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1.


WIE MODERNE KUNST DAS BÜRO
EROBERT

Mit der Kunst im Büro fing Frau Dr. Schwielow an. Irgendwann hing hinter ihrem Vorstands-Schreibtisch plötzlich eines dieser Nagelbilder von Günther Uecker. Gut, es waren mehr so Nagelabdrücke auf Papier. Und nummeriert war das Werk auch (147 205). Aber das machte nichts, seither konnte sie über Uecker oder seine pommerischen Ursprünge reden, als hätte sie dort ihre Unschuld an ihn verloren.

»Ostpommern, Westpommern, is’ mir alles so was von Latte«, murmelte Koslowski, der bei sich im Büro ein Star-Wars-Filmplakat (Episode IV) und den 2011-Jahreskalender eines mittelständischen Badezimmer-Armaturen-Herstellers aus dem Ostschwäbischen hängen hat. Im Gegensatz zu Koslowski hat Berger aus dem Marketing ein feines Gespür für Trends. Eine Woche später präsentierte er stolz ein hochgradig abstraktes Werk aus Elefanten-Dung und Handyplatinen: »Von einer blinden Berlinerin. Meisterschülerin von Schwarwelstedt, wenn euch das was sagt.«

Tat es nicht, provozierte aber dennoch ein geradezu tektonisches Beben, das schnell bis in den Vorstand zurückzitterte, wo Frau Dr. Schwielow und die anderen sich fortan mit Werken unterschiedlichster Provenienz überboten. Russische Neo-Dadaisten. Videokunst aus Island. Kadaver-Art einer Abspaltung der flämischen Op-Art-Gruppe »Flghngdh«, die »übrigens Breughel als ihren gedanklichen Vater begreift«, wie Dr. Schwielow bei einem abendlichen »Art-Workshop« vor elf Kolleginnen aus den unteren Rängen in der Kantine erklärte. Herr K. war der einzige Mann. Es gab Pinot Grigio und Zuchtlachs-Canapés.

Kunst ist der neue Weinkeller, verstand Herr K. Geldanlage mit Esprit. Wo man früher über die Kalkböden piemontesischer Südwest-Steilhanglagen fachsimpelte, kann man nun die Lebensläufe 22-jähriger Kunstakademie-Anfänger referieren, die vielleicht die nächsten Richters oder Gurskys werden – oder auch nur als verkrachte Bohemiens auf Flohmärkten enden. Man weiß es ja nie. Aber Geld ist zurzeit ja genug da.

Als Herr K. zwei Wochen später seinen neu erworbenen zwölfteiligen Aquarell-Zyklus »burningaleppo« vorstellte, wusste er, dass er damit auf lange Zeit die innerbetriebliche Benchmark gesetzt haben würde. »Die Künstlerin ist von Syrien zu Fuß bis Ruhpolding gelaufen«, erklärte er. »Die Bilder trug sie in einer mit Wachs abgedichteten Flak-Patronenhülse bei sich.« Selbst Koslowski erschauderte, bevor Frau Dr. Schwielow ihre Sprache wiederfand: »Wahnsinn, diese Farbintensität! Diese pastose Kraft!« Auch Berger aus dem Marketing flankierte: »Und diese abgründige Hoffnung.« »Aber auch in Neon gegossene Melancholie, irgendwie«, fand Frau Stibbenbrook aus der Rechtsabteilung.

An diesem Abend kam Herr K. sehr glücklich nach Hause. Nach dem Essen zog er seinen sechsjährigen Sohn beiseite: »Sag mal, kannst du mir noch ein paar so schöne Bilder zu unserem letzten Urlaub malen wie neulich? Darf ruhig ähnlich depri sein.«

Der moderne Mann in unsicheren Zeiten

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