Читать книгу Tango unterm Regenbogen - Tilo Braun-Wangrin - Страница 11

6. Dinge des Lebens

Оглавление

Von meinen Kontaktanzeigen, den daraus resultierenden Briefwechseln und auch von Denis hatte ich bisher niemandem in meinem Umfeld erzählt.

Seit ich mit Denis zusammen war, bekamen die Leute natürlich mit, dass ich Schmetterlinge im Bauch hatte. Ich strahlte, war gut gelaunt und wirkte auch sehr zufrieden.

Aber trotz alledem verstellte ich mich. Ich war nicht ich selbst und verleugnete eine Beziehung mit einem tollen Menschen, den ich über alles liebte. Aber es war nicht die Zeit und nicht der Ort für ein Coming Out. Zu viele Vorurteile über Schwule und Lesben kursierten. Außer Patrick und Julian kannte ich neben Denis keine anderen schwulen Männer. Wem hätte ich mich, außer ihnen, anvertrauen sollen und können? Mich quälte der Gedanke, wie mich die Familie, die Freunde und auch Kollegen behandeln würden, wenn ich ihnen eröffnen würde schwul zu sein und mich in einer Partnerschaft mit einem Mann zu befinden.

Da ich meine derzeitige Lebensfreude aber nicht überspielen konnte, ließ ich aus Denis einfach Denise werden.

So log ich eigentlich nur bei dem „e“ im Namen. Ich sprach nie von einem Mädchen, sondern immer nur von Denise. „Ich bin mit Denise zusammen“. Alles was ich von nun mit Denis erlebte, adaptierte ich auf Denise.

Ich erwartete meinen Schatz. Wir hatten keine Zeit ausgemacht und so arbeitete ich noch ein wenig am Computer als es klingelte. Er war es. Ich hatte mich besonders chic gemacht, denn es sollte unser letztes Treffen vor meiner Operation im Bundeswehrkrankenhaus (BWK) sein.

Ich hatte ein blaues Seidenhemd und eine weiße, enge Jeans an. Von meiner Computerarbeit hatte ich auch noch meine Brille auf. Ihm gefiel mein Outfit, besonders die Brille. Während wir die Lindenstraße{19} sahen, konnte er seine Hände nicht von mir lassen, was ich regelrecht genoss. Wir kuschelten uns ganz gemütlich aneinander und erlebten unsere Lieblingsserie mit innigen Küssen. Immer wieder kitzelte ich ihn, weil er dann so ein ganz besonderes, süßes Lächeln hervorbrachte. Ich liebte dieses Lächeln und seinen makellosen, schlanken, sonnengebräunten Körper. Und er liebte mich. Ganz verliebt sah er mir tief in die Augen und sah auf den tiefsten Grund meiner Seele.

In der Nacht zum 20.{20} Mai 1998 erlebten wir unser erstes Mal. Wir hatten Sex und es war mein erstes Mal.

In dieser Nacht wurde ich zu einem richtigen Mann und Denis wurde mein Mann. Was auch immer geschehen würde, diese Momente werde ich niemals vergessen. Denis hatte mit dieser gemeinsamen Erfahrung für immer bedeutungsvoll mein Leben geprägt. In kleinen Schritten hatten wir uns vorangetastet. Meine große Liebe war in jeder Situation rücksichtsvoll, damit ich mich auf jedes neue Empfinden einstellen konnte. Mit den Erfahrungen wuchsen der Genuss und auch die Bedürfnisse.

Da ich am nächsten Tag frei hatte, konnte ich ausgiebig mit Denis frühstücken, bevor er zur Arbeit fuhr. Ich hatte mich vormittags mit Manuela verabredet. Sie hatte mir Wichtiges zu berichten.

Nach unserer Disconacht war sie noch zu Michél gefahren und hatte sich mit ihm ausgesprochen. Sie gab ihm eine letzte Chance. Überraschend machte er Ela das Angebot, wieder bei ihr einzuziehen. So richtig war sie darüber nicht erfreut. Der nächste Streit wäre vorprogrammiert.

Abends schrieb mir Denis noch folgende Nachricht per Fax: „Einfach einen ganz lieben Gruß von mir an Dich. Ich wollte einfach nur sagen, dass der gestrige Abend sehr schön war. Jeden Augenblick, wo wir uns nicht nahe sein können, ist unerträglich. Ich bin so unbeschreiblich glücklich und freue mich riesig auf unser nächstes Treffen.“

Tilo: „Lieben Dank für Deinen süßen Guten-Nacht-Gruß. Du gibst Dir wirklich in jeder Beziehung alle Mühe und bist unheimlich rücksichts- und liebevoll. Du weißt, dass ich Dich jeden Tag, wo wir uns nicht sehen, vermisse.“

Der Tag war gekommen. Ich musste mich wegen meiner Steißbeinoperation ins BWK einfinden. Es ging von einer Voruntersuchung zur nächsten. Es war, nach meiner Geburt, das erste Mal, dass ich in einem Krankenhaus behandelt werden würde.

Meine Aufregung hielt sich in Grenzen. Mit meinem Laptop und dem Handy im Gepäck würde die Zeit schon vergehen.

Bereits am Abend des ersten Tages besuchte mich Daniela. Wir gingen in die Cafeteria und aßen Bockwurst. Das Krankenhausessen hatte mich nicht gerade gesättigt. Sie erzählte mir von neuen Problemen, die sie mit ihrem Freund hatte. Außerdem bedrückte sie noch eine weitere Sache. Es betraf mich.

Seit ich mit „Denise“ zusammen war, hätte ich kaum noch Zeit für sie. Ich würde auf Nachrichten, die sie mir auf dem AB hinterlassen hatte, nicht reagieren und unsere Telefonate würden immer kürzer.

Ich erklärte ihr, dass ich in den letzten Wochen tatsächlich weniger Zeit hatte. Dabei erzählte ich natürlich nicht von dem regen Briefwechsel, den ich vorab mit Denis führte. Obwohl ich mit Denis zusammen war, schrieb ich mich auch noch regelmäßig mit Patrick und Julian. Mit ihnen konnte ich mein tatsächliches Glück, ohne mich zu verstellen, teilen.

So schwärmte ich Daniela von „Denise“ vor. Wir hatten es uns auf einer Wiese vor dem Krankenhaus bequem gemacht und genossen das schöne Frühlingswetter. Dabei sprach ich nie von einem Mädchen, wenn es um „Denise“ ging und vermied die Verweiblichung der Person in meinen Sätzen. Eigentlich machten nur die Zuhörer aus Denis „Denise“.

Bereits am nächsten Tag wurde ich operiert. Nachdem ich über die Risiken einer Vollnarkose aufgeklärt wurde, erhielt ich diese und verließ die reale Welt für ein paar Stunden.

Denis war der erste Besucher nach meiner Operation. Er hatte mir Blumen, eine süße Karte und eine Plüschmaus von Diddl{21} mitgebracht.

Es waren nur noch wenige Tage, bis ich bei ihm in Neuenhagen das erste Mal übernachten und ein paar Tage wohnen sollte. Seine Eltern machten Urlaub in der Türkei. In dieser Zeit hätten wir Haus und Hof für uns allein. Es war für uns der erste Test, ob wir zusammen auch für eine längere Zeit klarkommen würden.


Tilo im Bundeswehrkrankenhaus

Eines Morgens meldete sich Marén telefonisch bei mir. Sie hatte sich solche Sorgen gemacht, dass ich ihr wegen ihrer neuen Partnerschaft die Freundschaft kündigen würde. Dass es nicht meine Art sein würde, musste sie eigentlich gewusst haben. Ich war froh zu hören, dass sie glücklich und zufrieden mit ihrem neuen Freund sei. Nach einem knappen Jahrzehnt unserer Freundschaft würde Marén in der achten Staffel Familienportraet als Hauptfigur verlassen. Sie wollte dann ihr neues Leben in Lüneburg beginnen.

Nachdem ich bereits eine Woche im Krankenhaus verbracht hatte, planten Denis und ich von dort einen Ausflug ins Grüne. Da ich noch nie am Kloster Chorin{22} und am Schiffshebewerk Niederfinow{23} war, entschieden wir, dass dies unser erster gemeinsamer Ausflug sein sollte.

Bei sengender Hitze besuchten wir die bekannten Barnimer Wahrzeichen und drehten zugleich für Familienportraet. In Strausberg bekamen wir Appetit auf Eis. Im Café Altstadt blieb mir fast das Herz stehen. Mein alter Bekannter Oliver G. stand vor mir. Schnell wählte ich einen Tisch in der hinteren Ecke des Cafés. Zunächst klärte ich Denis über die Person auf und wir benahmen uns wie zwei alte Kumpels, die sich lange nicht gesehen hatten. Ausgerechnet dieser Typ sollte der Erste sein, der Denis und mich das erste Mal zusammen sah.

Wieder zurück im Krankenhaus hatte mir Doreen telefonisch Andeutungen gemacht, dass sie evtl. schwanger sei. Ihre Menstruation hatte nicht fristgerecht eingesetzt.

Ihre Vermutung wurde bei einer frauenärztlichen Untersuchung bestätigt. Mich informierte sie per Fax über den aktuellen Stand. Da sie mit dem Vater des Kindes nicht mehr zusammen war, wollte sie weg aus Leipzig. Allerdings nicht zurück nach Strausberg, sondern nach Berlin. Dort suchte sie bereits eine Wohnung. Marén wollte ihre Wohnung in Berlin Hellersdorf ab August abgeben. Konnte Doreen Nachmieterin werden?

Da Doreens Eltern inzwischen im benachbarten Hönow wohnten, fand sie die Idee hervorragend. Jetzt mussten nur noch die Einzelheiten mit Marén und der Wohnungsbaugesellschaft abgestimmt werden.

Nachdem ich das BWK endgültig verlassen hatte, besuchte mich Marén. Ich erlebte sie locker und selten so entspannt. Eine neue Frisur und elegantere Kleidung signalisierten eine äußerliche Veränderung. Sie schien glücklich und hatte viele Pläne.

Reni schilderte mir ihre besondere Beziehung. Frank konnte seine Gefühle zeigen, gut mit Isabelle umgehen und auch zwischenmenschlich stand alles zum Besten. In nicht allzu ferner Zeit sollten die Hochzeitsglocken läuten. Auch ein gemeinsames Kind war geplant. Um mir Frank ein wenig näher zu bringen, hatte Marén ein Video mitgebracht. Darin konnte man sehen, wie er sich mit Freude und liebevoll mit Isabelle beschäftigte - als wäre es sein eigenes Kind.

Für Familienportraet drehten wir ein STARgespräch. Die Dreharbeiten fanden bei Manuela statt, der wir so einen Besuch abstatten konnten. Im Gespräch stellte ich u. a. folgende Frage: „Marén, zum zweiten Mal brichst du deine Zelte in Berlin ab. Hast Du Angst vor diesem Schritt?“

„Ja, sehr Große. Die alten Freunde verlieren, Neue finden. Das wird schon nicht einfach. Aber ich verlasse Berlin, um mir dort ein neues Leben aufzubauen.“

Persönlich wünschte ich ihr viel Glück für ihren Neuanfang.

Das Haus und das Grundstück von Denis Eltern waren ansprechend und wirkten sehr gepflegt. Den ganzen Nachmittag verbrachten wir im Garten, während die Sonne herrlich schien. Irgendwann wurde es kühler und wir wechselten ins Haus.

Die Lindenstraße entwickelte sich zu unserem Sonntagsritual, die wir immer wie auch diesem Tag, gemeinsam sahen. Danach bereitete ich das Abendessen zu, während Denis mit seinem niedlichen Westi{24} Tommy Gassi ging.

Dann aßen wir, wuschen ab und sahen die neueste Ausgabe von Polizeiruf 110{25}. In der Nacht besuchte uns Tommy, der die Besucherritze unseres Bettes in Anspruch nahm.

Am Morgen bereitete ich das Frühstück zu. Denis war wieder mit dem Hund unterwegs und musste dann zur Arbeit fahren. Ich blieb den ganzen Tag allein, arbeitete am Laptop, brachte den Haushalt in Ordnung und fuhr kurz zu mir nach Hause.

Keine Termine. Keine Verpflichtungen. Es war schön, mal wieder richtig auszuspannen, ohne an andere denken zu müssen. Lange hatte ich keine Zeit dafür gehabt. Jetzt konnte ich Energie tanken. Die brauchte ich auch, da die Bundeswehrzeit fast vorbei war und ich bald wieder bei der Sparkasse zu arbeiten begann.

An einem Morgen verschliefen wir über eine Stunde. Für mich kein Problem, da ich noch krank zu Hause war. Denis beeilte sich jedoch nicht, da er nun erst zum zweiten Stundenblock zur Berufsschule fuhr. So hatte ich ihn noch ein wenig für mich und wir konnten in Ruhe frühstücken.

Mein Schatz kam an diesem Tag durch die Schule bereits am frühen Nachmittag nach Hause und wir „chillten“ erst einmal auf seiner „Spielwiese“. Dann präsentierte er mir seine Sammlung über die britische Royal Family. Allein von Lady Diana pflegte er zehn Aktenordner.

Durch unser kurzzeitiges Zusammenleben entwickelte sich eine gewisse Routine, die zunächst recht spießig anmutete. Aber genau danach sehnte ich mich nach all den einsamen Jahren.

Nach dem Abendbrot stylten wir uns für einen Kinoabend. Denis musste zunächst einen auffälligen Knutschfleck an meinem Hals kaschieren. Da wir noch Zeit hatten, schlenderten wir, nachdem wir die Karten für den Thriller Mord im weißen Haus gekauft hatten, in Helle Mitte herum.

Spätabends lagen wir im Bett. Tommy suchte an der Seite nach einem kuscheligen Plätzchen bei uns. Denis verwies ihn jedoch ins Nachbarzimmer. Wir unterhielten uns über unsere Beziehung. Alles lief bisher ganz wunderbar und auch unser Zusammenleben klappte gut. Binnen von Minuten schaffte er es jedoch, mir einen herben Schlag zu versetzen. Er meinte, dass schwule Beziehungen sowieso nicht von langer Dauer wären und man ständig auf der Suche nach neuen Männern sei. Ich war entsetzt. Was hatte ich denn von dieser Beziehung zu erwarten. Ein paar Wochen? Zwei Monate? Enttäuscht drehte ich mich zur Seite und verkündete die Nachtruhe. Obwohl er meine Hand hielt, konnte ich mich schwer beruhigen.

Tommy lag zwischen uns, als ich in der Morgensonne aufwachte. Mir ging die Unterhaltung vom Vorabend noch einmal durch den Kopf. Denis sprach ja nicht von unserer Beziehung, sondern im Allgemeinen. Deshalb sollte ich der Sache nicht allzu großer Bedeutung schenken.

Das Telefon klingelte und ich hörte wie Denis durchs Zimmer hechtete. Es waren seine Eltern, die sich aus der Türkei meldeten. Ihnen ging es gut. Beide hatten schon mit Sonnenbrand zu kämpfen. Nach dem Telefonat tapste Denis die Treppe herunter. „Ich dachte wir schlafen heute aus! Als Du vorhin aufgestanden bist, nahm ich an, dass Du gleich wieder ins Bett kommen würdest. Nachdem das nicht der Fall war, dachte ich, Du bist irgendwo umgefallen“, konstatierte er.

„Ach, ich konnte nicht mehr schlafen und da Du ja ausschlafen wolltest, habe ich Dich einfach in Ruhe gelassen“, antwortete ich.

Zum Frühstück aßen wir Lachstoast und Fruchtzwerge. Um einiges Geschirr für die Spülmaschine vorzureinigen, begab ich mich zur Spüle. Denis folgte mir. Zärtlich begann er mir von hinten den Hals zu küssen. Schnell drehte ich mich um und erwiderte seine Zärtlichkeiten. „Ich hätte wohl heute Morgen doch bei Dir bleiben sollen? Komm lass uns hoch gehen!“, flüsterte ich ihm leise ins Ohr. Ohne zu zögern wechselten wir den Schauplatz.

Viel Zeit hatten wir nicht, denn ich musste mich bei meinem Truppenarzt zur Nachuntersuchung vorstellen. Dabei schaute ich bei meinen Bundeswehrkameraden vorbei und ließ mich über die aktuellen Ereignisse informieren. Danny war etwas enttäuscht, dass ich nur auf einen Blitzbesuch vorbeigekommen war. „Nächste Woche bin ich noch einmal zum Auskleiden bei euch“ ermunterte ich ihn.

Schell fuhr ich nach Neuenhagen zu Denis zurück, der seinen freien Tag hatte und das schöne Sonnenwetter nutzte, um sich zu bräunen. Später fuhren wir zum Supermarkt, um neue Lebensmittel zu kaufen.

In der Zwischenzeit hatte Denis Arbeitskollegin Lena angerufen, die er bei unserer Rückkehr zurückrief. Sie würde uns am Sonnabend mit ihrem Freund besuchen kommen.

In der Modebranche erkannten besonders die Damen schneller, ob ein Mann schwul oder hetero ist. So waren Lena und ein paar andere Kolleginnen die ersten, die Denis offen zu seiner Orientierung ansprachen. Diese Coming Outs wurden ihm leicht gemacht. Denn er brauchte nicht widersprechen, als er gefragt wurde, ob er schwul sei.

Das Treffen sollte der erste Kontakt zu neuen Leuten sein, die von unserer Partnerschaft wussten und es akzeptierten.


Denis, mein Hase.

Tango unterm Regenbogen

Подняться наверх