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Die ewige Mär vom Untergang
ОглавлениеEbenso wenig nützen uns Untergangsszenarien für die USA. Dieses Genre hat im Verlauf der letzten Jahre aufgrund des Provokateurs im Weißen Haus sehr an Popularität gewonnen. Nachvollziehbar bei einem Amtsinhaber, der zu Hause politische Gegner und ganze Volksgruppen in ihrer Ehre herabsetzt. Der auf internationalem Parkett reihenweise Verbündete vor den Kopf stößt. Der für die Verrohung des politischen Diskurses steht. Und die Unberechenbarkeit zum Prinzip gemacht hat. Doch sollten wir den Niveauverfall in Trumps Umfeld nicht mit dem Verfall Amerikas gleichsetzen – und die Hoffnung auf Biden nicht mit der wundersamen Genesung eines ganzen Landes. Erinnern wir uns: Schon während Obamas und zuvor Bush Juniors Regentschaft wurde den Vereinigten Staaten von hiesigen Beobachtern in regelmäßigen Abständen das Totenglöckchen geläutet. Allein, der Patient lebt immer noch. Die diagnostizierenden Ärzte sind ratlos, denn nach ihrer Einschätzung hätte schon längst einer von beiden Fällen eintreten müssen: Entweder zerfällt das Land von innen, weil Gesellschaft und System unwiederbringlich morsch und marode sind. Oder das »Imperium Amerika« hat sich verhoben und bricht unter dem Druck von außen ebenso unwiederbringlich zusammen. Manche erkennen auch beides zugleich und sind sich sicher: Hiervon kann sich Amerika nicht mehr erholen. Dieses Mal nicht.
Die Wirklichkeit spricht eine andere Sprache. Schon deswegen lassen uns apokalyptische Porträts der Lage Amerika nicht besser verstehen. Davon abgesehen haben wir wenn überhaupt nur sehr geringen Einfluss auf die Entwicklungen auf der anderen Seite des Atlantiks. Der amerikanischen Eiche ist das Eichhörnchen in ihren Zweigen relativ gleichgültig. Um nur ein Beispiel zu nennen: Im Jahr 2018 beliefen sich die Militärausgaben der Vereinigten Staaten auf rund 650 Milliarden Dollar, mehr als ein Drittel der weltweiten Schätzsumme. Deutschland verbucht knapp 50 Milliarden Dollar. Inzwischen ist der Abstand noch größer geworden.
Unterm Strich sind wir schlecht beraten, uns den Niedergang der USA herbeizureden. Denn an wem wollten wir uns zumindest so lange orientieren, bis wir auf eigenen Füßen stehen können? Und wir die derzeit anstehenden Probleme innerhalb des europäischen Verbunds gelöst haben? Die Aufnahme Albaniens ins EU-Kollektiv etwa sollte für einen Länderverband von der Größe und dem Selbstverständnis der EU eigentlich eine Aufgabe handhabbarer Größenordnung sein. Einen solchen Prozess zur Zufriedenheit aller Beteiligten abzuschließen darf als Voraussetzung dafür gelten, mit der europäischen Stimme künftig auch weltweit mehr Gehör zu finden als bisher. Gegenwärtig sieht es aber so aus, dass dieser Prozess (ganz zu schweigen von den Nachwehen des Brexits) in nicht zu unterschätzendem Maße Energien nach innen binden wird. Diese Kraft fehlt Europa so lange nach außen. Schon allein deshalb wäre der Niedergang der USA auch unser Schaden. Zumal die transatlantischen Schockwellen unweigerlich an der europäischen Küste anbranden würden.