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Gottes Wort und menschliches Können
ОглавлениеIn dem ersten protestantischen Predigthandbuch, The Art of Prophesying (1592), schreibt William Perkins: „Man soll allein das Wort Gottes predigen, in seiner Vollkommenheit und inneren Widerspruchsfreiheit.“29 Vielen von uns heute erscheint dieser Satz als eine Selbstverständlichkeit. Natürlich soll ein christlicher Prediger oder Lehrer die Bibel weitergeben, was denn sonst? Doch in der Zeit, in der Perkins lebte, war dies keineswegs selbstverständlich. Für viele Prediger damals reichte Gottes Gnade allein nicht aus, um die Zuhörer zu überzeugen. „Sie brauchte die Mithilfe der Beredsamkeit. … Die Gläubigen brauchten die Wunderkräfte der Predigt als Stütze für das Wort der Bibel.“30
Die Predigt in England war damals zu einem verbalen Feuerwerk geworden, zu einem Potpourri aus sprachlichen Schnörkeln, Zitaten und Anspielungen auf antike Autoren, dichterischen Bildern und rhetorischen Gipfelstürmereien. Am Anfang stand zwar immer noch der Bibeltext, aber der Entfaltung dieses Textes und seiner Bedeutung widmeten die Prediger nur sehr wenig Zeit. Sie schienen zu glauben, dass die Bibel allein nicht ausreichte; man musste ihr mit dem ganzen Arsenal der Redekunst auf die Sprünge helfen. Das Grundvertrauen in die Kraft und Autorität des Wortes Gottes selber war verloren gegangen.
William Perkins und seine Zeitgenossen wandten sich gegen diese „überkultivierte Redekunst“ ihrer Zeit. Sie fanden, dass das Hauptziel der Predigt verloren gegangen war: dass wir die Bibel selber sprechen und ihre eigene Kraft entfalten lassen. Im ersten Teil seines kurzen Werkes verwendet Perkins viel Zeit auf die Darlegung, dass die Bibel Gottes vollkommene, reine, ewige Weisheit ist und dass sie die Kraft hat, die Gewissen zu überführen und in die Herzen einzudringen.31 Perkins wusste, dass die Grundeinstellung eines Predigers zur Bibel einen erheblichen Einfluss auf seinen Umgang mit ihr hat. Ist uns, die wir die Bibel an andere Menschen weitergeben, klar, dass in ihr die Autorität und Kraft Gottes selber liegt? Wenn die Antwort darauf „Ja“ ist, dann wird es uns wichtiger sein, die Bibel für sich selber sprechen zu lassen, als sie als Beleg für unsere Meinungen zu benutzen. Wie Perkins sagt: „Die Predigt des Wortes ist das Zeugnis Gottes und das Bekenntnis zu Christus, und nicht zu menschlicher Kunst.“ Er beeilt sich hinzuzufügen: „Dies bedeutet nicht, dass Kanzeln Orte sind, denen es an Wissen und Bildung mangelt. … Der Pastor darf, ja muss in seinem Leben die allgemeinen Künste und die Philosophie fleißig nutzen und sollte bei der Vorbereitung seiner Predigt ausgiebig lesen.“ Doch keinesfalls sollte er diese Dinge vor seiner Gemeinde zur Schau tragen.32
Für Perkins besteht der Sinn des Predigens nicht darin, die Früchte der klugen Forschungen oder philosophischen Überlegungen des Predigers vorzutragen. Es darf auch nicht darum gehen, dass man den Eindruck hat, dass Gott einem eine besondere Botschaft oder Erkenntnis aufs Herz gelegt hat, und dann nach einem dazu passenden Bibeltext sucht. Nein, der Prediger hat das an Erkenntnis, Lehren und Anweisungen weiterzugeben, was die Bibel selber sagt – und dabei kann und muss er alle „Künste“ einsetzen, um den Hörern zu helfen, das, was die Verfasser der Bibel meinen, recht zu verstehen. Und all das geschieht im Gehorsam zu der ersten und größten Aufgabe des Predigers: dass er seinen Hörern Gottes Wort bringt und ihnen die ganze Autorität dieses Wortes aufschließt.