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Der Regen prasselte auf die Windschutzscheibe. Edith hatte den Scheibenwischer auf Höchstgeschwindigkeit gestellt.

„Fahr doch nicht so dicht auf, siehst du nicht die Bremslichter da vorne“, durchbrach Felix Söhnker das Schweigen.

Edith presste unwillig die Lippen zusammen. Sie ließ sich nicht gerne etwas von ihrem Mann sagen, aber auch sie merkte, dass der Verkehr immer dichter wurde.

Sie schaltete zurück in den dritten Gang. „Diese schreckliche Kriecherei! Es ist halb acht, und wir sind noch nicht mal in Bonn.“

Felix Söhnker zog die Augenbrauen hoch und sah auf den Tacho: Immerhin fuhr sie noch 60 km/h. Diese Geschwindigkeit als Kriecherei zu bezeichnen war typisch Edith. Aber heute hielt er sich zurück. Viel zu oft schon waren sie wegen ihres offensiven Fahrstils aneinander geraten.

Bald konnten sie tatsächlich nur noch im Schritttempo fahren. „Mach doch mal das Radio an“, forderte Edith ihren Mann mit genervter Stimme auf.

Der Verkehrsservice sagte einen 6 Kilometer langen Stau in ihrer Fahrtrichtung an. Ein Schwertransport war Richtung Bonn unterwegs.

Edith schlug mit der flachen Hand aufs Lenkrad. „So ein Mist“, stieß sie hervor.

Felix kannte die Unruhe seiner Frau, aber ihre jetzige Nervosität schien ihm doch ein wenig unangemessen zu sein.

„Du hörst doch, der Schwertransporter verlässt hinter Bonn die Autobahn. Wir haben Zeit genug. Du wirst schon noch rechtzeitig zu Lauras Sektempfang kommen. Und wenn nicht, wird Laura einer alten Freundin wie dir nicht den Kopf abreißen.“

Edith warf den Kopf zurück und zog scharf die Luft durch die Nase ein.

Der Stau schien unendlich. Stellenweise kam der Verkehr völlig zum Erliegen. Um acht Uhr waren sie erst kurz vor Bonn.

„Der Stau müsste sich doch jetzt auflösen“, schimpfte Edith aufgebracht. „Über eine Stunde für nicht mal dreißig Kilometer.“

„Beruhige dich. Du weißt doch, in Bonn verlässt der Schwertransporter die Autobahn. Dann kannst du wieder Gas geben.“

Nach einer Viertelstunde fuhren sie immer noch Schritttempo. Fluchend bog Edith in die nächste Auffahrt zu einer Raststätte ein.

„Was hast du vor, Edith? Müssen wir tanken?“

„Wenn es so weiter geht, bin ich um Mitternacht noch nicht in Mannheim. Ich muss Laura anrufen.“

Nah am Treppenaufgang zur Raststätte fanden sie einen freien Parkplatz. Edith hatte schon zwei Stufen genommen, da drehte sie sich nach Felix um, der Mühe hatte, ihr zu folgen.

„Verdammt, ich habe das Licht brennen lassen“, rief sie. Sie zog die Autoschlüssel aus der Handtasche und warf sie Felix zu. „Ich bin schon mal in der Telefonzelle.“

Während Felix zurück zum Auto ging, verschwand Edith bereits in der Drehtür des Gebäudes.

Was war nur los mit ihr? Warum war sie so nervös? Hatte sie das Gespräch von gestern Abend noch nicht verdaut? Felix schaltete die Scheinwerfer des Wagens aus und folgte Edith in die Raststätte.

Er sah sie in der Zelle stehen und mit merkwürdig hastigen Bewegungen in den Telefonhörer sprechen. Nervös wandte sie sich hin und her und entdeckte ihn. Etwas Ängstliches schien in ihrem Blick aufzuflackern, und sie drehte ihm abrupt wieder den Rücken zu.

Felix wunderte sich ein wenig. Doch dann schob er es auf ihre Nervosität, auf den Stau, die Verspätung und ihr Gespräch von gestern Abend.

Er ging ins Restaurant und holte sich einen Kaffee. Als er zur Telefonzelle zurückkehrte, telefonierte Edith immer noch.

Felix stellte seine Tasse auf die Heizung, lehnte sich an die Wand und zündete sich eine Zigarette an.

Vermutlich würde Edith ihrer Freundin von ihrem nächtlichen Streit berichten. Felix wusste, dass die beiden Frauen sehr vertraut miteinander waren.

Seine Gedanken wanderten zu der heute Abend bevorstehenden Premiere im Mannheimer Nationaltheater. Ihm fiel ein, dass der Kulturredakteur des >Mannheimer Morgens< gestern eine Bitte um Rückruf auf seinem Anrufbeantworter hinterlassen hatte. Jetzt wäre die Gelegenheit, den Mann anzurufen.

Felix ging zur Telefonzelle und klopfte an die Scheibe. Edith drehte sich um und funkelte ihn unwillig an. Er zuckte entschuldigend mit den Schultern und bedeute ihr, die Karte steckenzulassen.

Endlich hängte Edith ein und kam aus der Zelle. Das Piepsen des Automaten erinnerte schrill an die zurückgelassene Telefonkarte. „Beeil dich“, bellte Edith, drückte ihm den Hörer in die Hand und steuerte die Tür des Restaurants an.

„Hast du Laura von mir gegrüßt?“, rief Felix ihr nach. Aber sie hörte ihn schon nicht mehr.

Während er die Telefonnummer des Redakteurs heraussuchte, dachte er an Laura. Wie alt wurde sie heute? Hatte sie ihm nicht im vergangenen Jahr eine Flasche Champagner zu seinem Geburtstag geschickt? Sie war zwar Ediths Freundin ...

Kurzentschlossen drückte er die Wiederholungstaste. Gerade in solchen Situationen, in denen man in persönlichen Schwierigkeiten steckte, sollte man alte Kontakte nicht ganz erkalten lassen. Laura würde sich sicher freuen, wenn er ihr persönlich zum Geburtstag gratulierte.

Das Freizeichen ertönte. Dann knackte es in der Leitung und eine sonore, ihm unbekannte Männerstimme meldete sich: „Nideggen.“

Felix stutzte kurz, vielleicht hatte Laura einen neuen Freund? „Ich möchte gerne Laura sprechen.“

„Ich kenne keine Laura“, die Männerstimme am anderen Ende der Leitung klang irritiert, „mit wem spreche ich bitte?“

Felix hatte vor Verwirrung vergessen, sich mit seinem Namen zu melden. „Pardon, Söhnker hier, Felix Söhnker. Sie kennen keine Laura?“

Schweigen. Dann: „Sie sind falsch verbunden.“ Die Stimme klang jetzt merkwürdig belegt, fast heiser.

„Aber meine Frau hat doch eben ...“, wollte Felix protestieren, aber der Mann am anderen Ende der Leitung hatte schon eingehängt.

Felix starrte den Hörer in seiner Hand an. Dann nahm er einen tiefen Zug aus der Zigarette und legte auf. Er steckte sein Notizbuch ein. Nein, er war jetzt nicht in der Stimmung, mit dem Redakteur zu sprechen.

Er nahm seine Kaffeetasse von der Heizung und ging mit schweren Schritten auf das Restaurant zu.

Edith saß an einem der Tische vor einem Glas Tee. Er setzte sich zu ihr. Sie wich seinem Blick aus. Felix zündete sich noch eine Zigarette an. Durch die Fensterfront des Restaurants nahm er wahr, dass der Verkehr wieder flüssiger geworden war.

Nideggen! Laura, so erinnerte er sich plötzlich, war Löwe im Sternbild. Jetzt hatten sie November. Der Monat stand im Zeichen des Skorpions.

Er drückte seine Zigarette aus und stand auf. „Komm, der Stau hat sich aufgelöst.“

Als sie kurz darauf in die Autobahn einbogen, zitterten seine Hände.

Edith gab Gas. „Endlich freie Bahn!“

„Ich habe Laura angerufen, um ihr zum Geburtstag zu gratulieren“, sagte er mit tonloser Stimme.

Edith fuhr herum und starrte ihn an. Ein jäher Schrecken weitete ihre braunen Augen. Schnell fasste sie sich wieder und konzentrierte sich auf den Verkehr.

Felix beugte sich zu ihr herüber: „Wer ist Nideggen?“


Hoffnung, Wunder und Liebe: 7 Arztromane

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