Читать книгу Die Stadt der Regenfresser - Thomas Thiemeyer - Страница 8
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Berlin, drei Monate später …
Von dem Augenblick an, als Oskar den Mann zum ersten Mal sah, wusste er, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Die Erscheinung schlug ihn sofort in seinen Bann. Einmal abgesehen von der beeindruckenden Größe – der Kerl war vielleicht eins neunzig groß und breit wie ein Schrank –, seinem hohen, schlanken Zylinder, dem pechschwarzen Ledermantel und den eisenbeschlagenen Stiefeln, war es vor allem der prächtige Spazierstock, der seine Aufmerksamkeit erregte. Wie alles an ihm war auch dieser von so allumfassender Schwärze, dass er das Licht gänzlich zu schlucken schien. Einzig der Knauf in Form eines Löwenkopfes leuchtete in einem hellen, strahlenden Goldton. Das Gesicht des Mannes lag im Schatten, doch Oskar erkannte eine scharf geschnittene Nase, die einem Falkenschnabel nicht unähnlich sah, eine schmale Brille, sowie glatt rasierte Wangen. Die Haare waren an den Schläfen etwas grau und am Hinterkopf zu einem Zopf geflochten. Die Augen waren auf die Auslagen eines Fachgeschäftes für Degen, Säbel und Rapiere gerichtet. Etwas Gefährliches umwehte diesen Mann wie ein kalter Wind. Oskar hätte normalerweise einen weiten Bogen um ihn gemacht, wäre da nicht diese unerklärliche Neugier gewesen. Was wollte ein solch wohlhabender Mann in dieser – zugegeben – nicht besonders exklusiven Einkaufsgegend? Was mochte er für einen Beruf haben und, was am Interessantesten war, was mochte er wohl an Wertgegenständen bei sich führen? Andererseits: Der Mann sah nicht so aus, als würde er sich leicht bestehlen lassen. Vielleicht sollte er doch lieber vorsichtig sein.
Oskar hatte sich schon entschieden, ein anderes Opfer auszuwählen, als sein Auge von einem Detail angezogen wurde. Aus der einen Manteltasche lugte der Zipfel eines hellbraunen Lederetuis hervor. Eines dieser Etuis, die neuerdings aus Paris importiert wurden und in denen man Geld aufzubewahren pflegte. Ein sogenanntes Portemonnaie.
Die Versuchung war einfach zu groß.
Er verdrückte sich in einem Hauseingang, holte ein Fläschchen Duftwasser aus seiner Tasche und sprühte sich ein, um den unangenehmen Geruch der Gosse zu überdecken. Er tat dies, ohne lange darüber nachzudenken. Der Trick, als Dieb erfolgreich zu sein, bestand darin, weder wie ein Dieb auszusehen noch wie einer zu riechen. Nichts mieden die wohlhabenden Herrschaften mehr als den Anblick von Schmutz und Armut. Wer in seinem Metier erfolgreich sein wollte, der musste sich eine Arbeitskleidung zulegen. Hose und Jacke aus englischem Tweed, die Schuhe aus gutem Rindsleder, gefertigt in der Schusterei Hambacher & Co., und auf dem Kopf eine Filzmütze, wie sie gerne von Studenten und Lehrlingen getragen wurde. Oskar war auf den ersten Blick nicht von einem jugendlichen Angestellten zu unterscheiden. Derart getarnt und unter den Arm einen Aktenordner geklemmt, der sein Auftreten als Dienstbote unterstrich, konnte er sich seinen Opfern nähern, ohne dass diese gleich mit angewidertem Gesichtsausdruck die Straßenseite wechselten.
Mit schnellen Schritten lief Oskar vor einem vorbeifahrenden Pferdegespann auf den gegenüberliegenden Bürgersteig und näherte sich dem Mann. Die Mütze leicht nach unten gezogen und seine Augen beschattend, tat er so, als würde er die Angebote hinter der Fensterscheibe studieren. Als er auf gleicher Höhe war, blieb er stehen. Mit einem anerkennenden Pfiff zwischen den Zähnen sagte er: »Na, das nenn ich mal schöne Klingen, was? So fein blank poliert, dass man sich drin spiegeln kann.«
Der Fremde bewegte seinen Kopf um wenige Zentimeter. Die scharf geschnittene Nase schien seinen Geruch förmlich einzusaugen.
»Jedes Mal, wenn ich hier langgehe, muss ich sie mir ansehen«, fuhr Oskar fort. »Eines Tages, wenn ich mir genug zusammengespart habe, kaufe ich mir auch so etwas. Das Rapier dort oben gefällt mir am besten. Dort drüben, sehen Sie?« Er deutete mit dem Finger auf eine Waffe mit ziseliertem Griff. »Das wäre meine Traumwaffe. Ich bin sicher, damit würde ich jeden Gegner –«
»Hast du nichts zu tun?«, knurrte der Mann ungehalten. Seine Hand umschloss den goldenen Knauf seines Spazierstocks.
»Ach, wissen Sie, ich hab gerade Mittagspause«, sagte Oskar. »Muss nur noch diesen Ordner zur Kanzlei bringen, dann hol ich mir erst mal eine leckere Stulle.« Er klopfte mit der flachen Hand auf die Aktenmappe unter seinem Arm. In diesem Augenblick löste er mit dem Zeigefinger eine verborgene Halterung. Ein Schwall loser, sehr amtlich aussehender Dokumente ergoss sich über das Trottoir.
»Oh, verdammt.« Er beugte er sich vor und begann, die Blätter einzusammeln, die rings um die Füße des Unbekannten verteilt lagen.
»Kannst du nicht aufpassen?« Der Mann wollte einen Schritt zur Seite treten, aber Oskar hob die Hand. »Nein, bitte nicht. Bleiben Sie um Himmels willen stehen, sonst treten Sie womöglich noch darauf.«
Er krabbelte um den Mann herum und klaubte die Blätter zusammen. »Könnten Sie das bitte mal kurz halten?« Er hob einen Stoß Papiere und drückte sie dem Mann in die Hand. »Bitte verzeihen Sie meine Ungeschicklichkeit. Bin gleich fertig.«
Der Mann, überrumpelt von so viel Aktionismus, griff nach den Blättern und begann, sie zu überfliegen. Genau wie Oskar gehofft hatte. Niemand konnte der Versuchung widerstehen, vertrauliche Papiere zu lesen, besonders, wenn sie für jemand anderen bestimmt waren. In dem Moment, als er seine Augen auf die Dokumente richtete, war Oskars Zeit gekommen. Mit einer geschickten Bewegung griff er in die Manteltasche, zog das Portemonnaie hervor und ließ es in seinem Ordner verschwinden. Dann vergewisserte er sich, dass ihn niemand beobachtet hatte, griff rasch nach den restlichen Blättern und stand auf.
»Oh, Gott sei Dank«, sagte er. »Ich habe alle wieder beisammen. Sauber und unversehrt. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn ich dem Herrn Kanzleirat verunreinigte Papiere hätte aushändigen müssen.«
»Die sehen ziemlich wichtig aus«, sagte der Mann und gab ihm seine Unterlagen zurück. »Du solltest dich damit beeilen, ehe du noch mehr Unheil anrichtest.«
»Jawohl, mein Herr«, sagte Oskar und verbeugte sich. »Vielen Dank, mein Herr.« Einige Schritte rückwärts gehend und sich dabei immer wieder verbeugend, sagte er: »Und bitte entschuldigen Sie meine Ungeschicklichkeit.« Mit diesen Worten drehte er sich um und verschwand in Richtung Oranienburger Straße.
Er war noch nicht weit gekommen, als er sich zum ersten Mal umdrehte. Es war ein reiner Reflex. Er wollte sehen, ob sein Betrug unbemerkt geblieben war. Der Mann hatte sich von der Schaufensterauslage abgewendet und kam hinter ihm her. Er lief nicht, er brüllte nicht, er ging nur, und zwar im selben Tempo wie Oskar. Seine metallbeschlagenen Schuhe hinterließen ein deutliches Geräusch auf dem harten Pflaster. Sein schwarzer Mantel flatterte hinter ihm her wie die Schwingen eines Raben.
Ein Schreck durchfuhr Oskar. Hatte der Fremde den Diebstahl bemerkt? Und wenn ja, warum rief er nicht um Hilfe? Das Verhalten war sehr ungewöhnlich. Ruhig, nur ruhig, ermahnte Oskar sich. Vielleicht hatte der Unbekannte nur zufällig seine Richtung eingeschlagen. Aber Vorsicht war bekanntlich die Mutter der Porzellankiste.
Oskar machte einen Knick und bog rechts in die Oranienburger ab. Wie für einen Dienstag üblich war sie angefüllt mit privaten Droschken, Postkutschen, Brauereigespannen und den Wagen der Großen Berliner Pferdeeisenbahn. Der Lärm war ohrenbetäubend. Das Stück zwischen der Charité und der Börse war eine der belebtesten Gegenden Berlins. Ein idealer Ort, um Verfolger abzuschütteln.
Oskar schlängelte sich zwischen den Fußgängern hindurch, überquerte die Fahrbahn, lief etwa hundert Meter weiter und bog dann links in die Artilleriestraße ab. Hier war es etwas ruhiger. An der Ecke blieb er stehen und erlaubte sich einen weiteren Blick zurück. Er war extra zwischen möglichst vielen Fuhrwerken hindurchgelaufen. Kein Verfolger hätte in diesem Gewimmel den Überblick behalten. Trotzdem wollte er auf Nummer sicher gehen. Er blickte über die vielen Menschen hinweg, Richtung Osten.
Es dauerte nicht lange, bis er den schwarzen Zylinder sah. Er überragte die Menschenmenge wie ein Schornstein die Dächer. Seine Augen fest auf den Jungen gerichtet, ging der Mann mit derselben Geschwindigkeit wie vorhin. Keinen Deut schneller oder langsamer. Ruhig, energisch und unaufhaltsam.
Auf einmal wurde Oskar klar, dass dies kein Zufall sein konnte. Es war nicht mehr zu leugnen: Er wurde verfolgt. Sein mulmiges Gefühl begann sich in handfeste Panik zu verwandeln. Die Mappe unter den Arm geklemmt, eilte er weiter. Fieberhaft überlegte er, was zu tun sei. Der Mann war gefährlich, keine Frage. Aber letztendlich zählte nur, wer der Schlauere war. Oskar kannte sich hier aus wie in seiner Westentasche. Im Bruchteil einer Sekunde hatte er eine Entscheidung gefällt. Gleich an der nächsten Kreuzung bog er wieder links ab. Die Ziegelstraße war eine Sackgasse, deren hintere Gebäude an das Grundstück des Schlosses Montbijou grenzten. Eigentlich eine Falle, hätte es da nicht diesen rechten Kellereingang gegeben, der stets unverschlossen war. Von hier aus führte ein geheimer Weg hoch über die Dächer zurück in Richtung Norden. Oskar hatte ihn schon oft benutzt, wenn er sich schnell und unbemerkt verkrümeln musste. Ein narrensicherer Fluchtweg. Voraussetzung war nur, dass man nicht dabei beobachtet wurde.
Er gab Fersengeld und lief so schnell, wie es seine glatten Schuhe erlaubten, zum hinteren Teil der Straße. Als er die Kellertreppe erreichte, war er schweißgebadet. Er eilte die paar Stufen hinunter, duckte sich und warf einen kurzen letzten Blick zurück über die Schulter. Keine Spur von dem geheimnisvollen Unbekannten. Mit aller Kraft stieß er die Tür auf, zog den Kopf ein und tauchte in die Dunkelheit.
Er brauchte ein paar Sekunden, bis er sich an die Düsternis gewöhnt hatte. Der Keller war schon vor einigen Jahren aufgegeben worden und diente nur noch als Fluchtweg, falls der Haupteingang aus irgendwelchen Gründen einmal blockiert sein sollte. Außer ein paar staubigen Regalen, in denen leere Flaschen lagen, gab es hier unten nichts von Bedeutung. Durch einen schmalen Schacht sickerte ein wenig Tageslicht, das gerade ausreichte, um sich zu orientieren. Oskar durchmaß den Raum mit schnellen Schritten, öffnete die aus groben Latten gefertigte Tür am anderen Ende des Korridors und lief einen Gang entlang, von dem aus weitere Gänge in andere Keller abzweigten. Dann stand er vor der schweren Eichentür, die ins Treppenhaus führte. Eine Weile lauschte er. Alles schien ruhig zu sein. Einzig der Klang einer Violine zeugte davon, dass zumindest der brotlose Musiker zu Hause war. Oskar entschied, dass es gefahrlos war, das Treppenhaus zu betreten. Er drückte mit aller Kraft gegen die massive Holztür und schob sie auf. Ein unangenehmes Quietschen erklang. Rasch schlüpfte er durch den Spalt und eilte die Stufen hinauf. Am Bleiglasfenster im ersten Stock blieb er stehen und spähte hinunter auf die Ziegelstraße. Einige Passanten überquerten das Kopfsteinpflaster, doch von dem Mann mit dem schwarzen Umhang war nichts zu sehen. Vielleicht hatte er die Verfolgung aufgegeben. Oskar, der es nicht riskieren wollte, zur Vordertür hinauszuspazieren und ihm doch noch in die Arme zu laufen, hielt an seinem Plan fest. Auf leisen Sohlen erklomm er das hölzerne Treppenhaus. Die Stufen knarrten bei jedem Schritt. Dieser Teil des Fluchtweges war der riskanteste. Man musste immer damit rechnen, dass sich eine der Türen öffnete und ein Bewohner oder ein Mitglied des Dienstpersonals einen entdeckte. Dann half nur noch die Flucht nach vorn. Doch bisher war immer alles gut gegangen. Er kam an der Tür des Musikers vorbei. Das Gefiedel hatte etwas Trostloses, zumal der Künstler immer an derselben Stelle scheiterte. Oskar erreichte den vierten Stock. Hier befand sich der Aufgang, der zum Dachboden führte. Er öffnete die weißgestrichene Tür, schlüpfte hindurch und schloss sie leise hinter sich. Nur noch ein paar Schritte, dann war er auf dem Dachboden angelangt. Hier erlaubte er sich eine kurze Pause. Er kauerte sich neben eines der kleinen Dachfenster, öffnete den Ordner und zog das hellbraune Portemonnaie hervor. Es war so gut wie neu, sah man einmal von einer kleinen Druckstelle auf der Rückseite ab. Sein Gewicht zeugte davon, dass sich etliche Münzen darin befanden. Mit schweißnassen Fingern öffnete er die Geldbörse und warf einen Blick hinein. Seine Augen wurden groß wie Murmeln. Eine Handvoll Goldmark schimmerte ihm entgegen, dazu noch etliche Silberlinge. Er schüttete den Schatz auf seine Hand und überflog im Geiste die Summe. Einhundertfünfzig Mark in Gold und fünfundvierzig in Silber. Oskar pfiff leise durch die Zähne. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so viel Geld auf einem Haufen gesehen zu haben. Der Mann stank ja vor Reichtum.
Sein Instinkt hatte ihn also nicht getrogen. Die Frage war nur: Was hatte ein feiner Pinkel wie er in der Krausnickstraße verloren? Das passte einfach nicht zusammen. Aber egal. Wozu sollte er sich den Kopf über solch unbedeutende Dinge zerbrechen? Das Geld gehörte jetzt ihm, das war alles, was zählte.
Er wollte die Münzen gerade wieder zurücklegen, als er zwischen ihnen ein Stück bleigrauen Metalls schimmern sah. Es glänzte wie angelaufenes Eisen und war an den Rändern etwas verbogen. Oskar hob es hoch, drehte und wendete es. Es sah aus wie ein wertloses Stück Altmetall. Warum aber lag es zwischen all dem Geld? Er konnte keine Erklärung dafür finden. Doch was es auch war, er würde sich später genauer damit befassen.
Er legte alles zusammen zurück, verschloss das Portemonnaie und steckte es in die Innentasche seines Jacketts. Dann stand er auf. Einen Teil davon würde er dem Geldverleiher Behringer zurückzahlen müssen, aber dafür wäre er dann seine Schulden ein für alle Mal los. Von diesem Fang würde er ein halbes Jahr lang gut leben können. Wer weiß, vielleicht würde er sich sogar ein kleines Appartement mieten. Eine richtige kleine Wohnung, nicht so ein Dreckloch wie das, in dem er gerade hauste.
Er öffnete das Fenster und kletterte hinaus aufs Dach. Der Himmel über Berlin hatte sich verdüstert. Aus den einzelnen Wolken war jetzt eine dunkle Wand geworden, die sich langsam von Westen her näherte. Ein frischer Wind war aufgekommen, der den Geruch von Regen mit sich brachte. Die Nase prüfend in den Wind hebend, schätzte er, dass es in etwa einer Stunde wie aus Eimern schütten würde. Zeit, die Beute sicher nach Hause zu schaffen.
Oskar hätte den Weg über die Dächer mit verbundenen Augen gefunden. Leichtfüßig sprang er über Abgründe, folgte Regenrinnen und balancierte auf Dachfirsten, wie es die Schornsteinfeger taten. Er liebte es, hier oben zu sein, den Dreck und Lärm der Straßen unter sich zu lassen und die Menschen dabei zu beobachten, wie sie in Ameisengröße durch die Straßen wuselten. Er liebte den Blick über die Dächer hinweg und das Geräusch, wenn die Kirchenglocken zu läuten begannen. Dann konnte er den Tauben zusehen, wie sie in Schwärmen über der Stadt kreisten, und sich vorstellen, wie es wohl wäre, eine von ihnen zu sein.
Ein paar Minuten später hatte er das Ende seines Fluchtweges erreicht. Ein schmuddeliges altes Haus an der Oranienburger, schräg gegenüber der Synagoge. Nach vorn hin gab es einige kleine, schmiedeeiserne Balkone, die durch Feuerleitern miteinander verbunden waren. An ihnen konnte man bequem hinunterklettern. Nur zwischen erstem Stock und Trottoir fehlte eine Leiter, sodass man die drei Meter bis zum Boden am nahe gelegenen Regenrohr entlangrutschen musste.
Flink wie ein Affe kletterte er hinunter, griff nach dem Metallrohr und ließ sich auf den Bürgersteig hinab. Die Straße hatte ihn wieder. Den fragenden Blicken einiger Passanten wich er einfach aus und machte sich hoch erhobenen Hauptes auf den Heimweg.
Er war noch keine zehn Meter weit gekommen, als er von einer schwarz behandschuhten Hand gepackt und in einen Hauseingang gezerrt wurde. »Habe ich dich endlich!«, sagte eine tiefe Stimme.
Oskar blickte auf. Über ihm ragte drohend die dunkle Gestalt des Mannes mit dem Zylinder auf. Das Gesicht lag im Schatten. Nur die Augen hinter den Brillengläsern leuchteten wie zwei wasserblaue Kristalle. Oskar versuchte sich zu befreien, aber die Hand hielt ihn gepackt wie ein Schraubstock.
»Na, na«, sagte die Stimme. »Willst du etwa schon gehen?«
Die andere Hand hob sich, zur Faust geballt. Oskar wollte schon die Augen schließen, da sah er, dass sich die Hand öffnete. Ein weißes Pulver leuchtete auf dem schwarzen Leder. Ehe er noch darüber nachdenken konnte, was das wohl für ein Zeug war, hob der Fremde die Hand und blies ihm die ganze Ladung ins Gesicht.
Oskar fühlte ein entsetzliches Brennen in Mund, Augen und Nase. Er musste würgen und husten. Tränen stiegen ihm in die Augen. Der Staub schnürte ihm die Luft ab. Er griff sich an den Hals und rang nach Atem. Verzweifelt versuchte er ein letztes Mal auszubrechen. Er schlug mit den Armen um sich wie ein Ertrinkender, doch es nützte nichts. Ein feines Lächeln umspielte den Mund des Mannes. Mit dunkler Stimme sagte er: »Ich wünsche dir angenehme Träume, mein Junge.«
Sternchen tanzten vor Oskars Augen, dann wurde es dunkel um ihn.