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Die Nacht im Gefängnis, die Alkoholfahrt und die Zeugenvernehmung

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Die Nacht im Gefängnis, die Alkoholfahrt und die Zeugenvernehmung…

Anfang August 2019:

Ich habe mitbekommen, was alles auf der Wache von den Kollegen über mich erzählt wird. Dass ich angeblich randaliert und die Polizeibeamten grundlos beleidigt hätte. So stand es ja in der Zeitung. Man kann den Kollegen keinen Vorwurf machen, unsere Wache ist sehr groß und wo viele Menschen sind, wird viel geredet. Jeder erzählt eben die Geschichte aus seiner Sicht weiter. Im Erdboden möchte ich versinken, denn ich bin wirklich mit dieser Trunkenheitsfahrt in der Zeitung. Zwar ohne Namen, aber dennoch. Trotzdem werde ich wütend, denn keiner war dabei und weiß, was los war, aber jeder erlaubt sich ein Urteil.

Wobei ich mir dann wieder denke, eigentlich brauche ich mich nicht wundern. Was sollen denn die Menschen von mir denken? Was würde ich sagen? Würde ich nicht auch reden und urteilen? Wenn man so einen Zeitungsartikel liest, urteilt man. Wir wachsen damit auf. Unser ganzer Tag besteht aus Urteilen. Über uns selbst, aber vor allem über andere.

Niemand kann man in der Hinsicht einen Vorwurf machen, trotzdem ist man dem machtlos ausgesetzt und fühlt sich wie ein hilfloses Tier in die Ecke gedrängt. Man bekommt einen Stempel, eine Plakette mit der Aufschrift:

Krank! Psychisch krank!

Oft habe ich das Gefühl, die Gesellschaft kann mit körperlichen Krankheiten besser umgehen als mit Psychischen. Die Wut ist trotzdem da, denn ich fühle mich völlig erschlagen von dem Gerede und denke mir: Ich kann den Menschen nie wieder unter die Augen treten.

Ich leide an massiven Schlafstörungen. Immer und immer wieder wache ich nachts schweißgebadet auf und kann mich kaum beruhigen. Die Nacht in der Zelle haben die Erinnerungen an die Vergewaltigung hochgeholt. Im Arrest hatte ich genau dasselbe Gefühl wie in dieser Nacht vor vielen Jahren. Es hat das Trauma wieder hochgeholt. Mein Hausarzt hat mir `was zur Beruhigung aufgeschrieben, aber ich komme nicht gut klar. Meine Gedanken rasen. Ich erinnere mich daran, wie ich in der Nacht in der Zelle kurz vor der Hyperventilation stand. Doch dann dachte ich mir:

Beruhige dich! Verdammt beruhige dich, sonst kommen noch der Notarzt und die Kollegen und du wirst in die Psychiatrie gebracht.

Die Sorge um meinen kleinen Hund, aber auch dieses Eingesperrtsein haben mich fast wahnsinnig gemacht. Ich weinte und weinte. Immer wieder klingelte ich. Mehrfach bat darum, bitte zuhause anrufen und bei meiner Vermieterin nachfragen zu dürfen, ob mein Hund wieder zurückgekommen wäre.

Ein Beamter erklärte mir: »Rufen sie morgen im Tierheim an. Wenn sie Glück haben, lebt er ja noch!« Daraufhin bekam ich einen Weinkrampf.

Mogli war mein Familienmitglied, er bedeutete mir alles. Meine Hunde waren nicht nur Hunde, sondern meine Familie. Wie konnte man so herzlos sein.

Ich gab auf, legte mich auf die kahle Pritsche und schlief ein. Es war kalt, ich bekam keine Decke, nichts zu trinken, immer wieder schreckte ich auf und versuchte, zu fühlen, wie spät es war. Dann musste ich noch aufs Klo.

Niemals dachte ich mir. Niemals gehe ich auf dieses Klo, das gegenüber meiner Pritsche stand. Ich fühlte mich wie ein Schwerverbrecher. Das war so würdelos auf solch ein Klo gehen zu müssen und zudem zu wissen, dass dies per Kamera aufgezeichnet wurde. Die Beamten beobachteten ja per Kamera jede Zelle.

Ich hielt es noch eine Weile aus, aber dann ging ich doch. Die Tränen liefen über mein Gesicht. Es war ein erniedrigendes Gefühl. So unwürdig.

Ich habe mich oft in meinem Leben hilflos, machtlos, einsam und verzweifelt gefühlt, aber so unwürdig nur bei den traumatischen Erlebnissen.

Am frühen Morgen kam eine wirklich nette Beamtin, ich weiß nicht, wer sie war, aber ich werde nicht vergessen, wie herzlich sie war. Sie brachte mir Tee, Wasser und fragte, ob sie `was tun könnte. Ich bat sie, bei mir zuhause anzurufen und bitte nachzufragen, was mit meinen Hunden wäre. Wieder begann ich zu weinen. Ich wollte nur sicher sein, dass es ihnen gut ging.

Sie kam zurück und meinte, alles wäre gut. Der kleine Mogli hätte nachts weinend auf der Straße gestanden und meine Vermieterin hätte ihn reingeholt. Die Hunde wären versorgt, es wäre alles gut.

Ich kann gar nicht sagen, wie enorm erleichtert ich war. Bis 10.00 Uhr müsste ich noch drinbleiben, dann dürfte ich gehen. Bis heute bin ich der Beamtin dankbar. Ihre Herzlichkeit tat sehr gut.

Eingesperrt, ohne Zeitgefühl! Ein Alptraum! Es brauchte lange, bis ich wieder einigermaßen gut schlafen konnte.

Ich raffe meine letzten Kräfte zusammen und gehe zum ersten Termin bei einem Verkehrsanwalt. Dieser schaut meine Akte an. Inzwischen ist der Brief der Staatsanwaltschaft mit der Anklage »Trunkenheitsfahrt« gekommen. Er schaut mich ernst an und empfiehlt mir gleich einen MPU-Berater. Bei der Frage nach der Vorgeschichte schaut er kritisch. Drogen, Alkohol, schlechte Kindheit, Artikel im Netz über meine Vergangenheit ... Puh, das wird kritisch. Ich denke mir: Warum?

Zu dem Zeitpunkt war ich noch so naiv und dachte mir, dass ich doch super, wenn sie bei der MPU sehen, was ich bereits alles geschafft habe. Leider war das nicht so und genau das wurde später in der Vorbereitung noch ein großes Problem.

»Hoffentlich sehen die Gutachter nichts von Ihnen im Netz.« Ich denke mir: Ist das sein Ernst? Man kann doch nicht sagen, nur weil jemand eine Vorgeschichte hat, hat er keine zweite Chance verdient. Doch anscheinend schon. Zudem weist er mich darauf hin, dass ich keine Aussage hätte machen müssen.

Ich erinnere mich zurück an die Vernehmung vom 29.07.2019:

Auszüge aus dem Protokoll:

»Ich kann mich noch dran erinnern, dass ich bei der Kontrolle vor meinem Haus zunächst nicht in den Streifenwagen einsteigen wollte. Das hatte aber den Grund, weil ich meinen Hund, Mogli, nicht mehr gefunden habe. Ich war an dem Abend zu Besuch bei Herrn ... (Den Namen möchte ich hier im Buch nicht nennen) in A gewesen. Da hatte ich meine beiden Hunde mitgenommen.

Als ich dann von der Polizei kontrolliert wurde kam meine Vermieterin dazu. Sie wollte sich um beide Hunde kümmern, jedoch fehlte Mogli. Ich bekam Panik, weil der Mogli noch sehr jung ist und nicht orientiert. Ich konnte mir nicht erklären, wo er war. Das war der Grund, warum ich nicht in den Streifenwagen einsteigen wollte. Meine Hunde bedeuten mir sehr viel.«

Des Weiteren sagte ich Folgendes aus:

»Ich kann mich an vieles an dem Abend nicht mehr erinnern. Ich kann mich noch schwach an die Blutentnahme erinnern und auch, dass ich dann in den Polizeiarrest gebracht werden sollte. Weil ich so Angst um meine Hunde hatte und nach Hause wollte, habe ich im Affekt zu den Polizisten: Ihr seid solche ›Arschlöcher‹ gesagt. Das tut mir wirklich sehr leid und ich entschuldige mich dafür. Ich weiß, dass ich das nicht hätte sagen dürfen.

Ich habe einen Brief geschrieben und mich dafür mehrfach entschuldigt. Ich möchte auch noch sagen, dass ich aufgrund der Fixierung und des Einsperrens Angst hatte. Ich habe Angst, wenn ich eingesperrt bin. Da hatte ich früher unschöne Erfahrungen.«

Der Brief fällt mir ein. Ich hatte ihn per Post und per Mail geschickt, denn bis heute tat mir die Beleidigung unendlich leid. Ich war nicht Herr meiner Sinne und aus der Angst und Verzweiflung heraus, rutschten mir diese Beleidigungen heraus, trotzdem hätte das nicht passieren dürfen.

24.07.2019

Sehr geehrte Damen und Herren,

Sehr geehrter Herr Z.,

wie auch schon in der E-Mail mitgeteilt und auch persönlich vorgesprochen (leider waren Sie nicht da) möchte ich mich nochmals in aller Form bei Ihnen und den Kollegen von ganzen Herzen entschuldigen.

Ich habe größten Respekt vor Ihnen, vor Ihrer Arbeit, zumal ich ja selbst in meinem Job im Rettungsdienst oft mit der Polizei zusammenarbeite. Es war absolut richtig, dass besorgte Bürger angerufen haben und Sie mich eben bei der Tat ertappt haben. Diese Tat hätte weitreichende Folgen haben können, vor allem für unschuldige Menschen.

Allein durch meinen Job, weiß ich, wie wertvoll Leben ist und kann nur sagen: ich bereue es zutiefst und entschuldige mich in höchster Form. Ich trage dafür die volle Schuld und kann nur sagen: Danke, dass Sie mich dabei aufgegriffen haben, denn jetzt kann ich sagen: Das wird mir nie wieder passieren. Ich bin mehr als dankbar, dass keinem etwas passiert ist.

So hart wie die Strafe nun auch für mich ist, so übernehme ich dafür die volle Verantwortung und bin bereit, alles dafür zu tun, dass ich beweisen kann, dass ich ein verantwortungsvoller Mensch bin und meinen Führerschein wiederbekomme. Ich weiß leider nicht mehr genau, was ich alles gesagt habe. Leider habe ich einen totalen Filmriss. Umso erschreckender ist es, so ins Auto gestiegen zu sein. Ich war in extremer Sorge um meine Hunde und leider auch unter so großem Alkoholeinfluss, dass ich den kompletten Filmriss habe.

Auch wenn es in dieser Nacht nicht so erschien, so bin ich dennoch ein sehr gewissenhafter und anständiger Mensch. Ich liebe meine Arbeit als Rettungssanitäterin und meine andere Arbeit als Tanzpädagogin im eigenen Ballettstudio, zudem die ehrenamtliche Arbeit in der Rettungshundestaffel und in meinem selbst gegründeten Verein »Tanz schenkt Freude e.V.«

Ich kann mir nicht erklären, was in dieser Nacht los war und kann nur nochmals von Herzen um Entschuldigung bitten. Es tut mir schrecklich leid und ich würde mich sehr freuen, wenn Sie meine Entschuldigung annehmen.

Mit freundlichen und aufrichtigen Grüßen

Tina Gizella Klewin

Die Zeugenvernehmung geht weiter.

Frage : Können Sie sich erinnern, dass Sie sagten, dass Sie am nächsten Morgen mit dem Auto zur Arbeit fahren?

Antwort : Nein, überhaupt nicht. Ich weiß auch nicht mehr, was die Beamten zu mir gesagt haben.

Frage : Trinken Sie öfters größere Mengen an Alkohol?

Antwort : Nein, ich trinke normalerweise nicht viel. Wenn ich etwas getrunken habe, dann laufe ich oder fahre mit dem Taxi nach Hause. Ich fahre im Dienst das Notarztfahrzeug und trinke dabei nie etwas, da ich da konzentriert sein muss.

Ich mache mit meiner Tanzschule auch sehr viel Sport und lebe daher sehr gesund. Ich weiß auch nicht mehr, warum ich an dem Abend nicht gemerkt habe, dass ich zu viel getrunken habe. Ich hatte am nächsten Tag Frühschicht und gehe da sonst eigentlich immer früh ins Bett.

Frage : Wie geht es bei Ihnen beruflich weiter? Sie sind auf den Führerschein angewiesen.

Antwort : In meinem Vertrag für den Rettungsdienst steht, dass ich einen Führerschein haben muss.

Ich kann zwar evtl. als Beifahrer im KTW (Krankentransport) fahren, aber auch da brauche ich einen Führerschein. Ich hoffe, dass ich es schaffe, dass ich im Rettungsdienst bleiben kann.

Zu meinen Aussagen möchte ich allerdings noch einiges anmerken:

Wenn ich dieses Protokoll heute lese, denke ich oft, da hatte ich noch nichts verstanden und noch nicht erkannt, wie tief ich mich schon im Sumpf befand. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich den Alkohol schon längst nicht mehr im Griff. Ich war zwar nie körperlich abhängig, aber psychisch und das sehr stark.

Ich konnte durchaus einige Tage nichts trinken und trank auch nie bei der Arbeit, weder im Rettungsdienst noch in der Ballettschule, aber wenn ich frei hatte, wenn ich konnte, dann trank ich. Die Kontrolle verlor ich immer bereits bei dem ersten Glas. Das konnte ich da noch nicht sehen, wollte es nicht sehen. Unmöglich mir einzugestehen, meine Maske mal abzulegen. Das Bild, das ich nach außen präsentierte, war längst eine große Lüge.

Selbstbewusst und völlig sicher im Leben, so wirkte ich nach außen. Aber in meinem Inneren plagten mich Zweifel, Unsicherheit und Ängste. Mein Selbstwert war nie gut. Immer waren alle besser, wertvoller und schöner als ich. Der Alkohol gab mir diese Sicherheit, nicht zuletzt auch in Beziehungen. Nähe zu einem Menschen war schwierig für mich, besonders zu Männern und so half der Alkohol mir immer.

Trotzdem merkte ich schon längst unbewusst, dass ich keine Kontrolle hatte. So versuchte ich es selbst mit kontrolliertem Trinken, was nur eine gewisse Zeit gut ging. Dann schlug der Teufel Alkohol wieder erbarmungslos zu. Auch die Aussage, ich sei immer gelaufen, war eine Lüge.

Mehrere Fahrten, oft eher kurze, aber es gab viele mit einem hohen Promillewert und jedes Mal am frühen Morgen die Scham, der Blick in den Spiegel, was hast du getan? Die Selbstachtung mir gegenüber sank immer tiefer und ich merkte vor allem, dass ich nach einem alkoholreichen Abend in tiefe Depressionen rutschte. Nach Außen ließ ich nichts erkennen, im Inneren dachte ich oft dran, zu gehen. Ich sammelte Tabletten, bis heute habe ich diese Box.

Der Tod erschien mir als gute Lösung. Denn ich war so müde, erschöpft, traurig und allein.

Der Anwalt verunsichert mich etwas, da er meint, da die Polizei mich ja nicht direkt hat fahren sehen, hätte ich mal lieber die Aussage verweigert. Letzten Endes hat ein besorgter Autofahrer, der hinter mir fuhr, die Polizei gerufen. Ich denke mir aber, warum? Diese Straftat habe ich begangen und somit möchte ich dafür auch die Verantwortung übernehmen. Der Führerschein war eh weg, so oder so. Was würde es ändern?

Nun ja, ich fühle mich trotzdem sehr aufgehoben und er verabschiedet sich mit den Worten:

»Beginnen sie sofort mit der MPU Vorbereitung, wenn der Strafbefehl da ist, schauen wir weiter.«

Ich bekomme die Adresse einer MPU Beratung und im Anschluss geht es bei meinem Anwalt für Arbeitsrecht weiter.

Herz sucht Mut Seele sucht Halt

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