog Emily in einer Art Automatikmodus. Erst jetzt, als sie sich über den toten Steve Smith beugte kehrte ihre menschliche Seite zurück. Sie fing für einen Moment an zu schluchzen und drückte ihr Gesicht an die Brust ihres Kollegen. In einer der Taschen fand sie eine kleine Decke, die sie über Steve ausbreitete. Auf den ersten Blick konnte somit niemand seine Wunden erkennen. Auch schien die Decke das Blut gar nicht aufzusaugen.
Überhaupt gab sie ein perfektes Bild für einen zufällig vorbeikommenden Passanten ab. Lediglich ein BH bedeckte noch ihren Oberkörper. Für eine „normale“ Londonerin wäre das für Mitte November – trotz eines relativ warmen Tages – eher ungewöhnlich gewesen. Zum einen tauchten aber bei der Konzerthalle oftmals die verrücktesten Menschen auf. Zum zweiten waren ihre Haare so wirr durcheinander und wenn man in ihr Gesicht blickte, wusste man nicht, ob die Schminke verronnen oder absichtlich so aufgetragen worden war. Ihre Hose schien eine typische Funktionshose mit Seitentaschen zu sein. Kurz gesagt, als Passant ließ man diese Frau in Ruhe.
Seit ihrem Anruf waren vielleicht zehn Minuten vergangen. Fulham beendete seine Weisungen noch mit aufmunternden Worten und dass sie sofort anfangen sollte den Tatort zu neutralisieren. Dann legte er auf. Emily hob ihren Kopf, da sie ein Geräusch wahrnahm.
Plötzlich fasste ein Mann auf ihre Schulter.
„Sind Sie Emily Jones?“
Sie drehte den Kopf zurück und blickte in ein freundliches, aber entschlossenes Gesicht. Der Mann war neutral angezogen, dunkle Jeans. Ein weißes Hemd, von dem man nur den Kragen sah, da er darüber einen schwarzen Pullover trug.
„Ja. Wer sind Sie?“
„Wir sind hier, um Ihnen zu helfen.“
Er zeigte dabei auf eine weitere Person ein paar Meter hinter ihm.
„Brauchen Sie sofort einen Arzt oder können Sie noch ein paar Minuten warten?“
Er hielt noch immer mit seiner Hand ihre Schulter, blickte ihr ins Gesicht, musterte sie von oben bis unten und erwartete dann auch gar keine Antwort mehr von ihr.
„Wo haben Sie die Sachen versteckt?“
Er betonte dabei das Wort Sachen ungewöhnlich lange und gab damit wohl zu verstehen, dass er darunter vor allem die Leichen meinte.
Emily war einfach froh, dass sie nun nicht mehr allein war. Sie zeigte auf drei Autos in der Nähe und gestikulierte dabei mit ihrer rechten Hand:
„Unter dem schwarzen Nissan Navara, dort drüben unter dem weißen Honda CR-V und dann noch beim grauen Ford Transporter.“
„Bleiben Sie bitte noch hier bis meine Kollegen sich um Sie kümmern.“
Im nächsten Moment zog der Mann schon seine Hand von Emilys Schulter zurück, stand auf und bewegte sich zu seinem Kollegen. Inzwischen traf ein schwarzer Transporter ein und zwei Männer stiegen aus. Emily war sich sicher, dass die vier Typen von Robert Fulham geschickt worden waren.
Sie beobachtete wie einer der Agenten sich wieder ans Steuer setzte und den Transporter neben dem Nissan Navarro parkte. Die anderen drei Geheimdienstmitarbeiter luden die Taschen und Rucksäcke der Attentäter in ihr schwarzes Fahrzeug. Dann setzen sie ihre Arbeit bei den beiden anderen Autos fort und packten ebenso die Leichen ein. Sie verfuhren dabei ganz ruhig und ihre Bewegungen wirkten ganz routiniert und eingespielt.
Emily wunderte sich gerade, wieso einer der Agenten ein Pulver über den Asphalt leerte, wo die Leichen gelegen waren. Aus ihren Augenwinkeln nahm sie nun auch ein sich näherndes Straßenreinigungsfahrzeug wahr. Dies gehörte sicherlich auch zum MI6 Reinigungsteam.
Plötzlich legte wieder ein Mann seine Hand auf Emilys Schulter. Diesmal aber nur kurz, damit er ihre Aufmerksamkeit bekam.
„Emily Jones, bitten kommen Sie mit mir mit. Brauchen Sie Hilfe beim Gehen, soll ich Sie stützen?“
Alex wartete ihre Antwort gar nicht ab, warf einen dunklen Bademantel über sie und gab ihr ein feuchtes Handtuch. Er zog sie zur Limousine seines Vorgesetzten, die etwas entfernt stand. Er öffnete die Wagentür und drückte sie mit einem leichten Schubs auf die Rückbank. Dann schloss er die Tür und wartete draußen vor der Motorhaube des Jaguars. Emily blickte zurück, wo sie die letzten Minuten bei ihrem Partner gesessen hatte. Ein Notarztwagen parkte nun neben ihm. Eine Frau sprang aus dem Auto, sie schaute zumindest wie eine Ärztin aus, und ein Mann folgte ihr.
„Wir kümmern uns um Steve. Er ist an einem Herzinfarkt gestorben. Wir waschen ihn, ziehen ihm eine neue Uniform an und bringen ihn so ins Krankenhaus.“
Sie erkannte die Stimme als jene, mit der sie vor ein paar Minuten telefoniert hatte.
„Guten Abend! Ich bin Robert Fulham. Wir bringen Sie gleich zu einem Arzt, der sie gründlich untersuchen wird. Sie werden dort auch die Nacht verbringen. Sollen wir jemanden benachrichtigen, der auf Sie wartet?“
„Nein.“
„Ich möchte mich bei Ihnen bedanken! Ich weiß zwar noch nicht genau, was heute passiert ist, das müssen sie uns nach dem Erstcheck noch mitteilen. Aber Sie haben einen Anschlag auf eine der größten Konzerthallen der Welt verhindert! Bitte teilen Sie dies mit niemanden! Wie es ausschaut, hat niemand diese Vorkommnisse heute mitbekommen. Und dabei muss es bleiben! Danke nochmal!“
Emily wollte antworten, sich einfach nur bedanken, doch sie brachte keine Worte mehr hervor. Dann öffnete schon auch wieder der Assistent Fulhams die Autotür und brachte sie in einen anderen Wagen, der sofort in Richtung Süden losbrauste.