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IV. Schlussfolgerungen
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Vorerst ist festzuhalten, dass beide Standpunkte in der Kriminologie vertreten werden, wobei das Modell des Erklärens in der deutschen Kriminologie immer noch vorherrschend ist. Die Dominanz des Erklärens in der Kriminologie ist naheliegend, da ihr Datenmaterial weitgehend über Kriminalstatistiken verfügbar ist und der Staat als größter Auftraggeber der kriminologischen Forschung (→ § 1 Rn 8 ff.) sich bevorzugt für die quantitativ-vergleichende Bestimmung des Kriminalitätsvolumens und der Wirksamkeit staatlicher Interventionen interessiert.
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Allerdings werden wesentliche Aspekte des Forschungsgegenstandes wie gezeigt nur bei einem Vorgehen sichtbar, das dem Verstehensmodell folgt – denn ein maßgeblicher Teil der Auseinandersetzung mit Kriminalität ist die Beschäftigung mit dem interaktiven Prozess ihrer Konstruktion durch die Beobachtenden. Einer auf kausale Erklärungen bedachten, rein objektiv und vermeintlich von außen wahrnehmenden Perspektive bleibt diese Ebene jedoch verborgen.
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Die Kriminologie setzt sich also (auch) mit den gesellschaftlichen Sinnsetzungen bezüglich Normabweichung und Kriminalität auseinander, wobei der kriminologische Diskurs nicht vollständig unabhängig von der gesellschaftlichen Verständigung verläuft, sondern auf diesen zurückwirkt und ihn mittelbar beeinflusst. Schon bevor Kriminolog:innen sich mit Kriminalität befassten, war dies ein Thema des alltäglichen Diskurses. Kriminolog:innen greifen ein Thema auf, welches bereits mit Bedeutungen versehen ist, die die „normalen“ Leute ihm beimessen, und sie [45] müssen diese „normalen“ Bedeutungen – nicht anders als die Lai:innen es tun – reinterpretieren, um den Gegenstand ihrer Analyse zu bestimmen.
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Schaubild 1.1: Erklären und Verstehen
Kausales Erklären | Interpretatives Verstehen | |
Modell | Monistisch: erklärt „Ursachen“ menschlichen Verhaltens wie die verursachenden Faktoren eines Naturgeschehens | Dualistisch: Sinnhaftigkeit und Intentionalität der „Gründe“ des Handelns von Subjekten müssen anders als eine Naturgegebenheit bestimmt werden |
Sozialwelt als Gegenstand | Unabhängig von den Beobachtenden als mit ihnen nicht kommunizierendes Objekt materiell vorhanden | Forschende sind mit Sozialwelt reflexiv verbunden: sie haben daran Anteil, agieren mit der Forschung in ihr und diese reagiert kommunikativ auf Forschungsergebnisse |
Beobachtung | Erfolgt einseitig: Beobachtende → Objekt | Verläuft interaktiv: Beobachtende ↔ Objekt |
Methode | Quantitativ an statistischen Zusammenhängen interessiert | Qualitativ an der Rekonstruktion des Sinns interessiert, den der:die Handelnde mit seinem Handeln verbindet |
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Damit stellt sich die prekäre Frage, was die kriminologische Wahrnehmung zur wissenschaftlichen macht, also vom Lai:innenverständnis unterscheidet. Die Antwort fiele nur leicht, wenn man mit dem Erklärungsmodell davon ausgehen könnte, dass die kriminologische Beobachtung in der streng objektiven wissenschaftlichen Wahrnehmung und Erklärung von Faktizität bestünde. Jedoch gibt es zur Beobachtung der Sozialwelt nicht den einen externen objektiven Standpunkt, sondern nur Standpunkte in ihr, die den Beobachtenden einbeziehen, die seine Wahrnehmung perspektivisch und seine Feststellungen bestreitbar machen.
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Darum kann die Kriminologie, wie die Sozialwissenschaften überhaupt, nicht mit der unbezweifelbaren Autorität einer „exakten“ Wissenschaft auftreten. Dennoch unterscheiden sich wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit Kriminalität von Debatten in den Medien, der Politik oder am Stammtisch. Was die Wissenschaft auszeichnet, ist das reflexive Bewusstsein ihrer Perspektivengebundenheit, ihr Bemühen um Unbefangenheit und die diskursive Begründung ihrer Annahmen. Dies soll im folgenden Abschnitt genauer erläutert werden.