Читать книгу Die Stadt der Regenfresser - Thomas Thiemeyer - Страница 12

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Als es Max endlich gelang, seine Augen von der Aufnahme zu lösen, bemerkte er, dass Vanderbilt direkt neben ihm stand. Sein Gesicht war rot vor Erregung.

»Verblüffend, nicht wahr?«

Max’ Verstand bemühte sich, eine rationale Erklärung für das Gesehene zu finden, doch es gelang ihm nicht. »Sind Sie sicher, dass das keine Fälschung ist?«, brachte er schließlich mit krächzender Stimme heraus. »Irgendein optischer Trick, um uns an der Nase herumzuführen?«

Vanderbilt zuckte die Schultern. »Wenn es so wäre, hätten wir es mit einer verdammt guten Illusion zu tun«, sagte er. »So oder so, es wäre auf jeden Fall einen Artikel in unserer Zeitschrift wert. Aber wichtiger noch: Ich muss Boswell finden. Er muss darüber berichten, was er da fotografiert hat. Ich möchte, dass Sie sich darum kümmern, Max. Persönlich.«

Max hob den Kopf. Erst jetzt wurde ihm klar, was sein Verleger da von ihm verlangte. »Ich … ich soll nach Südamerika fahren?«

»Ganz recht. Und zwar so bald wie möglich. Ich gebe Ihnen vierundzwanzig Stunden Zeit, Ihre Sachen zu packen und sich von Ihrer Familie zu verabschieden. Auf Ihren Namen ist ein Bahnticket ausgestellt, das Sie quer durch die Staaten bis nach San Francisco bringen wird. Von dort werden Sie mit dem Schiff Richtung Süden bis nach Lima fahren. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie sich regelmäßig bei mir melden.«

»Aber das geht doch nicht!«, protestierte Max. »Ich bin Zeitungsredakteur, kein Abenteurer. Ich habe keine Ahnung von der Logistik eines solchen Unternehmens, geschweige denn von den Sitten und Gebräuchen eines Landes wie Peru. Und überhaupt: Was soll diese Eile? Ich sehe keinen Grund für einen überstürzten Aufbruch. Ich finde, wir sollten das alles noch einmal in Ruhe überdenken.« Seine Stimme wurde leiser. Er war sich mit einem Mal bewusst, dass das Gerangel an den Tischen beendet war und alle Augen sich auf ihn gerichtet hatten.

»Der Grund, mein lieber Pepper, ist folgender …«, Vanderbilt plusterte sich auf wie ein Truthahn. »Ich habe Grund zu der Annahme, dass wir es mit einem unserer ärgsten Widersacher zu tun haben.«

»Dem National Geographic?«

Vanderbilt schüttelte den Kopf. »Schlimmer. Wie wir aus Lima erfahren haben, hat es ursprünglich fünf Platten gegeben. Durch einen dummen Zufall scheint eine davon auf dem Schwarzmarkt an jemand anderen verkauft worden zu sein. Jemand, der uns allen bekannt sein dürfte und der uns große Schwierigkeiten machen kann. Sein Name …«, er legte eine Kunstpause ein, »… ist Carl Friedrich von Humboldt.«

Wieder waren Ausrufe des Erstaunens zu hören, diesmal jedoch durchsetzt mit Flüchen. Jeder in diesem Raum kannte den Namen. Der Forscher – der Legende zufolge ein illegitimer Spross des großen Alexander von Humboldt – hatte sich in den vorangegangenen Jahren als zäher Widersacher erwiesen. Immer, wenn irgendwo eine neue Insel, ein unbekannter Stamm oder gar eine verschollen geglaubte Kultur entdeckt wurde, war Humboldt schon vor ihnen da gewesen. Sei es in Madagaskar, in Tasmanien oder auf den Osterinseln. Er hatte Grönland genauso bereist wie Indien, Afghanistan und den Hindukusch. Der Mann schien ein untrügliches Gespür für interessante Standorte und einen schier unersättlichen Hunger auf Abenteuer zu haben.

An sich war daran nichts Verwerfliches, Abenteurer gab es genug. Dieser Humboldt neigte jedoch dazu, seine Funde zu publizieren und das National Geographic hatte bereits großes Interesse an seinen Berichten bekundet.

»Sie sehen also, mein lieber Pepper, wie wichtig der Faktor Zeit in diesem Fall ist. Wenn Humboldt Wind von der Sache bekommen hat, zählt jeder Tag.«

»Wenn der Mann wirklich an der Sache dran ist, dann sehe ich noch weniger Grund, jemanden wie mich auf diese Reise zu schicken. Humboldt ist ein Abenteurer, wie er im Buche steht. Ein Forscher von echtem Schrot und Korn. Zäh, skrupellos und absolut unberechenbar. Gegen einen solchen Konkurrenten hätte ich keine Chance.«

»Sie werden nicht allein sein«, sagte Vanderbilt und ein schwer zu deutendes Lächeln umspielte seinen Mund. »Ich werde Ihnen jemand zur Seite stellen, der es in Sachen Intelligenz und Durchtriebenheit durchaus mit Humboldt aufnehmen kann. Jemand, der sich an jedem Ort der Erde zurechtfindet und sich hervorragend zu verteidigen weiß. Ich wende mich nur an sie, wenn es um Aufträge von besonders heiklem Charakter geht. Sie arbeitet gerne im Verborgenen. Ihr Name ist Valkrys Stone.«

»Eine Frau?« Max glaubte, sich verhört zu haben.

»Ganz recht.« Vanderbilt verschränkte die Arme hinter dem Rücken und richtete seinen Blick hinüber zum Central Park. »Miss Stone arbeitet schon seit vielen Jahren für mich. Sie haben von ihr bislang noch nichts gehört, weil hierfür keine Notwendigkeit bestand. Sie schätzt es, unerkannt zu bleiben. Aber sie ist eine der Besten ihres Faches, das können Sie mir glauben.«

Max schwieg. Während er nach außen hin so tat, als würde er sich Vanderbilts Vorschlag durch den Kopf gehen lassen, überlegte er fieberhaft, wie er aus dieser unangenehmen Situation herauskam. Er war ein Stadtmensch, ein Stubenhocker, wenn man so wollte. Er liebte es, über fremde Länder zu berichten, aber selbst dorthin zu reisen war ihm ein Gräuel. Schon als Kind war ihm jede Ortsveränderung zuwider gewesen. Er zermarterte sich das Hirn, was sein Chef wohl als Entschuldigung durchgehen lassen würde. Das Dumme war: Ihm fiel nichts ein. Die Sekunden verrannen. Mit jedem Ticken der Wanduhr wurden die Blicke der Anwesenden bohrender. Endlich hielt Max es nicht mehr länger aus. Kleinlaut und mit einem ganz miesen Gefühl im Bauch sagte er: »Wenn es denn unbedingt sein muss …«

Der Zeitungsmogul lachte und schlug ihm seine Pranke zwischen die Schulterblätter. »Nichts anderes habe ich von Ihnen erwartet, Pepper. Das ist der Geist, der in diesen heiligen Hallen weht. Lassen Sie uns doch mal über eine Gehaltserhöhung sprechen, wenn Sie wieder zurück sind.«

Die Stadt der Regenfresser

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