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Warum es den Westen nicht mehr gibt

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Als ich am Tag nach Trumps Wahlsieg meinen Mietwagen am Flughafen von Charlotte, North Carolina, in Empfang nehme, entschuldigt sich die Mitarbeiterin hinter dem Schalter bei mir, sobald ich meinen Führerschein vorlege. Ihr sei bewusst, wie Europa auf ihr Land schauen müsse, ein Land, das einen solchen Blender ins höchste Amt gewählt habe. Ich kann ihr nicht widersprechen. Dabei ist mir wiederum bewusst, dass mehr Menschen gegen Trump als für ihn gestimmt haben. Schlimmstenfalls sehen wir beide zu diesem Zeitpunkt acht Jahren seiner Regentschaft entgegen. Und wissen doch: Auf den 45. Präsidenten der USA wird der 46. folgen. Dennoch bietet diese Aussicht überzeugten Transatlantikern wenig Trost. Amerika, die dominante Nation der westlichen Hemisphäre, sortiert sich neu, und wir alle bekommen die Folgen zu spüren. Der »Westen«, wie wir ihn kennen, ihn zu kennen glaubten, kommt an ein Ende. Donald Trump ist ein Stein auf diesem Weg, doch der Weg führt nur in eine Richtung. Das altvertraute Spiel ist vorbei: Game Over. Das hat drei Gründe:

Erstens wendet sich mit Amerika eine der beiden tragenden Säulen ab, damit trägt das Dach des »Westens« nicht mehr. Die Statik ist dahin, zunächst unabhängig davon, ob die zweite tragende Säule, Europa, weiterhin besteht. Dies ist auf Dauer fraglich, denn auch auf unserer Seite des Atlantiks ist eine zunehmende Entfremdung von der alten Idee des »Westens« zu spüren. Doch sind die Amerikaner zuerst in Aktion getreten, sind wir zunächst zur Rolle des Reagierenden verdammt. Hierin liegt umgekehrt der Vorteil, dortige Entwicklungen aus sicherer Distanz beobachten und unsere Schlüsse hieraus ziehen zu können, wie wir sehen werden.

Zweitens ist schon seit längerem der Kommunikationsfaden der transatlantischen Allianz abgerissen. Die Abwendung Amerikas vom Westen ist nicht ursächlich hierin begründet; sie ist global motiviert. Allerdings sorgt die Unterbrechung der Verbindung im Außenpolitischen wie Innenpolitischen dafür, dass die innere Stabilität des Westens leidet. Das wiederum beeinflusst den Handlungsrahmen und die Wirkmacht aller beteiligten Länder. Aus US-Sicht ein Argument mehr, Außenpolitik ohne Absprache und zunehmend ohne Rücksicht auf Europa zu betreiben. Im Innenpolitischen konzentriert man sich zunehmend auf das Eigene, anstelle den Westen als transatlantisches Labor zur Entwicklung und Erprobung von Gesellschafts- und Wirtschaftsmodellen zu begreifen, die sich gegenseitig befruchten und aufeinander aufbauen.

Drittens sind die Grundfesten des Westens, auf denen beide Säulen stehen, von innen ausgehöhlt. Mehr als alles andere bemisst sich eine vitale Demokratie an der Möglichkeit, streiten zu können. Sich über die eigenen Werte und Leitvorstellungen austauschen und diese gegen undemokratische Umtriebe im Inneren und Bedrohungen von außen verteidigen zu können. Miteinander und gegeneinander – aber nicht nebeneinander – in einem permanenten öffentlichen Meinungsbildungsprozess engagiert zu bleiben. Doch hat sich unsere medial vermittelte Öffentlichkeit seit der Jahrtausendwende fundamental verändert. Gleichzeitig haben die politischen Institutionen Schwierigkeiten, die Verständigung unserer Demokratie über sich selbst angemessen zu rahmen und zu repräsentieren.

Die Tatsache, dass es den Westen nicht mehr gibt und sowohl Amerika als auch Europa davon betroffen sind, bedeutet nicht, dass beide in der gleichen Weise betroffen sind. Die Vereinigten Staaten können sich aufgrund der eigenen Größe, einer spezifischen Dynamik und der damit verbundenen Einflussmöglichkeiten den Rückzug aus dem »Westen« auf absehbare Zeit leisten. Ob sich das neue Rollenverständnis mittelfristig als Gewinn herausstellt, ist eine andere Frage. Die Europäische Union und speziell Zentraleuropa hingegen müssen sich zunächst in der neuen Rolle zurechtfinden, um die sie sich nicht beworben hatten. Dass sich vor den Augen der Welt im 21. Jahrhundert ein Stück abspielt, in dem niemand Regie führt, beinhaltet für Europa und speziell Deutschland allerdings die große Chance, die zugeteilte Rolle nach eigenen Maßstäben zu interpretieren – oder gegen einen völlig neuen Part einzutauschen. Hierzu mehr am Ende dieses Buches.

Game Over

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