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2.4.2 Was ist Definitheit? 2.4.2.1 Definitheit als Unikalität/Inklusivität

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Die Unikalitätstheorie der Definitheit geht auf Russell (1905) zurück, der die Prädikatenlogik für die Beschreibung der Bedeutung natürlichsprachlicher Ausdrücke benutzt. In seiner Analyse von definiten Kennzeichnungen werden lediglich NPn behandelt, die im Singular stehen und einen definiten Artikel haben. Russell geht davon aus, dass die strikte Verwendung des definiten Artikels Einzigkeit des bezeichneten Gegenstands impliziert, und zwar gibt es genau ein Objekt, das unter die in dem Kopfnomen ausgedrückte Eigenschaft fällt (die Existenz- und die Einzigkeitsbedingung). Nach Russells Theorie besagt ein Satz wie 77 folgendes:


Dagegen zeigt die Verwendung des indefiniten Artikels lediglich an, dass ein Objekt existiert, auf die die Beschreibung der NP zutrifft (nur die Existenzbedingung):


Nach Russell ist das deskriptive Material der definiten Kennzeichnungen allein maßgebend für die Eindeutigkeit der Referenz. Als Beispiel verwendet er ausschließlich definite NPn, deren deskriptiver Gehalt auf ein einziges Objekt zutrifft, wie z.B. the father of Charles II., the king of France, the author of Waverley usw. Die Kontextabhängigkeit natürlicher Sprache wird aus seiner Untersuchung ausgeschlossen.

Ein Hauptproblem der von Russell vertretenen Einzigkeitsbedingung ist, dass sie von sehr begrenzter Reichweite ist.1 Sie ist nämlich nur für solche definite NPn adäquat, die genau ein Objekt bezeichnen, nämlich Unika (Sonne, Mond), funktionale Nomina (Vater, König) sowie NPn mit Attributen, die Einzigkeit implizieren (der schnellste Läufer, der erste Mann auf dem Mond). Für definite NPn mit sortalem oder relationalem Kopf trifft die Einzigkeitsbedingung leider nicht zu (Strawson 1950:178, Keller 1975:50, Hawkins 1978:157, Löbner 1985:292ff., von Heusinger 1997:19)2:


Es ist unwahrscheinlich, dass es in der Welt nur einen Tisch gibt, trotzdem wird hier der definite Artikel verwendet. Es könnte aber sein, dass der Tisch in der aktuellen Gesprächssituation oder im sprachlichen Kontext der einzige ist. Aus diesem Beispiel ist ersichtlich, dass Einzigkeit nicht in einem absoluten Sinne zu verstehen ist, sondern immer abhängig von der Situation. Um den Kern der Einzigkeitsbedingung zu verteidigen, versuchen viele Sprachwissenschaftler, das Diskursuniversum zu beschränken, so dass der deskriptive Gehalt der definiten NP in diesem reduzierten Diskursuniversum nur auf ein Objekt zutrifft (Abbott 2004, von Heusinger 1997). Ein Versuch dieser Art ist die Untersuchung von Hawkins (1978), der behauptet, dass NPn mit definitem Artikel in einer von Sprecher und Hörer geteilten Menge unikal referieren.

Der Begriff der Unikalität wird von Hawkins (1978) bezüglich einer pragmatisch festgelegten Menge von relevanten Objekten relativiert und auf Plural- und Massennomen erweitert. Nach ihm (1978:167) nimmt der Sprecher folgende Handlungen vor, wenn er den definiten Artikel verwendet:

The Speaker:

a. introduces a referent to the hearer;

b. instructs the hearer to locate the referent in some shared set of objects;

c. refers to the totality of the objects or mass within this set which satisfy the referring expression.

Ein „shared set“ ist eine Menge von Objekten, über die der Sprecher und der Hörer gemeinsames Wissen teilen. Dieses gemeinsame Wissen kann a) aus dem vorangegangenen Diskurs, b) aus der unmittelbaren Äußerungssituation, c) aus einer abstrakten, vom Sprecher und Hörer geteilten Situation sowie d) aus einem Assoziationsverhältnis stammen. Mit dem definiten Artikel instruiert der Sprecher den Hörer, zuerst die geteilte Menge zu identifizieren, dann in dieser Menge den intendierten Referenten zu lokalisierten. Auffallend ist, dass der Referent einer indefiniten NP nach ihm unter Umständen auch in einer geteilten Menge lokalisierbar sein kann:

[…] The objects referred to by indefinite descriptions can exist in these shared sets. For example, if someone tells me that a member of parliament has just died or some members of parliament have just died, I could locate these referents in the same larger situation set in which I locate the member of parliament or the Prime Minister. […] (Hawkins 1978:173, Hervorhebungen durch Unterstreichung im Original)

Das heißt, dass allein die Lokalisierbarkeit des Referenten in einer geteilten Menge nicht zwischen definiten und indefiniten NPn unterscheiden kann: Der Referent einer definiten NP muss in einer geteilten Menge lokalisierbar sein, dagegen muss es der Referent einer indefiniten NP nicht, kann es aber. Der entscheidende Faktor ist nämlich Inklusivität (1978:161), und zwar referiert eine NP mit definitem Artikel auf alle Objekte innerhalb der geteilten Menge, die unter die Beschreibung fallen. Dagegen referiert eine NP mit indefinitem Artikel nur auf eine Teilmenge der Objekte, auf die der deskriptive Gehalt der NP zutrifft, wobei andere potentielle Referenten innerhalb der geteilten Menge ausgeschlossen werden (engl. exclude). Mit dem Begriff der Inklusivität werden nicht nur singularische NPn, sondern auch Plural- sowie Massen-NPn erfasst: Wenn die definite NP im Singular steht, bedeutet Inklusivität nichts anderes als Unikalität, und zwar gibt es in der Menge genau ein Objekt, das unter die Beschreibung fällt. Falls die definite NP im Plural steht, dann wird auf alle Objekte innerhalb der Menge referiert, auf die der deskriptive Gehalt der NP zutrifft, z.B.


In 80a referiert der Sprecher auf den einzigen Auspuff des vorher erwähnten Autos. Dagegen fordert der Sprecher mit 80b und c auf, alle sechs ‚wickets‘ zu bringen bzw. den ganzen Sand wegzuräumen.

Der semantische Kontrast Inklusivität/Exklusivität zwischen NPn mit definitem und indefinitem Artikel wird von Hawkins auf definite und indefinite NPn verallgemeinert. Aber dann entsteht ein Problem, und zwar gilt Inklusivität nicht für NPn mit Demonstrativa. Wenn Demonstrativa nicht akzentuiert sind, verhalten sie sich im Englischen hinsichtlich Inklusivität neutral, wenn sie den Akzent tragen, müssen sie aber exklusiv referieren. Zum Beispiel wird this in THIS dog can ride a bike. verwendet, um diesen Hund von den anderen abzugrenzen. Das heißt, dass NPn mit Demonstrativa mehr Gemeinsamkeiten mit indefiniten NPn aufweisen (Ch. Lyons 1980, 2014:93).

Obwohl die Einzigkeitsbedingung vielseitig modifiziert und erweitert wird, wird in der Literatur immer auf Fälle hingewiesen, die mit Unikalität/Inklusivität nicht erklärt werden können. In solchen Fällen sind mehrere Objekte vorhanden, die unter die Beschreibung der definiten NP fallen, trotzdem wird der definite Artikel verwendet.

Abbott (2001, 2006) fasst Beispiele zusammen, in denen die definiten NPn keine Einzigkeitspräsupposition zu tragen scheinen:


In 81 wird der definite Artikel im Singular verwendet, obwohl mehrere Busse nach Phoenix fahren und ein Hotel beliebig viele Fahrstühle haben kann. Das wird von Abbott (2001) als eine Art von Konventionalisierung erklärt: Als die unterstrichenen NPn (von ihr als traditionally unique items bezeichnet) zum ersten Mal in der oben dargestellten Verwendungsweise aufkamen, hatte zum Beispiel jedes Hotel nur einen Fahrstuhl oder zumindest einen, der für bestimmte Gruppen von Menschen salient war. Bei 82 handelt es sich um einen ähnlichen Fall: Obwohl es typisch mehrere konkurrierende Referenten vorhanden sind, die gleich salient sind, wird hier der definite Artikel verwendet. Nach Abbott liegt es vermutlich darin, dass all diesen NPn einen Ort bezeichnen. Wenn hier statt des definiten Artikels der indefinite eingesetzt wird, liegt zu viel Betonung auf den Ort, so dass der Eindruck entsteht, dass der Ort momentan im Fokus wäre. Bei Verwendungen wie 83 handelt es sich um dialektale Variationen. Während 83 im amerikanischen English gut ist, muss der definite Artikel im britischen Englisch weggelassen werden. In Abbott 2006 wird die Behauptung vertreten, dass sich die Beispiele in 81–83 weder mit der Unikalitäts- noch mit der Familiaritätstheorie vereinigen lassen. Aber es ist ihr nicht klar, ob eine neue Theorie für Definitheit entwickelt werden muss oder diese Beispiele lediglich idiomatische Ausnahmen darstellen.

Lewis (1979[2004]:348f.) weist auch auf Fälle hin, in denen die Einzigkeitsbedingung nicht erfüllt wird, selbst wenn das Diskursuniversum beschränkt wird:


Nach Lewis muss das auf das Notwendigste reduzierte Redeuniversum mindestens zwei Individuen enthalten, die die gleiche Eigenschaft besitzen. Aus dieser Überlegung heraus entwickelt er die These, dass das unterscheidende Merkmal zwischen definiten und indefiniten NPn nicht die Einzigkeit ist, sondern die Salienz. Nach ihm kann die definite NP the dog in 84b mit der Paraphrase the most salient dog beschrieben werden, another dog dagegen mit der Paraphrase some less salient dog. Für ihn ist Salienz keine Eigenschaft des Ausdrucks selbst, sondern eine Eigenschaft des Kontexts. Weiterhin bemerkt er, dass die Salienzhierarchie von mehreren Faktoren abhängig ist und sich im Laufe eines Diskurses verändern kann. Dabei spielen die sprachliche Struktur des Diskurses sowie die aktuelle Äußerungssituation eine wichtige Rolle. Aber auf die Frage, wie die Faktoren interagieren, wird nicht eingegangen. Von Lewis wird keine ausformulierte Theorie vorgelegt, sondern eine thesenartige Manifestation dargestellt. Das Konzept der Salienz wird in nachfolgenden Arbeiten, insbesondere durch von Heusinger (1997), aufgegriffen und um neue ergänzt. Aber von Heusinger beschränkt sich explizit auf die Formalisierung des Konzepts und geht auch nicht auf die einzelnen Faktoren ein. Er hat lediglich mit drei Phänomentypen illustriert, dass eine Salienzhierarchie aus unterschiedlichen Parametern besteht und daher eine sehr komplexe Struktur besitzt (von Heusinger 1996:23).

Lyons (1980) führt ähnliche Beispiele wie Lewis an. Der einzige Unterschied besteht darin, dass die konkurrierenden Referenten in Lyons‘ Beispielen nicht explizit genannt werden:


Nach Lyons ist es aus dem Kontext oder durch die Situation klar geworden, welches von mehreren Objekten, auf die der deskriptive Gehalt der definiten NP zutrifft, vom Sprecher gemeint wird. Bei 85a kann man aus dem Verb close erschließen, dass hier die geöffnete Tür gemeint ist; bei 85b sind zwar alle Türe geschlossen, aber die Kleidung sowie die Koffer implizieren, dass der Sprecher ausgehen möchte. Anders als Lewis plädiert Lyons (1980) für den Begriff der Identifizierbarkeit, und zwar ist der intendierte Referent nicht unikal (in einem reduzierten Redeuniversum), sondern nach der Annahme des Sprechers für den Hörer unikal identifizierbar.

Definitheit im Deutschen und im Chinesischen

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