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7 18. SEPTEMBER,
METROPOLE DEEP WATER, GRÖNLAND

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Eve ertastete mit ihren Händen eine weiche Oberfläche. Sie lag auf einer Liege, öffnete die Augen, erkannte schemenhaft eine helle Decke und griff sich instinktiv an den Hinterkopf. Ihre Schnittstelle zum Implantat war verkabelt. Langsam versuchte sie, sich aufzurichten, doch der Schwindel drückte sie wieder runter. Sie winkelte ihre Beine an, presste die Hände gegen die Liege und stemmte ihren Oberkörper langsam hoch.

Am Ende des Raumes sprach Thyron leise mit einem grauhaarigen Arzt.

Eve, bitte leg dich wieder hin!

Was ist mit mir passiert?

Bitte warte ab. Es ist nichts Bedrohliches.

Danke, Askit.

Thyrons Augen strahlten Ruhe aus, er lächelte ein wenig und klopfte dem Arzt jovial auf die Schulter. Der Mann setzte sich zu Eve aufs Bett und legte seine Hand an ihre Stirn. Er hatte freundliche dunkle Augen: »Wie geht es Ihnen jetzt?«

»Besser, aber was war das? Ich hatte das Gefühl …«

»Es war eine wandernde Veränderung des Blutflusses in der Großhirnrinde und eine hundertprozentige Überschreitung einiger Hormonwerte. Zu viel davon führt zu einer Überreaktion des Gehirns, und das kann bis zur Ohnmacht führen.«

»Betriebssystem abgestürzt, muss sich komisch anfühlen.«

Thyrons Humor ließ Eve erleichtert ausatmen. »Ja, aber was war der Auslöser? Wieso haben die Nanobots nicht reagiert?«

Der Arzt nickte nur, drehte sich zu seinem Holoschirm. Dann strahlte er mit einem Licht in ihre Pupillen.

Das war unangenehm. Ihr Gehirn, das über ihr auf den Bildschirm projiziert wurde, zeigte blitzartige Reaktionen in Form von Wellen, die in den Neokortex wanderten.

»Die Aktivität des Gehirns sollte nach so einem Reiz viel schneller abklingen, aber der Status hat sich schon deutlich verbessert. Deinen Daten zufolge ist das noch nie vorher passiert, und die Wahrscheinlichkeit, dass es wieder passiert, ist gering.«

Das ernste Gesicht des Doktors weckte kurz Zweifel in Eve. Thyron nahm ihre Hand. Erst jetzt bemerkte sie, dass ihr am linken Arm eine Infusion gelegt worden war. Stück für Stück spürte sie die Kraft zurückkehren, auch die Sorge wich, dass sie ernsthaft erkrankt sei, das hätten die Nanobots erkannt. Seit Jahrzehnten gab es unter den Menschen deswegen kaum noch spontane oder überraschende Erkrankungen. Wuchernde Zellen, sich verschließende Venen und Arterien und viele andere organische Veränderungen durch Verschleiß, Vergiftung oder Erbschäden wurden von den Nanobots erkannt und wenn möglich repariert, bevor überhaupt etwas Ernstes entstehen konnte. Hatte man nicht gerade einen selbstverschuldeten Unfall oder eine Verletzung, die aufgrund der Ressourcengesetze nicht behandelt wurde, war die Lebenserwartung im Vergleich zu früheren Generationen enorm gestiegen. Die Ernährung wurde von den Nanobots genau abgestimmt, Rauschmittel waren seit Jahrzehnten verboten. Nur die erste Generation nach 2041, die Liquidatoren, durften aufgrund ihrer schweren körperlichen Arbeit und ihrer Strahlenkrankheiten, die schon aus logistischen Gründen nicht behandelt werden konnten, frei auf starke Opiate zugreifen.

»Nach allem, was ich sehe, war es ein seltener, heftiger Migräneanfall. Das ist kein Grund zur Sorge und lässt sich regulieren.«

Die letzten Tage hatten es in sich gehabt, vielleicht war einfach alles ein wenig zu viel, und doch blieb in Eve ein merkwürdiges Gefühl zurück. »Also bin ich gesund? Ich meine, ich stehe kurz vor der Prüfung!«

»Ich weiß. Keine Sorge«, beruhigte sie der Leiter des Medilabs, entfernte die Infusion und verließ mit einem letzten Blick auf den Holoschirm den Raum. Eve griff nach Thyrons Hand und musste grinsen, da sie selten so einen Welpenblick von ihm sah. Sie stand langsam auf, die Benommenheit war verflogen.

»Geht es? Samir und Adlin sind auf dem Weg hierher. Ich habe soeben angeordnet, dass wir die nächsten beiden Tage hierbleiben. Ich möchte euch Deep Water zeigen, und Askit hat es bereits freigegeben. Du weißt, welche Phase jetzt kommt«, sagte Thyron und hielt ihr seinen Scanner vor das Gesicht.

Eve atmete einmal laut aus und schaute auf ihr Display. Oben rechts war ein Countdown zu sehen. Thyron hatte recht. Ab morgen begann die erste Phase vor der Prüfung. Alle Aspiranten wurden vor der letzten Prüfung von Askit für 48 bis 60 Stunden abgekoppelt und hatten nur im Notfall oder wenn Askit es selbst für notwendig erachtete Zugang ins Feld und zu Askit. Das Implantat wie auch der Scanner waren in der Zeit offline. Alles, was in dieser Zeit geschah, mussten sie mit sich oder untereinander lösen. Das konnte alles und nichts bedeuten. In der Regel wurden die Aspiranten in Situationen gebracht, die sie im Alltag noch nie erlebt hatten oder von denen Askit wusste, dass sie ihre Anlagen oder ihre Loyalität herausfordern würden. Was sonst in den Tiefenscans nur durch Bilder und unendlich viele Fragen von Askit als Verhalten simuliert wurde, konnte nun in der Wirklichkeit als Konfrontation auf sie zukommen, um ihre innersten Verhaltensmuster zu testen. Trevor Hall, ein Freund und Reinster aus der Nachbarschaft, hatte ihr einmal erzählt, dass er mit zwei Aspiranten einfach eine Waldwanderung unternommen hatte, bevor die zweite und letzte Phase der Prüfungen in der Akademie der Wissenschaft anstand. Sie mussten zusammen den Angriff eines Wolfsrudels abwehren, ohne dabei die Tiere zu verletzen oder gar zu töten, das war strengstens verboten. Zwar hatte Trevor kurz spekuliert, ob Askit diese Gefahr sogar provoziert hatte, aber es war tatsächlich ein Zufall, denn die Wahrscheinlichkeit, auf gefährliche Wildtiere zu stoßen, war nun mal hoch in Waldgebieten. So eine leichte Deutung gelang selten. Wenn Askit bei einem Anwärter bestimmte Eigenschaften testen wollte, brauchte es nicht auf solche tierischen Begegnungen zurückgreifen. Es konnte Herausforderungen erschaffen, die für einen menschlichen Verstand schwer nachvollziehbar waren. Meist waren es gelenkte zwischenmenschliche Begegnungen oder auch bewusste Aufgaben wie ein Marsch durch die Wüste, die große Risiken bargen und ein gegenseitiges Unterstützen oder selbstloses Verhalten erforderten. Es konnten Menschen aufeinandertreffen, deren Persönlichkeitsfaktoren diametral zu den eigenen standen und ein hohes Konfliktpotenzial in sich trugen. Für Trevor ging die Phase jedenfalls harmlos vorüber. Sie verbrachten die Tage entspannt miteinander, schmiedeten Pläne, Ideen für ihre Dienste am Gemeinwohl, meditierten, schliefen viel, und das war es. Trevor Hall hatte aber die letzte Prüfung zur Akademie nicht geschafft und arbeitete heute als Reinster in einem Medicenter in New Paris.

Auch wenn sie im ersten Moment ängstlich reagierte, eine unbekannte Anspannung empfand – war es nicht das Gefühl, dass sie ein Abenteuer bestehen musste. Was sie am meisten beunruhigte, war die Ruhe, die die anderen ausstrahlten, eine Eigenschaft, die laut ihrer Scans eigentlich zu ihren besonderen Stärken zählte. Eve wurde den Gedanken nicht los, dass ihre erste Prüfungsphase längst begonnen hatte.

Die Reinsten

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