Читать книгу Ziegelgold - Tom Brook - Страница 4

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Prolog

Es regnete in Strömen, als er mit hochgeschlagenem Mantelkragen fluchend über den verschlammten Hof zum Verwaltungsgebäude lief. Tagelanger Regen hatte den Boden hoffnungslos aufgeweicht. Missmutig schaute er nach oben. Der wolkenverhangene Mond ließ die Ziegelei in einem gespenstischen Licht erscheinen. Die Zeit drängte. Vor einer Stunde hatte er überraschend ein Telegramm seiner Dienststelle in Bremen erhalten, in dem ihm unmissverständlich erklärt wurde, dass er nun endlich verwertbare Ergebnisse abliefern müsse. Ansonsten werde er mit sofortiger Wirkung von dem Auftrag abgezogen, hieß es dort weiter. Er atmete tief durch. Es ging schließlich um eine Menge Geld und man hatte viel Vertrauen in ihn gesetzt. Wenn seine viel versprechende Karriere nicht frühzeitig zu Ende gehen sollte, dann musste dringend etwas passieren. Und zwar an diesem Abend noch. Wutentbrannt zerknüllte er das Telegramm in seiner Manteltasche.

Seit über einem Jahr arbeitete er bereits in dieser gottverlassenen Einöde im äußersten Nordwesten des Reiches. So lange war er nun schon bei dem sturen Ziegeleibesitzer beschäftigt. Als kaufmännischer Leiter hatte er in dieser Zeit hart dafür gearbeitet, dass der ihm zumindest in beruflichen Dingen das nötigste Vertrauen schenkte. Privat ließ dieser Amsterdamer Dickschädel allerdings keinen Menschen an sich heran. Anscheinend vertraute er selbst seiner Frau und seinen Kindern nicht. Zornig stapfte er mit seinen polierten schwarzen Stiefeln durch den Schlamm. Wenn er gewusst hätte, wie mühsam und langwierig dieser Auftrag werden würde, hätte er dankend abgelehnt. Aber er war damals in der Hoffnung auf viel Geld von einem auf den ersten Blick einfachen Auftrag ausgegangen, der höchstens drei Monate dauern würde.

Er sei der ideale Mann, schmeichelte ihm Schallberg im Sommer des vergangenen Jahres, als er ihn mit der Aufgabe betraute. Informanten der Dienststelle in Bremen gingen davon aus, dass der jüdische Ziegeleibesitzer ein beträchtliches Vermögen aus dem Verkauf seiner väterlichen Reederei besaß und mit dem Gedanken spielte, es ins Ausland zu bringen. Wenn es ihm gelänge, das Geld bei einer Schweizer Bank zu deponieren, könne man nicht mehr darauf zugreifen. Mehr Informationen hatte man ihm damals nicht gegeben. Er solle nur herausfinden, wo das Geld versteckt ist, den Rest würde dann die Dienststelle des Sicherheitsdienstes erledigen.

Er hatte im Laufe des Jahres wirklich alles Menschenmögliche versucht, den Aufbewahrungsort des Vermögens ausfindig zu machen. Dafür hatte er nächtelang sämtliche Unterlagen der Ziegelei durch gearbeitet. Er hatte diesen sturen Holländer fast rund um die Uhr beobachtet, seine geschäftlichen und privaten Briefe gelesen und seine engsten Mitarbeiter ausgehorcht. Alle Bemühungen waren bislang ohne Erfolg gewesen. Nun war die Frist abgelaufen. Seinem Dienststellenleiter Schallberg saßen die Vorgesetzten aus Berlin im Nacken und forderten ihrerseits Erfolge in dieser verdeckten Aktion. Keiner wollte einen Misserfolg eingestehen. Die ganze Last ruhte jetzt auf ihm.

Heute wollte er alles auf eine Karte setzen. Sein Auftrag war so oder so beendet. Entweder er entriss ihm heute endlich das Geheimnis um das versteckte Vermögen oder er musste zerknirscht seine Niederlage in Bremen eingestehen. Aber das wollte er auf gar keinen Fall.

Er hatte für seinen heutigen finalen Auftritt extra seine graue Uniform angezogen und seine schwarzen Stiefel auf Hochglanz poliert. Die schwere Dienstwaffe steckte einsatzbereit in dem ledernen Holster. Er zog seine Mütze noch tiefer ins Gesicht, so dass die Augen kaum noch zu erkennen waren. Mit der Respekt einflößenden Uniform wollte er dem Ziegeleibesitzer seine Macht demonstrieren. Sie sollte dem Eigenbrödler deutlich machen, dass er es nicht nur mit ihm zu tun habe, sondern mit der mächtigsten Organisation der Welt. Genau so wollte er es machen. Er war sehr zufrieden mit seinem Plan.

Als er den Hof der Ziegelei überquert hatte, öffnete er die schwere Eichentür des Verwaltungsgebäudes. Als Prokurist hatte er sämtliche Schlüssel für die Gebäude der Ziegelei. Er sah auf seine Laco-Uhr. Die Leuchtziffern zeigten, dass es kurz nach neun war. Die Angestellten hatten längst Feierabend. Nur der Chef arbeitete häufig bis in die späten Abendstunden. Er lief die breite, geschwungene Treppe ins Obergeschoss hoch, wo sich die Büros der leitenden Angestellten befanden. Die Schritte seiner schweren Lederstiefel hallten unheimlich durch das große Gebäude. Vor der doppelflügeligen Tür des Direktorenzimmers blieb er stehen. Durch das geschliffene Glas drang ein schwaches Licht. Er wischte seine Stiefel an einem Wandvorhang ab und prüfte noch einmal den tadellosen Sitz seiner Uniform. Dann ging er mit großen Schritten energisch und ohne anzuklopfen in das Büro seines Vorgesetzten.

Eine Schreibtischlampe aus Messing erhellte das verlassene Büro nur spärlich. Hinter dem ledernen Schreibtischstuhl tickte eine wertvolle Wanduhr aus Bernstein. Daneben hing ein Plakat der Olympischen Spiele in Berlin mit einigen Original-Unterschriften. Der Kalender zeigte das Datum: 13. Oktober 1936.

In der Luft lag noch der Geruch von Pfeifenrauch. Der Holländer konnte noch nicht vor all zu langer Zeit das Büro verlassen haben. Er entspannte sich ein wenig und sah sich um. Entschlossen ging er zum Schreibtisch des Direktors, riss sämtliche Schubladen auf und durchsuchte die Tagespost. Nichts deutete auf brauchbare Hinweise hin. Aufgebracht zog er sämtliche Akten aus den Regalen und untersuchte die Regale auf Geheimfächer. Nichts. Was sollte er morgen nur seinem Vorgesetzten berichten? Dass er auf der ganzen Linie versagt hatte? Die Dienststelle würde ihm nie wieder einen solchen Auftrag erteilen. Ein Scheitern seiner Mission kam also gar nicht in Frage. Unschlüssig sah er aus dem Fenster. „Was du jetzt brauchst, ist eine gute Idee“, murmelte er gedankenverloren vor sich hin. Die schwarzen Wolken hatten sich nun vollständig vor den Mond geschoben. Draußen war es stockfinster. Das benachbarte Kleiborg war in der Dunkelheit nicht zu erkennen. Zornig fegte er eine Kristallvase von der Fensterbank, die laut klirrend am Boden zersprang. Er wollte sich gerade vom Fenster abwenden, als er in einiger Entfernung einen flackernden Lichtschein erkannte.

Das Licht kam aus der Nähe der Trockenschuppen am Ende des Ziegeleigeländes. Er wusste nicht viel von der Herstellung von Ziegeln. Das war für ihn als leitenden kaufmännischen Angestellten auch nicht notwendig. Er wusste aber, dass die Ziegelsteine vor dem Brennen einige Wochen getrocknet werden mussten. Nach der Einlagerung konnte der Wind ungehindert durch die offene Holzkonstruktion wehen und entzog den Rohlingen die Feuchtigkeit. Normalerweise waren die Arbeiter nur zu Ein- oder Auslagerungsarbeiten in den Trockenschuppen beschäftigt. Mitten in der Nacht hatte dort eigentlich niemand etwas zu suchen, vor allem da die Schuppen kein elektrisches Licht hatten. Er rannte nach draußen über den Hof in die Richtung, aus der das Licht kam. Der Regen hatte endlich aufgehört. Als er die Schuppen erreichte, war nichts zu erkennen. Angespannt prüfte er die Schlösser. Bei Trockenschuppen 3 wurde er fündig. Das Vorhängeschloss war geöffnet.

Er entsicherte seine Pistole und steckte sie langsam wieder ins Holster zurück. Dann ging er vorsichtig in den Schuppen. Seine Augen gewöhnten sich nur mühsam an die Dunkelheit. Die Rohlinge waren auf einfachen, fast endlosen Holzregalen aufgeschichtet. Langsam tastete er sich an den Regalen entlang. Die Luft roch erdig und war feucht-kalt. Da er sich gerade nicht auf seine Augen verlassen konnte, musste er notgedrungen auf sein Gehör vertrauen. Es war noch jemand in dem Schuppen, war er sich sicher. Und dieser Jemand müsste eigentlich Geräusche verursachen. Praktisch kam eigentlich nur der Direktor in Frage. Ihm war zwar völlig unklar, was der Holländer um diese Zeit in dieser unwirtlichen Umgebung zu suchen hatte, aber das würde sich schon ergeben. Meter für Meter tastete er sich voran. Mit der linken Hand orientierte er sich an der endlosen Regalreihe. Die Schmerzen, die die Holzsplitter des grob verarbeiteten Holzes seiner Hand zufügten, nahm er kaum wahr. Endlich sah er einen schwachen Lichtschein am Ende des Schuppens, der von einer Karbidlampe stammte. Schemenhaft erkannte er einen gut gekleideten Mann mit Hut, der einige Rohlinge kontrollierte und dann wieder zurückstellte. Es war der Besitzer der Ziegelei.

Langsam kam er aus seiner Deckung und stand genau hinter dem kräftigen Holländer. „Guten Abend, Herr Direktor. So spät noch bei der Arbeit?“ sprach er ihn mit sicherer Stimme an. Der Ziegeleibesitzer fuhr erschrocken herum. Er hatte ihn nicht kommen hören. Der Schein der Karbidlampe betonte die Zornesfalten in seinem Gesicht. Abfällig betrachtete er sein Gegenüber von oben bis unten. „Handloser, so eine Überraschung“, sagte er kühl und warf einen abwertenden Blick auf die Uniform. Trotz der überraschenden Begegnung wirkte er völlig selbstsicher. „Bei diesem Verein sind Sie also“, zischte er verächtlich. „Dass Sie überzeugter Nazi sind, habe ich mir schon gedacht. Aber was soll jetzt diese alberne Kostümierung?“, fragte er zynisch lächelnd.

Er versuchte trotz der Provokation ruhig zu bleiben. „Hören Sie mit den Spielchen auf, Deependaal“, sagte er und versuchte seiner Stimme einen festen Ausdruck zu geben. „Sie befinden sich jetzt nicht in der Situation, unverschämte Sprüche zu klopfen. Machen wir es kurz. Sie verraten mir jetzt auf der Stelle, wo Sie Ihr Vermögen versteckt haben. Dann sehen Sie mich nie wieder. Sie können dann problemlos mit Ihrer Familie das Land verlassen. Dafür werde ich persönlich sorgen.“ Er machte eine kurze Pause. „Deependaal, Sie haben keine Alternative.“

Deependaal blieb völlig ruhig. „Wie reden Sie eigentlich mit mir? Ich werde Ihnen gar nichts verraten, Sie kleine Ratte.“ Er lachte überlegen. „Was wollen Sie denn machen, wenn ich nichts sage? Wollen Sie mich hier an Ort und Stelle foltern? Oder gleich erschießen? - Eine sehr gute Idee übrigens, dann kann ich auch nichts mehr verraten.“ Deependaals dröhnendes Lachen hallte durch den Schuppen.

Ihm trat der Schweiß auf die Stirn. Deependaal fuhr ungerührt fort: „Handloser, Sie sind ein Versager. Ist Ihnen in Ihrem erbärmlichen Leben jemals etwas gelungen? Haben Sie eine schöne Frau? Haben Sie Kinder? Nein? Das dachte ich mir. Sie sind ein kleiner Versager, der hofft, dass die Nazis ihn groß rausbringen. Habe ich nicht recht?“ Wieder ertönte das tiefe Lachen des massigen Holländers.

Blind vor Wut zog er seine Waffe. Die Beleidigungen des Ziegeleibesitzers verfehlten ihre Wirkung nicht. Und zwar aus dem ganz einfachen Grund, dass dieser Recht hatte. Die Nazis gaben ihm die einmalige Chance, gesellschaftlichen Erfolg zu haben. Und diese Chance wollte er sich nicht nehmen lassen – von niemandem.

„Deependaal, zum letzten Mal!“, brüllte er schon fast verzweifelt. „Wo ist das Geld?“ Er wischte sich mit dem linken Uniformärmel die Schweißperlen von der Stirn und zielte mit seiner Waffe auf seinen Arbeitgeber. „Wenn ich schon keine Chance auf dieser Welt bekomme, sollen Sie auch keine mehr haben.“ Seine Augen funkelten. „Also: Wo ist das Geld?“ Handlosers Stimme überschlug sich fast. Der Holländer sah ihn mit einer Mischung aus Verachtung und Mitleid an. „Mensch Handloser, Sie Waschlappen. Auch das werden Sie nicht hinbekommen.“ Dann zerriss ein Schuss die Stille der Nacht.

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