Читать книгу Ziegelgold - Tom Brook - Страница 11
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Sonntag 16:51 Uhr
Zwischen dem Schornstein und den Dachsparren war eine kleine dreieckige Lücke. Alex wusste, was sein Freund vor hatte und tippte sich an die Stirn. Die Lücke war höchsten 40 cm breit. Da würden sie nie und nimmer durchpassen. Tim reagierte überhaupt nicht auf die unqualifizierte Geste seines Freundes. Mit Schwung fädelte er seine Beine in das Loch und robbte langsam rückwärts hinein. Bald konnte Alex nur noch den Kopf seines Freundes erkennen, der dann dann auch im Dunkel verschwand. „Was ist? Brauchst du eine Sondereinladung? Nun komm schon“, vernahm Alex Tims schärfer werdende Stimme aus der Dunkelheit. Er wollte gerade protestieren, als die Stimme Dr. Eykens näher kam. Diese hörte sich sehr verärgert an und Alex hatte keine Lust, ein zweite Mal von dem falschen Doktor entdeckt zu werden. Schnell fädelte er sich in das Loch, so wie er es bei Tim gesehen hatte. Leider war er etwas kräftiger als sein schmal gebauter Freund. Bis zur Hälfte ging es recht gut, doch dann blieb er wegen seiner breiten Schultern stecken. „Arme hoch, Ausatmen und Luft anhalten“, raunte Tim von hinten. Alex seufzte und streckte sich lang wie beim Kopfsprung, als ihn Tim kräftig an den Knöcheln anpackte und unsanft in das finstere Loch zog.
Kaum war Alex' Kopf in dem Versteck verschwunden, liefen schon Tims Großvater und Dr. Eyken an ihrem unfreiwilligen Verlies vorbei. „Los, hier geht es noch ein paar Meter weiter“, flüsterte Tim kaum vernehmbar und kroch weiter in das staubige Versteck. Alex folgte ihm nur widerwillig. Sie erreichten einen kleinen, völlig schwarzen Raum, der kaum ein Meter hoch war und stark nach Rauch stank.
„Was ist das für eine Öffnung?“, hörten sie auf einmal die Stimme Dr. Eykens direkt vor dem Eingang ihres Schlupfwinkels. „Wo?“ Die schweren Schritte des Großvaters kamen langsam näher. „Ach das. Dahinter ist eine alte Räucherkammer. Der Rauch des Schornsteins wurde früher dort hinein geleitet, um Speck und Schinken zu räuchern. Die ist aber vor über 50 Jahren zugemauert worden.“ Tims Großvater machte eine Pause. Er schien etwas entdeckt zu haben. „Warten Sie mal. Dort hinten steht ja der Koffer.“ Die Schritte von Tims Großvater entfernten sich wieder. Die Jungen hielten die Luft an und hörten, wie die beiden Männer etwas aus dem Gerümpelstapel zogen.
„Wunderbar!“ Die Stimme von Dr. Eyken klang auf einmal deutlich freundlicher. „Lassen Sie uns den Koffer mit nach unten nehmen, da können wir in Ruhe nachsehen, ob ich die Unterlagen für meine Forschungsarbeit gebrauchen kann.“ Die Freunde saßen regungslos in ihrem schwarzen Loch und wagten es nicht, sich zu bewegen. Erst als sie das Knarren der Treppe und das laute Zuschlagen der Stalltür vernahmen, platzte es aus Alex heraus: „Verdammt! Warum haben wir den Koffer nicht gefunden? Wir waren doch vor ihnen da.“ Er schlug voller Wut mit der Faust auf den Boden der Räucherkammer. Der morsche Holzboden gab mit einem lauten Krachen nach. Instinktiv versuchte er, seine Hand zurück zu ziehen, doch sie steckte fest, und die scharfen Holzsplitter ließen keinerlei Bewegung zu.
„Warte, ich helf' dir.“ Tim machte die Taschenlampe an und sah, wie Alex bis zum Ellenbogen in dem verrotteten Holzboden fest steckte. Vorsichtig bog er die zerborstenen Holzsplitter von Alex' Arm weg, so dass der vorsichtig seinen arg verschrammten Unterarm herausziehen konnte. Während Alex seine lädierte Hand rieb, leuchtet Tim mit seiner Taschenlampe noch einmal in das Loch im Boden und lachte. „Anscheinend hast du gerade einer Mäusefamilie das Dach vom Kopf gefegt. Sieh mal, wie die flitzen.“ Alex lächelte gequält. Tim wollte gerade seine Lampe aus dem doppelten Boden herausziehen, als er ein schwaches Glitzern bemerkte.
„Mensch Alex, da ist was.“ Tims war ganz aufgeregt. „Zeig her.“ Alex drängte seinen Freund zur Seite, nahm ihm die Taschenlampe ab und leuchtete in das dunkle Loch. Er konnte nicht erkennen, was es war, aber es befand sich eindeutig ein metallischer Gegenstand in dem doppelten Boden der Räucherkammer. Alex richtete sich auf, soweit es die niedrige Kammer zuließ. Kräftig fasste er eines der angebrochenen Bodenbretter an und versuchte es nach oben zu ziehen. Das Brett bewegte sich keinen Millimeter. Tim eilte ihm beherzt zur Hilfe, und nun zogen beide Freunde aus Leibeskräften daran. Mit einem lauten Krachen gab die Diele endlich nach. Tim leuchtete in das vergrößerte Loch im Boden. „Das scheint eine alte Stahlkassette zu sein. Der funkelnde Gegenstand ist wohl der Haltebügel“, rief Tim aufgeregt. „Die kriegen wir so nicht raus“, sagte Alex. „Los weiter. Zwei Bretter müssen noch runter.“ Mit vereinten Kräften brachen sie weitere Bretter ab. Dann lag die Kassette direkt vor ihnen. Sie hatte die Größe eines großen Schuhkartons. Die Freunde sahen sich erwartungsfroh an. Alex griff bedächtig nach dem Bügel und zog die Kassette ehrfürchtig und mit großer Anstrengung aus ihrem Jahrzehnte alten Versteck.
„Die wiegt mindestens zwanzig Kilo“, ächzte er. „Klar“, strahlte Tim, „Gold ist schwer.“ Zusammen wuchteten die Freunde ihren Schatz aus der alten Räucherkammer an dem alten Schornstein vorbei in den Speicherraum. Sie vergewisserten sich, dass niemand mehr im Stall war. „Endlich wieder gerade stehen“, stöhnte Tim, als sie endlich ihr Verlies verlassen hatten und streckte sich. In aller Ruhe betrachteten sie die Kassette. Sie muss früher hellgrau gewesen sein, aber das konnte man nur noch an einigen Stellen erahnen. Ansonsten war sie fast komplett mit Rost und schwarzem Mäusekot überzogen. Tim rümpfte wegen des üblen Geruches die Nase. Alex sagte nichts und suchte ein starkes Seil. Als er kurz darauf mit einem alten Gartenschlauch ankam, sah ihn Tim ungläubig an. „Willst du die Kassette sprengen?“, fragte er im Glauben einen guten Witz gemacht zu haben. Alex sah seinen Freund nur mitleidig an. „Wenn deine komischen fünf Minuten vorbei sind, können wir die Kassette dann vielleicht abseilen?“ Tims Mundwinkel gingen abrupt nach unten. Schmollend half er Alex den Schlauch an der Kassette zu befestigen. Dann ließen sie ihren wertvollen Fund vorsichtig vom Speicher auf den Boden der Scheune herunter.
Nachdem sie über die alte Leiter wieder den Boden erreicht hatten, standen sie erwartungsvoll neben ihrer Entdeckung. „Mit deinem Taschenmesser bekommst du die jedenfalls nicht auf. Dafür brauchen wir schon richtiges Werkzeug“, meinte Alex, nachdem er das verrostete Schloss untersucht hatte. Tim rannte umgehend los und kam mit Hammer, Meißel und Brechstange aus der Werkzeugkiste seines Großvaters zurück. „Damit sollte es klappen“, sagte er selbstsicher und klopfte mit der Brechstange auf die Kassette. Er nahm den Meißel und setzte ihn direkt unterhalb des Deckels an. Die ersten zwei Schläge zeigten keinerlei Wirkung. Beim dritten Schlag flog der Deckel jedoch scheppernd hoch.
Kopf an Kopf blickten die Freund in die offen vor ihnen stehende Stahlkassette. Die Enttäuschung war groß. In der Kassette waren keine Goldmünzen. Alex griff vorsichtig in den Behälter und holte langsam ein kleines, in Leder gebundenes Buch heraus. Die Seiten waren abgegriffen und in einer unbekannten Schrift von Hand beschrieben. Alex blätterte die Seiten durch und blickte fragend Tim an. „Merkwürdige Buchstaben. Das könnte vielleicht griechisch oder russisch sein. Die haben ja völlig andere Buchstaben. Wir könnten mal Leo fragen. Seine Eltern kommen aus Weißrussland. Vielleicht können die das ja lesen“, überlegte Tim laut. Alex legte das Büchlein enttäuscht zur Seite und holte ein ölverschmiertes Bündel aus der Kassette. Er legt es auf den staubigen Stallboden und packte es vorsichtig aus. Die Jungen hielten vor Schreck den Atem an.
Vor ihnen lag eine schwarze Pistole. Vorsichtig fasste Alex die Waffe an und wog sie in der Hand. Sie war schwerer als er vermutet hatte. Der Gedanke, eine echte Pistole in der Hand zu halten war ihm unheimlich. „Ob mit der Pistole der alte Henk Deependaal erschossen wurde?“, flüsterte Tim ängstlich. „Wenn das die Mordwaffe ist, müssen wir damit unbedingt zur Polizei gehen.“ Alex sah seinen Freund an. „Die Tat liegt 70 Jahre zurück. Da kommt es auf ein paar Tage auch nicht mehr an. Außerdem wissen wir gar nicht, ob es die Tatwaffe ist. Komm, nun bleib mal ganz locker“, antwortete Alex ruhig und wickelte die Waffe wieder in das Tuch ein. „Da liegt noch etwas in der Kassette“ raunte Tim und holte verwundert einen bläulich schimmernden Ziegelstein heraus. „Da ist noch ein zweiter.“ Alex griff nach dem zweiten Backstein und drehte ihn mehrmals in der Hand. „Ganz schön schwer. Sieh mal, da ist ein Muster eingeritzt. Wer legt denn zwei Ziegelsteine in eine Metallkassette?“ Alex schüttelte verwundert den Kopf. „Vielleicht sollten sie die Kassette beschweren, um sie später irgendwo zu versenken“, vermutete er. Die Sache wurde jedenfalls immer rätselhafter.
„Was machen wir jetzt mit den Sachen?“, fragte Tim. „Wir können die Pistole schlecht mit nach Hause nehmen und unseren Eltern zeigen.“ „Du hat Recht“, entgegnete Alex. „Mach mal mit deinem Handy ein Foto von der Waffe. Vielleicht erfahren wir etwas darüber im Internet. Das Büchlein nehmen wir mit. Und die aufgebrochene Kassette mit der Waffe und den Ziegelsteinen verstecken wir hinter den alten Kaninchenställen.“
Während Alex das Buch in der Innentasche seiner Jacke verstaute, fotografierte Tim die Pistole. Dann schoben die Freunde die Kassette tief hinter die ausgedienten Kleintierställe. Leise verließen sie dann die Scheune. Sie wollten gerade ihre Fahrräder besteigen, als eine Stimme hinter ihnen ertönte: „So schnell sieht man sich wieder!“ Die Jungen hielten die Luft an. Ganz langsam drehten sie sich um.
Hinter ihnen stand Tims Großvater und strahlte die beiden an. „Zum Glück erwisch' ich euch noch. Ich habe euch schon gesucht. Ihr könnt mir in den nächsten Tagen helfen. Wir müssen unbedingt etwas gegen diese verflixten Steinmarder machen. Die haben heute auf dem Speicher solch ein Mordsspektakel veranstaltet, dass ich dachte, mir fällt das Dach auf den Kopf.“
Alex konnte sich nur mit Mühe einen Lachkrampf verkneifen. Er saß schon auf seinem Rad, als er sich noch einmal zu Tims Opa umdrehte. „Ach übrigens, haben Sie den alten Koffer eigentlich gefunden?“ Der alte Herr lächelte. „Ja. Dr. Eyken hat ihn mitgenommen, um den Inhalt in Ruhe durch zu sehen.“