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Textpredigt und Themapredigt
ОглавлениеWie macht man das am besten?
Hughes Oliphant Old hat eine maßgebende siebenbändige Geschichte der Predigt verfasst.33 Er behandelt darin die christliche Predigt in jedem Jahrhundert und in jedem Zweig der Christenheit – orthodox, katholisch, protestantisch, evangelikal und pfingstlerisch – sowie auf praktisch allen Kontinenten. Der schiere Umfang und die Vielfalt seiner Untersuchung sind atemberaubend. In der Einleitung zu der Serie benennt er fünf Grundtypen der Predigt, wobei er Grundkonstanten festgestellt hat, die die Jahrhunderte überdauerten. Es sind dies die auslegende, die evangelistische, die katechetische, die prophetische und die Festpredigt.
Die Auslegungspredigt definiert Old als „die systematische Erklärung der Bibel in der regelmäßigen wöchentlichen Versammlung der Gemeinde“.34 Die übrigen vier Predigttypen sehen auf den ersten Blick ganz unterschiedlich aus, aber in einem wichtigen Punkt sind sie alle gleich: Anders als die Auslegungspredigt basieren sie nicht notwendigerweise auf einer bestimmten, einzigen Bibelstelle. Dies liegt daran, dass der Hauptzweck dieser Predigttypen nicht darin besteht, einen konkreten Bibeltext zu untersuchen und zu entfalten, sondern anhand mehrerer Texte einen bestimmten biblischen Begriff oder Gedanken darzustellen. Old nennt dies die „Themapredigt“, und sie kann die bereits erwähnten vier Ziele haben: die Heranführung von Nichtchristen an den Glauben (evangelistische Predigt), die Unterweisung von Gläubigen über bestimmte Punkte des Bekenntnisses und der Theologie ihrer Kirche (katechetische Predigt), die Feier und rechte Begehung kirchlicher Feste wie Weihnachten, Ostern, Pfingsten usw. (Festpredigt) oder die Thematisierung und biblische Beleuchtung einer besonderen historischen oder kulturellen Situation (prophetische Predigt).
Wir haben es also auf der allgemeinsten Ebene mit zwei Fundamentalformen der Predigt zu tun: der Textpredigt (Auslegungspredigt) und der Themapredigt. Im Laufe der Jahrhunderte haben Prediger sich beider Formen fleißig bedient, was sie, wie Old aufzeigt, auch müssen. Paulus zum Beispiel legte in Athen in der Synagoge die Bibel aus, aber auf dem Areopag hielt er eine thematisch orientierte Rede, in der er die Bibel kein einziges Mal zitierte (vgl. Apostelgeschichte 17); seine Argumente basierten alle auf der Bibel, aber seine Präsentationsform war die der klassischen Rede, in welcher der Redner Thesen aufstellt, die er mit Argumenten untermauert. In Paulus’ Augen brachte es nichts, Zuhörern, die weder an die Bibel glaubten noch auch nur mit ihren fundamentalsten Aussagen vertraut waren, mit einer systematischen Bibelauslegung zu kommen. Mit anderen Worten: Eine typische Situation, in der eher die Themapredigt angebracht ist, ist die Evangelisation.
Es gibt noch andere Situationen, wo man die Bibel predigen möchte, aber wo eine Bibelstelle allein nicht ausreicht, um das zu sagen, was man sagen will. Stellen Sie sich vor, Sie möchten vor Studierenden einen Vortrag über die Lehre von der Dreieinigkeit halten. Es gibt in der Bibel keine Stelle, die für sich allein ausreichen würde, diese grundlegende biblische Lehre zu erklären; Sie werden mehrere Bibeltexte heranziehen müssen. In der Textpredigt dagegen habe ich die Aufgabe, bildlich gesprochen, dorthin zu gehen, wohin dieser eine Text mich führt, und die Aussagen und Unterpunkte der Predigt ergeben sich aus seiner Auslegung.
Man beachte auch, dass eine Predigt selten zu hundert Prozent eine Textpredigt oder Themapredigt ist. Die beiden Predigtformen schließen einander nicht aus, und sie treten selten in Reinkultur auf. Man muss sie sich eher als einander überlappende Kategorien vorstellen oder als die beiden Endpunkte eines Spektrums. Selbst die sorgfältigste Textauslegung, die in die letzten Details jedes Verses geht, enthält meistens Querverweise auf andere Bibelstellen, die das gleiche Thema behandeln. Wenn zum Beispiel in Ihrem Text der Heilige Geist genannt wird, müssen Sie den Zuhörern womöglich erklären, dass dieser Geist eine Person in der Dreieinigkeit ist und ebenso göttlich wie der Vater und der Sohn, und dass der Heilige Geist ein „Er“ ist und kein „Es“. Sehr wahrscheinlich wird in Ihrem Text nichts über dieses Personsein des Heiligen Geistes gesagt, aber wenn Sie wollen, dass Ihre Zuhörer die Botschaft des Textes verstehen, kommen Sie nicht umhin, sie kurz in die biblische Lehre vom Heiligen Geist einzuführen. Jede Predigt, die einen Text auslegt, ist zwangsläufig zum Teil auch eine Themapredigt. Und umgekehrt kommt eine Themapredigt, die der Bibel treu sein will, nicht ohne ein paar „Mini-Auslegungen“ von Bibeltexten aus, denn die Bibelstellen, die das Thema beleuchten, müssen innerhalb ihres je eigenen Kontextes erklärt werden.
Die Auslegungspredigt verankert ihre Botschaft in dem Bibeltext. Ihre Unterpunkte und ihre Kernaussagen ergeben sich beide aus ihm. Gleichzeitig verknüpft sie die Auslegung des Textes mit den Grundlehren der übrigen Bibel und betreibt somit ein Stück systematische Theologie. Und sie verortet den Text stets in dem Grundnarrativ, dem roten Faden der Bibel, indem sie aufzeigt, wie das Thema des Textes seine letzte Erfüllung in Jesus Christus findet, und betreibt so ein Stück biblische Theologie.