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1.5 Zusammenfassung

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Wir sind von der neurokonstruktivistischen These ausgegangen, der ontologische Status der erfahrenenen Wirklichkeit sei der eines subjektiven Bildes oder eines virtuellen Modells, das vom Gehirn konstruiert wird. Hinter dieser These steht eine im Grunde immer noch dualistische Aufteilung der Welt in eine körper- und weltlose Subjektivität einerseits und eine physikalistisch reduzierte, materielle Welt andererseits. Subjektivität wird – im neuen Gewand des Konstruktivismus – nach wie vor idealistisch gedacht, zugleich aber als Konstrukt auf rein materielle Prozesse zurückgeführt.

In der Kritik habe ich gezeigt, dass Wahrnehmung nicht als interne Abbildung zu begreifen ist, sondern vielmehr als Beziehung eines verkörperten Subjekts zu seiner Umwelt. Im Wahrnehmen sind wir nicht in den Schädel eingeschlossen, um Bilder von der Außenwelt zu empfangen, sondern wir interagieren und ko-existieren mit den Dingen und Menschen in einem gemeinsamen Raum. Wahrnehmung beruht dann auf zwei Formen von Interaktion:

(1) Nach dem Ansatz des Enaktivismus (Varela et al. 1991, Thompson 2007, Di Paolo 2009, Stewart et al. 2010) nehmen Lebewesen generell nicht passiv Informationen aus ihrer Umwelt auf. Vielmehr bringen sie ihre Welt durch einen Prozess aktiver Bedeutungsgebung (sense-making) mit hervor: Indem sie die Umgebung nach relevanten Signalen durchsuchen und explorieren – ihren Kopf und ihre Augen bewegen, eine Oberfläche abtasten, auf ein Ziel zugehen, eine Frucht ergreifen, usw. –, verleihen sie den Dingen Gestalt und Bedeutung. Mit anderen Worten, durch fortlaufende sensomotorische Interaktionen konstituieren sie selbst ihre erfahrene Welt oder Umwelt (von Uexküll 1920).

(2) Menschen sind durch ihre sozialen Interaktionen und Beziehung mit anderen zusätzlich in der Lage, ihre primäre Eigenperspektive zu überschreiten und Zugang zu einer gemeinsamen, objektiven Realität zu gewinnen. Von früher Kindheit an resultieren Erfahrungen der geteilten Aufmerksamkeit (joint attention), des Zeigens auf Objekte und der kooperativen Praxis in einer gemeinsamen Bedeutungsgebung (participatory sense-making, De Jaegher u. Di Paolo 2007). So konstituiert sich eine gemeinsame Realität, die unsere Beziehung zur Welt prägt, auch wenn andere nicht anwesend sind. Daher nehmen wir ein gegebenes Objekt so wahr, dass es seine momentane Erscheinung übersteigt: Es könnte ja auch von anderen gesehen werden. Die Dinge sind nicht nur »für mich« da. Objektivität bedeutet also, dass die Dinge als intersubjektiv zugänglich erfahren werden, in der Ko-Präsenz anderer möglicher Subjekte. Die menschliche Realität ist immer ko-konstituiert, gemeinsam hervorgebracht.

Die menschliche Wahrnehmung ist daher alles andere als eine Parade von Bildern in einem entkörperten, weltlosen und vereinzelten Geist. Sie ist eine Aktivität, die die Grenzen des Körpers und die Zentralität der Eigenperspektive auf zwei Ebenen überschreitet:

(1) Auf der ersten Ebene enthält die sensomotorische Interaktion des Körpers mit der Umgebung einen ständigen Wechsel der Perspektive, der die momentane Beziehung von Organismus und Umwelt relativiert: Jede Wahrnehmung ist angereichert durch eine Geschichte früherer Erfahrungen und einen Horizont möglicher weiterer Interaktionen mit dem Gegenstand.

(2) Auf der zweiten Ebene beinhaltet die soziale Interaktion mit anderen einen gemeinsamen Bezug zu den Dingen ebenso wie einen Kontrast und Abgleich der Perspektiven, der eine rein subjektzentrierte Weltsicht aufhebt. Die Fähigkeit, die eigenen Wahrnehmungen mit anderen zu teilen, resultiert damit in einer größeren Distanz des Subjekts zum Wahrnehmungsgegenstand, d. h. in einer Objektivierung. Sie erzeugt eigentlich erst Gegenstände, die auch in Unabhängigkeit von unserer Wahrnehmung bestehen.

Somit leben wir in einer Welt realer Dinge, weil wir durch unser sensomotorisches Engagement an ihrer Konstitution beteiligt sind. Und wir leben in einer gemeinsamen objektiven Realität, weil wir sie durch unsere gemeinsamen Handlungen und Bedeutungsgebungen ko-konstituieren.

Die Nagelprobe jeder Erkenntnistheorie ist letztlich das intersubjektive Verhältnis: Wo es um einen anderen Menschen geht, können wir uns nicht auf einen radikal-konstruktivistischen Standpunkt zurückziehen. Denn damit würden wir nicht nur die Gegenwart des anderen zu einer virtuellen erklären, sondern auch die notwendige Begrenzung aufheben, die er für unser eigenes Selbst-Sein darstellt. Der andere ist für mich wirklich – und dadurch gewinne ich selbst erst Wirklichkeit: Ich kann kein solipsistisches oder Konstruktwesen mehr sein. Zugleich ist es die mit anderen konsensuell erfasste Wirklichkeit, die mir die Realität meiner Wahrnehmungen verbürgt und meinen subjektiven leiblichen Raum in einen objektiven einbettet – in den gemeinsamen Raum »offener Intersubjektivität« (Husserl 1973).

Unter dieser Voraussetzung konnten wir der Wahrnehmung auch ihre Objektivität zurückerstatten, ohne damit in einen »naiven Realismus« zurückzufallen. Denn wir haben ja gesehen, dass es gerade die gestaltbildenden und intentionalen Eigenschaften der Wahrnehmung sind, die uns die Dinge als solche erkennen lassen. Der Physikalismus mit seiner äußerst reduzierten Datenbasis eliminiert alle qualitativen und gestaltförmigen Wahrnehmungen aus der Definition des Realen. Ihm ist der Primat der Lebenswelt entgegenzuhalten: Nur in ihr zeigen sich uns die Dinge und Wesen als sie selbst. Die Wahrnehmung präsentiert uns also durchaus mehr, als die bloßen Reizkonfigurationen im Wahrnehmungsfeld enthalten. Doch präsentiert sie damit keine Konstrukte, sondern die tatsächliche Welt – freilich nicht als »Welt an sich«, sondern als die Welt in der Beziehung zu uns, den Wahrnehmenden.

Man mag fragen, warum diese Auseinandersetzung eigentlich so wichtig ist. Wäre es denn weiter schlimm, wenn wir die subjektive Wirklichkeit als Konstrukt des Gehirns auffassen – solange wir doch praktisch ohnehin in ihr leben und im Alltag weiterhin selbstverständlich von der Adäquatheit unserer Wahrnehmung ausgehen? – Die Antwort lautet: Was wir zum Schein erklären, das betrachten wir nach und nach auch nicht mehr als relevant und wirksam. Es erhält eine nachgeordnete, abkünftige Existenz und wird in seiner Bedeutung entwertet. Mehr noch: Wir unterminieren damit unmerklich unser eigenes Urteil und Vertrauen in die Welt. Schließlich sind wir aus konstruktivistischer Sicht in einer platonischen Höhle gefangen und betrachten darin die Schatten an der Wand, während die wirkliche Welt irgendwo »draußen«, jenseits unserer Erfahrung liegt. Wir alle leben im Irrtum und bedürfen der Autorität wissenschaftlicher Experten, die uns über die eigentliche Realität aufklären. Ja es ist, als ob wir etwas herablassend zurechtgewiesen würden, weil wir in unserer Naivität die Dinge nicht so sehen, wie sie wirklich sind. Wenn wir also die von uns erlebte Wirklichkeit zu einem virtuellen Konstrukt erklären, dann berauben wir uns damit der Grundlage unserer Autonomie und unseres Selbstvertrauens. Letztlich ist die Frage danach, was »wirklich wirklich ist« – physikalische Materie statt lebendiger Körper, Gehirne statt Personen, neuronale Algorithmen statt bewusster Erfahrung – eine ethische Frage.

Greifen wir abschließend noch einmal das im Prolog erwähnte Gedankenexperiment einer Operation am offenen Gehirn auf. Auch Roth thematisiert dieses Experiment, nämlich um ein »wirkliches« (erlebtes, virtuelles) und ein »reales« (eigentliches) Gehirn zu unterscheiden. Wenn ich nämlich, während der Operation bei Bewusstsein, mein eigenes Gehirn mittels eines Spiegels beobachten könnte, entstünde nach Roth das Paradox, »dass dieses Gehirn, das ich betrachte und als meines identifiziere, nicht dasjenige Gehirn sein kann, welches mein Wahrnehmungsbild von diesem Gehirn hervorbringt« (Roth 1994, 292). Das mache die Annahme eines Gehirns jenseits meiner Welt erforderlich, eines »realen« Gehirns oder Gehirns-an-sich, das meine Wahrnehmung der ganzen Szene erzeugt. Doch wo wäre dann dieses reale Gehirn zu finden?

An dieser Argumentation lässt sich noch einmal zeigen, dass der Illusionsthese eine inadäquate Erkenntnistheorie zugrunde liegt. Zur Verdeutlichung will ich das Szenario auf eine etwas phantastische Spitze treiben und mir vorstellen, ein künftiger Neurochirurg wäre in der Lage, mein Gehirn nach einer kunstfertigen Verlängerung aller Gefäß- und Nervenverbindungen aus dem Schädel zu entfernen und in voller Funktion vor mich auf den Operationstisch zu legen. Würde ich nun in diesem Organ mein Denken oder »meine Welt« vor mir sehen, so dass das Rönnesche Paradox entstünde? Nein, meine Welt bliebe die gleiche, sie wäre nicht auf das kleine grauweiße Organ vor mir zusammengeschrumpft, das ja ohne die erhaltene Verbindung zu meinen Augen, Ohren, Händen und Füßen selbst keinerlei Zugang zur Welt hätte. Und auch das Zentrum meiner Welt – »ich selbst« – wäre nicht etwa in das Gehirn gewandert: Nach wie vor würde ich mich in meinem Körper erleben, mich mit meinen Gliedern bewegen und durch meine Augen mein Gehirn betrachten.

Doch wenn nun diesem Gehirn vor mir eine Verletzung drohte – eine zugegebenermaßen etwas horrible Wendung des Gedankenexperiments – würde es mich dann etwa überzeugen, wenn der Neurochirurg mir beruhigend versicherte, alles was ich sähe, sei ja nur ein virtuelles Konstrukt, und mein tatsächliches, reales Gehirn tauche in meiner Welt gar nicht auf? Wohl kaum – ich würde vielmehr meiner Wahrnehmung trauen und mein Gehirn mit allen Mitteln zu schützen versuchen. Sollte ich zuvor noch einen konstruktivistischen Zweifel an der Realität meiner Wahrnehmungen gehegt haben, so wäre er spätestens damit rasch und wirksam beseitigt. Und das völlig zu Recht: Denn ich sähe nicht nur ein »Wahrnehmungsbild«, ein »Repräsentat« oder eine »Simulation« vor mir, sondern tatsächlich mein reales Gehirn und damit das höchst verletzliche Hauptorgan meines bewussten Erlebens. Ein zweites, »eigentliches« Gehirn jenseits meiner Welt, von dem mir der Neurochirurg etwas vorfabulieren mag, gibt es nicht. Denn würde er selbst mein Gehirn untersuchen, so wäre es kein anderes als das, welches ich auch vor mir sehe.

Wäre mein Erleben also in dem grauen Organ vor mir zu lokalisieren? Nein – das Gehirn ist nur, in Verbindung mit meinem ganzen Organismus, eine zentrale und unabdingbare Voraussetzung dafür. Lokalisieren lässt sich jedoch mein Erleben überhaupt nicht, denn es ist nichts anderes als meine Beziehung zur Welt. Das Gedankenexperiment gibt uns noch einmal die Möglichkeit, den subjektiven Idealismus bzw. Neurokonstruktivismus zurückzuweisen, der Wahrnehmung in ein virtuelles Bewusstseinsgehäuse im Schädel verbannt, statt sie als Beziehung des Wahrnehmenden zur Wirklichkeit zu begreifen. Das subjektive Erleben ist kein »Bild«, kein »Repräsentat«, »Modell«, »Konstrukt« oder wie immer solche idealistischen Begriffe lauten. Aus dem gleichen Grund ist es auch kein Ding oder Vorgang, der sich irgendwo im materiellen Körper auffinden ließe. So gerne der Neurowissenschaftler seiner habhaft werden würde – es ist, als wollte er das Sonnenlicht mit dem Schöpfeimer sammeln.

10 Zit. nach W. Capelle, Die Vorsokratiker. Kröner, Stuttgart 1968, 438.

11 Galileo Galilei, Il Saggiatore (1623). In: Opere, Edizione nazionale, Bd. 6, S. 78. Barbèra, Florenz.

12 Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand (Leibniz 1959, 181).

13 So die treffende Analyse von Brandt (1999, 119).

14 »Versuch über den menschlichen Verstand, Band I, Kap. 12, § 17 (Locke 1690/2006, 185).

15 Kritik der reinen Vernunft B 164 (Kant 1974a, 156).

16 Brief an Schultz vom 18.9.1831, Werke, Hamburger Ausgabe Bd. 4, S. 450.

17 Fichte 1962 ff., I, 2, S. 433. – Vgl. auch Historisches Wörterbuch der Philosophie, I, Sp. 679-683, »Außenwelt/Innenwelt«.

18 Deutsche Übs. des Originaltexts aus D. Sylvester (Hrsg.), René Magritte. Catalogue Raisonné II: Oil Paintings and Objects 1931–1948. Antwerpen: Menil Foundations, Fonds Mercator 1993, S. 184.

19 Zum Repräsentationsbegriff in der Hirnforschung und seiner Kritik vgl. Kapitel 2.1.2.

20 Die Begriffe »Leiblichkeit« und »Verkörperung« werden in der Untersuchung weitgehend synonym gebraucht, wobei der erste Begriff eher die subjektive Leiberfahrung zum Ausdruck bringt, der zweite die Einbettung der Subjektivität in einen lebendigen Organismus.

21 Diesen Zusammenhang von optischer Wahrnehmung und Bewegung hat auch Hans Jonas (1973, 198–225): »Wir können daher sagen, dass der Besitz eines Körpers im Raume, der selber ein Teil des zu erfahrenden Raumes und der Selbstbewegung im Widerspiel mit anderen Körpern fähig ist, die Vorbedingung für ein Sehen der Welt darstellt« (ebd. S. 225). – Ebenso zu erinnern ist hier natürlich an V. v. Weizsäckers »Gestaltkreis« als Theorie der Einheit von Wahrnehmung und Bewegung (v. Weizsäcker 1986).

22 So die mit Absicht an den Cyberspace erinnernde Formulierung Metzingers (1999, 243).

23 Nach Damasios damit übereinstimmender Auffassung bestand Wahrnehmung in ihrer evolutionär ursprünglichen Form darin, »… die Außenwelt durch die Veränderungen zu repräsentieren, die sie im Körper hervorruft (…). Anfangs gab es kein Berühren, Sehen, Hören oder Bewegen an sich, sondern nur eine Empfindung des Körpers, wie er berührte, sah, hörte oder sich bewegte« (Damasio 1996, 306, 309; Hvhbg. im Orig.). Der Körper ist also das Vermittlungsorgan, durch dessen periphere Empfindungen hindurch die Umwelt wahrgenommen wird.

24 Dies hat selbst Descartes klar gesehen: Die Reizung der Schmerznerven im Fuß lasse uns den Schmerz zwar nur so empfinden, »als ob« er im Fuße wäre. Diese illusionäre Lokalisierung sei aber doch sinnvoll, weil sie uns den Fuß z. B. zurückziehen lasse. »Zwar hätte Gott die Natur des Menschen auch so einrichten können, dass dieselbe [Nerven-]Bewegung im Gehirn dem Denken irgend etwas anderes darstellte, etwa sich selbst, sofern sie sich im Gehirn oder im Fuß oder an einer der dazwischenliegenden Stellen befindet (…); aber nichts anderes hätte zur Erhaltung des Körpers gleich gut beigetragen« (Meditationen VI, 23; Descartes 1959, 157 ff.; Hvhbg. v. Vf.). Nur zieht Descartes daraus nicht den notwendigen Schluss, das Subjekt der Schmerzen selbst als leibräumlich zu denken.

25 »Der Stock des Blinden ist für ihn kein Gegenstand mehr, er ist für sich selbst nicht mehr wahrgenommen, sein Ende ist zu einer Sinneszone geworden« (Merleau-Ponty 1966, 173).

26 Einerseits kann man die Gummihand-Erfahrung als Illusion bezeichnen – schließlich wird die eigene Hand tatsächlich unter dem Tisch berührt. »Doch in einem anderen Sinn gibt es keine Illusion – vielmehr sind die Mechanismen, die bei dieser Illusion wirken, wenn wir sie so nennen wollen, die der normalen, erfolgreichen Wahrnehmung« (Noë 2009, 74; eig. Übers.). Solche Illusionen beweisen also nicht, dass die Wahrnehmung als solche illusionär oder nur eine »zutreffende Halluzination« sei. Im Gegenteil verweisen sie auf die synthetische, gestaltbildende Aktivität der Wahrnehmung, die die Umwelt für ein bewegliches und handelndes Wesen zugänglich macht.

27 Die Identitätstheorie behauptet freilich genau dies. Obgleich die Koextension von leiblichem und körperlichem Raum mit einer Identität von Bewusstsein und Gehirnprozessen unvereinbar ist, kann die Identitätstheorie hier freilich noch nicht ausführlich kritisiert werden ( Kap. 2.2.1 und Kap. 6.2.). Selbst wenn man aber von einer wie immer zu begreifenden Identität neuronaler Prozesse mit Schmerzempfindungen ausginge, könnte man diese als Schmerzen doch jedenfalls nicht im physikalischen Raum des Gehirns lokalisieren. Die Formulierung Searles enthält daher einen Kategorienfehler.

28 So die bekannte Formulierung von G. Ryle in seiner Kritik des Leib-Seele-Dualismus (Ryle 1949).

29 Vgl. Aristoteles, De Anima 411 b 24 (»in jedem der Teile sind alle Teile der Seele vorhanden«); später dann Meister Eckehart: »Die Seele ist ganz und ungeteilt vollständig im Fuße und vollständig im Auge und in jedem Gliede« (Meister Eckehart 1958, Predigt 10, 161 ff.) oder Thomas von Aquin: »Anima hominis est tota in toto corpore et tota in qualibet parte ipsius« (Thomas von Aquin 1953, I q 93 a 3).

30 So Kant in den »Träumen eines Geistersehers« von 1766 (Kant 1905, 324 f.).

31 Vgl. Descartes, Meditationen, VI, 17, 19 (Descartes 1959, 151 ff.).

32 Auch das Leib-Subjekt ist insofern unteilbar ausgedehnt, als alle räumlich verteilten Leibempfindungen doch gleichermaßen dem Subjekt angehören und sich im sog. Körperschema zusammenschließen. Man kann dies beim Spüren des Leibes mit geschlossenen Augen leicht an sich selbst nachprüfen (vgl. dazu Schmitz 1995, 117 ff., sowie Fuchs 2000a, 97 ff.). Räumlich ist auch die am ganzen Leib empfundene Frische oder Müdigkeit, das Missbefinden oder Krankheitsgefühl (Plügge 1962). – Im Widerspruch zu dieser klaren phänomenalen Evidenz meinte Descartes, »…dass ich eine Substanz bin, (…) deren Natur nur darin besteht zu denken und die zum Sein keines Ortes bedarf, so dass dieses Ich (…) völlig verschieden ist vom Körper« (Mediationen VI, 13).

33 Diese Konzeption des im Organismus verkörperten Subjekts wird im 3. Kapitel ausführlich entwickelt. Vgl. dazu auch Fuchs 2000a, 137–150.

34 Vgl. Prinz (1992) sowie die ähnlichen Überlegungen von Roth (1994, S. 326 ff.).

35 Das von Aristoteles in »De anima« erstmals aufgeworfene Problem des »sensus communis« oder Gemeinsinns, der die verschiedenen Sinne zu einem einheitlichen Sinnesraum integriert, wird heute sinnesphysiologisch als »intermodale Wahrnehmung«, neurobiologisch als »Bindungsproblem« diskutiert.

36 Dass diese objektivierende Leistung der Wahrnehmung keineswegs selbstverständlich ist, zeigen pathologische Erlebnisformen in der Schizophrenie, in denen Patienten Bilder von Dingen sehen statt die Dinge selbst, und so eine verstörende Subjektivierung ihrer Wahrnehmung erleben. Ihre Umwelt erscheint ihnen dann wie eine Staffage oder Theaterbühne, ja sie beschreiben dies auch so, als werde ihnen ein Film vorgespielt oder als seien sie selbst Filmkameras (vgl. Fuchs 2000b, 137). Die Patienten werden gewissermaßen unfreiwillig zu »subjektiven Idealisten«. Wir können daran die Objektivierung erkennen, welche die normale, intentionale Wahrnehmung leistet.

37 In diesem auf Hegel (Wissenschaft der Logik, 1. Buch) zurückgehenden Begriff sah Plessner eine grundlegende Struktur des Lebendigen, insbesondere der Wahrnehmung (Plessner 1975, 48, 168, 321 ff.). Ich werde in Abschnitt 4.2.6 noch darauf zurückkommen.

Das Gehirn - ein Beziehungsorgan

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