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3. Sozialisation

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Bismarck trat mit 32 Lebensjahren als Parteigänger, aber nicht als Parteisoldat der legitimistischen preußischen Konservativen in die Politik ein, am Vorabend der Revolution von 1848 / 49. Von Anfang an liebte er es zu provozieren, unkonventionell zu sein, Grenzen zu überschreiten und war dabei stets bereit, über alle Grenzen hinweg zu kommunizieren. Der geistreiche Gegenspieler war ihm zumeist lieber als der konforme Parteigänger – Letzteren pflegte er zu instrumentalisieren, aber schwerlich zu respektieren. Blickt man auf den jungen Abgeordneten und konservativen preußischen Troubleshooter, so findet man eine Figur, die förmlich aus Lust provozierte. Gegen die nationale Mehrheitswoge setzte er das preußische Staatsinteresse. Im preußischen Landtag provozierte er am 21. April 1849 gegen die Annahme der von der Frankfurter Nationalversammlung verabschiedeten Reichsverfassung: »Preußen soll zum Staatenhause 40 Abgeordnete nach Frankfurt schicken, also 1 auf 400 000. Die Bayern sind schon mehr wert, da kommt auf 200 000 einer; Weimar auf 120 000 […] und Liechtenstein, was soviel Einwohner hat als Schöneberg – hier vor dem Halleschen Tor – würde im Staatenhause denselben Einfluss ausüben als die Mehrzahl der preußischen Regierungsbezirke mit 400 000 und mehr Einwohnern.«18 Preußen, so damals der Kern von Bismarcks Überzeugungen, durfte eben nicht in Deutschland aufgehen, es durfte keinesfalls für deutsche nationale Zwecke in Großmachtkonflikte hineingezogen werden, und es musste um jeden Preis als Staat mit monarchischer Prärogative erhalten bleiben. Vier Jahre später, im September 1853, schrieb er an Prinz Wilhelm, den späteren König und Kaiser: »Preußen ist keineswegs durch Liberalismus und Freigeisterei groß geworden, sondern durch eine Reihe von kräftigen, entschlossenen und weisen Regenten, welche die militärischen und finanziellen Kräfte des Staates sorgfältig pflegten und schonten, sie aber auch in eigner, selbstherrschender Hand zusammenhielten, um sie mit rücksichtslosem Muthe in die Waagschale der europäischen Politik zu werfen, sobald sich ein günstiger Moment dazu darbot. Dieses System müssen wir auch noch ferner beibehalten, wenn die Monarchie zu einem haltbaren Abschluß gelangen soll. Der parlamentarische Liberalismus kann dabei als ein vorübergehendes Mittel zum Zweck dienen, aber er kann nicht selbst der Zweck unsres Staatslebens sein.«19 Wie lässt sich diese Passage nun deuten?

Die monarchische Prärogative blieb unangetastet, im Grunde ungeschmälert bis zu Bismarcks Ende im politischen Amt, mehr als eine Generation später. Aber sie erfuhr bereits jetzt gravierende Flankierungen: Es geht nicht um Prinzipienpolitik, sondern um »Realpolitik«, um das Wahrnehmen günstiger Chancen für Staat und Monarchie, die sich dann eher kurzfristig aus bestimmten Konstellationen heraus bieten. Gleichzeitig wird eine bestimmte Bandbreite der politischen Kräfte akzeptiert: Das liberale Moment soll gewiss nicht die Hegemonie in der preußischen Monarchie gewinnen dürfen, wohl aber im Kräfteparallelogramm für eine nützliche instrumentelle Verwendung dienen. Hinzu kommt eine zweite Dimension: In der Revolutionszeit hatte der junge Abgeordnete von Bismarck die nationale, über Preußen hinausweisende Formel zumeist zynisch von sich gewiesen, sozusagen als ein Spielfeld von »Kreisrichtern, Professoren und anderen Schwätzern«, eine Formulierung, zu der er sich sehr viel später verstieg. Dazu hatte auch gehört, dass er die andere deutsche, protokollarisch höherrangige Großmacht Österreich mit Respekt behandelte; wenn die nationale Frage gar nicht im Vordergrund stand, sondern die Frage nach der Selbstbehauptung Preußens, dann war es ja auch kontraproduktiv, nur der Verwirklichung einer kleindeutschen Schimäre halber sich auf einen Konflikt mit Österreich einzulassen. Deshalb war es auch nur folgerichtig, dass Bismarck die faktische preußische Kapitulation in Olmütz 1850 vor Österreich, mit Russland im Hintergrund, das heißt die Preisgabe einer preußisch dominierten deutschen Union, guthieß. Dieser Bezugsrahmen sollte sich nun aber gravierend mit seinem Amtsantritt als preußischer Vertreter am Deutschen Bundestag in Frankfurt 1851 wandeln. Einmal wurde hier Bismarck sozusagen in einen deutsch-mitteleuropäischen Kommunikationsraum hineingestellt. Damit stieß er intensiviert auf so etwas wie die deutsche Frage aus preußischer Perspektive. Was sich daraus zusehends entwickelte, war das Bild einer die deutsche Frage instrumentalisierenden preußischen Realpolitik, die zugleich hochkonservative, alteuropäische Muster über Bord warf. Damit wuchs auch das für die preußischen Konservativen indiskutable bonapartistische Frankreich für Bismarck in die Rolle eines mit Interesse zu beobachtenden Akteurs, gegebenenfalls auch Partners hinein. So schrieb er am 21. Dezember 1854 an seinen alten politischen Ziehvater Leopold von Gerlach – und hier deuteten sich die Brüche der späteren Zeit zwischen Bismarck und diesem Lager über die Reichsgründung hinweg bereits an: »Das Unglück aber, was Sie aus einer Verbindung mit Frankreich für uns kommen sehn, erwarte ich vielmehr aus unserer Hingabe für Österreich; etwa aus dem Grunde, weil mich mein Bettgenosse viel leichter betrügen, vergiften, erdolchen kann als ein Fremder, mit dem ich in gelegentliche Geschäftsverbindung trete, besonders wenn der Bettgenosse der Ruchlosere und Feigere ist. Ich bin aber weit entfernt, eine Verbindung mit Frankreich als etwas Erwünschtes, freiwillig Erstrebendes anzusehn. Nur halte ich nicht für gut, […] daß wir nie und unter keinen Umständen uns mit Louis Napoleon alliiren würden; der Glaube, daß diese Möglichkeit für uns gar nicht existire, schwächt unsre Stellung m. E. erheblich.«20

Bismarck eignete sich in den ersten Jahren seiner Amtszeit als Ministerpräsident, noch intensiver als zuvor in den Botschafterjahren, ein Denken und Agieren in Alternativen an; »Realpolitik« steht damit in engstem Zusammenhang. Bismarck suchte es prinzipiell zu vermeiden – vermutlich kann man hier ein, wenn nicht sein grundlegendes Politikmuster erkennen –, in eine Lage der Alternativ- beziehungsweise Optionslosigkeit gedrängt zu werden. Das gilt für die Innen- wie für die Außenpolitik und vor allem für jene Sphäre, in der beide Dimensionen einander nahekommen, zuvörderst in der deutschen Frage, in den Beziehungen Preußens beziehungsweise Norddeutschlands zu Süddeutschland wie zu Österreich.

Der »kurbrandenburgische Vasall«, als der Bismarck bei seinem König im September 1862 Punkte gemacht und als der er um ihn geworben hatte, ist tatsächlich doch eine auch imaginierte, teilweise kokettierende Figur. In Wirklichkeit ist der Monarch von Anfang an eine instrumentelle Größe unter anderen. Der Ministerpräsident führt einerseits den Verfassungskonflikt auf die denkbar härteste Weise durch; er versucht liberale Beamte ebenso zu disziplinieren, wie er gefährlich nahe am Staatsstreich operiert; ziemlich gleichzeitig spricht er mit Ferdinand Lassalle über Sinn und Nutzen der Einführung des gleichen Wahlrechts – gegen das in Preußen herrschende Dreiklassenwahlrecht; Lassalle verspricht sich davon etwas für das wachsende Proletariat, Bismarck einiges von der gestärkten Repräsentanz der Bauern und Landarbeiter in den konservativen Strukturen des ostelbischen Preußen. Im Sinne Wilhelms I. ist das alles nicht. Und gleichzeitig wiederum kommuniziert Bismarck mit führenden Liberalen – er signalisiert ihnen, dass die dreijährige Dienstzeit für die Wehrpflichtigen, auf der der König beharrt, für ihn selbst gar kein Dogma sei; er führe hier nur den Willen des Königs aus, aber das werde sich schon ändern. Liberale Minister, so sie den Mut aufbrächten, unter so widrigen Umständen in die Regierung einzutreten, müssten da nur einen langen Atem haben. Im Grunde hintergeht er mit solchen Avancen diesen König, dem er sich als »kurbrandenburgischer Vasall« angedient hat.

Die preußische Innenpolitik jener Jahre ist stets zugleich die deutsche Politik Preußens: Auch hier hält sich Bismarck bis zuletzt, bis zum innerdeutschen Krieg vom Sommer 1866, mehrere Optionen offen. Und er präpariert zugleich das Gelände, indem er, auch unter Verletzung von mancherlei Prinzipien, die Geneigtheit der beiden außerdeutschen Großmächte gewinnt, des bonapartistischen Frankreichs und des zaristischen Russlands. Bismarck ist wohl sehr bald klar geworden, dass trotz des Scheiterns der Revolution von 1848 / 49, an dem er selbst ja einen, wenn auch marginalen Anteil genommen hatte, der Status quo in Mitteleuropa nicht einfach auf lange Zeit erhalten bleiben konnte. Aber ebenso wenig wie Helmut Kohl Ende der 1980er-Jahre, hatte er in den 1860er-Jahren einen »Masterplan«. Zunächst einmal wusste Bismarck, was er nicht wollte und wen es gegebenenfalls zu instrumentalisieren galt:

Er wollte keine organische Weiterentwicklung des Deutschen Bundes zu einer stetig verdichteten Konföderation, bei der die gesamtösterreichische Ländermasse zusammen mit den deutschen Mittelstaaten gegenüber Preußen auf Dauer hegemonial bleiben würde. Insofern war sein schärfster Gegenspieler in diesen Jahren der Leiter der sächsischen Politik, Graf Beust, der genau diesen Weg anstrebte.21 Gegen diesen Trend setzte er sich mit aller Härte zur Wehr, als er nahezu brachial 1863 seinen König daran hinderte, am Frankfurter Fürstentag unter dem Präsidium des österreichischen Monarchen Kaiser Franz Joseph teilzunehmen. Gleichzeitig verschreckte er, das wurde hier schon angedeutet, die preußischen Hochkonservativen, indem er das bonapartistische Frankreich ins Kalkül nahm – und auf der anderen Seite schloss er, auch 1863, die »Alvenslebensche Konvention« mit Russland.22 Für alle, die dem liberalen freiheitlichen Prinzip anhingen, war diese Konvention förmlich ein Schlag ins Gesicht – für Bismarck hingegen waren solche Positionen »Professorenpolitik«; dafür hatte er nur abfällige Worte. Ohne dass der spätere Showdown mit Österreich damals schon absehbar war, schuf Bismarck so jedenfalls Voraussetzungen, um Österreich gegenüber in die Vorhand gelangen zu können. Was aber stellte er sich hier vor?

Die schließliche Verdrängung Österreichs aus Deutschland war nicht zwingend von Anfang an in Bismarcks Vorstellungen angelegt, auch in dieser Hinsicht zeigte er sich alles andere als dogmatisch. Vielmehr bot er gewissermaßen eine ganze Bandbreite an Möglichkeiten an, wobei die Extreme das Verschwinden Österreichs aus Deutschland oder ein Kondominium mit jeweiliger Hegemonie beider Seiten, Preußens in Norddeutschland, Österreichs südlich der Mainlinie, sein sollten. Gegenüber dem österreichischen Botschafter Graf Károlyi führte er schon wenige Monate nach seinem Amtsantritt als Ministerpräsident aus:

»Preußens Stellung in Deutschland verstehe ich folgendermaßen. Parallel mit dem Zollverein müssten auf dem materiellen Gebiete, wie Eisenbahnen usw., nicht durch den Bund, sondern durch freie Vereinbarung zwischen Preußen und jedenfalls den norddeutschen Staaten ähnliche Institute gegründet und die Führung der beiden norddeutschen Armeekorps Preußen überlassen werden, während die beiden andern dem österreichischen Kommando zufielen.«23 Am Ende pokerte Bismarck hoch und gewann, worüber er selbst sich durchaus nicht sicher gewesen war: In der finalen Krise des Deutschen Bundes vom Mai und Juni 1866 schlug er, in Berlin immer noch im Konflikt mit der weit überwiegenden liberalen Mehrheit im Landtag, für die Lösung der deutschen Frage einen neuen engeren Bund auf der revolutionären Grundlage des gleichen Wahlrechts vor – und eben diesem Bund sollte Österreich nicht mehr angehören. Und zugleich waren außenpolitisch die Voraussetzungen geschaffen, um den Waffengang mit Österreich und seinen Verbündeten mit einiger Aussicht auf Erfolg führen zu können: Russland stand tendenziell im preußischen Lager, Frankreich erwartete die preußische Niederlage und versprach sich Kompensationen am Rhein bei diplomatischer Hilfestellung für Preußen. Italien, das auf Venetien und weitere Territorien schielte, stand im Bündnis mit Preußen, so dass die Österreicher, was vermutlich mehr als das preußische Zündnadelgewehr den Ausschlag gab, einen Teil ihres Heeres südlich der Alpen operieren lassen mussten.

Am Tag der Entscheidungsschlacht von Königgrätz, am 3. Juli 1866, wurde in Preußen ein neuer Landtag gewählt. Er brachte eine gewichtige, ja fast revolutionäre, eher wohl konterrevolutionäre Gewichtsverschiebung. Der Erfolg, obwohl noch nicht vollständig eingetreten, nährte den Erfolg: Die Konservativen stiegen von 35 auf 119 Mandate. Bismarcktypisch – und wieder, wie beim Fürstentag von 1863, gegen den Monarchen gerichtet – war auch die Friedensgestaltung: Sie war insofern radikal, als sie jene eliminierte, für die auf dem Spielfeld aus Bismarcks Sicht kein sinnvoller Platz mehr war – und jene schonte, die für künftige Kombinationen gebraucht werden würden. Der Monarch hingegen wollte einen herkömmlichen Friedensvertrag: Sogenannte »Schuldige« sollten bezahlen, möglichst alle Gegner auch Gebietsverzicht leisten, wie es nun einmal üblich war. Zugleich aber sollten nicht revolutionär Dynastien wie im Falle des welfischen Königreiches Hannover einfach radikal entthront werden. Bismarck, der sogenannte Vasall, führte den Konflikt an zwei, wenn nicht drei Fronten: Einmal ein schneller Friedensschluss, um Frankreich nicht die Chance zu eröffnen, auf einer Vermittlungsprämie zu beharren und durch Gebietsgewinne im Linksrheinischen die preußische Politik unter nationalen Gesichtspunkten zu desavouieren. Zum Zweiten Schonung der süddeutschen Staaten und vor allem Österreichs gegen den Willen des Königs, der Teile Nordbayerns – die alten Hohenzollernschen Markgrafschaften – und Böhmens annektieren wollte. Bismarck hat sich dagegen nahezu mit Brachialgewalt durchgesetzt. Selten in seiner gesamten Amtszeit hat er gegen den eigenen Monarchen so hoch gepokert, so viel zerschlagenes Porzellan in Kauf genommen und sich am Ende durchgesetzt: »Von Österreich ist durch die doppelte Erklärung, daß es aus dem Deutschen Bunde austrete und eine Rekonstruktion desselben ohne seine Teilnahme und unter Preußens Führung zulassen und daß es alles anerkennen werde, was Eure Königliche Majestät in Norddeutschland zu tun für gut befinden werde, alles wesentliche gewährt, was Preußen von ihm zu fordern hat. […] Wenn dieses Ziel […] gesichert werden kann, so würde es […] ein politischer Fehler sein, durch den Versuch, einige Quadratmeilen mehr von Gebietsabtretungen oder wenige Millionen mehr von Kriegskosten von Österreich zu gewinnen, das ganze Resultat wieder infrage zu stellen […].«24

Gewiss hat Bismarck 1866, als er Österreich »schonte«, noch nicht den späteren Zweibund von 1879 zwischen dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn im Blick haben können. So langfristig-determiniert agierte er nicht. Aber ebenso sicher ist, dass ihm 1866 bereits die Konstellation eines Ausgleiches zwischen Preußen beziehungsweise Preußen-Norddeutschland oder Preußen-Kleindeutschland und dem historisch und kulturell ja doch so eng verbundenen Österreich vor Augen stand.

Schließlich drittens die Indemnitätsvorlage gegenüber dem preußischen Landtag, der Formelkompromiss, mit dem nachträglich die parlamentarische Billigung für die ungenehmigten Haushalte seit Beginn des Verfassungskonfliktes und damit auch für die Heeresreform eingeholt wurde. Auch hier argumentierte Bismarck »realpolitisch« gegenüber einem Monarchen, der in diesem Schritt so etwas wie ein Schuldeingeständnis sah – und ihn zunächst vehement ablehnte. Bismarck hingegen beharrte darauf, im Lande ein erträgliches Verhältnis wiederherzustellen – bei dem er selbst dann freilich als Regierungschef der eigentliche Nutznießer war. Denn wenn es gelang, das Konfrontationsverhältnis gegenüber dem Parlament zu überwinden, dann sank zugleich seine eigene Abhängigkeit vom Monarchen.

Bismarck: Der Monolith - Reflexionen am Beginn des 21. Jahrhunderts

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