Читать книгу Die Chronik des Dunklen Reiches -Band 1- - Tom Bleiring - Страница 3
-Die Gezeichneten-
ОглавлениеDas Pferd preschte über die vor ihm liegende Ebene, wie von Furien gehetzt.
Schaum stand ihm vor dem Maul, Schweiß glänzte an seinem Körper und der Blick
war erfüllt von Furcht, ja fast schon panisch.
Der Reiter hatte es gnadenlos in Richtung seines Zieles gejagt, seine Sporen tief in die Flanken des armen Tieres getrieben und schlug unnachgiebig immer und immer wieder mit seiner Gerte zu.
Er hatte keine Zeit zu vergeuden, seine Mission war zu wichtig.
Als er seinen Blick über das Land ringsum schweifen ließ, erkannte er kaum etwas wieder,
obwohl er erst wenige Monate zuvor schon einmal diese Region bereist hatte.
Wo damals noch grüne Wiesen und kleine Seen gelegen hatten, umgeben von Wäldern, in denen sich
die unterschiedlichsten Tiere ein Heim geschaffen hatten, da lag heute nur noch ein geschundenes und zerstörtes Land vor ihm.
Die Erde war aufgewühlt, das Gras zertrampelt, die Seen ausgetrocknet und die Wälder gerodet.
Die Landschaft breitete sich wie ein Leichentuch vor ihm aus, nirgends regte sich etwas.
Und diese Totenstille, dieses Fehlen jedweden Geräusches, entsetzte den Reiter mehr als
die Einöde, die sich seinem Blick nun darbot.
Das Gelände veränderte sich nun, wurde zu einer Hügellandschaft, karg und trist wie das übrige Umland.
Dahinter konnte man in der Ferne einzelne Rauchsäulen aufsteigen sehen, wenn man genau hinsah,
doch diese verloren sich schnell in der allgegenwärtigen Düsternis, die wie eine Glocke dort vor ihm über dem Land lag.
Gewaltige Wolkenmassen schienen am Himmel festgenagelt zu sein, hingen wie ein Zelt über jenem fernen Ort, an den der Reiter zu gelangen hoffte.
Doch die Wolken waren anders, sie quollen wie Dunst, der aus einem Topf aufstieg, vom Horizont zum Himmel empor, verschlangen einander und wechselten dabei ihre Farbe, von Rot zu Lila und dann ins Gräuliche, um sich dann wieder ins Rötliche zu verfärben.
Grüne Blitze durchzuckten diesen Wolkenkoloss, doch Donner, wie man ihn von einem normalen Gewitter her kannte, blieb aus.
Das Pferd galoppierte voller Furcht und Unwillen von der sonnenbeschienen Ebene hinüber in das von den Wolken verfinsterte Land, und schlagartig schwand jedwede Wärme aus der Luft.
Ebenso der Geruch der feuchten Erde, die Ausdünstungen einer lebenden Natur, verflüchtigten sich.
Die Luft, die Pferd und Reiter nun einatmeten, war kalt, tot und schmeckte nach nichts.
Als der Reiter den höchsten Punkt der Hügelkette erreicht hatte, zog er kräftig an den Zügeln und brachte sein Pferd so zum Stehen.
Schockiert und gleichzeitig auch fasziniert blickte er auf das Bild, welches sich ihm nun bot.
Vor ihm fiel die Landschaft steil ab und wurde wieder zu einer weiten, flachen Ebene, die schließlich am Meer endete.
Genau vor ihm lag die einstmals prächtige Handelsmetropole Rugur, Hauptstadt des gleichnamigen Königreiches.
Doch von der früheren Schönheit der Stadt und des Umlandes war nichts mehr geblieben, denn diese wurde nun schon seit über vier Monaten erbarmungslos belagert.
Ein mit den Augen kaum zu erfassender Heereswurm hatte sich um die Stadt herum niedergelassen,
das Land verwüstet und keinen Stein auf dem anderen gelassen.
Nur der innere Kern der Metropole, umgeben von einer gewaltigen Trutzburg, hatte den Angreifern bisher widerstehen können, doch nach einer schier nicht enden wollenden Bombardierung durch die Kriegsmaschinerie der Feinde waren selbst im geschützten Bereich der Stadt fast alle Häuser zerstört oder zumindest irreparabel beschädigt.
Dennoch wollten die Belagerten nicht kapitulieren, wie es schien, denn sie leisteten weiter erbitterten Widerstand gegen jeden Angriff, ganz gleich, wo dieser auch stattfand.
Selbst der Anblick der drohend über ihnen hängenden und unheilvoll leuchtenden Wolkengebilde, die keine Sonne mehr auf das Land scheinen ließen, ließ sie nicht verzagen oder verzweifeln.
Auch der Anblick der gewaltigen und nach Blut dürstenden Armee vor ihren Toren schien nicht die sonst zu erwartende Furcht auszulösen.
Das Heerlager war nach allen Seiten hin mit Holzpalisaden und tiefen Gräben umgeben,
was jedoch das einzig Planvolle am gesamten Lager zu sein schien.
Im Innern selbst gab es keine Ordnung, nur ein wüstes Durcheinander aus Zelten, offenen Feuerstellen und Warenlagern, Verschlägen für Schlachtvieh und Ställe für Pferde.
Der Reiter, ein Soldat durch und durch, alt an Jahren und kampferprobt wie kaum ein Zweiter,
schüttelte nur den Kopf über dieses Chaos, dann gab er seinem Tier erneut die Sporen und ritt ins Feldlager hinab.
Lange, bevor er es erreichte, hatten ihn die Wachposten bereits ausgemacht und kamen ihm entgegen.
Es waren grobschlächtige Kerle, Söldner, die sich an den Höchstbietenden verkauften.
Ihre schweren Panzerhemden waren abgenutzt und ungepflegt, wie der alte Soldat sofort erkannte.
Solche Rüstungen boten zwar guten Schutz im Kampf, neigten aber dazu, meist im unpassendsten Moment auseinander zu fallen. Bei guter Pflege hielten sie lange, aber diese Burschen scherten sich keinen Deut um ihre Ausrüstung, was eine Menge über sie sagte.
>>Halt, im Namen Lord Thalon’s! << rief ihm einer entgegen, noch ehe er den Reiter erreicht hatte.
Es schien sich um den Anführer der Patrouille zu handeln, denn er trug als einziger einen Federbusch auf seinem Helm und seine Rüstung wirkte lange nicht so abgenutzt wie die der anderen.
>>Was ist euer Begehr? , << fragte er den Reiter.
Dieser wollte gerade antworten, als ein zweiter Soldat dazu kam, das Visier seines Helms hob und seinem Hauptmann zurief:
>>Das ist der Gardehauptmann Gajon aus Amargath, Herr.
Ich habe eine Zeit lang unter seinem Kommando gedient und kenne ihn.
Was treibt euch hierher, werter Hauptmann?
Seid ihr es leid, Weiberröcke zu bewachen? <<
Einige Söldner lachten laut auf, als sie diese Worte vernahmen, doch ihr Anführer brachte sie mit einer herrischen Geste zum Schweigen.
Gardehauptmann Gajon blickte auf den Soldaten, der ihn erkannt hatte, hinab und runzelte verwirrt die Stirn. Er erkannte die Stimme des Mannes, das Gesicht, doch wusste er im selben Moment, dass dies nicht jener Soldat sein konnte, der noch vor wenigen Wochen unter ihm gedient hatte.
Denn jener Mann war beim ersten Angriff auf Rugur getötet worden.
Er selbst hatte den Namen des Mannes auf der Liste der Gefallenen gesehen, hatte der Familie das offizielle Schreiben des Kommandanten überbracht und an der Trauerfeier teilgenommen.
Ein eiskalter Schauer lief ihm über den Rücken.
Er hatte Gerüchte gehört, die von seltsamen Vorgängen und mysteriösen Geschehnissen berichteten und die alle mit dem neuen Oberbefehlshaber der Armeen Amargath’s, dem jungen Kronprinzen Thalon, zu tun hatten.
Gajon war ein erfahrener Soldat, kannte sich auch ein wenig mit Magie aus und wusste daher, dass es durchaus möglich war, tote Körper mit neuem Leben zu füllen, doch dies wurde von fast allen Kirchen des Kontinents als gotteslästerliche Tat angesehen und vom Gesetz schwer bestraft, wenn man Menschen wiedererweckte.
Auf der anderen Seite kannte er den Kronprinzen von Kindesbeinen auf an und wusste um dessen schwarzes Herz, seine Respektlosigkeit den Göttern gegenüber und seiner Boshaftigkeit.
Schon früh hatte er sich mit allen Spielarten der Magie beschäftigt, hatte alle großen Universitäten des Reiches besucht und dort immenses Wissen erlangt.
Und sein Lehrer, den man nur als Juras den Hexer in Amargath kannte, bestärkte ihn immerfort in dem Bestreben, noch mehr Wissen zu erlangen.
Aber Thalon nutzte das Wissen nicht, um damit Frieden, Wohlstand und Glück für das Volk zu schaffen, über welches er bald herrschen sollte, sondern strebte stattdessen nach Macht und Besitz.
Von daher schmerzte es Gajon sehr, dass ausgerechnet er nun als Bote auserwählt worden war, um dem Kronprinzen mitzuteilen, dass sein Vater nach langer Krankheit verstorben war und er nun, Thalon, den Thron von Amargath geerbt hatte.
Dass der neue Lord Amargath’s Tote für sich kämpfen ließ, also auch vor den grässlichsten Lasterhaftigkeiten nicht zurückschreckte, war für den alten Gardehauptmann ein deutliches Zeichen dafür, wohin sich die Dinge bald entwickeln würden.
>>Ich bringe eine Botschaft aus dem Palast und muss mit Thalon sprechen, << sagte er zum Anführer des Wachtrupps, wandte jedoch den Blick nicht von jenem Mann ab, der eigentlich tot war, aber dennoch lebte.
Dem Hauptmann entging das nicht, doch er grinste nur.
>>Es heißt Lord Thalon, Gardehauptmann, << erwiderte er.
Gajon schnaubte verächtlich.
>>Ich habe keine Zeit für solche Haarspalterei, Mann!
Bringt mich zu seinem Zelt, und zwar sofort! <<
Den Söldnern verging allen ihr freches Grinsen.
Sie waren nicht daran gewöhnt, von einer Palastwache, ob nun Hauptmann oder nicht, so angeschnauzt zu werden.
Doch schließlich machten sie Gajon Platz und wiesen ihm den Weg ins Lager.
Während der Gardehauptmann dieses durchquerte, musste er schockiert feststellen, dass es im Lager nur so von Söldnern und Wiedererweckten wimmelte.
Er erkannte viele Männer und Frauen wieder, mit denen er einst gedient hatte und von denen er definitiv wusste, dass sie im Kampf gefallen waren.
Und mit jedem Gesicht, das er wiedererkannte, wuchs das Grauen in seinem Herzen.
Auch er wurde von einigen erkannt, doch es erklang nirgends ein erfreutes Hallo und keiner hob die Hand zum Gruß.
Nur finstere Blicke waren es, die ihm zu folgen schienen.
Düstere Mienen, wohin er auch schaute.
Das Zelt Thalon’s stach aus der Masse der einfachen Soldatenzelte heraus, nicht nur, weil es auf einer kleinen Erhebung errichtet worden war.
Es war ein imposantes Zelt aus festem, wasserabweisendem Stoff, welchen man mit Purpur gefärbt hatte. Und an der Spitze flatterte das Banner Thalon’s im Winde, eine schwarze Fahne, in deren Zentrum ein blutrotes Auge prangte.
Gajon stieg von seinem Pferd und reichte die Zügel einem anderen Soldaten, als schon Juras aus dem Zelt getreten kam, der Erste Kanzler und Berater des jungen Prinzen.
Der Hexer war ein Mann von kleinem Wuchs, ging stets leicht geduckt und wirkte von seinem ganzen Gebaren her linkisch und unberechenbar.
Sein spärliches Haupthaar war ergraut, ebenso sein spitz zulaufender Kinnbart.
Sein Blick huschte nervös mal hier hin, mal dort hin, als würde er sich verfolgt vorkommen.
Jura‘s warf einen kurzen Blick auf Gajon und trat dann zur Seite, um seinem Herren den Weg frei zu machen.
Thalon war ein schlanker, aber trotzdem muskulöser Mann Anfang Zwanzig, von hohem Wuchs und mit wachsamen Augen, aus denen jedoch stets unendliche Gelassenheit strahlte.
So zumindest hatte Gajon den Kronprinzen in Erinnerung behalten, und er war davon ausgegangen, dass sich an diesem Bild in den letzten vier Monaten nicht viel getan haben könne.
Nun aber wurde er eines Besseren belehrt.
Der junge Mann, der nun aus dem Zelt trat, gehüllt in einen weiten und leichten schwarzen Mantel,
hatte nur noch wenig mit dem früheren Bild Thalon’s gemein.
Der Kronprinz war zwar immer noch von kräftiger Statur und hohem Wuchs, doch seine einstmals bronzefarbene Haut war grau geworden. An seinen Händen schimmerten dunkelrote und bläuliche Adern durch die Haut, ebenso wie in seinem Gesicht.
Sein Haupt war kahl und seine Augen, die früher einmal blau wie das Meer gewesen waren,
funkelten nun in einem Rot, welches dem der Wolken über ihnen glich.
Aus dem attraktiven Prinzen von früher war genau das Gegenteil geworden, dachte Gajon, wobei er einen leichten Ekel nicht unterdrücken konnte.
Thalon war zu einem Zerrbild seines früheren Selbst geworden.
Doch der Prinz schien nicht zu bemerken, wie sich das Gesicht des Gardehauptmanns leicht angewidert verzog, sondern trat diesem milde lächelnd entgegen und legte seine Hände auf dessen Schultern.
>>Guter Hauptmann, wie lange ist das her? <<
Die Stimme des Prinzen war weich, geradezu freundschaftlich sein Tonfall, doch Gajon merkte sofort,
wie die Worte seinen Geist zu betäuben schienen.
>>Zuletzt trafen wir uns bei eurer Abreise aus Amargath, Herr, << antwortete er und verbeugte sich leicht vor dem Prinzen.
Thalon zog die Hände zurück und nickte andächtig.
>>Ja, vor vier Monaten sah die Welt noch anders aus, nicht wahr?
Genauso, wie ich auch, ich muss es offen eingestehen. <<
Der Prinz hob seine Hände zum Gesicht empor und drehte sie, damit Gajon einen Blick auf beide Seiten werfen konnte.
>>Man muss bereit sein, Opfer zu bringen, wenn man seine Ziele erreichen will, << fuhr Thalon fort.
>>Stimmt ihr mir da nicht zu, Hauptmann? <<
Gajon nickte, denn der Anblick des Prinzen schien ihn förmlich zu fesseln.
>>Ich verstehe nicht, << brachte er mit größter Mühe hervor.
Thalon ließ die Hände wieder sinken und löste damit auch den Bann, der über den Gardehauptmann gefallen zu sein schien.
>>Ihr seid doch schon euer ganzes Leben Soldat, << sagte der Prinz mit einem Hauch von Verwunderung in der Stimme, >> da dachte ich, ihr würdet verstehen.
Habt ihr denn noch nie eure Männer opfern müssen, um eine Mission erfüllen zu können?
Musstet ihr noch nie einen Blutzoll entrichten? <<
Gajon schüttelte energisch den Kopf.
>>Nein, Herr, in all den Jahren im Dienste eures Vaters habe ich nie einen Mann verloren oder opfern müssen! Ich schwöre es bei meiner Ehre. <<
Thalon’s Züge verhärteten sich bei der Erwähnung seines Vaters schlagartig.
>>Mein Vater hat niemals einen echten Krieg geführt oder seine Soldaten in eine ernste Auseinandersetzung entsandt.
Von daher standet ihr auch nie ernsthaft in der Situation, im Kampf etwas opfern zu müssen.
Wie geht es meinem Vater und meiner lieben, wenn auch viel zu sanftmütigen Schwester? <<
Gajon, der nun den Moment gekommen sah, seine Nachricht übermitteln zu müssen, sank auf die Knie und starrte auf die Füße des Prinzen.
>>Mein Lord, ich muss euch leider mitteilen, dass euer Vater vor zwei Tagen diese Welt verlassen hat und in die göttlichen Paradiese hinüber gegangen ist.
Die Senatoren und hohen Herren Amargath’s senden euch durch mich ihre Grüße.
Sie wünschen euch, als neuem Herren des Reiches, Glück und ewige Gesundheit und trugen mir auf,
euch ihrer immerwährenden Treue zu versichern.
Auch eure Schwester lässt euch grüßen, als ihren neuen Herren und Gebieter.
Sie trauert um euren Vater und hat, wie es ihre Pflicht als Tochter und höchste Priesterin Amargath’s ist, die Fenster aller Tempel der Stadt verhängen lassen.
Sie führt täglich Prozessionen durch die Stadt an, durch welche sie den großen Gott der Unterwelt sanft stimmen möchte, damit dieser eurem Vater den Weg ebnet in die himmlischen Gefilde. <<
Gajon verstummte, wagte aber nicht, aufzublicken.
Thalon stand regungslos vor ihm und blickte auf den Gardehauptmann hinab.
Nach einigen Minuten erst, die Gajon wie eine Ewigkeit erschienen, regte sich der junge Lord, trat etwas zur Seite und starrte wie gebannt auf die Mauern der belagerten Stadt.
>>Mein Lord, ich grüße euch als neuen Herren des Reiches Amargath, << hörte Gajon Juras leise flüstern.
Thalon wandte seinen Blick nicht von den Mauern ab und nahm den Gruß mit nicht mehr als einem Nicken zur Kenntnis.
>>Was hat meine Schwester getan, nachdem unser Vater diese Welt verlassen hat? , << fragte er dann plötzlich.
Er fuhr herum, packte Gajon an dessen Schulter und zog ihn scheinbar ohne Mühe auf die Beine.
>>Antworte mir, Gardehauptmann! , << schnauzte er diesen wütend an.
Gajon stammelte herum, dass er nicht wisse, was Lord Thalon meinte, doch dieser fixierte ihn wütend aus seinen roten Augen, so dass dem altgedienten Soldaten schließlich der Mut schwand.
>>Sie hat einen Boten entsandt, << gab er kleinlaut zu.
Thalon lächelte, doch es war das Lächeln eines Schakals, der Beute gewittert hatte.
>>Wohin ist dieser Bote unterwegs? , << hakte er nach.
>>Eure Schwester schickte ihn nach Norden, zum schwarzen Schlund, jener uralten Festung, in der der Legende zufolge …! <<
>>Ja, ich weiß, wer dort sein Heim haben soll, << fuhr ihm Thalon dazwischen.
>>Meine Schwester glaubt also noch an dieses Ammenmärchen?
Sie glaubt ernsthaft, dort würde noch jemand leben?
Denkt sie ernsthaft, dass dieser uralte Mythos auch nur einen Funken Wahrheit enthält? <<
Gajon schluckte schwer, ehe er zu antworten wagte.
>>Ja, das tut sie wohl. Und es gibt viele im gemeinen Volk, die ebenfalls daran glauben.
Sie tauchen in vielen Legenden auf, bei allen Völkern des Kontinents.
Eure Schwester ist eine gute, aufrichtige und treue Dienerin der Götter und ihres Volkes.
In Zeiten der Not sind die Erben hohen Blutes verpflichtet, jene, die im Schlund leben, um Rat zu fragen. <<
Thalon, der aufmerksam zugehört hatte, ließ den Hauptmann fallen und trat von ihm weg.
>>Sie ist also eine treue Dienerin der Götter und des Volkes, ja? , << äffte er die Worte des Hauptmannes nach.
>>Und ich bin dann wohl der missratene Sohn, die Schande eines ganzen Volkes?
Ich, der Erbe des Thrones?! Tue ich nicht viel Gutes für mein Volk, wenn ich das Reich vergrößere, seine Macht mehre?! Bin ich dadurch nicht auch ein guter Diener meines Volkes?! <<
Thalon war zornig und laut geworden; seine Lippen bebten vor Wut, sein Körper zitterte und seine Haut schien noch grauer geworden zu sein.
Gajon wollte sich nun jedoch nicht mehr zurücknehmen und erwiderte ebenso wütend:
>>Ihr stört die Totenruhe jener, die tapfer gekämpft haben und starben! Ihr schändet ihre Leichen durch finsterste Magie, indem ihr sie aus ihren Gräbern zerrt!
Euer Herz ist vergiftet von Hass und Boshaftigkeit, und es wäre ein Segen für das ganze Reich, wenn eure Schwester an eurer Stelle über das Land herrschen würde!
Ihr führt sinnlose Kriege, zwecklose Kriege und führt euer Heer von einem Gemetzel ins nächste!
Das ist nicht ehrenhaft! Ich finde in euch nichts von der Größe und Güte, die euer Vater in sich trug und die eure Schwester besitzt. <<
Ein Schlag, unsichtbar aus dem Nichts kommend und von ungeheurer Härte, traf den Gardehauptmann an der Brust und schleuderte ihn zu Boden.
Hustend und gepeinigt vom Schmerz einiger gebrochener Rippen hievte Gajon sich wieder auf die Beine und sah sich furchtsam um, doch außer Juras, Thalon und ihm selbst war niemand in der Nähe.
Nun erst ging ihm ein Licht auf.
Er spuckte Blut, welches sich nun in seinem Hals und Mund zu sammeln begann, aus und wandte sich an den jungen Lord.
>>Ich bete dafür, dass eure Schwester Erfolg hat mit ihrem Vorhaben und ihr Bote im Schlund jemanden antrifft. Ihr dürft nicht herrschen, sondern müsst vernichtet werden! <<
Wieder traf ihn ein unsichtbarer Schlag, diesmal gegen die Beine.
Gajon spürte, wie die Knochen brachen, dann stürzte er.
>>Du bist ein Wurm, ein unwürdiges Nichts! , << hörte er Thalon sagen.
>>Und meine Schwester ist eine Närrin, wenn sie an solche mythischen Kriegerwesen glaubt.
Der Orden hat niemals existiert! Und wenn es ihn doch einmal gegeben hat, dann sind seine letzten Mitglieder schon vor Ewigkeiten gestorben.
Andere, viel realere Mächte, wirken nun auf dieser Welt!
Ich und meine Verbündeten werden wie ein Feuersturm über das Angesicht der Welt fahren und sie nach unseren Vorstellungen neu formen!
Ihr aber, Gardehauptmann Gajon, sterbt in der Gewissheit, dass ich meine Schwester für ihren Verrat an ihrem neuen Herren hart bestrafen werde. <<
Thalon stand nun genau über dem alten Soldaten und richtete seinen hasserfüllten Blick auf diesen.
Der nächste Schlag, der Gajon traf, war derart gewaltig und brutal, dass sein Körper in die weiche Erde unter ihm gedrückt wurde.
Sein Tod war schnell, aber nicht endgültig.