Читать книгу Die Chronik des Dunklen Reiches -Band 1- - Tom Bleiring - Страница 9

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Das Rasseln von Ketten erklang und hallte von den Wänden zurück.

Er hatte sich bewegt, woraufhin das Metall leise schepperte.

Die stählernen Ringe an seinen Hand- und Fußgelenken schnitten in seine Haut, denn Rost hatte sie über die vielen Jahre der Gefangenschaft angegriffen und scharfkantig werden lassen.

Doch er spürte keinen Schmerz, wie er auch früher nie Schmerz gespürt hatte.

Er öffnete die Augen und hob den Kopf.

Er hockte auf einer runden Steinplatte inmitten einer fast völlig in Dunkelheit getauchten Höhle.

Die Ketten, die seine Arme gefesselt hielten, hingen irgendwo über ihm im Dunkeln an Haken, die einst in den Fels geschlagen worden waren.

Von dort oben kam auch der einzige Strahl fahlen Sonnenlichtes, der direkt vor ihm den Boden berührte.

Wie lange war es her, dass er die Sonne zum letzten Mal gesehen hatte?

Er konnte sich nicht mehr daran erinnern.

Seine Gefangenschaft währte schon so unendlich lange, dass viele Dinge aus seinem Geist entschwunden waren. Vergessen konnte er nichts, das wusste er, doch nach einer halben Ewigkeit in diesem Kerker hatten seine Fähigkeiten sehr gelitten.

Doch er spürte, dass sich etwas an ihm, in ihm verändert hatte, auch wenn er noch nicht genau zu benennen wusste, was es war.

Welche Form hatte er? Er konzentrierte sich und spürte sofort, wie sein Körper auf seine Gedanken reagierte. Er war ein Mensch und fühlte, wie sein Herz in der Brust zu schlagen begann.

Dies war die Form gewesen, die er gewählt hatte, kurz bevor er hier eingekerkert worden war.

Gierig sog er die muffige, abgestandene Luft durch Mund und Nase ein, füllte damit seine Lungen und genoss das herrliche Gefühl, wieder Leben in sich zu spüren.

Doch mit diesem Gefühl kam auch die Erinnerung daran zurück, warum er überhaupt in diesem Felsenkerker saß.

Er hatte sich zu sehr zu den Menschen hingezogen gefühlt, hatte sich geweigert, an ihrem Untergang mitzuwirken und war dafür bestraft worden.

Alles, was ihn einst ausgemacht hatte, hatten sie ihm damals genommen.

Seine Waffen, seine Macht und … seinen Namen.

Sie hatten ihn in Ketten gelegt, ihn verhöhnt, verspottet, geschunden.

Nur sein Leben, seine Existenz, konnten sie ihm nicht nehmen, denn trotz allem war er ein Teil des großen Ganzen, ein Teil der ursprünglichen Schöpfung.

Ein Bild zuckte kurz durch seinen Geist, schob sich für wenige Sekunden vor sein inneres Auge, um dann wieder zu verblassen, doch der kurze Moment genügte.

Trauer und Scham stiegen in ihm auf, doch gleichzeitig auch Wärme.

Die Empfindung innigster Zuneigung stellte sich gegen die Wut und Trauer in seinem Herzen, er fühlte sich hin und her gerissen.

Wieder flackerte das Bild vor seinem geistigen Auge auf, ohne aber wieder zu verblassen.

Es war das Gesicht einer jungen Frau mit rotbraunem Haar, grünen Augen und einer wie Gold schimmernden Haut. Ihre Wärme und Güte, ihre Liebe zu ihm waren einst der Grund gewesen, warum er sich von seinesgleichen losgesagt hatte und für die Menschen zu kämpfen begonnen hatte.

Doch dann traf ihn die Erkenntnis wie ein Hammerschlag.

Seine Richter und Kerkermeister hatten in ihrem Hass auf ihn und seine (in ihren Augen) Schwäche ganze Arbeit geleistet und ihm nicht mehr von ihr gelassen als ihr Bild in seinem Geist.

So sehr er sich bemühte, er konnte sich an nichts weiter erinnern als ihr Gesicht.

Alles andere, ihr Name und die Augenblicke, die sie gemeinsam verbracht hatten, war ausgelöscht worden. Zurückgelassen hatte man nur das Gefühl der Sehnsucht und Liebe zu ihr, und dies war die grausamste Folter für ihn gewesen, seit dem Tage, als sie ihn hier eingesperrt hatten.

Ein Schrei der Verzweiflung und des Schmerzes drang aus seinem Mund und hallte von den Wänden der Höhle wider.

Er spürte, wie eine Träne an seiner Wange hinablief und von seinem Kinn zu Boden tropfte.

Im gleichen Augenblick erklang ein Geräusch über ihm und kurz darauf stürzten beide Ketten, die seine Hände gefesselt gehalten hatten, mit lautem Krachen und Klirren herab.

Die Ringe an seinen Hand- und Fußgelenken öffneten sich ebenfalls, so dass er diese ohne Mühe abschütteln konnte.

Nach so langer Zeit war er endlich befreit aus seiner Gefangenschaft.

Doch statt sich zu erheben und einen Weg aus dem Gefängnis heraus zu suchen, blieb er auf der Steinplatte hocken und überdachte seine Situation genau.

Man hatte ihn eingesperrt, um ihn dafür zu bestrafen, dass er Mitleid gezeigt und sich geweigert hatte, das Vernichtungswerk, welches sein Herr begonnen hatte, mit fortzusetzen.

Sie hatten ihn hier, wo auch immer dieses Hier sein mochte, eingesperrt, ihm seiner Kräfte beraubt und einen Großteil seiner Erinnerungen gelöscht.

Wie viele Jahre, Jahrzehnte oder gar Zeitalter er hier verbracht hatte, wusste er selbst nicht zu sagen,

doch aus für ihn unerfindlichen Gründen hatte seine Strafe nun ein Ende gefunden.

Er zweifelte aber daran, dass man ihn begnadigt hatte.

So dachten jene Mächte, denen er einst gedient hatte, nicht.

Sein Körper war wieder erwacht, seine Seele in seine ausgelaugte, geschwächte Hülle zurückgekehrt.

Aber was war der Grund dafür? Wem oder was verdankte er seine Rückkehr?

Für einen kurzen Moment verschwand der schwache Lichtstrahl, und urplötzlich empfand er Furcht und Entsetzen deshalb. War dies alles eine Illusion, ein Teil seiner Strafe?

Wollte man ihn quälen, ihm die vermeintliche Freiheit nur vorgaukeln, um ihn dann wieder ins Unglück zurück zu stürzen?

Doch dann kehrte das Sonnenlicht wieder, stärker als zuvor, und erhellte die Höhle erneut.

Staubkörner glitzerten in diesem schmalen Strahl, der von außen hereindrang.

Er hob seine Hand und hielt sie in das Licht.

Auch, wenn er nicht die Wärme der Sonne spüren konnte, so erinnerte er sich daran, dieses Gefühl zu kennen. Jemand hatte ihm einst seine Empfindungen beschrieben, sie mit ihm sogar geteilt.

Er betrachtete seine schmutzigen Finger, an denen der Dreck und Staub von unzähligen Jahren Gefangenschaft haftete.

Er bemerkte nun auch, dass er fast völlig nackt war und nur einen Lendenschurz trug.

Scham empfand er deshalb keine, aber er wusste, dass seine Nacktheit sich als unpraktisch erweisen würde, wenn er seinen Kerker verlassen würde, um wieder unter den Menschen zu wandeln.

In der Vergangenheit, als er noch über Macht verfügt hatte, war seine Zauberkraft groß genug gewesen, um mit solchen unbedeutenden Kleinigkeiten fertig zu werden.

War durch seine Befreiung die Magie wieder zu ihm zurückgekehrt?

Er konzentrierte sich, versuchte, sich seine frühere Kleidung in Erinnerung zu rufen, und es gelang ihm auch.

Er hörte ein leises Zischen um sich herum, als die Dunkelheit Form gewann, sich seinem Willen beugte und sich verwandelte. Sie strömte auf ihn zu, wie schwarzer Dunst, und hüllte ihn wie ein Mantel ein.

Langsam, ganz ohne Hast erhob er sich nun und trat an den Rand der runden Steinplatte.

Er blickte hinunter und erkannte, dass sich dort unter ihm ein bodenloser Abgrund auftat, über welchem die Steinplatte zu schweben schien.

Er hob den Kopf und folgte mit seinem Blick dem dünnen Strahl aus Sonnenlicht.

Im nächsten Moment schon verwandelte er sich, nahm die Form des schwarzen Dunstes an, aus dem seine Kleidung bestand, und glitt wie eine dünne Rauchfahne am Lichtstrahl hinauf, hinaus in die Freiheit.

Er schlüpfte durch einen dünnen Spalt, vorbei an aufgebrochenem Gestein und grauem Moos, welches in den Riss hinein gewuchert war, bis sich schließlich der weite blaue Himmel über ihm auftat.

Als er seine menschliche Form wieder annahm, ließ er seinen Blick über das Land gleiten.

Er stand auf einer schmalen Klippe, die wie eine Felsnase aus der Seite eines Berges herausragte.

Schnee glitzerte auf den Spitzen der Berge ringsum und ein eiskalter Wind ließ seinen Mantel flattern, zerrte an ihm wie verrückt.

Unter sich, nach Westen hin, sah er eine weite Graslandschaft, durch welche sich ein dünnes, sanft schimmerndes Band zog. Es war ein Fluss, der sich in Richtung des Meeres ergoss.

Kleine grüne Inseln waren zu erkennen, Wäldchen, deren frisches Blattwerk das Sonnenlicht reflektierte. Schwärme von Vögeln waren zu sehen, die Boten des Frühlings, die ihre Bahnen in der Höhe zogen, als gäbe es keine Grenzen und keine Beschränkungen für sie.

Nördlich von ihm fiel das Gebirge ab und seine letzten Ausläufer verschwanden zwischen den Wipfeln eines mächtigen Waldes, der wie ein Schatten mitten in der aufblühenden Landschaft lag.

Der Dunkelwald, ging es dem Namenlosen durch den Sinn.

Dann sind dies die Berge des Drachenkamms. Hier hatte man ihn also eingesperrt.

Sein Blick richtete sich nach Osten, doch auch hier erblickte er nur eine weite, sich schier unendlich ausdehnende Steppe.

Das Rauschen gewaltiger Wassermassen drang an sein Ohr, und als er hinab sah, erkannte er tief unter sich einen großen Wasserfall, der aus dem Berg hervorbrach.

Dies war die Quelle des Tivil, dem großen Strom, der durch das Land Amargath floss, um sich am Ende seines Weges in den östlichen Ozean zu ergießen.

Der Namenlose betrachtete nachdenklich wieder seine Hände, von denen sich der Staub gelöst hatte, und bemerkte fasziniert, dass sich auf seiner wie Bronze glänzenden Haut seltsame Linien abzeichneten. Diese schienen von seinen Handgelenken her seine Unterarme hinauf zu wandern.

Er zog seine Ärmel hoch und betrachtete nachdenklich die feinen Linien, die ihn irgendwie an ein Brandzeichen erinnerten.

Er wusste, dass er diese vor seiner Inhaftierung nicht besessen hatte und fragte sich einmal mehr,

welchen besonderen Umständen er es zu verdanken hatte, dass er nun hier stand und seine Freiheit wieder hatte.

Einst, so erinnerte er sich, hatte er über mehr Wissen verfügt und kannte die Geheimnisse, die zwischen Himmel und Erde vor den Augen aller Sterblichen verborgen lagen.

Er war ein mächtiger Diener der Dunkelheit gewesen, ehe er jene Frau getroffen hatte, die seiner Existenz eine neue Bedeutung gegeben hatte.

An sie zu denken schmerzte ihn, denn es brachte ihm erneut den Umstand ins Bewusstsein, dass er vieles für immer vergessen hatte.

Nun aber stand er hier, fast all seiner Kräfte beraubt, so hilflos wie ein Mensch.

Doch da war auch dieses neue Gefühl in ihm, welches ihm ein Ziel verhieß, ihn zum Aufbruch antrieb.

Er hatte eine Aufgabe erhalten, von wem auch immer, und diese galt es nun zu erfüllen.

Dafür aber musste er zuerst ins Tiefland hinab, nach Norden, denn dort, so wusste er, würde er seine zukünftigen Weggefährten treffen.

Er breitete die Arme aus, und wieder begann die Magie in ihm zu wirken, als er sich in einen schwarzen Raben verwandelte und sich vom Wind davontragen ließ.

Der Wind war stark, zerrte an seinen Federn, doch konnte er ihm nichts anhaben.

Das Gebirge hinter sich lassend glitt er auf den Dunkelwald zu und betrachtete diesen durch seine Rabenaugen genau.

Ein Adler stieg von einem der Bäume auf, ein majestätischer Vogel mit einem herrlichen, schwarzbraunen Gefieder, doch als der Raubvogel ihn erblickte, drehte er sofort ab und verschwand wieder zwischen den Ästen des Waldes.

Der Namenlose wusste, dass alle Tiere ihn sehr wohl erkennen konnten und spürten, was er wirklich war, ganz gleich, wie er sich tarnte.

Eine Bewegung tief unten im Wald ließ ihn aufmerksam werden, er schlug ein paar Mal mit den Flügeln und begann über den Kronen der mächtigen Bäume zu kreisen.

Schließlich gelangte er an eine Lichtung im Wald, an deren Rand eine alte, vom Blitz gespaltene Eiche stand und ihre blattlosen Äste in den Himmel streckte.

Der Namenlose ließ sich auf einem dieser Äste nieder und wartete.

Nach wenigen Augenblicken trat eine Gestalt auf die Wiese.

Sie ging gebückt, schnüffelte immer wieder am Boden und dem feucht glänzenden Gras, hob nun aber den Kopf und sah zum Raben hinauf.

Der Fremde sah aus wie ein alter Mann, grinste zahnlos und rückte seinen breiten Schlapphut zurecht.

>>Wen haben wir denn da? , << sagte er, und seine Stimme klang dabei eher wie ein Krächzen.

>>Ich grüße dich, Bruder, << fügte er hinzu, verbeugte sich leicht vor dem Raben und spuckte dann ins Gras. Sein grüner Speichel traf einen Stein, es zischte laut, und der Stein war verschwunden.

Der Namenlose schwang sich vom Ast, schlug zwei Mal mit den Flügeln und verwandelte sich, noch bevor er den Boden berührt hatte.

Sein Gegenüber wich einen Schritt zurück, doch das Grinsen schien noch breiter zu werden.

>>Ihr seid es! , << sagte er und verbeugte sich erneut.

Erinnerungsbruchstücke tauchten aus den Tiefen des Unterbewusstseins des Namenlosen auf und fügten sich wieder zusammen.

>>Zephalot, die Schlange von Zerta, << erwiderte er.

Die beiden starrten sich an, und es war Zephalot, der das Wort schließlich ergriff.

>>Wie seid ihr eurem Kerker entkommen? Unser Herr hatte eure Ketten selbst geschmiedet. <<

>>Euer Herr, << antwortete der Namenlose, >>nicht meiner! <<

Zephalot reagierte gelassen und fuhr gleichgültig mit der Hand durch die Luft.

>>Haarspalterei, << erwiderte er, >>mehr ist das nicht. Er ist und bleibt der Gebieter aller Dämonen, und ihr seid noch immer ein Dämon, wie es scheint. Ihr wirkt verändert, das gebe ich gern zu, aber nach drei, vier Zeitaltern in Einzelhaft kann man euch das nicht verübeln. <<

>>Spart euch euer Mitleid und sprecht nicht so von oben herab mit mir, <

Zephalot tat über die Maßen erschrocken und legte die entsprechende Miene auf.

>>Verzeiht mir, hoher Herr, << ich bin unwürdig, ein Wurm, nicht mehr. <<

Dann spuckte er erneut aus und wurde schlagartig ernst, sein Gesicht verfinsterte sich und in seinen Augen funkelte es zornig.

>>Ihr wurdet entmachtet, also blast euch nicht auf. Einst mögt ihr niederen Dämonen Befehle gegeben haben, aber die Zeiten sind vorüber. Man nahm euch eure Macht, als man euch euren Namen nahm, ihr seid jetzt ohne Rang und Titel.

Mit einem Schnippen meiner Finger könnte ich eure Beine zu Asche werden lassen, wenn ich wollte.

Und vielleicht will ich ja auch. <<

Er schnippte, doch nichts geschah.

Der Namenlose stand weiter regungslos ihm gegenüber und sah ihn an.

Zephalot schnippte erneut, aber das Ergebnis blieb dasselbe.

>>Scheinbar, << sagte der Namenlose in ruhigem Tonfall, >>irrt ihr euch. Ich möchte nur wissen, was euch hierher verschlagen hat? Dient ihr einem sterblichen Zauberer? Oder hat euch der Gebieter hierher entsandt? Herrscht noch immer Krieg? <<

Zephalot schien nun begriffen zu haben, dass er doch kein so leichtes Spiel mit seinem Gegenüber haben würde und tat wieder freundlich.

>>Ihr ward lange fort, Namenloser. Der große Krieg, der noch zu eurer Zeit entbrannt war, wurde beendet. Der Gebieter hat, ich will es nicht verschweigen, eine schwere Niederlage hinnehmen müssen. Die Götter selbst hatten in den Kampf eingegriffen und ihn besiegt, aber nicht vernichtet.

Sie nahmen ihm einen Großteil seiner Macht, wie er euch kurz vorher die eure nahm, und verbannten ihn ins Dunkle Land.

Doch inzwischen hat er sich erholt und neue Pläne geschmiedet, um sich die Welt Untertan zu machen. Gerade jetzt, während wir hier miteinander sprechen, erobern seine Truppen die westliche Küste und bereiten sich darauf vor, gegen die Menschen vorzurücken.

Er verfügt noch nicht wieder über all die Kräfte von einst, doch sein Verbündeter wird dafür sorgen, dass unser Gebieter bald schon wieder seine alte Macht zurückgewonnen haben wird.

Immer mehr von uns kommen über das große Meer und fassen wieder Fuß in diesem Land, nachdem die Götter uns damals von hier vertrieben hatten.

Wir ebnen den Weg, der uns zum Sieg über alle sterblichen Völker führen wird.

Der Gebieter wird erfreut sein zu hören, dass auch ihr wieder zurück seid, ward ihr doch einst sein treuester Gefolgsmann und mächtigster Diener. <<

Zephalot deutete eine leichte Verbeugung an, doch der Namenlose ging darauf nicht ein.

>>Ich habe vieles vergessen von dem, was ich einst tat, << gab er zu, >>doch scheinbar könntet ihr mir dabei helfen, meine Erinnerung aufzufrischen.

Wer war ich, bevor ich gefangen genommen wurde?

Warum hat mich der Gebieter so vieles vergessen lassen?

Und wie konnte unser Herr, wie ihr sagt, seine Kräfte verlieren? <<

Zephalot kratzte sich nachdenklich am Kinn, ehe er antwortete:

>>Ihr wisst es wirklich nicht mehr, oder? Warum man euch wegsperrte, euch eure Macht nahm?

Nun, vieles ist selbst für mich ein Rätsel, denn der Gebieter selbst hat euch abgeurteilt.

Niemand weilte bei ihm, als er euch in euren Kerker warf, euch dort ankettete.

Doch er sprach häufig in meiner Gegenwart von euch und eurem Verrat an ihm.

Ihr, der ihr doch sein edelster Gefolgsmann gewesen ward, habt euch den Menschen zugewandt.

Ihr habt die Hand gegen die Diener gegen andere Dämonen erhoben, um Sterbliche zu schützen.

Und ihr sollt euer Wissen sogar mit den Hexenmeistern der Menschen und Zwerge geteilt haben, damit diese im Kampf unseren Truppen nicht mehr unterliegen würden.

Und das alles nur, weil eine Sterbliche, eine Frau aus dem Menschengeschlecht, eure Sinne vernebelt hat! Der Gebieter konnte ihrer Habhaft werden und lockte euch so in eine Falle, um euch gefangen zu nehmen. <<

Der Namenlose schwieg und versuchte, Bilder in seiner Erinnerung zu finden, die zu der Geschichte seines dämonischen Gegenübers passten, doch es misslang ihm. Dort war nichts außer Leere.

>>Der Gebieter hat euch vieles vergessen lassen, << sagte Zephalot, als wüsste er, worüber der Namenlose zu grübeln schien.

>>Immerhin ward ihr eines seiner Geheimnisträger und wusstet viel über ihn, seine Pläne und Absichten. Viele von uns haben nie verstanden, wie ihr den Reizen einer Sterblichen erliegen konntet, wo doch unser Reich jedwede Freude und Wonne für einen Großen wie euch bereitgehalten hätte.

Nun, kurz nach eurer Inhaftierung gelang es unseren Feinden, den Krieg für sich zu entscheiden.

Sie entrissen unserem Gebieter seine Kräfte und schlossen sie in einen kleinen Kristall ein, doch dieser hielt der Macht, die in ihm steckte, nicht stand und zerbarst in mehrere Teile.

Und diese Splitter suchen wir nun, denn erst wenn der Meister alle Teile wieder zusammenfügt, kann er seine alte Macht zurückerhalten.

Ich bin mir sicher, dass er euch vergeben würde, wenn ihr ihn darum anflehen würdet.

Seinen größten General, seinen mächtigsten Lord und Diener wieder bei sich zu wissen wäre ein enormer Gewinn für seine Sache und die damit verbundenen Pläne.

Erinnert ihr euch nicht mehr an die vielen herrlichen Stunden, die ihr in den Gewölben unter Kaan-Olgot verbracht habt? Dort lag euer Reich, welches euch der Gebieter in seiner unermesslichen Güte

überlassen hatte. Oh, wie vermisse ich die Schreie jener, die in euren Folterkammern litten.

Ihr ward nicht nur ein großer General, sondern auch der Herr über die Kerker und der oberste Henker, Vollstrecker jeden Befehls unseres Herren. <<

Der Namenlose zuckte bei dem Wort Henker zusammen, denn als wäre dies ein Schlüsselwort gewesen, drangen neue, finstere Erinnerungen in seinen Verstand ein.

Die Schreie hunderter gequälter Seelen drangen in sein Ohr, der Geruch warmen Blutes stieg in seine Nase, ebenso wie der von Pech, Schwefel und verbrennendem Fleisch.

Angewidert wich er von Zephalot fort und schüttelte energisch den Kopf, um die Bilder aus seine Verstand zu bekommen.

>>Warum spielt ihr den Entsetzten? , << fragte der Alte amüsiert.

>>Ich kann mich daran erinnern, dass ihr es genossen habt, die gefangenen Menschen und Elfen zu malträtieren und zu foltern. Und ihr kanntet Praktiken, die selbst mir so manches Mal wonnige Schauer bescherten. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem ihr euch an diese Menschenfrau verkauft habt. Da fand das alles ein Ende, bedauerlicherweise.

Aber nun steht ihr vor eurer zweiten Chance, Namenloser, und ich zweifle daran, dass ihr diese nicht nutzen wollt. Euer Menschenweib ist tot, zu Asche zerfallen vor langer Zeit.

Besinnt euch und kehrt dahin zurück, wo ihr hingehört. <<

Der Namenlose schüttelte jedoch energisch den Kopf.

Sprach der Dämon die Wahrheit? Hatte er in seinem früheren Leben gefoltert, gemordet, Gräueltaten begangen? Er hatte keine Erinnerung daran, aber er wusste tief in seinem Inneren, dass Dämonen logen und betrogen, um ihre Ziele zu erreichen und um Verzweiflung zu säen.

Er selbst war ein Wesen des Abgrunds, ein Geschöpf der Nacht; dieser Erkenntnis musste er sich stellen, ob er wollte oder nicht.

Sein Herz schlug wie verrückt, er spürte das Blut durch seine Adern rasen.

Aber machte ihn das zu einem Menschen? Hatte er sich wirklich verändert oder war er, tief in seinem Inneren, noch ein solch abscheuliches Geschöpf wie Zephalot?

Nein, verkündete eine Stimme in seinem Herzen, du gehörst nicht mehr zu den Dienern des Bösen.

Du hast dich abgewandt von ihnen, zu Recht, und bist dadurch zu etwas anderem geworden.

Vielleicht kein Mensch, aber immerhin ganz sicher kein Dämon mehr!

Der Namenlose wich noch weiter von Zephalot ab, der ihn daraufhin wütend anstarrte.

>>Die Menschen werden untergehen, << verkündete er in unheilschwangerem Tonfall, >>und du wirst mit ihnen fallen, wenn du nicht deiner wahren Bestimmung folgst.

Der Gebieter wird nicht ruhen, ehe er dich vernichtet hat, dessen sei gewiss.

Noch hast du die Möglichkeit, dich eines Besseren belehren zu lassen, also bring dein schwaches Menschenherz zum Schweigen und bedenke, welche Macht du erlangst, wenn du zurückkehren würdest. Was können die Sterblichen dir bedeuten, dir, der du die Armeen des Dunklen Landes angeführt hast und ein Fürst unter den Dämonen gewesen bist?!

Warum willst du deine Existenz für diese unwürdigen Sterblichen aufs Spiel setzen? <<

Zephalot streckte seine Hand aus, um sie dem Namenlosen zu reichen.

>>Schlag ein, Bruder, und folge mir in die Heimat.

Wende dich ab von all dem Kummer, dem Schmerz und Leid, welches dir die Menschen beschert haben. Nimm deinen Platz unter uns wieder ein und hilf dabei, diesen Kontinent zu erobern. <<

Doch der Namenlose schlug nicht in die ihm dargebotene Hand ein.

Schweigend wandte er sich von Zephalot ab und ging davon.

Nur einen Wimpernschlag später stieg er als schwarzer Rabe wieder in die Lüfte.

>>Du bist ein Narr, << rief Zephalot ihm nach, >>und du rennst offenen Auges in dein Unglück! <<

Die Chronik des Dunklen Reiches -Band 1-

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