Читать книгу Tango unterm Regenbogen - Tilo Braun-Wangrin - Страница 7
2. Kontakte
ОглавлениеMeine Rolle im Freundeskreis hatte sich verändert. Während ich mich früher um jeden Einzelnen kümmerte, Kaffeerunden veranstaltete und den Bund der Hauptfiguren im Familienportraet zusammenhielt, war ich nun auf der Suche nach einer neuen Identität.
Ich nahm mir vor, mein schwules Ich zu ergründen. Das Jahr 1998 sollte ein Jahr der Veränderungen in meinem Leben werden. Ich träumte von einem Partner, der großen Liebe und dem Coming Out vor allen Verwandten und Bekannten.
Ich aß gerade bei Burger King einen Whopper{7}, als mir das kostenlos ausliegende Stadtmagazin [030] {8} auffiel, welches direkt neben dem Tresen auslag. Ich griff mir ein solches Heft, um es in der Stadtbahn auf der Fahrt nach Hause durchzuschauen.
Sofort fielen mir die Seiten mit den Rubriken Gay Life und Er sucht Ihn auf. Aufmerksam lass ich jede Zeile. Nachdem ich mit dem Anzeigenteil durch war, entschied ich, meinem Schicksal endlich auf die Sprünge zu helfen.
Eine Anzeige in einem Berliner Stadtmagazin würde allemal mehr bringen als in einer gesamtdeutschen Zeitungsausgabe. Zu Hause ließ ich mir vier originelle Botschaften einfallen, die ich in einer Art Sammelauftrag in jeder zweiten Woche für zwei Monate zum Erscheinen in Auftrag gab.
So erhielt ich bereits nach Erscheinen der aktuellen Ausgabe der [030]
die ersten Zuschriften. Unter all den Zuschriften kristallisierten sich zunächst nur zwei ansprechende Angebote aus Berlin. Dahinter steckten Julian aus Spandau und Patrick aus Hellersdorf.
Brief von Julian vom 05. März 1998: „Hallo Unbekannter, wer auch immer Du bist, wo auch immer Du sein magst. Ich jedenfalls bin hier! Wo? In Berlin-Spandau. Aber Entfernung ist ja bekanntlich Illusion. Jetzt zu mir. Ich bin 18 Jahre; 1,76 m groß, habe braune Augen/Haare.
Meine Freizeit verbringe ich größtenteils im Fitnessstudio und mit meiner besten Freundin. Das heißt natürlich nicht, dass Du wahnsinnig sportbegeistert sein musst, wäre aber nicht schlecht.
Deine Anzeige lass ich irgendwann am letzten Wochenende als wir (ich + beste Freundin) noch spät in der Nacht Hamburger essen waren. So und jetzt schreib ich Dir! Na? Kannst Du Dich aufraffen mir zu schreiben? Ich würde mich freuen. Also vielleicht bis ganz bald... Julian.“
Brief von Patrick vom 10. März 1998: „Hallo Unbekannter, als ich diesmal die Seite „Er sucht ihn“ aufschlug, da stach mir Deine Anzeige gleich ins Auge.
Ich dachte mir, schreibe ich mal einem (einsamen) Wehrdienstleistenden. Ich habe nämlich gehört, die sollen immer Heimweh nach Hause haben. Und vielleicht hast Du ja auch bald Heimweh nach mir. Außerdem soll der Brief auch eine Ablenkung vom grauen Alltag beim Bund sein. Ehrlich gesagt, habe ich noch nie auf eine Anzeige geantwortet, aber das alleine sein habe ich echt satt.
Und ich hoffe, es war nicht falsch, diesen Brief zu schreiben. Vielleicht schreibst Du mir ja zurück, wenn er Dir gefallen hat. Ich heiße übrigens Patrick, bin süße 18 Jahre jung und 186 cm groß. Also gebe Dir einen Ruck und schreibe mit Foto und Adresse zurück, damit aus einem Brief noch viel mehr werden kann. Also bis dann sagt Patrick. PS: Würde mich riesig
freuen über Deinen Brief“.
Diese Briefe faszinierten mich am meisten. Unter ca. dreißig Zuschriften fand sich aber noch jemand, der Aufmerksamkeit in mir erweckte. Denis aus Neuenhagen. Er wohnte nur 20 km von mir entfernt! Ich war erschrocken. Sollte ich ihm etwa antworten? Nachher kannte er mich oder ich würde mal dienstlich in Neuenhagen zu tun haben und dann würde es zu Peinlichkeiten kommen.
Brief von Denis Wangrin aus Neuenhagen: „Hallo Wehrdienstleistender! Mein Name ist Denis und ich bin 22 Jahre alt. Ich bin 1,82 m; 70 kg schwer und schlank.
Meine Haare sind dunkelblond und kurz und die Augen blaugrau. Ich habe zurzeit leider kein Foto, hoffe aber, dass die Beschreibung etwas weiterhilft.
In meiner Freizeit gehe ich gerne ins Kino oder zum Billard/Bowling. Meine Musikrichtung ist nicht festgelegt, man hört alles, was einem gefällt.
Am Wochenende gehe ich mit guten Freunden in die Disco oder bleibe einfach zu Hause und mache mir einen netten Videoabend. Mein Zivildienst war sehr interessant und ich hoffe Deiner ist nicht so anstrengend. Ich bin nicht geoutet und finde es furchtbar, dieses gezierte Benehmen. Man kann sich doch auch völlig normal benehmen. Ich hoffe wir hören voneinander. Tschau Denis. PS: Kein Schreck bei der Adresse bekommen, in 30 Minuten ist man mit dem Auto in der Stadt.“
Meine Antwort: „Hallo Denis, ich bin sehr überrascht auch einen Brief aus der näheren Umgebung zu erhalten, denn ich wohne in Strausberg, was von Neuenhagen ja ein Katzensprung ist.
Ich möchte Dir in diesem Brief noch nicht meinen Namen und meine Adresse verraten, da ich mir erst sicher sein möchte, dass Du zumindest erst mal absolut diskret bist.
Ich bin 20 Jahre alt und wohne in „Hegermühle“. Von den Interessen haben wir viele Gemeinsamkeiten. Auch ich genieße es mal zu Hause zu bleiben und sich einen Gemütlichen zu machen. Doch allein macht das in meiner Drei-Zimmer-Wohnung gar keinen Spaß und da ich nicht geoutet bin, versuche ich es auf diesem Wege. Zurzeit bin ich in Strausberg bei der Bundeswehr, um meinen Grundwehrdienst abzuleisten. Habe eine prima Truppe erwischt und es macht auch Spaß. Es sind nur noch wenige Monate, dann gehört auch dieser Lebensabschnitt der Vergangenheit an.
Für dieses Jahr habe ich mir endlich vorgenommen, meinem schwulen Leben auf die Sprünge zu helfen. Dieser Brief ist hoffentlich der erste richtige Schritt. Meine Eltern, Verwandte und Freunde glauben, dass ich einen ganz „normalen“ Weg gehe, doch ich halte dieses Schauspiel einfach nicht mehr lange aus. Denis, wenn es Dich nicht abschreckt, dass ich so nah bei Dir wohne, dann schreib mir bitte nochmals unter meiner „030“-Chiffre Nummer. Ich lege aber großen Wert auf Diskretion, ich hoffe, Du verstehst das. Ich würde mich sehr freuen, wenn Du mir recht bald schreiben würdest. Viele Grüße, Tilo“
Mit wenig Hoffnung von Denis noch einmal zu lesen, entwickelten sich die Briefwechsel zwischen Julian, Patrick und mir weiter recht rege. Die Briefe nach meiner Antwort behielten ihre Spannung.
Auch Denis schrieb zurück: „Hallo! Vielen Dank für Deinen Brief. Wie ich gelesen habe, wohnen wir nur eine geringe Distanz voneinander entfernt. Ich finde es optimal, dass man nicht so weit entfernt voneinander wohnt. Furchtbar beide Sätze mit dem gleichen Inhalt beendet. Naja! Es muss bestimmt für Dich angenehm sein, den Grundwehrdienst in der Nähe Deiner Wohnung absolvieren zu können.
Ich würde mich freuen, wenn wir bei nächster Gelegenheit mal ins Kino gehen würden. Aufgrund meiner Arbeitszeit habe ich meistens am Wochenende Zeit für Unternehmungen. Meine Eltern denken, ich bin auch ganz normal und ich will es auch so belassen. Für mich steht Diskretion ebenfalls an erster Stelle.
Ich hoffe der Wehrdienst ist nicht so anstrengend, dass Du noch Zeit findest zu antworten, was mich sehr freuen würde. Bis bald Denis! PS: Die Entfernung ist für mich nicht abschreckend.“
Obwohl ich immer mehr Zuschriften erhielt, blieben Denis, Julian und Patrick meine Favoriten. Zu meinem 21. Geburtstag erhielt ich von Allen liebe Grüße, die sie mir auf unterschiedlichste Weise zukommen ließen. Denis schrieb eine ganz süße Karte, untermalt mit parfümierten Düften.
Julian sandte ein Sunshine-Fax und Patrick übermittelte per Brief die besten Wünsche. Keiner hatte meinen Ehrentag vergessen.
Patrick und Denis bekannten sich bereits nach wenigen Wochen ihrer Zuneigung mir gegenüber. Julian blieb auf Distanz. Mit ihm gestaltete sich inzwischen mehr ein platonischer Briefwechsel.
Im zweiten Brief teilte ich Denis meine vollständige Adresse mit und schrieb weiter: „Gern möchte ich mit Dir ins Kino gehen, jedoch möchte ich Dich vorher noch ein bisschen kennenlernen. Ich würde so gern mal aus mir rauskommen und mich nicht immer verstellen. Vielleicht klappt es ja, wenn wir uns treffen. Wie stellst Du Dir eine Beziehung mit einem Mann vor? Ich bin eher der Romantiker. Außerdem bin ich ein Reisemensch. Zudem interessierte mich, was er beruflich macht.
Schnell kam Antwort von Denis: „Ich mache zurzeit eine Ausbildung im Einzelhandel bei Peek & Cloppenburg{9} (P&C) in Berlin, Tauentzienstraße. Meine Berufsschule befindet sich im Herzen von Kreuzberg und meinen Zivildienst habe ich in der Schlosspark-Klinik auf der Neurologischen Abteilung, als Pfleger, geleistet. Die Erfahrungen, die man dort gesammelt hat, sind im Bereich des Zwischenmenschlichen von großer Bedeutung. Der Umgang mit den Patienten und die Arbeit mit dem Pflegepersonal und den Ärzten war sehr interessant.
Die Beziehung zu einem Mann sollte etwas ganz Schönes sein. Treue, Ehrlichkeit und gemeinsame Interessen stehen an erster Stelle. Ich verreise auch sehr gerne...vor allem in den sonnigen Süden. Ich habe Dir ein Foto mitgeschickt. Ich schaue ein bisschen ernst, aber ich kann auch lachen.“
Das Foto sah toll aus. Ich war begeistert: „Alle Achtung, Du siehst ja wirklich traumhaft aus. Ob ich da mithalten kann? Dass Du ein hübsches Lächeln hast, kann ich mir gut vorstellen. Du bekommst doch bestimmt ständig Angebote von Mädels? Wie kommst Du damit klar und wie verhältst Du Dich dann? Ich hatte kürzlich wieder so eine Situation, wo eine Freundin meines Kumpels mir an die Wäsche gehen wollte. Als ich auf ihre Anmache nicht reagierte, war sie ziemlich sauer.“
Es war tatsächlich eine krasse Geschichte. Mein alter Schulfreund Jens, der schon lange wieder in Stralsund wohnte, kam mich eines Tages mit einer Freundin besuchen, die nicht seine Partnerin war. Sie übernachteten bei mir. In der Nacht hörte ich, wie die Tür meines Schlafzimmers geöffnet wurde und sich jemand neben mich legte. Auf dem Rahmen meines Futtonbettes wurde ein Kondomtütchen platziert.
Als sie mich anfing zu berühren, erstarrte ich und stellte mich schlafend. Da ich nicht - wie andere Männer - aufwachte, verstand sie die Abfuhr und verschwand auch wieder. Die Situation war äußerst peinlich – vor allem am nächsten Tag, als über den Vorfall nicht gesprochen wurde.
Denis: „Du kannst sehr wohl mithalten, mit Deinem Äußeren. Du bist total mein Typ. Kurze Haare, tolles Lächeln, sympathische Ausstrahlung und viele gemeinsame Interessen sind Tatsachen, die ich bei Dir total mag.“
Mehr und mehr merkte ich, dass sich Denis zu meinem Favoriten zu entwickeln schien. Mit allen Briefpartnern hatten wir die meisten Übereinstimmungen: „Deine Briefe machen mir klar, wie ähnlich wir uns sind.“ Seine Anreden in seinen Briefen begannen mit der Zeit von „Hallo“, „Hallo Tilo“, „Hi Tilo“, „Hi Süßer, „Hallo mein Süßer“, „Mein Süßer“ zu „Mein lieber Schatz“. Die Briefe wurden länger und länger. Mit jedem Brief wuchs meine Aufregung: „Ich erlebe hier das erste Mal die Situation, mich mit einem Mann zu verabreden. Das macht mich ganz unruhig. Ich denke die ganze Zeit an Dich.“
Denis hatte mich als Erster zu einem Treffen eingeladen. Gelegenheit sollte eine Modenschau im Kongresszentrum am Berliner Alexanderplatz bieten, wo Denis im Rahmen einer Ausbildungsmesse als Model auftreten sollte. Mit der Modenschau wollte sich P&C als Ausbildungsbetrieb vorstellen.
Ich fuhr hin. Ich stand mittendrin. Mich verließ der Mut und ging, ohne nach Denis Ausschau zu halten. Für das erste Treffen war mir der Ort zu unpersönlich. Ich hatte mir etwas Romantisches zu zweit vorgestellt. Da wir uns dort nicht offiziell verabredet hatten, brauchte ich kein schlechtes Gewissen haben.
Wir schrieben uns weiter. „Ach Denis, ich könnte mir stundenlang Deine Briefe durchlesen oder Dein Foto anschauen. Ich habe das Gefühl, dass jetzt schon eine gewisse Spannung zwischen uns ist und wir noch sehr viel zusammen erleben werden.“
Denis: „Wie schön würde es sein, wenn der Mensch, den man von ganzem Herzen mag, neben einem sein würde. Zum Kuscheln und über Dinge des Lebens zu quatschen. Gerade Du wärst so einer, wo die Zeit des Zusammenseins etwas sehr Schönes wäre. Die Modenschau hat richtig Spaß gemacht. Die Präsentation war ein voller Erfolg. Hinter den Kulissen herrschte die absolute Hektik. Die Tage haben wirklich geschlaucht, aber Dein Brief und Dein süßes Bild ist Anlass, den Stress zu vergessen und an schöne Momente zu denken. Dabei denke ich an Dich.“
Tilo: „Auch ich schaue mir immer Dein Bild an. Diese wunderschönen blauen Augen, Dein sinnlicher Mund und die eleganten Sachen stehen Dir einfach fantastisch. Habe dann immer richtig Herzklopfen. Werden Deine Eltern nicht langsam misstrauisch, wenn Du so oft Post aus Strausberg bekommst?
Ich war übrigens auch unter den vielen Schülern im Kongresszentrum und stand direkt vor der Bühne. Allerdings nur kurz. Die Modenschau habe ich leider verpasst. Schön, dass Dir das ganze so viel Spaß gemacht hat. Stimmt es eigentlich, dass in Deinem Beruf sehr viele Schwule arbeiten? Kennst Du auch welche?“
Denis: „In der Modeszene, aber gerade auch in dem Beruf des Kaufmanns im Einzelhandel gibt es sehr viele Schwule und Bisexuelle. Aber gerade mit den Schwulen versteht man sich auf Anhieb. Man unterhält sich über die gleichen Interessen, sitzt gemeinsam in der Kantine und lästert über so manchen Kollegen. Gerade in Mode- und Stilfragen leben manche Menschen hinterm Mond. Ich persönlich versuche immer so aktuell wie möglich gekleidet zu sein. Kleidung, Düfte und Schuhe sind meine große Leidenschaft, wo ich manchmal unkontrolliert einkaufen gehe. ...
Zwischendurch muss ich einfach mal sagen, dass ich in Gedanken jeden Tag bei Dir bin. Meine Eltern legen die Post in mein Zimmer. Gesprochen wird darüber nicht.“
Denis
Patrick
Julian
Tilo