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2.1.1 Referentielle und nicht-referentielle NPn

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Unter dem Begriff „referentiell“ wird oft sehr Unterschiedliches verstanden.1 In der sprachphilosophischen Literatur werden referentielle NPn in Opposition zu den sogenannten attributiven NPn gesetzt:


Nach Donnellan (1966) hat der Satz zwei Lesarten: Eine referentielle (engl. referential), wenn der Sprecher genau weiß, wer der Mörder ist und mit der NP Smith’s murderer auf diese Person referiert; eine nicht-referentielle (engl. attributiv), wenn der Sprecher nicht weiß, wer Smith getötet hat. In der attributiven Lesart referieren die NPn nicht, sondern beschreiben nur, was für ein Individuum unter die Beschreibung der NP fällt. Ob eine definite NP referentiell oder nicht-referentiell verwendet wird, ist nach Donnellan (1966:297) „a function of the speaker’s intentions in a particular case“. Die Gegenüberstellung referentiell/attributiv entspricht ungefähr der Unterscheidung in spezifisch/nicht-spezifisch und wird oft unter dem Begriff der Spezifizität behandelt. Nach Vater (2005:101) ist der Terminus „(nicht) referentiell“ für die von Donnellan beschriebene Opposition nicht zutreffend, weil „auch beim ,attributiven‘ Gebrauch einer NP Existenz präsupponiert wird, nur nicht in der realen (zur Zeit der Äußerung gegenwärtigen) Welt, sondern in einer möglichen (bzw. zukünftigen) Welt.“ Nach ihm ist die prädikative NP ein prototypisches Beispiel für nicht-referentielle NPn (von ihm als „nicht-referierend“ bezeichnet). Die prädikative NP denotiert eine Eigenschaft (Qualität) und trägt vor allem zur Beschreibung des Referenten der Subjekt-NP bei, weshalb sie auch als qualitative NP bezeichnet wird. Diese Ansicht wird in der sprachwissenschaftlichen Literatur (z.B. Kuno 1970; Leys 1973; Vater 1979, 2005; Du Bois 1980) auf breiter Ebene geteilt. In dieser Arbeit wird der Begriff „(nicht) referentiell“ im Sinne von Vater verwendet, während die Opposition referentiell/attributiv im Sinne von Donnellan mit der Unterscheidung in (epistemisch) spezifisch/nicht-spezifisch gleichgesetzt wird.

Für die Forschung über Definitheit ist eine klare Unterscheidung zwischen referentiell und nicht-referentiell besonders wichtig, weil die Opposition definit/indefinit bei nicht-referentiellen NPn neutralisiert wird:


Bei referentiellen NPn erfüllen Artikel bestimmte pragmatische Funktionen: Wenn die Katze des Sprechers davongelaufen ist, wird er zu seiner Frau 3a sagen, bei Fremden auf der Straße 3b benutzen. Durch Verwendung unterschiedlicher Artikel wird signalisiert, dass der Sprecher unterschiedliche Erwartungen über das Hörerwissen hat. Wenn er annimmt, dass der Hörer den intendierten Referenten identifizieren kann, verwendet er den definiten Artikel, anderenfalls würde er auf den indefiniten Artikel zurückgreifen. Dagegen sind Artikel bei nicht-referentiellen NPn außer Markierung der morphologischen Eigenschaften „funktionslos“.

In der Literatur werden verschiedene Kriterien zur Identifizierung von nicht-referentiellen NPn entwickelt, die teilweise zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen führen und deswegen einer näheren Betrachtung bedürfen.

Kriterium 1: Nicht-referentielle NPn können nicht anaphorisch aufgegriffen werden (Kuno 1970, Leys 1973, Bausewein 1990, Bosch 2010):


Dieses Kriterium geht davon aus, dass qualitative NPn keine Existenz von Referenten präsupponieren. Deswegen kann zu ihnen keine anaphorische Verbindung hergestellt werden. Die NP ein Arzt in 4b dient nicht dazu, einen neuen Referenten in den Diskurs einzuführen, sondern dazu, einen schon in den Diskurs eingeführten Referenten (sein Vater) näher zu bestimmen. Bei der Anwendung dieses Kriteriums sind zwei Aspekte besonders zu beachten: Erstens soll festgestellt werden, ob zwischen zwei NPn tatsächlich Koreferenz besteht:


Lambrecht (1994) betrachtet die NP Arzt im Antwortsatz als referentiell, wofür er zwei Argumente anführt: Zum einen ist die NP „an anaphoric topic expression“, zum anderen kann die NP durch das Demonstrativpronomen das ersetzt werden. Dagegen ist kritisch einzuwenden, dass direkte Anaphorik nicht auf Formidentität, sondern auf Referenzidentität beruht. Bei 5 geht es darum, ob „er“ die Eigenschaft „als Arzt tätig sein“ besitzt. Mit der NP Arzt wird kein neuer Referent in den Diskurs eingeführt. Außerdem werden referentielle NPn im Deutschen je nach Genus pronominalisiert. Um auf eine maskuline NP im Singular Bezug zu nehmen, sollte das Pronomen der verwendet werden, nicht aber das neutrale das. Im Gegensatz dazu können artikelose NPn und Adjektive, die als Prädikativ fungieren, nur durch neutrale Pronomen (es/das/dies) ersetzt werden. Zweitens stellt die anaphorische Zugänglichkeit eine hinreichende, jedoch keine notwendige Bedingung für Referenzidentität dar: NPn, die anaphorisch aufgreifbar sind, sind referentiell. Umgekehrt gilt aber nicht: NPn, die referentiell sind, sind nicht immer anaphorisch zugänglich. Beispielsweise kann eine nicht-spezifische NP nicht mit einem Pronomen wieder aufgenommen werden, außer wenn das Pronomen in einem modalen Kontext steht (s. Abschnitt 2.2).

Kriterium 2: Belebte, nicht-referentielle NPn lassen sich nur mit was erfragen, belebte referentielle NPn dagegen mit wer/wen (Kuno 1971, Leys 1973):


Dieses Kriterium kann nur dann herangezogen werden, wenn die betreffende NP erfragbar ist. Viele nicht-referentielle NPn sind aber nicht allein erfragbar, weil sie Teil eines komplexen Prädikats ist.

Kriterium 3: Nicht-referentielle NPn können keine Attribute zu sich nehmen (Leys 1973, Bausewein 1990, Bosch 2010):


Aber es scheint doch Ausnahmen zu geben, etwa NPn, die als Prädikativ fungieren:


Obwohl die NP ein Arzt in 8a keinen Referenten hat, kann sie durch Adjektive und Relativsätze erweitert werden. Dann denotiert die gesamte NP eine komplexe Eigenschaft.

Kriterium 4: Der Numerus von qualitativen NPn kann nicht verändert werden (Du Bois 1980, Bausewein 1990:63):


Qualitative NPn denotieren Eigenschaften und können deswegen nicht gezählt werden (9a, b). Aber wenn sie als Prädikativ fungieren, müssen sie in der Regel in Numerus mit zusammenhängenden NPn kongruieren (9c).

Kriterium 5: Nicht-referentielle NPn sind nicht sensibel gegenüber Vorerwähnung (von Du Bois als „nonresponsiveness to prior mention“ bezeichnet).


Damit wird implizit unterstellt, dass referentielle NPn bei der zweiten Erwähnung als definit markiert werden sollten: „The forester and the mile, which would ordinarily be expected after prior mentions, are not appropriate in these examples.“ (Du Bois 1980:211). Diese Aussage hilft jedoch nicht bei der Unterscheidung, weil referentielle NPn gegenüber Vorerwähnung auch nicht sensibel sein können:


Die NP ein Auto ist zweimal vorgekommen und beim zweiten Vorkommen nicht als definit markiert. Der Grund besteht darin, dass die beiden NPn nicht referenzidentisch sind. Ob eine NP als definit markiert wird, hängt nicht davon ab, ob die NP (die Form) schon vorgekommen ist, sondern davon, ob der betreffende Referent vorerwähnt ist.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es kein brauchbares Kriterium gibt, um nicht-referentielle NPn von referentiellen eindeutig zu unterscheiden. Aber je mehr Kriterien eine NP erfüllt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie qualitätsbezogen ist. Mit einer referentiellen NP wird entweder ein neuer Referent in den Diskurs eingeführt oder auf einen bereits eingeführten Referenten Bezug genommen. Dagegen denotieren qualitative NPn Eigenschaften und dienen dazu, einen anderen Referenten näher zu bestimmen.

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